Daten im Gesundheitswesen: Fluch oder Segen?

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Daten im Gesundheitswesen: Fluch oder Segen?

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Eigentlich hatte ich schon meinen Februar-Artikel für die Blood Sugar Lounge fertig, aber dann flatterte mir ein Bericht aus der Süddeutschen Zeitung auf den Schreibtisch. Darin schlägt der Chef der uns allen wohlbekannten Techniker Krankenkasse (TK) vor, Daten aus Fitnessarmbändern künftig in die Verwaltung der Krankenkassen zu geben. Natürlich nur die Daten, die der Patient freigibt, alle anderen nicht. Auch der Spiegel hat hier bereits dazu berichtet.

Kurz darauf erschien dieser wunderbare Beitrag meiner lieben Kollegin Carolin in der Blood Sugar Lounge. Unter der Überschrift „Ich bin (k)ein Roboter“ setzt sie sich kritisch mit dem Fluch und Segen all der neuen technischen Entwicklungen auseinander, die rund um den Diabetes inzwischen verfügbar sind.

Damit war der Entschluss gefasst, meinen nächsten Beitrag ebenfalls diesem Thema zu widmen, denn es steckt einfach zu viel Zündstoff darin, um es zu verschieben. Und spannend ist es obendrein.

Ein Gedankenspiel

Nachdem ich den Bericht über die Pläne des Herrn Dr. med. Baas, seines Zeichens Arzt und Vorstandsvorsitzender der TK, gelesen hatte, reifte in meiner Fantasie spontan der Gedanke an eine monatliche Mail von der Krankenkasse an alle chronisch kranken Versicherten:

Sehr geehrte/r Versicherte/r, anbei finden Sie Ihre monatliche Gesundheits-Auswertung. Auffällig waren im vergangenen Monat vor allem das etwas schlechtere HbA1c sowie die erhöhte Zufuhr an Kohlenhydraten im Tagesschnitt. Außerdem weisen wir höflich darauf hin, dass Sie an 23 von 31 Tagen Ihr Bewegungsziel nicht erreicht haben. Bei Fragen stehen wir jederzeit zur Verfügung. Mit besten Grüßen – Ihre Krankenkasse.

Ist eine derartige Statusmail wirklich so abwegig? Wie weit entfernt sind wir noch vom absolut gläsernen Patienten, der seine Gesundheitsdaten nicht nur freiwillig bei Facebook veröffentlicht, sondern auch zwangsweise seiner Krankenkasse abliefert? Schon jetzt ist von möglichen Tarifen die Rede, die mit Vergünstigungen locken, sofern die Versicherten „ihre kompletten Gesundheitsdaten ständig übermitteln“. Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen und ein paar Jahre weiterdenken. Und dazu braucht es gar nicht mal so viel Fantasie.

Alles nur Hirngespinste?

Nun spielt die TK, die einen Arzt und ehemaligen Berater an der Spitze hat, vielleicht eine besondere Rolle in diesem Spiel. Schon die Posse mit der Kostenübernahme für das FreeStyle Libre, die dazu führte, dass eine Menge Menschen zur TK wechselten, um dann doch enttäuscht zu werden, zeigte die dortige Denkweise recht deutlich. Nun prescht man also vor und denkt laut darüber nach, Fitnessdaten „zu sammeln und von den Kassen verwalten zu lassen“.

Das klingt für den „gesunden“ Versicherten völlig harmlos und auch noch verlockend, denn er kann Beiträge sparen, wenn er gesund lebt, sich ausreichend bewegt und brav seine Daten übermittelt. Das Blatt könnte sich aber schlagartig wenden, wenn der Betroffene krank wird und auf die Leistungen seiner Kasse angewiesen ist.

Drehen wir den Gedanken doch einmal um. Warum hat eine Krankenkasse ein Interesse daran, dass ihre Mitglieder gesund sind? Weil sie dann weniger Ausgaben zu schultern hat. So weit, so klar. Warum aber sollte eine Krankenkasse dafür auch noch Beitragsnachlässe gewähren? Hier wird die Luft schon dünner. Die nächste logische Frage ist dann aber, warum eine Krankenkasse ein Interesse an den Gesundheitsdaten ihrer Mitglieder haben sollte. Sicher nicht, um dann aus Nächstenliebe Rabatte zu gewähren, sondern vielmehr, um Beiträge zu erhöhen, wenn Gründe dafür vorliegen – oder um „ungesunde“ Menschen einfach nicht mehr zu versichern.

Die Gesetzgebung ist wichtig

Zum Glück haben wir einen aufgeweckten Bundesjustizminister, der sich auch schon zum Thema geäußert hat. In einem Interview mahnt er vor einem Zugriff der Krankenkassen auf Gesundheitsdaten und spricht davon, dass „Menschen in keinem Fall zum reinen Objekt eines Algorithmus werden“ dürfen. Dass Heiko Maas beim Thema Vorratsdatenspeicherung eine eher unrühmliche Rolle gespielt hat, gehört wohl nicht hierher und sei deshalb nur am Rande erwähnt.

Schon seit einigen Jahren beschäftigt man sich in der Bundesregierung mit dem Thema Gesundheitskarte und Datenschutz. Dies mündete im sogenannten E-Health-Gesetz, welches den Umgang mit Patientendaten und auf der Karte gespeicherten Informationen regelt. Schon die Diskussion hierzu zeigte, wie sensibel das Thema ist und welche Änderungen es eventuell dem gesamten Gesundheitswesen beschert. Natürlich winken riesige Optimierungs- und Einsparungspotenziale, die allen Versicherten und dem gesamten System zugutekommen könnten. Ebenso eröffnen sich völlig neue Möglichkeiten auf dem Gebiet der Telemedizin und der Betreuung von Erkrankten. Diese positiven Seiten dürfen keinesfalls vergessen werden und gehören mit in die Diskussion. Die Möglichkeiten, die das Internet bietet, müssen auch im Gesundheitswesen zum Wohle der Patienten genutzt werden – keine Frage.

Sobald aber wirtschaftliche Interessen dahinterstehen, ist der Gesetzgeber gefordert und muss allem Einhalt gebieten, was sich negativ auf die Versicherten auswirken könnte. Am Ende sprechen wir hier von Menschen und deren Schicksalen. Dies darf nicht in Vergessenheit geraten.

Bitte nicht falsch verstehen

Nun bin ich selber Typ-1-Diabetiker und damit naturgemäß sehr interessiert daran, was sich im Bereich Gesundheitsdaten tut. Ich komme wieder auf den Artikel von Carolin zurück, in dem sie betont, kein Roboter zu sein, der auf Daten reduziert werden kann. Wir sind Menschen und mich schaudert es bei dem Gedanken, zukünftig mittels Gewichts, HbA1c oder sonstiger Daten Rechenschaft über meine Lebensweise ablegen zu müssen, damit die Krankenkasse weiterhin mein Insulin bezahlt. Und wenn ich Lust auf Schokolade habe, dann aber damit rechnen muss, einen höheren Krankenkassenbeitrag zahlen zu müssen, dann ist das eine Welt, in der ich nicht leben möchte.

Ja, das waren zwei sehr weit hergeholte Beispiele. Aber darüber nachdenken sollte man bereits, bevor die ersten Schritte in Richtung Datenübermittlung an Krankenkassen gegangen werden.

Weniger drastisch klingt es vielleicht, wenn man sich nur einmal vorstellt, dass das HbA1c regelmäßig übermittelt wird und man sich für eine Verschlechterung bei der Krankenkasse rechtfertigen muss, um Nachteile zu vermeiden. Wir alle wissen, wie unberechenbar so ein Diabetes ist und dass die Werte sich nicht immer einfach so beeinflussen lassen.

Also hoffe ich bei allem technischen Fortschritt, dass Gesundheitsdaten das Eigentum ihrer Besitzer bleiben und nur dann weitergegeben werden, wenn ein ausdrückliches Einverständnis respektive ein guter Grund vorliegt. Wenn eine Krankenkasse diese Daten sichten möchte, um zu sehen, ob die Kostenübernahme für eine Insulinpumpe oder ein CGM sinnvoll wären, dann ist dagegen grundsätzlich nichts zu sagen. Wenn es aber darum geht, Patienten zu benachteiligen, die sich nicht vorbildlich verhalten, dann sieht die Sache schon anders aus. Grund genug, die aktuelle Diskussion genau zu verfolgen.

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