Diabetes in der Kita – aus Sicht einer Erzieherin

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Diabetes in der Kita – aus Sicht einer Erzieherin

Stefanie Fischer ist Erzieherin und Sozialpädagogin und leitet einen dreigruppigen Kindergarten mit 65 Kindern in Niederbreitbach bei Neuwied (Rheinland-Pfalz). Mit dabei: ein Kind mit Diabetes. Die Aufnahme eines Kindes mit Diabetes hat viel bewegt – zum Beispiel hat die Kita nun ein eigenes Konzept für die Aufnahme chronisch kranker Kinder. Stefanie Fischer spricht aber auch über die Grenzen der Aufnahme, über Grenzen, die die Politik setzt und darüber, wie Eltern und Erzieherinnen gut zusammenarbeiten können.

Wie ist es, wenn das Kita-Team ein Kind mit Diabetes integriert? Das erzählt Stefanie Fischer im Interview mit Nicole Finkenauer, Redakteurin beim Diabetes-Eltern-Journal (DEJ).

Die Erzieherin und Sozialpädagogin leitet einen Kindergarten in Rheinland-Pfalz. Ihre Aussagen beziehen sich daher immer auf die Rahmenbedingungen, die in diesem Bundesland gegeben sind.

Die Kita Regenbogenland in Niederbreitbach, die von Stefanie Fischer geleitet wird, hat im Mai einen Förderpreis gewonnen. Hier lesen Sie mehr darüber.

In einem weiteren Interview erklärt Diabetesberaterin Kerstin Remus aus Hannover, wie sie und ihre Kolleginnen einem Kind und seinen Eltern in Kita und Schule helfen können.

Diabetes-Eltern-Journal (DEJ): Welche Ängste haben Erzieherinnen in der Betreuung eines Kindes mit Diabetes? Wie kann es gelingen, diese Ängste etwas zu nehmen?

Stefanie Fischer: Man kann davon ausgehen, dass es den Erziehern gar nicht so viel anders geht wie den Eltern in dem Moment, in dem sie die Diagnose erhalten. Es rattert im Kopf: O Gott, was kommt da auf uns zu, wie wollen wir damit umgehen, wie ist das für uns leistbar? Wenn sich Eltern an die Diagnosestellung und an diesen Berg, den sie auf einmal vor Augen hatten, erinnern, können sie sich in etwa vorstellen, dass es Erziehern nicht viel anders geht.

Ich vermute aber, die größte Angst vieler Erzieher ist tatsächlich die vor einem Behandlungsfehler, auch wenn sie rechtlich nur belangt werden können, wenn sie grob fahrlässig gehandelt haben. Ich denke, es geht vielen Erziehern aber mehr darum, dass sie es sich nicht verzeihen könnten, wenn sie dem Kind durch eine fehlerhafte Behandlung schaden. Und sie haben natürlich die Horrorszenarien von einem bewusstlosen Kind im Kopf.

Ich denke, es gibt noch weitere Sorgen, z. B.: Wie werden wir der Gesamtgruppe noch gerecht? Es ist natürlich so, dass ein Kind mit Diabetes im Alltag, auch je nach Alter, ein bisschen mehr Beobachtung benötigt als ein Kind ohne Diabetes. Die Behandlungspflege muss ja irgendwie in den Alltag integriert werden. Und wir wollen letztendlich jedem einzelnen Kind gerecht werden.
Um diese Ängste abzubauen, benötigen Erzieher aus meiner Sicht mindestens drei Dinge: Wissen, Zeit und Austausch.

Ohne Wissen über die Erkrankung geht es gar nicht. Umso mehr man weiß, umso mehr weiß man auch, was auf einen zukommt oder wie man handeln muss. Wissen gibt Handlungssicherheit. Dieses Wissen muss in einer Schulung erlernt werden, da reicht es meiner Meinung nach nicht aus, wenn die Eltern „schulen“.


»Ohne Wissen über die Erkrankung geht es gar nicht. Umso mehr man weiß, umso mehr weiß man auch, was auf einen zukommt oder wie man handeln muss. Wissen gibt Handlungssicherheit.«

Dann benötigen Erzieherinnen auch Zeit – Zeit sich in die Materie einzudenken, Zeit, ein Gefühl für das Kind und die Behandlungspflege zu bekommen – Diabetes ist nun mal eine komplexe Erkrankung. Aus meiner Sicht kann es in der Anfangszeit helfen, wenn die Eltern das Kind begleiten und so schon erste Ängste abbauen können. So sehen die Erzieher, wie die Behandlung im Alltag funktioniert und auch, dass es im Endeffekt kein großer Akt ist. Und dann braucht es eben noch Zeit, um Wege zu finden, die Behandlungspflege in den Kita-Alltag und in die Abläufe zu integrieren.

Es gibt z. B. den Fall, dass Kinder immer regelmäßig zu einer bestimmten Uhrzeit abfallen. Dementsprechend würde man ja auch die Essenszeit legen. Wenn es jetzt aber so ist, dass im Wochenplan keine festen Frühstückszeiten vorgesehen sind, die Kinder also ein offenes Frühstück haben und es deshalb gleichzeitig auch Angebote gibt, dann muss man eben gucken: Wie ermöglich man dem Kind trotzdem die Teilhabe z. B. am Chor? Das bedarf wirklich Zeit, zu schauen: Wie kann man den Kita-Alltag und die Bedürfnisse des Kindes aufeinander abstimmen?

DEJ: Wäre also für ein Kind mit Diabetes ein Konzept mit festen Gruppen besser?

Fischer: Da wir nicht offen arbeiten, kann ich das so nicht sagen. Wir arbeiten mit geschlossenen bzw. teiloffenen Gruppen. Die Strukturen sind ein bisschen anders als in offenen Kindergärten, und ich glaube schon, dass das einiges vereinfacht. Tendenziell bin ich mir aber sicher, dass es auch im offenen Konzept funktionieren kann, wenn man es über den Austausch mit den Eltern oder auch der Erzieher untereinander schafft, Wege zu finden. Es braucht eben Zeit, man muss ein Gefühl dafür entwickeln: Welche Bedürfnisse gibt es und was kann man machen, um möglichst viel unter einen Hut zu bekommen. Klar, man kann nicht die ganze Kita umstellen, aber meistens lassen sich Kompromisse finden, um Zwischenwege zu gehen.

DEJ: Und dann haben Sie ja noch vom Austausch als dritte Komponente gesprochen …

Fischer: Ja, der Austausch ist die dritte Komponente, die ich genannt habe. Der offene Austausch mit den Eltern ist absolut unabdingbar – sei es morgens zu den Bringzeiten oder nachmittags zu den Abholzeiten. Es sollte jeweils ein kurzes Übergabegespräch geben: Wie ist die Nacht verlaufen, wie waren die Werte? Kann es sein, dass die Werte gerade dabei sind, sich zu ändern? So wissen die Erzieherinnen, was auf sie zukommen könnte. An manchen Tagen hat das Kind schon gefrühstückt, an manchen Tagen hat es nicht gefrühstückt – so etwas zu wissen, ist wichtig. Und am Nachmittag ist es wichtig, das Kind mit einem guten Übergabegespräch wieder zur Mutter zu geben. Zum Beispiel ist es für die Mutter gut zu wissen: Wir hatten heute Sport und haben dem Kind eine Sport-BE gegeben. Dann hat sich das Kind aber nicht so viel bewegt, wie wir eigentlich gehofft haben. So weiß die Mutter, wie kleine Unregelmäßigkeiten im Verlauf entstehen können.

Neben diesen Übergabegesprächen hat es sich bewährt, wenn wir die Eltern jederzeit erreichen können, auch auf der Arbeit. Das gibt unheimlich viel Sicherheit in unsicheren Momenten. Und wenn dann auch noch eine gewisse Fehlerfreundlichkeit von Seiten der Eltern da ist und beide Seiten bereit sind, offen und wertschätzend zu kommunizieren, hilft das auch sehr. Konkret bedeutet das: Vielleicht gibt es manchmal unterschiedliche Sichtweisen – wie in dem Beispiel mit der Sport-BE, das ich eben genannt habe. Dann sollten die Eltern eben nicht sagen: „Ihr hättet wissen müssen, wie viel sich unser Kind bewegt.“ Sondern eher: „So etwas kann vorkommen.“ Im Alltag muss man abwägen und es kann auch nicht jede Situation durch den Behandlungsplan abgedeckt werden.


»Neben diesen Übergabegesprächen hat es sich bewährt, wenn wir die Eltern jederzeit erreichen können, auch auf der Arbeit. Das gibt unheimlich viel Sicherheit in unsicheren Momenten.«

Neben dem Austausch mit den Eltern halte ich auch den Austausch unter den Kollegen für wichtig und hilfreich. Es muss den Kollegen auch klar sein, dass diejenigen, die in die Behandlungspflege involviert sind, sich eben in manchen Situationen mit besonderem Augenmerk um das Kind mit Diabetes kümmern müssen.

Neben dem Austausch mit den Kollegen ist auch der Austausch mit der zuständigen Diabetesberatung oder dem Arzt wichtig, falls mal eine medizinische Frage auftaucht. Grundlage dafür ist die Schweigepflichtsentbindung.

Wissen, Zeit und Austausch – das sind aus meiner Sicht die Faktoren, die in hohem Maß zur Handlungssicherheit beitragen und auch helfen, die Ängste abzubauen. Denn wenn ich weiß, was ich zu tun habe und genug Zeit hatte, um mich einzuarbeiten, dann steigt durch mein Tun auch die Routine, und dadurch sinkt natürlich auch die Angst, Fehler zu machen.

DEJ: Wie ist es denn mit den anderen Kindern – inwieweit sollten die über den Diabetes informiert werden?

Fischer: Aus unserer Sicht sollte den anderen Kindern erklärt werden, was Diabetes ist. Schließlich kann es ja auch immer wieder zu Situationen kommen, in denen das Kind mit Diabetes von den Erziehern Traubenzucker, Gummibärchen oder ähnliches erhält. Und schwupps, hat man schon die Frage: Warum darf der das und ich nicht? Es muss bei den Kindern ein Verständnis dafür da sein, dass es Ausnahmen gibt, wenn man z. B. eine Erkrankung hat.

Jetzt ist der Ausdruck „Erkrankung“ im Kindergarten ein bisschen schwierig. Die Kinder denken, das geht wieder weg, wie ein Schnupfen. Wir sagen deshalb nicht, dass das Kind krank ist, sondern wir sagen ganz klar: Das Kind hat Diabetes. Und Diabetes heißt nun mal, dass der Körper die Energie, die er braucht, nicht mehr selbst herstellen kann und dass deshalb die Ernährung und die Insulinpumpe so wichtig sind.

DEJ: Interessant, dass das Wort Krankheit gar nicht fällt …

Fischer: Krankheit ist ja etwas, was immer direkt bemitleidet wird. Genau das will ein Kind mit Diabetes in der Regel ja gar nicht. Bei uns ist es tatsächlich auch so, dass wir das Kind offen behandeln. Ich sage „tatsächlich“, weil ich schon gehört habe, dass manche Einrichtungen so verfahren, dass sie mit dem Kind in einen separaten Raum gehen. Für das Kind in unserer Einrichtung ist es kein Problem; sie misst sich bei uns auch selbst und die Insulinpumpe bedienen wir dann. Die Kinder kriegen das alles mit; für unsere Kinder mit Diabetes ist es völlig normal, was da passiert. Der, der gucken möchte oder Fragen hat, kommt halt dazu. Mit der Zeit nimmt das Interesse ab. Der Diabetes wird normal – und das finde ich so schön für das Kind.

DEJ: Was sollten Eltern und Erzieher klären, bevor ein Kind mit Diabetes in den Kindergarten kommt?

Fischer: Aus Leitungssicht sollte direkt beim Erstkontakt über die Erkrankung gesprochen werden. So haben die Erzieher bis zur Aufnahme schon die Möglichkeit, sich mit der Thematik auseinanderzusetzen und die ersten Schritte in die Wege zu leiten. Wichtig ist, dass die Aufgaben, die voraussichtlich auf die Erzieher zukommen werden, genannt werden: Bleibt das Kind halbtags oder ganztags? Soll die Behandlungspflege vom Personal übernommen werden? Ist von den Eltern vielleicht schon geplant, dass sie lieber den Pflegedienst oder eine Integrationskraft dazu holen?

Zudem kommt eine Menge Papierkram auf die Einrichtung zu, und es ist gut, das bis zur Aufnahme zu erledigen. Man benötigt beispielsweise die ärztliche Verordnung über die Behandlungspflege. Aus der ärztlichen Verordnung heraus muss von den Eltern ein schriftlicher Behandlungsplan formuliert werden. Dann muss eine schriftliche Einwilligung in Bezug auf die Medikamentengabe durch das pädagogische Personal vorhanden sein. Es sollten Notfallpläne erstellt werden – wir haben welche bei uns, weil es einfach sinnvoll ist, um noch einmal kurz draufschauen zu können – gerade für die Anfangszeit. Und dann ist mit der Einrichtung auch noch zu klären: Wie sieht das aus mit der Diabetesschulung fürs Team? Wer organisiert die Schulung, wer deckt die Kosten? Wenn das Kind kommt, fängt man mit einem guten Gefühl an, weil man weiß, dass ganz viel Organisatorisches schon aus dem Weg geräumt ist.

DEJ: Wie stehen Sie zu Pflegediensten und/oder Integrationskräften?

Fischer: Also, mit dem Pflegedienst ist es aus unserer Erfahrung kritisch. Ich bin der Meinung, dass ein Pflegedienst nicht ausreicht, denn der kommt meist nur zum Messen und zur Insulingabe. Es stört auch den Kita-Alltag sehr, wenn das Kind immer wieder aus der Situation gerissen wird. Die Erzieher müssen außerdem trotz des Pflegedienstes die BE berechnen und das Essen überwachen. Viel Zeit zum Austausch haben Angestellten des Pflegedienstes meist auch nicht, auch wenn ich da nicht pauschalisieren möchte.

Die Mitarbeiter des Pflegedienstes wissen auch nicht: Wie war der Tag vorher? Was passiert an diesem Tag noch? Kann ein bisschen was von der Insulindosis abgezogen werden, weil danach noch Action angesagt ist? Da hat der Pflegedienst keinen Einblick und auch keinen Einfluss.

Und was passiert, wenn das Kind zwischen den Besuchen des Pflegedienstes eine Unterzuckerung hat? Wir Erzieher müssen in solchen Situationen doch handlungsfähig sein und wissen, was zu tun ist. Ein Pflegedienst kann vielleicht in der Anfangszeit hilfreich sein, wenn die Erzieher selbst noch nicht so sicher sind.


»Und was passiert, wenn das Kind zwischen den Besuchen des Pflegedienstes eine Unterzuckerung hat? Wir Erzieher müssen in solchen Situationen doch handlungsfähig sein und wissen, was zu tun ist.«

DEJ: Wie können Eltern die Erzieher unterstützen?

Fischer: Die größte Unterstützung ist gerade in der ersten Zeit die Begleitung des Kindes in der Einrichtung. Das ist ja prinzipiell nichts Ungewöhnliches – im Normalfall hat ja jede Einrichtung ein Eingewöhnungskonzept, laut dem die Eltern ihr Kind in den ersten Wochen begleiten. Etwas Besonderes ist es – wie es auch bei uns war – wenn das Kind in der Kindergartenzeit Diabetes bekommt. Die Alternative zur Begleitung durch die Eltern in der ersten Zeit wäre gewesen, das Kind zu Hause zu lassen, bis wir selbst geschult waren – und das konnte es aus unserer Sicht nicht sein.

Ich finde, dieser intensive Kontakt gerade in der ersten Zeit fördert auch unheimlich die Partnerschaft mit den Eltern. Die Eltern bekommen auch ein gutes Gefühl dafür, ob ihr Kind in dieser Einrichtung gut aufgehoben ist. Vielen Eltern fällt es schon schwer, ein gesundes Kind in die Kita zu entlassen. Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie schwierig es ist, ein erkranktes Kind in die Obhut anderer zu geben.

Weiterhin finde ich es hilfreich, wenn Materialien zur Verfügung gestellt werden, ein Buch über Diabetes oder auch ein Buch zur Berechnung der BEs, damit wir noch mal nachschlagen können. Außerdem sollte von vornherein geklärt werden: Wer berechnet die BEs, wer ist zuständig für die Insulinpumpe, wer sorgt dafür, dass die Batterien immer voll sind, dass die Insulindosis stimmt, dass die Lanzetten immer da sind?

Was noch hilft ist, wie eben erwähnt, der fehlerfreundliche Umgang miteinander. Ich halte es wirklich für sehr wichtig, Feedback zu geben und Feedback anzunehmen, egal, in welche Richtung das geht. Für uns Erzieher ist es gut zu wissen, dass nicht jede Entscheidung, die aus einer konkreten Situation heraus getroffen wurde, von den Eltern gleich angeprangert wird.


»Was noch hilft ist, wie eben erwähnt, der fehlerfreundliche Umgang miteinander. Ich halte es wirklich für sehr wichtig, Feedback zu geben und Feedback anzunehmen, egal, in welche Richtung das geht.«

DEJ: Wie funktioniert die Rücksprache mit der Diabetesberaterin oder dem Arzt?

Das geht mit einer Schweigepflichtsentbindung, die wir für sehr sinnvoll halten. Viele scheuen sich davor, weil sie denken, dass dann alles ausgeplaudert werden kann. Aber man kann diese Entbindung auf die wichtigsten Bereiche beschränken, z. B. auf die Insulintherapie.

DEJ: Gibt es auch Grenzen, wo Sie sagen: Das können wir jetzt als Kita nicht leisten?

Fischer: Wenn die Werte sehr hoch gehen und wir kriegen sie nicht runter und können auch nicht einordnen, woher die hohen Werte kommen, rufen wir schon die Eltern an. In Extremfällen wie Bewusstseinsverlust oder beim Einsatz der Glukagonspritze würden wir natürlich auch anrufen, aber das ist zum Glück noch nicht vorgekommen.

Die Gründe, um anzurufen, werden mit der Zeit ja auch immer weniger, weil die Unsicherheiten vom Anfang verschwunden sind und man das Kind einschätzen kann. Ansonsten sind die Grenzen ganz normal: Das Kind kann, wie alle anderen Kinder auch, nicht in die Einrichtung kommen, wenn es akut krank ist. Aber was den Diabetes angeht, würden wir es nur nicht tragen, wenn es wirklich utopische Werte sind oder sich das Verhalten des Kindes so massiv verändert, dass wir wirklich Sorge um die Gesundheit haben.


»Ansonsten sind die Grenzen ganz normal: Das Kind kann, wie alle anderen Kinder auch, nicht in die Einrichtung kommen, wenn es akut krank ist.«

DEJ: Wie kann das Diabetesteam helfen?

Fischer: Ich denke, die Diabetesberaterinnen sind der Dreh- und Angelpunkt für vieles – sowohl für Eltern als auch für Kitas. Über die Diabetesberaterinnen ließe sich eigentlich auch sehr gut Kontakt zu anderen Kitas herstellen. Es wäre super, wenn die Diabetesberaterinnen das leisten könnten; vielleicht machen das ja auch einige. Uns hat es in der Anfangszeit z. B. sehr geholfen, Kontakt zu einer anderen Kita zu haben, die auch ein an Diabetes erkranktes Kind aufgenommen hat. Diese Einrichtung hat zwar vieles anders gemacht als wir, aber wir haben gut Hinweise bekommen.
Wie haben Sie sich im Team die Betreuung Diabetes aufgeteilt?

Bei uns ist es so, dass das gesamte Team im Rahmen der Nachsorge geschult wurde und jetzt im Moment drei pädagogische Fachkräfte in die Behandlungspflege involviert sind. Das halten wir für sinnvoll, denn es kann immer zu Krankheit, Urlaub oder Fortbildungstagen kommen. So ist immer einer im Haus, der sich um das Kind mit Diabetes kümmern kann.

Beim Frühstück ist es so, dass das Kind immer einzelnen Komponenten dabei hat, z. B. ein Brot, einen Joghurt und Äpfelchen, die von der Mutter schon berechnet wurden. Das Kind darf sich dann aussuchen, was es frühstücken möchte, wir messen den Blutzucker und bedienen die Insulinpumpe. Bei den Zwischenmahlzeiten oder beim Mittagessen ist es genauso, nur, dass wir die BE berechnen. Dafür hat uns die Mutter ein Buch gegeben („Kalorien mundgerecht“). Das hat den Vorteil, dass das Kind relativ selbstbestimmt mit seinem Essen umgehen kann: Es kann selbst wählen, wovon und wie viel es essen möchte. Für uns ist es ein großer Vorteil, dass wir die BEs selbst berechnen können, denn selbst wenn die Mutter die Mahlzeiten aus dem Essensplan berechnet, hat das Kind an dem Tag doch mehr Hunger oder weniger Hunger und wir müssen dann neu rechnen.


»Für uns ist es ein großer Vorteil, dass wir die BEs selbst berechnen können, denn selbst wenn die Mutter die Mahlzeiten aus dem Essensplan berechnet, hat das Kind an dem Tag doch mehr Hunger oder weniger Hunger und wir müssen dann neu rechnen. «

Wenn wir Ausflüge planen, ist es so, dass wir tendenziell immer ein bisschen mehr Zeit einrechnen, falls wir pausieren müssen, um das Kind zu versorgen. Außerdem fährt immer zusätzlich eine von uns Dreien mit und hat das Kind dann besonders im Auge. Alle schauen mit, aber diejenige, die mit in die Behandlungspflege involviert ist, ist auch diejenige, die letztendlich handelt.

So entstehen bei uns Überstunden, aber es ist für uns wichtig, dem Kind die Teilhabe am Ausflug zu ermöglichen. Noch können wir das leisten, ob das für alle Einrichtungen immer so handhabbar ist, weiß ich nicht. Für uns gehört es zum Selbstverständnis, dass alles so geht. Und für den Tag packt die Mutter eben ausreichend Essen und Materialien mit ein. Da ist schon alles vorberechnet, da müssen wir dann unterwegs nichts mehr abwiegen.

DEJ: Sie haben für Ihre Einrichtung ein Konzept für die Aufnahme chronisch kranker Kinder geschrieben. Was sind die Leitpunkte?

Fischer: Unser Konzept ist ein bisschen allgemeiner gefasst. Es geht auch um die Nach- und Vorteile von Integrationskraft und Pflegedienst, um die einzelnen Schritte des Aufnahmeprozesses, um die Rechtssicherheit gegenüber der Unfallkasse. Das haben wir uns alles zusammengesucht, weil man eine entsprechende Zusammenfassung nirgendwo findet.
Zusammenfassend haben wir die Themen wie die Grundsatzentscheidung der Aufnahme chronisch kranker Kinder, den Aufnahmeprozess, die Rechtslage in Bezug auf die Medikamentengabe sowie die Vor- und Nachteile der möglichen Hilfen im Kontext des Kita-Alltags dargestellt.

Aus unserer Sicht ist es erst einmal eine grundsätzliche Entscheidung, ob Kinder mit besonderen Bedürfnissen aufgenommen werden oder nicht. Es ist so, dass die Leitung zusammen mit dem Träger darüber die Entscheidung trifft. Bei uns ist es in der Konzeption unserer Einrichtung verankert, dass wir gewillt sind, allen Kindern die Aufnahme in unsere Einrichtung zu ermöglichen. Zusammen mit dem Träger haben wir gesagt: Ja, wir nehmen die Herausforderung erst einmal an und schauen, wie wir die Rahmenbedingungen so geschaffen bekommen, dass es möglich ist, das Kind bei uns aufzunehmen.


»Bei uns ist es in der Konzeption unserer Einrichtung verankert, dass wir gewillt sind, allen Kindern die Aufnahme in unsere Einrichtung zu ermöglichen.«

Es geht auch um die Hilfen, die die Einrichtung beantragen kann. Zum Beispiel hat der Träger die Möglichkeit, weiteres Personal für die Einrichtung zu beantragen, wenn ein Kind mit einem höheren Betreuungsbedarf aufgenommen wird. Das ist bei Diabetes definitiv der Fall. Aber: Ein Teil der Personalkosten muss natürlich vom Träger bezahlt werden. Und wenn der Träger ein finanziell schlechter gestellter Träger ist, ist das Einstellen von zusätzlichem Personal gar keine Option. Dann gibt es noch die Möglichkeit, eine Regelgruppe in eine Integrativgruppe mit weniger Kindern umzuwandeln und den Personalschlüssel zu erhöhen. Das muss beim Landesjugendamt und beim Jugendamt genehmigt werden. Auch hier gibt es ein Aber: Viele Kitas sind sowieso schon überlaufen, vielerorts gibt es zu wenige Plätze. Wird aus einer Gruppe mit 25 Kindern nun eine Gruppe mit 15 Kindern, haben auf einmal 10 Kinder keinen Platz mehr. Es gibt also diese Optionen und es ist auch gut, dass es sie gibt, aber sie passen eben nicht für alle Einrichtungen.

Was den Pflegedienst, die persönliche Assistenz oder Integrationskraft angeht sagen wir: Jeder muss gucken, wie er gut zurechtkommen und dem Kind eine möglichst gute wohnortnahe Betreuung bieten kann, mit der alle zufrieden sind. Wenn der Weg dorthin über den Pflegedienst und die persönliche Assistenz geht, dann ist das eben der richtige Weg.

DEJ: Es ist ja derzeit auch nicht einfach, Personal zu finden …

Fischer: Ja, und das betrifft auch die persönliche Assistenz/die Integrationskraft. Das Land fordert, dass diese Stellen mit qualifizierten Fachkräften besetzt werden. Für Fachkräfte sind aber sowohl die Arbeitsbedingungen als auch die Bezahlung nicht attraktiv und die Stellen deshalb uninteressant. Hinzu kommt, dass eine Integrationskraft – wie wir Erzieher auch – letztendlich gar nicht dazu verpflichtet werden kann, die Behandlungspflege zu übernehmen. Und es kann auch vorkommen, dass sich die Integrationskraft nur dem einen Kind mit z. B. Diabetes zuwendet. Dadurch wird dieses Kind auf einen Sockel gestellt und eben nicht inkludiert, sondern exkludiert. Aber auch hier möchte ich nicht pauschalisieren, ich kenne auch viele sehr engagierte Leute.

DEJ: Wo würden Sie bei der Aufnahme Grenzen sehen?

Fischer: Ich finde es grenzwertig, ein Kind mit Diabetes aufzunehmen, wenn die Erzieher nicht bereit sind, die Behandlungspflege mitzutragen. Weil ich mir einfach nicht vorstellen kann, wie der Alltag dann organisiert werden soll. Das ist dann entweder eine enorme Mehrbelastung für die Eltern, weil sie regelmäßig kommen müssen, um das Kind selbst zu versorgen, oder es muss der Pflegedienst oder eine persönliche Assistenz/Integrationskraft beauftragt werden. Ein Problem dabei ist: Wenn die persönliche Assistenz ausfällt, kann das Kind nicht in die Einrichtung kommen. Das sind so die Grenzen, die ich wirklich sehe. Ich finde, Einrichtungen, die Kinder mit Diabetes oder einer anderen chronischen Erkrankung aufnehmen, müssen sich zwangsläufig mit dem Thema auseinandersetzen und sich auch beteiligen.


»Ich finde es grenzwertig, ein Kind mit Diabetes aufzunehmen, wenn die Erzieher nicht bereit sind, die Behandlungspflege mitzutragen. «

Dann halte ich es für sehr grenzwertig, wenn die Zusammenarbeit mit den Eltern nicht stimmt – wenn keine Absprachen getroffen werden, wenn wichtige Utensilien nicht mitgegeben werden oder kein Interesse da ist, mit der Einrichtung darüber zu reden und zu kooperieren.

Auch bei Personalmangel ist es schwierig, und leider mangelt es in vielen Einrichtungen dauerhaft an Personal. Mehrbelastungen, z. B. durch den Personalmangel, verstärken natürlich bei den Erziehern die Angst, in der Behandlungspflege Fehler zu machen. Hinzu kommt die Flüchtlingsthematik. Man muss sich selbst schützen, wenn man weiß: Die Einrichtung läuft das nächste Jahr in völliger Unterbesetzung, weil man keine neue Kollegin findet.

Ein Punkt ist noch die Ganztagsbetreuung, denn vom Vormittag zum Nachmittag findet oft ein Schichtwechsel statt. Geht das Kind ganztags in den Kindergarten, muss auch nachmittags jemand da sein, der die Behandlungspflege übernimmt. Da muss man gucken: Wie kriegt man das in den Alltag integriert? Ich bin der Meinung, wenn man möchte, findet man Wege, das zu schaffen. Wir schaffen das auch, aber ich kann natürlich auch nur von den Rahmenbedingungen meiner Einrichtung ausgehen. Da geht es auch darum: Wie viel ist jeder bereit, dazuzutun, damit es klappt? Und wie ist im Allgemeinen die Belastung?

DEJ: Und was ist Ihre Idealvorstellung?

Fischer: Für mich wäre die Idealvorstellung, dass in den Köpfen der Erzieher die Aufnahme chronisch kranker Kinder zur Selbstverständlichkeit wird und zum Selbstverständnis der Einrichtung gehört. Wir sind keine Krankenschwestern, das darf man nicht vergessen. Aber ich bin der Meinung, dass es sehr gut gelingen kann, wenn diese Hemmschwelle erst einmal weg ist.
Damit die Aufnahme selbstverständlich werden kann, müssen auch von der Politik Wege gefunden werden. Es muss z. B. möglich sein, dass auch finanziell weniger gut gestellte Trägerschaften mehr Personal einstellen können. Letztendlich hapert es an solchen Dingen, nicht am Unwillen der Erzieher.


»Für mich wäre die Idealvorstellung, dass in den Köpfen der Erzieher die Aufnahme chronisch kranker Kinder zur Selbstverständlichkeit wird und zum Selbstverständnis der Einrichtung gehört. «

Das wäre meine Idealvorstellung, dass es selbstverständlich wird und dass es eben auch die Landesregierung schafft, die nötigen Rahmenbedingungen für die Erzieher zu schaffen, dass es selbstverständlich werden kann.

DEJ: Wird ein Kind abgelehnt, wird das oft den Erziehern angelastet. Was sagen Sie dazu?

Fischer: Wenn eine Einrichtung ein Kind mit Diabetes ablehnt, darf man nicht immer auf die Erzieher schimpfen. Auf uns ist in den letzten Jahren sehr viel zugekommen, was wir mit abdecken müssen.

Ein Großteil der Erzieher versucht wirklich, alles möglich zu machen und manche vergessen sich dabei auch ein Stück weit selbst. Wird ein Kind abgelehnt, sollten die Eltern überlegen, ob es unter diesen Rahmenbedingungen überhaupt die richtige Einrichtung für ihr Kind gewesen wäre. Die Erzieher haben dann offensichtlich die Sorge, die Versorgung des Kindes mit Diabetes nicht gewährleisten zu können.

Auf die Erzieher zu schimpfen, wenn es nicht klappt, kann ich aus Sicht der Eltern verstehen. Aber die meisten haben alles versucht, es möglich zu machen, bevor so eine Absage kommt. Aus unserem Kreis, unserer Region kann ich mir wirklich nicht vorstellen, dass da jemand sagt: „Wir nehmen das Kind nicht auf, weil wir dazu keine Lust haben.“ Es gibt dann wirklich triftige Gründe.
Gut ist, dass sich immer mehr Einrichtungen auf den Weg machen. Und mit Wissen, Zeit und Austausch kann es gut gelingen. Wenn ein Kind abgelehnt wird, heißt das nicht: „Wir wollen Ihr Kind nicht.“ Vielleicht müssten manchmal auch die Erzieher besser erklären, welche Gründe dahinterstecken und die Entscheidung transparenter machen.


»Wenn ein Kind abgelehnt wird, heißt das nicht: „Wir wollen Ihr Kind nicht.“ Vielleicht müssten manchmal auch die Erzieher besser erklären, welche Gründe dahinterstecken und die Entscheidung transparenter machen. «

DEJ: Im Sommer verlässt das Kind mit Diabetes Ihre Einrichtung. Wie geht es weiter?

Fischer: Jetzt ist die Zusammenarbeit zwischen Schule und Kita gefragt. Die Schule will natürlich wissen: Was kommt da auf uns zu? Und es ist schön, dass wir diesen Übergang so eng begleiten können.


Eine kürzere Version des Interviews ist in DEJ 2/2017 erschienen.


Interview: Nicole Finkenauer
Redaktion Diabetes-Eltern-Journal, Kirchheim-Verlag,
Kaiserstraße 41, 55116 Mainz,
Tel.: (06131) 9 60 70 0, Fax: (06131) 9 60 70 90,
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