Diabetes-Technologie und die Umwelt

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Diabetes-Technologie und die Umwelt

Der ökologische Fußabdruck des Gesundheitswesens wurde in einer kürzlich durchgeführten globalen Bewertung auf 1 bis 5 Prozent geschätzt. Die verschiedenen Krankheiten wurden nicht gesondert betrachtet. In Anbetracht der vielen Menschen mit Diabetes und all der verschiedenen Medikamente, Geräte usw., die bei der Therapie zum Einsatz kommen, kann man aber davon ausgehen, dass die ökologischen "Nebenwirkungen" erheblich sind.

Die Auswirkungen des Klimawandels auf Menschen mit Diabetes wurden bereits mehrfach diskutiert; die Wechselwirkung zwischen Klimawandel und Diabetes-Technologie ist allerdings ein bisher wenig beachtetes Thema. In den letzten Jahrzehnten haben wir einen massiven Anstieg in der Nutzung von Technologie erlebt. Diese Entwicklung wird durch die positiven Auswirkungen dieser Produkte vorangetrieben. Dies wiederum schadet jedoch unserer Umwelt: Produktion von Kohlenstoff durch das Herstellen solcher Produkte und (Plastik-)Abfall können nicht mehr ignoriert werden.

Auswirkungen der Umwelt auf Medizinprodukte

Umgekehrt gilt: Viele Umweltfaktoren wirken sich auf die Funktion von Medizinprodukten aus. Während ihrer Entwicklung werden die Auswirkungen von Umweltfaktoren auf die Funktion der Geräte sorgfältig untersucht. Ein Faktor ist die Umgebungs-Temperatur. Die Funktion der für die Diabetes-Technologie verwendeten Geräte wird vom Hersteller nur für einen bestimmten Temperaturbereich garantiert.

Auswirkungen von Hitze

Die Anzahl der Menschen mit Diabetes, die in Ländern leben, in denen der Klimawandel zu einem Anstieg der Umgebungs-Temperaturen führt, hat schon zugenommen und wird in den nächsten Jahrzehnten aller Voraussicht nach massiv weiter zunehmen. Die Hitze hat auch Auswirkungen auf die Funktion von Diabetes-Technologien, z. B. korrekte Mess-Ergebnisse, die Kapazität von Batterien, die Haltbarkeit von Klebstoffen in Pflastern.

Geräte zum Messen der Glukosewerte

Die Umgebungs-Temperatur beeinflusst die für die Blutzuckermessung verwendeten enzymatischen Reaktionen. Der Blutstropfen, der auf den Teststreifen aufgebracht wird, hat Körpertemperatur. Wenn die Umgebungs-Temperatur deutlich über oder unter dieser Temperatur liegt, muss das Mess-Ergebnis entsprechend durch das Mess-System kompensiert werden. Es kann davon ausgegangen werden, dass die für die Blutzucker-Selbstmessung verwendeten Systeme die Messwerte richtig korrigieren, solange sich die Temperatur in einem akzeptablen Bereich befindet. Der vom Gerät angezeigte Glukosewert wird also praktisch nicht oder nur geringfügig von der Umgebungs-Temperatur beeinflusst. Liegen die Umgebungs-Temperaturen außerhalb des zulässigen Bereichs des jeweiligen Mess-Systems, sollten die Systeme eigentlich keine Mess-Ergebnisse liefern.

Die Temperatur-Sensoren sind in den meisten Fällen in das Gehäuse des Geräts eingebaut. Sie messen also die Temperatur im Inneren des Geräts und nicht in der Reaktionszone an der Spitze der Teststreifen. Dies kann gegebenenfalls zu Mess-Abweichungen führen.

Zwei weitere Aspekte gilt es unter heißen Bedingungen zu berücksichtigen: Zum einen sollen die meisten Teststreifen eigentlich bei Temperaturen unter 30 °C gelagert werden, was in der Realität oft schwierig ist. Ein Hersteller gibt an, dass seine Teststreifen ihre Mess-Eigenschaften auch bei einer Lagertemperatur von etwa 50 °C beibehalten. Ein weiterer Aspekt, der unabhängig vom Mess-System ist: Erhöhte Umgebungs-Temperaturen können den Körper austrocknen. Dies führt zu einer Veränderung des Verhältnisses von Blutkörperchen und Blut (Hämatokrit), was ebenfalls einen Einfluss auf die Mess-Ergebnisse haben kann, wenn der Hämatokrit außerhalb eines zulässigen Bereichs liegt.

Bei CGM-Systemen werden auch enzymatische Reaktionen für die Glukosemessung genutzt, allerdings findet diese Messung in der Zwischenzell-Flüssigkeit im Unterhaut-Fettgewebe statt. Man kann davon ausgehen, dass die Temperatur an der Spitze des Glukosesensors mehr oder weniger auf Körpertemperatur bleibt, solange die körpereigene Steuerung der Körpertemperatur funktioniert. Da dies bei Menschen mit Diabetes eingeschränkt sein kann, sie also sensibler auf Hitze reagieren als stoffwechselgesunde Menschen, sollte dies einmal in Studien untersucht werden.

In diesem Zusammenhang wäre es auch interessant, zu untersuchen, ob die Funktion des Glukosesensors beeinträchtigt wird, wenn der Nutzer Fieber hat. Hitze kann sich auch auf die Funktion von anderen Komponenten von CGM-Systemen auswirken, vor allem auf elektronische Bauteile der Glukosesensoren, die auf der Haut selbst befestigt werden. Interessant wäre eine Auswertung der Rückmeldungen, die die Hersteller von CGM-Systemen von den Nutzern beispielsweise über die Hotlines bekommen: Steigen die Ausfallraten der Systeme bei Hitzewellen an im Vergleich zu Zeiten mit normalen Umgebungs-Temperaturen?

Eine erhöhte Umgebungs-Temperatur führt zu einem Anstieg des Blutflusses in der Haut, was wiederum die Zeitverzögerung zwischen dem Glukosewert im Blut und dem in der Zwischenzell-Flüssigkeit ("lag time") verkürzen kann. Auch das Austrocknen des Körpers kann zu Änderungen in den Flüssigkeitsvolumen an der Spitze der Glukosesensoren führen, was möglicherweise auch einen Einfluss auf die Genauigkeit der Messung hat.

Insulinpens, -pumpen und AID-Systeme

Höhere Umgebungs-Temperaturen führen, wie bereits erwähnt, physiologisch zu einer stärkeren Durchblutung der Haut. Das verhindert, dass die Temperatur des Körperkerns ansteigt. Wie schnell Insulin, das ins Unterhaut-Fettgewebe gespritzt wird, aus diesem subkutanen Depot ins Blut gelangt, wird stark durch den lokalen Blutfluss in der Haut beeinflusst. Ist dieser also erhöht, ist davon auszugehen, dass die Wirkung des Insulins schneller eintritt, während die Wirkdauer abnimmt. Darüber hinaus kann das Insulin variabler wirken, was zu Unter- und Überzuckerungen rund um Mahlzeiten führen kann.

Die Wirksamkeit von Eiweißen wie Insulin wird durch Wärme beeinträchtigt, weshalb sie innerhalb eines bestimmten Temperaturbereichs gelagert werden sollen. Eine angemessene Lagerung von Insulin kann bei Hitzewellen eine Herausforderung darstellen.

Insulinpens werden während der Zeit ihrer Nutzung den Umgebungs-Bedingungen ausgesetzt. Dabei kann, z. B. bei Hitzewellen, die Temperatur außerhalb des empfohlenen Bereichs liegen. Dann besteht ein erhöhtes Risiko für einen Funktionsverlust des Insulins, noch unterstützt dadurch, dass der Pen vielen Bewegungen ausgesetzt ist. Vorhandene Möglichkeiten einer geeigneten Lagerung von Insulinpens für Alltagsbedingungen sind nicht weit verbreitet.

Die meisten der herkömmlichen Insulinpens liefern keine Informationen über ihre Nutzung bzw. die Umweltbedingungen, denen sie ausgesetzt sind. Einige der kürzlich in den Markt eingeführten "intelligenten Pens" (Smart-Pens) liefern jedoch neben Informationen zur Insulindosis usw. auch Angaben zur Umgebungs-Temperatur. In Kombination mit Informationen von Wearables/Smartphones über Körperbewegungen der Nutzenden ermöglichen solche Informationen, abzuschätzen, wie stabil das Insulin in den Pens ist.

Konventionelle Insulinpumpen mit Infusionssets und Patch-Pumpen, die auf die Haut geklebt werden und kein sichtbares Infusionsset aufweisen, werden dicht am Körper getragen. Dadurch liegt die Temperatur des Insulins im Reservoir bei oder nahe der Körpertemperatur. Eine erhöhte Umgebungs-Temperatur kann zu noch höheren Insulin-Temperaturen darin führen. Die schnellere Insulin-Aufnahme aus dem Depot im Unterhaut-Fettgewebe durch den Anstieg der Hautdurchblutung bei Hitze kann jedoch der relevantere Aspekt sein. Es wäre interessant zu wissen, ob die Funktion von Insulinpumpen (auch von Patch-Pumpen) bei Hitzewellen beeinträchtigt ist oder nicht, wurde bisher aber nicht systematisch untersucht. Die Hitze kann auch das Risiko von Verstopfungen erhöhen, d. h. das Insulin "flockt" aus und blockiert den Durchfluss.

Die verschiedenen Aspekte, die hier für diagnostische und therapeutische Geräte beschrieben wurden, sind für Systeme zur automatisierten Insulindosierung (AID-Systeme) erst recht von Bedeutung. Bei den AID-Systemen wird die Insulindosis automatisch aufgrund der mit dem CGM-System gemessenen Werte berechnet, um die Glukosewerte in einem bestimmten Zielbereich zu halten. Durch eine gestörte Funktion des CGM-Systems oder der Insulinpumpe bei Hitze kann es sein, dass der Algorithmus nicht wie gewohnt funktioniert.

Training der Menschen mit Diabetes – und auch der Diabetes-Teams

Vermutlich wurde den Auswirkungen von Umweltveränderungen auf die Diabetestherapie bisher bei der Schulung von Menschen mit Diabetes keine große Aufmerksamkeit gewidmet. In Anbetracht von Sommern mit ausgeprägten Hitzeperioden sollten Menschen mit Diabetes aber zum Beispiel über die angemessene Lagerung von Insulin informiert werden und darüber, wie Umweltfaktoren die Funktion der für die Diabetestherapie verwendeten Medizinprodukte beeinträchtigen können. Im Fall einer Hitzewelle könnten Ärztinnen und Ärzte ihren Patientinnen und Patienten entsprechende Maßnahmen zum Verhindern von Funktionsproblemen empfehlen, beispielsweise Systeme zum Kühlen von Insulinpens oder das häufigere Wechseln des Insulinreservoirs in der Insulinpumpe.

Zusammenfassung

Die Wechselwirkung zwischen Diabetes-Technologie und Umwelt geht in beide Richtungen: Die Nutzung von Medizinprodukten hat Auswirkungen auf die Umwelt – Umweltfaktoren wie Hitze haben einen deutlichen Einfluss auf die Funktion solcher Produkte.Und es kann davon ausgegangen werden, dass Diabetes-Technologie einen beträchtlichen ökologischen Fußabdruck hat. Das Wissen über die Auswirkungen von Hitze (und anderen Umweltfaktoren) auf die Medizinprodukte, die im täglichen Leben von Menschen mit Diabetes eingesetzt werden, ist aber bisher begrenzt. Klar ist jedoch, dass ein erheblicher Bedarf an einer angemessenen Schulung über solche Aspekte besteht.


Schwerpunkt

Kontakt:

Prof. Dr. Lutz Heinemann
Science Consulting in Diabetes GmbH
Schwerinstraße 36
40477 Düsseldorf

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