Bundesverdienstkreuz für Ulrike Thurm: „Einfach machen und zeigen, dass es möglich ist!“

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Bundesverdienstkreuz für Ulrike Thurm
Foto: Nils Bornemann
Bundesverdienstkreuz für Ulrike Thurm: „Einfach machen und zeigen, dass es möglich ist!“

Für ihr jahrzehntelanges ehrenamtliches Engagement im Bereich ‚Sport mit Diabetes‘ ist die Diabetesberaterin, Autorin und Sportlerin Ulrike Thurm mit dem Verdienst­orden der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet worden. Immer wieder hat sie bewiesen, dass Typ-1-Diabetes und Leistungssport einander nicht ausschließen.

Es gibt Momente, in denen es auch wortgewandten und schlagfertigen Menschen vorübergehend die Sprache verschlägt. Für Ulrike Thurm war die feierliche Zeremonie am 16. August 2022, im Rahmen derer ihr die Berliner Wissenschaftssenatorin Ulrike Gote das Bundesverdienstkreuz aushändigte, ein solcher Augenblick: „Als ich die Senatorin sagen hörte, dass sich die Bundesrepublik Deutschland für meine besonderen Verdienste bedankt, musste ich doch kurz schlucken“, erzählt sie.

Diabetes-Diagnose mitten in den Examensvorbereitungen

Ihr unermüdliches Engagement hatte sich seinerzeit eher zufällig ergeben. Mitte der 1980er Jahre war Thurm (Jahrgang 1964) Sportstudentin in Münster und steckte mitten in den Examensvorbereitungen, als sie die Diagnose Typ-1-Diabetes erhielt. „Ich wollte mir eigentlich keine Zeit nehmen, mich mit meiner Erkrankung auseinanderzusetzen“, erinnert sie sich.

Ihre Diabetesberaterin Dr. Brigitte Osterbrink gab ihr den segensreichen Rat, sich in ihrer Staatsexamensarbeit mit Diabetes und Sport zu beschäftigen und auf diese Weise zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Für ihre Arbeit mit dem Titel ‚Kenntnisstand von Sportlehrern bei der Betreuung von diabetischen Schülern‘ befragte sie Lehrkräfte an Schulen in Nordrhein-Westfalen. Das Interesse der Sportlehrer*innen am Thema war groß, „der Kenntnisstand allerdings war gleich null“, berichtet Thurm.

Sich von der Diabetes-Diagnose ausbremsen lassen? Nicht mit Ulrike Thurm!

Es war die Zeit, in der die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) in ihren Leitlinien noch empfahl, Menschen mit Typ-1-Diabetes dürften allenfalls als Teil der Therapie Sport treiben – immer zur selben Tageszeit, immer in der gleichen moderaten Intensität und Dauer, aus Sicherheitsgründen nicht allein draußen und schon gar nicht als Mannschafts-, oder gar Leistungssport. „Jeden Tag um dieselbe Uhrzeit eine halbe Stunde bei 80 Watt Leistung auf dem Ergometer strampeln, das war mit dieser Empfehlung möglich“, erklärt Thurm.

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Doch das war nicht die Art von Sport, die ihr vorschwebte. Schließlich war sie von Kindesbeinen an sportversessen, spielte Fußball, Handball und Tennis, fand Gefallen am Tauchen und am Radsport, trainierte im Rahmen ihres Studiums auch Sportarten wie Schwimmen, Geräteturnen oder rhythmische Sportgymnastik. Mit der Aussicht, dass ihr Diabetes sie sportlich quasi vollständig ausbremsen würde, konnte und wollte sich Thurm nicht abfinden.

Ulrike Thurm: Job in der Klinik statt als Sportlehrerin

Ihre Examensarbeit erregte Aufsehen im Kultusministerium und in der Düsseldorfer Universitätsklinik, wo der Internist und Diabetologe Professor Dr. Michael Berger die ersten strukturierten Schulungs- und Behandlungsprogramme für Menschen mit Typ-1-Diabetes etabliert hatte. „Professor Berger bot mir direkt einen Job in seiner Klinik an“, erzählt Thurm. Von ihrem Plan, als Sportlehrerin zu arbeiten, hatte sie sich aufgrund ihres Typ-1-Diabetes ohnehin verabschieden müssen.

Also heuerte sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Heinrich-Heine-Universität an und absolvierte parallel dazu noch eine Ausbildung zur Krankenschwester, um sich das erforderliche medizinische Fachwissen anzueignen. In ihrer Arbeit folgte sie dem Leitmotto von Prof. Berger, wonach Menschen mit Diabetes so gut geschult werden sollten, dass sie sich selbst die besten Diabetolog*innen sind.

Mentor Prof. Dr. Michael Berger ermöglichte Ulrike Thurm ihren Werdegang

Immer wieder betont Thurm, dass ihr Werdegang ohne ihren Mentor so nicht möglich gewesen wäre: „Prof. Berger hat mich gleich auf die großen internationalen Kongresse geschickt, auch in Länder, wo es bereits Vereine oder Lauf-Events für Athleten mit Diabetes gab. Weil er fand, dass wir so etwas auch in Deutschland brauchen, hat er mir alle Türen dafür geöffnet.“ Eine spektakuläre Aktion im Jahr 1990, bei der 20 Menschen mit Typ-1-Diabetes von 23 Uhr bis zum Nachmittag des nächsten Tages nonstop von Mainz nach Düsseldorf radelten, markierte die Gründung des deutschen Ablegers der ‚International Diabetic Athletes Association‘ (IDAA).

Foto: Nils Bornemann

Ohne Stoffwechselprobleme, gesund und munter in Düsseldorf angekommen, wurden die Athletinnen und Athleten von den staunenden Teilnehmenden eines von Prof. Berger organisierten internationalen Diabeteskongresses mit viel Applaus in Empfang genommen – und auf der Stelle gebeten, doch am gemeinsamen Abendessen teilzunehmen, denn die Ärztinnen und Ärzte wollten unbedingt über die praktischen Erfahrungen der Sportltreibenden mit Typ-1-Diabetes erfahren, die über 200 km auch als Nachtetappe mühelos bewältigt hatten.

Zusammen mit Radsportlegende Eddy Merckx: Highlight Paralympische Spiele 1992

Auch in den folgenden Jahren schwangen sich IDAA-Mitglieder gern aufs Rad, um darüber aufzuklären, dass Menschen mit Typ-1-Diabetes mit Wissen, Schulung und Vertrauen in den eigenen Körper auch sportliche Höchstleistungen erbringen können. Ein besonderer Höhepunkt war für Thurm eine Einladung zu den Paralympischen Spielen 1992 in Barcelona: „Wir wurden von der Radsport-Legende Eddy Merckx auf die Strecke geschickt und radelten als Gruppe von IDAA-Mitgliedern von Brüssel nach Barcelona.“

An jeder Zwischenstation hielten die Athletinnen und Athleten eine Pressekonferenz ab. Die Gruppe kam ohne medizinische Notfälle oder Stoffwechselturbulenzen in Barcelona an und wurde von spanischen Radsportlerinnen und -sportlern sowie einer Polizeieskorte ins Stadtzentrum geleitet. „Wir zeigten der Welt, was mit Typ-1-Diabetes möglich ist, indem wir es einfach gemacht haben“, erzählt Thurm.

Bundesverdienstkreuz-Trägerin Ulrike Thurm kippte das Tauchverbot für Menschen mit Typ-1-Diabetes!

Mit ebendieser Herangehensweise brachten die IDAA und ihre Vorsitzende Thurm 1996 mit einer Studie in Papua-Neuguinea auch das Tauchverbot für insulinbehandelte Menschen mit Typ-1-Diabetes zu Fall. Im selben Jahr untersuchte Thurm auf dem Monte Rosa in den Walliser Alpen zusammen mit einem Forschungsteam der Universitätsklinik München, wie zuverlässig Blutzuckermessgeräte bei Kälte und in großer Höhe funktionieren – um zu zeigen, dass Menschen mit Typ-1-Diabetes bei entsprechender Vorbereitung auch gefahrlos Winter- oder Bergsport betreiben können.

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Ihr Wissen und ihre Erfahrung teilt Ulrike Thurm gemeinsam mit ihrem Co – Autoren Dr. med. Bernhard Gehr in Büchern wie der Diabetes- und Sportfibel und der CGM- und Insulinpumpenfibel, in Fachbeiträgen und Vorträgen, innerhalb der IDAA sowie in der persönlichen Beratung unzähliger Sportprofis und -amateur*innen mit Typ-1-Diabetes. Ihr Engagement hat entscheidend dazu beigetragen, dass Menschen mit Typ-1-Diabetes heute zum Sport ermutigt werden – in allen Alters- und Leistungsstufen.



von Antje Thiel

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