Der kleine Unterschied – auch bei Diabetes?

5 Minuten

Der kleine Unterschied – auch bei Diabetes?

Prof. Dr. Bernhard Kulzer aus Bad Mergentheim beleuchtet die psychosozialen Unterschiede zwischen Männern und Frauen und erklärt, warum auch dies für den Verlauf des Diabetes nicht folgenlos bleiben kann.

Wenn ein Steinzeitmensch eine Zeitreise machen könnte, wäre er erstaunt über das heutige Aussehen von Männern und Frauen. Denn im Vergleich zu früher hätte er manchmal Schwierigkeiten, die beiden Geschlechter auseinanderzuhalten. Zu sehr haben sich die Körperbilder von Mann und Frau angenähert. Das war vor 14 000 Jahren, am Ende der Altsteinzeit, noch ganz anders – evolutionär gesehen ein Wimpernschlag.

Das 1914 nahe Bonn-Oberkassel gefundene Grab eines Paares, welches die Journalisten Adam und Eva vom Rhein tauften, zeigt die deutlichen Unterschiede zwischen den Geschlechtern zu dieser Zeit: Adam war zwar nur 1,66 Meter groß, aber sehr stark und ein äußerst schneller und ausdauernder Läufer. Viel Muskelmasse und robuste Knochen waren für Adam ideal für die Jagd und schwere Arbeiten.

Hingegen war die als Eva bezeichnete Frau eher grazil, deutlich kleiner und von schmalem Körperbau. Die Rollen waren damals eher klar verteilt: Adam ging zur Jagd, baute die Hütte und beschützte die Familie vor Gefahren. Eva sammelte Nahrung, kümmerte sich um die Kinder und die Familie. Dies führte dazu, dass sich zwischen den Geschlechtern unterschiedliche Fähigkeiten und Rollen entwickelten.

Unterschiedlicher Umgang mit dem Körper

Männer fokussierten sich mehr auf ihre Kraft und Stärke, körperliche Gebrechen hielten sie eher aus, um weiter zu funktionieren – von Körperpflege hielten sie nicht ganz so viel. Während Männer ständig damit beschäftigt waren, ihr Revier abzustecken und ihre körperliche Überlegenheit zur Schau zu stellen, entwickelten Frauen im Gegensatz dazu eher ein empathisch-fürsorgliches Verständnis im Umgang mit den Kindern und den anderen Familienmitgliedern. Sie kümmerten sich besser um ihren Körper und investierten deutlich mehr Zeit in die Schönheitspflege.

Diese unterschiedlichen Rollen, Rollenzuweisungen und Vorgaben der Gesellschaft und natürlich auch Unterschiede in den Genen führten im Laufe der Menschheitsentwicklung zu einem Unterschied der Geschlechter in Bezug auf Krankheiten und den Umgang mit dem Körper. Männer sind einfach anders als Frauen. Oder, wie eine Kabarettistin es formulierte, indem sie ein Komma einfügte: Männer sind einfach, anders als Frauen!

Ein Blick in typische Frauen- oder Männermagazine zeigt, dass die alten Geschlechtertypologien noch heute wirksam sind. Bei Frauen punkten die Zeitschriften eher mit Titeln zu Mode, Aussehen, Gewicht, Kindern und Klatsch, während typische Männermagazine voll mit Beiträgen über Sport, Autos, Finanzen, Beruf, Computer oder Erotik sind.

Frauen leben länger als Männer

In puncto Lebenserwartung haben die Frauen die Nase vorn. Nach aktuellen Angaben des Statistischen Bundesamtes liegt die Lebenserwartung eines Mädchens, das heute geboren wird, bei 83,1 Jahren, die eines Jungen hingegen bei nur 78,1 Jahren. Eine Frau, die heute 65 Jahre alt ist, hat noch eine durchschnittliche Lebenserwartung von 20,9 Jahren, ein Mann dagegen nur von 17,7 Jahren.

Es gibt eine ganze Reihe von Gründen, die diesen Umstand erklären – von der Genetik, unterschiedlichen Risiken und Krankheiten bis hin zu Verhaltensweisen. Männer verhalten sich risikoreicher und weniger gesundheitsbewusst. Sie rauchen mehr und trinken häufiger Alkohol und fast zwei Drittel aller Unfälle und Selbstmorde sowie über 90 Prozent aller Berufsunfälle mit Todesfällen betreffen Männer. Auch zu Vorsorgeuntersuchungen gehen sie seltener und beteiligen sich weniger an Kursen zum Erhalt der Gesundheit, die von den Krankenkassen angeboten werden.

Aktuell ist die Zahl der Krankschreibungen der gesetzlichen Krankenkassen bei Frauen höher als bei Männern, wobei es sicher oft nicht schlecht wäre, wenn Männer sich bei einer Krankheit ins Bett legen würden, anstatt zu arbeiten. Auch die beiden Haupttodesursachen – Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs – treten bei Männern öfter auf als bei Frauen. Dagegen erkranken Frauen häufiger an psychischen Erkrankungen wie Depressionen, Angststörungen und Essstörungen. Auch Demenzerkrankungen kommen bei Frauen häufiger vor, wobei das vor allem mit der höheren Lebenserwartung zu tun hat.

Bei Typ-1-Diabetes ist die Lebenserwartung ähnlich

Zwar leben Frauen im Allgemeinen länger als Männer – dies gilt aber nur sehr eingeschränkt für Frauen mit Typ-1-Diabetes; hier ist dieser Unterschied nicht festzustellen. Dies hatte vor kurzem eine Forschergruppe um Prof. Rachel Huxley von der University of Queensland im australischen Brisbane herausgefunden, die alle verfügbaren Studien hierzu ausgewertet und ihre Ergebnisse in der wissenschaftlichen Zeitschrift The Lancet Diabetes & Endocrinology veröffentlicht hat.

Frauen mit Diabetes haben im Vergleich zu Männern ein um 86 Prozent höheres Risiko für tödliche Herz-Kreislauf-Erkrankungen und ein um 44 Prozent höheres Risiko für tödliche Nierenerkrankungen. Bekannt ist auch, dass bei Frauen mit Diabetes das Risiko für einen Schlaganfall höher ist als bei Männern. Zudem ist die Prognose bei einer Herzerkrankung bei Frauen schlechter. All das scheint eine Rolle zu spielen, wenn man diesen Befund erklären will.

Jungen haben bessere Blutzuckerwerte

Aber auch die Blutzuckereinstellung ist zumindest in jungen Jahren bei Mädchen und jungen Frauen mit Typ-1-Diabetes eher schlechter als bei Jungen. Dies zeigen z. B. die Ergebnisse eines großen Registers (DPV), in dem schon seit Jahren sehr viele Daten von Kindern und Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes aus ganz Deutschland gesammelt werden (siehe Abbildung oben).

Im aktuellen Gesundheitsbericht Dia­betes 2016 beschreibt der Studienleiter Prof. Holl, dass Mädchen und junge Frauen ab dem 8. bis zum 25. Lebensjahr im Schnitt einen leicht schlechteren HbA1c-Wert aufweisen als Jungen. Viele liegen über 7,5 Prozent, was auf Dauer nicht gesund ist. Wahrscheinlich spielt die Zeit der Menarche (erste Regel­blu­tung), die öfters mit Blutzucker­erhöhungen verbunden ist, ebenso eine Rolle wie der Umstand, dass Mädchen wegen des Gewichts eher weniger Insulin zur Korrektur verwenden als Jungen und junge Männer.

Typ-2-Diabetes: häufiger bei Frauen

Um herauszufinden, wie es um die Gesundheit der Deutschen bestellt ist, untersucht das Robert Koch-Institut regelmäßig Gruppen von Menschen, die für die Gesamtbevölkerung repräsentativ sind. Bei der letzten Erhebung wurde festgestellt, dass der Typ-2-Diabetes zunimmt und seit der letzten Untersuchung deutlich häufiger vorkommt.

7,4 Prozent aller Frauen und 7 Prozent aller Männer haben nach dieser Untersuchung Typ-2-Diabetes, dazu kommt noch eine große Anzahl von Personen, die noch gar nichts von ihrem Diabetes wissen, obwohl die Untersuchungsergebnisse dies nahelegen. Der höhere Frauenanteil hängt auch damit zusammen, dass bei Frauen durch eine Schwangerschaft ein latent vorhandener Typ-2-Diabetes zum Ausbruch kommen kann, der sich zuerst als Schwangerschaftsdiabetes zeigt, und danach ist das Risiko, tatsächlich an Typ-2-Diabetes zu erkranken, erhöht.

Männer haben einen dickeren Bauch

Anders verhält es sich beim Gewicht, was ja vor allem im Zusammenhang mit Typ-2-Diabetes von Relevanz ist. Das Übergewicht wird nach dem Body-Mass-Index (BMI) bestimmt, der aus Körpergewicht und -größe ermittelt wird. Ab einem BMI von 25 kg/m² spricht die Weltgesundheitsorganisation (WHO) von Übergewicht. Ein 1,80 Meter großer Mann gilt daher nach dieser Definition ab 81 Kilogramm als übergewichtig, ab 97 Kilogramm als stark übergewichtig.

Insgesamt sind rund 67% der Männer und 53% der Frauen in Deutschland übergewichtig oder adipös. Der Anteil der Männer, die zu viel auf die Waage bringen, ist im Vergleichszeitraum zur letzten Untersuchung mit 6 Prozent auch stärker gestiegen als der der Frauen mit 3 Prozent. Anders verhält es sich bei Menschen mit starkem Übergewicht (Adipositas). Hier gleichen sich die beiden Geschlechter an, wobei die Frauen sogar etwas mehr davon betroffen sind.

Auch Bluthochdruck kommt bei Männern in der Allgemeinbevölkerung häufiger vor, nicht dagegen erhöhte Blutfettwerte . Aber die Zahlen sind insgesamt erschreckend hoch. Fast jeder dritte Bundesbürger hat einen zu hohen Blutdruck, zwei von drei Personen haben eine Fettstoffwechselstörung.

Die Geschlechter gleichen sich an

Trotz der Unterschiede der Geschlechter, die auch bei Diabetes ihre Bedeutung haben, nähern sich die Geschlechter immer weiter an. Zu sehen ist das zum Beispiel beim Rauchen, früher ein absolutes Merkmal von Männlichkeit. In den letzten Jahrzehnten haben sich die Zahlen immer mehr angeglichen: 33 Prozent aller Männer und 27 Prozent aller Frauen geben an, zu rauchen. Beruhigend allerdings: Die Zahl geht in den letzten Jahren bei beiden Geschlechtern rapide zurück.

Adam und Eva würden sich wundern …

Das Leben von Adam war vor allem durch Jagd und Kampf bedroht, wie die Untersuchung seines Skeletts ergab: Die linke Schädelseite ist eingedrückt; vielleicht kam Adam sogar durch einen Schlag ums Leben. Eva musste hingegen bei jeder Geburt ihrer Kinder um ihr Leben bangen. Heute hingegen haben sich der Körperbau, das Aussehen der beiden Geschlechter und auch die Krankheiten erstaunlich angeglichen.

Zwar gibt es gerade in Bezug auf den Dia­betes noch Unterschiede zwischen Mann und Frau, jedoch sind diese im Vergleich zu früher eher gering. Obwohl der Mann noch immer der Herr am Grill ist und die Frau eher Schnittchen und den Salat zubereitet …

Schwerpunkt „Frauen sind anders – Männer auch“

von Prof. Dr. Bernhard Kulzer
leitender Psychologe des Diabetes Zentrum Mergentheim,
Theodor-Klotzbücher-Straße 12, 97980 Bad Mergentheim,
E-Mail: kulzer@diabetes-­zentrum.de

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2016; 65 (10) Seite 22-25

Ähnliche Beiträge

Lea Raak im Interview: Durch Community zurück ins Leben

Lea Raak lebt seit dem Jahr 2011 mit einem Typ-1-Diabetes. Viele Fragen taten sich nach der Diagnose auf – und eine gewisse Verzweiflung. Die Community hat ihr zurück ins Leben geholfen: „Ich tue mein Bestes und alles andere kommt, wie es kommt.“

11 Minuten

#dedoc° voices meet DDG: die Patienten-Perspektive beim Diabetes Kongress

Im zweiten Teil der Berichte der #dedoc° voices vom diesjährigen Diabetes Kongress kommen weitere Menschen mit Diabetes zu Wort, die im Mai die Fachtagung in Berlin besucht haben, um ihre Perspektive einzubringen.

9 Minuten

Keine Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Über uns

Geschichten, Gemeinschaft, Gesundheit: Der Diabetes-Anker ist das neue Angebot für alle Menschen mit Diabetes – live, gedruckt und digital. Der Diabetes-Anker und die Community sind immer da, wo du sie brauchst. Für alle Höhen und Tiefen.

Diabetes-Anker-Newsletter

Alle wichtigen Infos und Events für Menschen mit Diabetes – kostenlos und direkt in deinem Postfach. Mit unserem Newsletter verpasst du nichts mehr.

Werde Teil unserer Community

Community-Frage

Mit wem redest du über deinen Diabetes?

Die Antworten auf die Community-Frage werden anonymisiert gesammelt und sind nicht mit dir oder deinem Profil verbunden. Bitte achte darauf, dass deine Antwort auch keine Personenbezogenen Daten enthält.

Werde Teil unserer Community

Folge uns auf unseren Social-Media-Kanälen

Push-Benachrichtigungen

notification icon
Aktiviere Benachrichtigungen auf dieser Seite, um auf dem laufenden zu bleiben, wenn dir Personen schreiben und auf deine Aktivitäten antworten.
notification icon
Du hast die Benachrichtigungen für diese Seite aktiviert
notification icon
Aktiviere Benachrichtigungen auf dieser Seite, um auf dem laufenden zu bleiben, wenn dir Personen schreiben und auf deine Aktivitäten antworten.
notification icon
Du hast die Benachrichtigungen für diese Seite aktiviert