Den Speck auf den Hüften loswerden

4 Minuten

Den Speck auf den Hüften loswerden

Bewegung und Sport müssen sich gut anfühlen und Spaß machen. Dann bleiben Sie auch langfristig am Ball. Wir haben bei Dörte Kuhn (Hamburg) nachgefragt – sie ist Fitness-Expertin für Übergewichtige, Heilpraktikerin, Bewegungstherapeutin und Autorin von Ratgebern zum Thema “Big Gym”: Wie können Übergewichtige es schaffen, sich im Alltag mehr zu bewegen?

Diabetes-Journal (DJ): Frau Kuhn, warum fällt es vielen Menschen, insbesondere mit Übergewicht, so schwer, sich auf Sport und Bewegung einzulassen?

Dörte Kuhn: Das ist unterschiedlich. Es gibt Menschen, die von klein an Sport als etwas Unangenehmes erfahren haben. Wer immer als Letzter beim Schulsport gewählt wurde oder keine angenehmen, guten Erfahrungen mit Bewegung gemacht hat, wird sich auch als Erwachsener ungern bewegen. Oft sind es Hemmungen, sich in Bewegung zu zeigen – oder Schwierigkeiten, ein passendes Angebot zu finden. In meinen Kursen erlebe ich immer wieder, dass Übergewichtige durchaus Freude an Bewegung bekommen.

DJ: Wie schafft man es, den inneren Schweinehund zu überwinden und aktiver zu werden?

Kuhn: Ein Beispiel: Sie können sich vornehmen, sich ab heute mehr zu bewegen. Das ist sehr ungenau, die Umsetzung wird eher schwerfallen. Besser wäre es so: Dreimal in der Woche mache ich allein morgens von 6.30 bis 6.45 Uhr Gymnastik im Wohnzimmer. Diese Formulierung ist genau, Sie wissen, wann Sie was, wo mit wem wie lange tun werden. Ich empfehle realistische Ziele. Es folgen motivierende Erfolgserlebnisse. Dann lässt sich das Pensum langsam steigern.

DJ: Welches ist das passende Maß für Untrainierte mit reichlich Speck auf den Hüften?

Kuhn: Generell gilt: Alles ist besser als nichts. Wenn Sie beginnen, gibt es daher kein “zu wenig”. Beginnen Sie langsam – und steigern Sie sich, bis Sie einen Zeitumfang und eine Intensität erreicht haben, die gut zu Ihren Bedürfnissen, Vorlieben und Ihrem Alltag passen. Beginnen Sie mit zwei Alltags-Zielen in der ersten Woche. Bei Sport wählen Sie entweder einmal in der Woche eine ganze Stunde wie Rückengymnastik – oder mehrmals in der Woche kleinere Einheiten. Ziel könnte es sein, neben einem bewegteren Alltag zwei feste Sportstunden pro Woche zu haben.

DJ: Welche Sportarten sind nach Ihrer Erfahrung besonders geeignet?

Kuhn: Hierzu gehören alle gelenkschonenden Angebote wie Schwimmen, Walken, Nordic Walking, Wirbelsäulengymnastik oder Radfahren.

DJ: Was halten Sie vom Laufsport für Übergewichtige?

Kuhn: Die Gewichtsgrenze zum Laufen wird meist mit einem BMI ab 30 kg/m² angegeben. Ich habe aber bereits Teilnehmer gehabt, meist Männer, die nicht vom Walken oder Nordic Walking als Ausdauersport zu überzeugen waren. Einige von ihnen hatten schon lange den Traum, einmal richtig laufen zu können. Jogging bringt eine größere Belastung, vor allem für Knie-, Fuß- und Kniegelenke mit sich. Sie können jedoch viel dazu tun, die Gelenkbelastung beim Laufen so gering wie möglich zu halten.

Lassen Sie sich in einem Fachgeschäft mit Hilfe einer Laufbandanalyse beraten – und gönnen Sie sich gut passende, gedämpfte Laufschuhe. Zusätzlich empfiehlt es sich, zumindest am Anfang, einen Laufprofi dabeizuhaben. Er kann Ihnen helfen, den Laufstil zu verbessern. Dadurch wird die Gelenkbelastung verringert und die Lauffreude wird erhöht!


Nächste Seite: Schwimmen und Aquafitness sowie was unterscheidet ein effektives Sportprogramm für Übergewichtige von herkömmlichen Angeboten?

DJ: Wie steht es um Schwimmen und Aquafitness?

Kuhn: Der Körper ist leichter als an Land, Gelenke werden geschont und die Intensität lässt sich gut anpassen. Schwimmen und Aquafitness sind wunderbar – für den, der sich traut! Es gibt so viele Möglichkeiten im Wasser: Aqua-Gym, -Jogging, -Cycling, -Rückengym und vieles mehr. Da ist für jeden Geschmack etwas dabei. Sehr oft werden die Wasser-Kurse zudem bereits in Intensitäts- oder Schwierigkeitsstufen unterteilt. Mein Tipp: Passenden und schicken Badeanzug oder eine gut sitzende Badehose kaufen. Nicht auf schlankere Tage warten, sondern jetzt starten.

DJ: Was raten Sie Betroffenen, die sich weder in Bade- noch in Sportkleidung in die Öffentlichkeit trauen?

Kuhn: Einerseits können Sie Ihren Schwerpunkt auf eine Aktivierung des Alltags legen. Andererseits gibt es vielfältige Möglichkeiten, sich zu Hause ohne Zuschauer aktiver zu bewegen. Schalten Sie Musik an und tanzen Sie. Wenn Sie einen DVD-Player haben, können Sie mit Hilfe einer DVD im eigenen Wohnzimmer sporteln. In Kürze gibt es dazu von mir eine DVD-Reihe, speziell für Übergewichtige und “echte” Anfänger. Vielleicht haben Sie Glück, und es gibt spezielle Angebote in Ihrer Nähe wie zum Beispiel “Pfundiges Schwimmen” oder Big-Gym-Kurse?

DJ: Was unterscheidet ein effektives Sportprogramm für Übergewichtige von herkömmlichen Angeboten?

Kuhn: Es ist abgestimmt auf die Bedürfnisse dicker Menschen. Der Trainer weiß, wann zum Beispiel der Bauch im Weg sein kann und bietet ungefragt Alternativen. Die Stunden sollten für übergewichtige Anfänger bei isolierten Übungen beginnen und erst langsam komplexer werden. Jedoch nicht nur Kraft und Ausdauer sollten trainiert werden, sondern auch Körperwahrnehmung, Entspannungsfähigkeit, Dehnbarkeit, Beweglichkeit und koordinative Fähigkeiten. Ganz wichtig: Die Intensität muss stimmen!

DJ: Wie oft sollte ein Trainingsprogramm absolviert werden – und wann zeigen sich in der Regel erste Erfolge?

Kuhn: Wer im Augenblick gar keinen Sport macht, darf ruhig mit einem Termin in der Woche starten. Ist jemand schon aktiver, gern mehrmals pro Woche. Wie viel Sport es sein sollte, hängt natürlich auch vom Trainingsziel ab. Wer einfach nur gesünder und fitter sein möchte, kommt mit täglich mehr Alltagsbewegung und einmal in der Woche 60 Minuten bereits sehr weit.

Wer im nächsten Jahr einen Halbmarathon laufen möchte, muss mehr Zeit investieren. Verbesserungen im Kraft- und Ausdauerbereich sind nach vier bis sechs Wochen zu sehen, Steigerungen im koordinativen Bereich (zum Beispiel Gleichgewichtsfähigkeit) bereits früher. Einen besonderen Vorteil haben Anfänger, denn sie spüren Veränderungen durch den Sport am schnellsten.

DJ: Was waren besondere Erlebnisse aus Ihrer Big-Gym-Fitnesspraxis?

Kuhn: Ich hatte eine sehr unsportliche Teilnehmerin, die von Kindheit an mit Sport nur negative Erfahrungen gemacht hatte. Bei einer Kräftigungsübung für den vorderen Oberschenkel sollte sie eine Hand auf ihr Bein legen, um zu spüren, wie sich der Muskel bewegt. Diese Frau lag am Boden und begann zu weinen. Dann sagte sie: “Ich habe ja Muskeln.” Mich hat das sehr gerührt.

Ein Mensch, der sich für völlig unsportlich hält, mit wenig Gefühl für den eigenen Körper, hat sich wahrgenommen. Bei ihr war der Knoten damit geplatzt. Erst gestern erzählte eine Teilnehmerin, dass sie früher ein totaler Sportmuffel gewesen sei, aber nun ist sie heiß auf Bewegung. Ich habe sie angesteckt mit meiner Bewegungsfreude. Das ist großartig! Die Lebensfreude und Energie, die Bewegung uns schenkt, sind einfach unbezahlbar!


Das Interview führte Kirsten Metternich

Kontakt:
Dörte Kuhn, Heilpraktikerin & Bewegungstherapeutin, Internet: www.doertekuhn.blogspot.de, E-Mail: info@doertekuhn.de

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2013; 62 (4) Seite 28-31

Ähnliche Beiträge

Lea Raak im Interview: Durch Community zurück ins Leben

Lea Raak lebt seit dem Jahr 2011 mit einem Typ-1-Diabetes. Viele Fragen taten sich nach der Diagnose auf – und eine gewisse Verzweiflung. Die Community hat ihr zurück ins Leben geholfen: „Ich tue mein Bestes und alles andere kommt, wie es kommt.“

11 Minuten

#dedoc° voices meet DDG: die Patienten-Perspektive beim Diabetes Kongress

Im zweiten Teil der Berichte der #dedoc° voices vom diesjährigen Diabetes Kongress kommen weitere Menschen mit Diabetes zu Wort, die im Mai die Fachtagung in Berlin besucht haben, um ihre Perspektive einzubringen.

9 Minuten

Keine Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Über uns

Geschichten, Gemeinschaft, Gesundheit: Der Diabetes-Anker ist das neue Angebot für alle Menschen mit Diabetes – live, gedruckt und digital. Der Diabetes-Anker und die Community sind immer da, wo du sie brauchst. Für alle Höhen und Tiefen.

Diabetes-Anker-Newsletter

Alle wichtigen Infos und Events für Menschen mit Diabetes – kostenlos und direkt in deinem Postfach. Mit unserem Newsletter verpasst du nichts mehr.

Werde Teil unserer Community

Community-Frage

Mit wem redest du über deinen Diabetes?

Die Antworten auf die Community-Frage werden anonymisiert gesammelt und sind nicht mit dir oder deinem Profil verbunden. Bitte achte darauf, dass deine Antwort auch keine Personenbezogenen Daten enthält.

Werde Teil unserer Community

Folge uns auf unseren Social-Media-Kanälen

Push-Benachrichtigungen

notification icon
Aktiviere Benachrichtigungen auf dieser Seite, um auf dem laufenden zu bleiben, wenn dir Personen schreiben und auf deine Aktivitäten antworten.
notification icon
Du hast die Benachrichtigungen für diese Seite aktiviert
notification icon
Aktiviere Benachrichtigungen auf dieser Seite, um auf dem laufenden zu bleiben, wenn dir Personen schreiben und auf deine Aktivitäten antworten.
notification icon
Du hast die Benachrichtigungen für diese Seite aktiviert