Diabetes und Alkohol – Genuss ohne Reue?!

6 Minuten

© © Günter Menzl - Fotolia
Diabetes und Alkohol – Genuss ohne Reue?!

Ob man Diabetes hat oder nicht: Alkohol spielt im Leben vieler Menschen eine Rolle. Maßvoll genießen – dagegen spricht nichts. Es gibt aber gute Gründe für das Maß, gerade wenn man Diabetes hat.

Der Fall
Peter, 56 Jahre, 103 kg und Typ-2-Diabetiker, feiert bei seinem Freund Johannes Richtfest. Er hatte fast 1½ Jahre am Rohbau des Freundes mitgeholfen – und freute sich richtig aufs Fest. Er hatte von 18 Uhr bis Mitternacht 8 Biere und einige kleine Schnäpse mit den Zimmerleuten getrunken und auch deftig gegessen. Er war mit dem Auto gekommen und dachte eigentlich, er könne in der Nacht noch nach Hause fahren …

Sein Blutalkoholspiegel betrug gegen 24 Uhr noch etwa 2 Promille. Er schlief bei einem Freund – und fuhr am nächsten Morgen noch schnell bei sich zu Hause vorbei, bevor er zur Arbeit weiterfuhr. Eine Polizeistreife kontrollierte ihn – ein Alkoholtest ergab noch 0,95 Promille Restalkohol im Blut!

Peter war nicht nur überrascht, sondern er ärgerte sich über sich selbst, denn er hätte wissen müssen, dass er so nicht hätte fahren dürfen.

In fast allen Regionen der Welt gehört Alkohol, in gewissen Mengen genossen, zu Ritualen oder Zeremonien. Alkohol kann so dazu beitragen, dass soziale Kontakte geknüpft, verfestigt und regelmäßig gepflegt werden. Übermäßiger Konsum kann jedoch zu einer Alkoholvergiftung bis hin zum Tod führen …

Alkohol: Alles andere als ungefährlich!

Alkohol muss als gesundheitsschädlich eingestuft werden – aufgrund seiner Giftwirkung auf Gewebe wie die Leber, das Gehirn, andere Organe wie Magen und Darm. Selbst ein mäßiger Genuss kann erhebliche Schäden verursachen, bis hin zum Krebs oder zur Leberzirrhose sowie zu Gehirnschäden. Regelmäßiger Alkoholkonsum kann auch abhängig machen. Die Sterberate, die auf Alkohol zurückgeführt wird, beträgt laut WHO ca. 4 Mio. pro Jahr! Und: Alkoholkonsum und Trunkenheit haben oft auch juristische Konsequenzen – man denke nur an den Verlust des Führerscheins.

Alkohol ist ein kleines wasserlösliches Molekül, das von unserem Körper sehr rasch aufgenommen wird. Äthylalkohol (Äthanol) wird im Dünndarm sehr viel schneller als im Magen resorbiert: Wird also ein alkoholhaltiges Getränk z. B. auf leeren Magen getrunken, ist die maximale Blutkonzentration schneller erreicht als durch Alkoholgenuss nach dem Essen. Außerdem gehen z. B. Getränke mit mittlerem Alkoholgehalt (z. B. 20 Vol%) schneller ins Blut über als welche mit 3 bis 8 Vol%.

Mögliche Alkohol-Folgeschäden


Leber
  • Fettleber
  • Leberentzündung (Hepatitis)
  • Leberzirrhose (➔ Leber-Krebs)
    Bauchspeicheldrüse
  • Bauchspeicheldrüsenentzündungen (➔ Krebs)
    Stoffwechsel
  • Fettstoffwechselstörungen
  • erhöhte Harnsäure im Blut (➔ Gicht)
    Blut
  • Mangel an bestimmten Blutzellen (➔ Blutarmut)
  • Mangel an Blutplättchen (➔ Störung der Blutgerinnung)
    Mundhöhle
  • Mundschleimhautentzündung
  • Zahnfleischentzündung
  • Ohrspeicheldrüsenentzündung
  • gehäuft: Zungen- und Kehlkopfkrebs
    Speiseröhre
  • Entzündungen der Speiseröhre
  • gehäuft: Speiseröhrenkrebs
  • Krampfadern in der Speiseröhre
    Magen
  • Magenschleimhautentzündung
  • Magengeschwüre
    Dünndarm
  • gestörte Durchlässigkeit der Schleimhaut
  • bakterielle Fehlbesiedlung
  • Aufnahmestörung für Nährstoffe

Dagegen führt Hochprozentiges wie Schnäpse zu einer verzögerten Magenentleerung und hemmt die Absorption über die Schleimhaut. Andererseits: Werden Getränke mit Kohlensäure versetzt wie Champagner oder Sekt, ist der Übergang ins Blut noch schneller! Werden diese Alkoholika dagegen mit einer kohlenhydratreichen Mahlzeit eingenommen, erfolgt die Resorption langsamer.

Verteilung des Alkohols im Körper

Man findet die höchsten Alkoholkonzentrationen im Körper in der Leber und in anderen gut durchbluteten Organen wie dem Gehirn und der Lunge, die niedrigsten in der Regel im Fettgewebe, denn Alkohol ist nicht fettlöslich. Das ist ein Grund dafür, warum der Blutalkoholwert bei Frauen höher ist – auch wenn sie gleich viel getrunken haben wie ein Mann; dazu kommt, dass Frauen eine etwas geringere Menge an Gesamtblut haben – und auch die Zyklusphase beeinflusst den Alkoholspiegel. Außerdem spielen Medikamente eine Rolle.

Der Abbau des Alkohols

Mehr als 90 Prozent des Alkohols werden über die Leber abgebaut, maximal 10 Prozent über Urin ( 2 bis 5 Prozent), Schweiß und die Atemluft. Eine kleine Menge wird bereits im Magen selbst abgebaut. Am Abbau ist ein bestimmtes Eiweiß primär beteiligt (Alkoholdehydrogenase), von dem es vier Unterformen gibt. Es gibt Menschen, z. B. Japaner, bei denen ein bestimmtes Isoenzym fehlt. Dadurch kommt es zum Anhäufen des giftigen Acetaldehyds, das Kopfschmerzen, Übelkeit und Herzrasen verursacht.

Der Alkoholspiegel im Blut ist am höchsten etwa 1 Stunde nach dem Trinken und fällt danach linear um etwa 0,1 bis 0,15 Promille/Stunde ab.Der Alkohol als Problem auf die Lebensführungkann nach dem Klassifikationssystem der WHO eingeteilt werden (Kasten).

Besonderheiten bei Diabetes

Bereits eine Menge von 40 bis 50 g Alkohol hemmt unter experimentellen Bedingungen die Zuckerneubildung und -ausschüttung aus der Leber. Dies erhöht das Unterzuckerungsrisiko bei Typ-1-Diabetikern – aber auch bei Typ-2-Diabetikern, wenn die Glykogenvorräte (Speicherzucker) in Muskel und Leber niedrig oder verbraucht sind wie nach schwerer körperlicher Arbeit oder Sport!

Der Alkoholabbau in der Leber wirkt sich dagegen meist nicht sofort auf den Blutzuckerspiegel aus – oft erst viele Stunden später. Beim Alkoholabbau braucht die Leber ein Co-Enzym (NAD: Nicotinamid-Adenin-Dinucleotid): sprich einen “Helfer”, damit das genannte Enzym Alkoholdehydrogenase den Alkohol effektiv abbauen kann; dabei wird das Co-Enzym verbraucht.

Das NAD wird in der Leber noch für weitere Stoffwechselprozesse benötigt wie zur Zuckerneubildung, damit immer, auch nachts im Schlaf, dem Gehirn die benötigte Glukose zur Verfügung steht. Andernfalls kommt es zur Unterzuckerung. Das Gehirn benötigt etwa 6 g Traubenzucker pro Stunde. Tagsüber liefert die Leber ca. 10 g/Stunde, nachts etwa 8 g/Stunde, so dass der Blutzucker immer über 50 bis 60 mg/dl (2,8 bis 3,3 mmol/l) liegt.

Wenn aber reichlich Alkohol getrunken wurde und dieser Alkohol in der Leber abgebaut werden muss, wird dabei reichlich NAD verbraucht – das somit für mehrere Stunden für die Zuckerneubildung in der Leber nicht zur Verfügung steht (keine “Gegenregulation”)! Im Rahmen einer schweren Unterzuckerung ist die Leber dann nicht mehr in der Lage, für das Gehirn ausreichend Zucker zu produzieren.

Achtung: Schon ab einem Alkoholspiegel im Blut von ca. 0,45 Promille ist die Zuckerfreisetzung aus der Leber gestört!

Je mehr Alkohol ein Diabetiker trinkt, desto länger und ausgeprägter ist die Zuckerneubildung in der Leber gehemmt. Zu einer schweren Unterzuckerung kommt es nach abendlichem Alkoholkonsum meist erst in der Nacht: 4 bis 8 Stunden später – besonders nach einer vorausgegangenen Insulininjektion und zu wenigen gegessenen Kohlenhydraten. Manche Betroffene berichten sogar von Spät-Unterzuckerungen am nächsten Vormittag!

Mangelsymptome unter Alkohol

Bei regelmäßigem Alkoholkonsum kann es auch zu Mangelerscheinungen verschiedener Vitamine, Blutsalze und Spurenelemente kommen. Speziell ein alkoholischer Leberschaden kann zu verminderten Mengen an fettlöslichen Vitaminen führen (A, D, E in der Leber, im Blut im gesamten Organismus). Ein Folsäuremangel kann außerdem zu stärksten akuten Symptomen sowie Blutbildungsstörungen führen, zu neurologischen Störungen wie Vergesslichkeit, Schlafstörungen und bei Schwangeren zu Fötus-Missbildungen.

Krebsrisiko steigt mit der Menge

Daneben gibt es eine Reihe von Krebsarten wie Magen- und Speiseröhrenkrebs, die durch Äthanol deutlich vermehrt auftreten. Das Krebsrisiko steigt dabei mit der aufgenommenen Alkoholmenge. Es gibt keinen Zusammenhang mit der Art des aufgenommenen Alkohols – es ist egal, welcher Alkohol regelmäßig zu viel konsumiert wird.

Deshalb gilt vor allem für Menschen mit Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörungen, fortgeschrittener Nervenerkrankung (Polyneuropathie), Potenzstörungen (erektile Dysfunktion), Übergewicht und während der Schwangerschaft: Es sollte möglichst wenig oder gar kein Alkohol getrunken werden!

Zusammenfassung

Alkoholkonsum wird in unserer heutigen Gesellschaft relativ oft bagatellisiert. Er hat aber regelmäßig in größeren Mengen genossen so verheerende Nebenwirkungen wie das Rauchen oder andere Drogen. Insbesondere bei Menschen mit Diabetes kann er akute und chronische Probleme bei der Blutzuckereinstellung verursachen und im Rahmen eines Rausches sogar lebensgefährlich sein (fehlende Gegenregulation im Alkoholrausch).

Unabhängig davon ist gerade bei Diabetikern mit einem andauernden Verlust des Führerscheins zu rechnen – denken Sie an das Risiko für Unterzuckerungen bei gleichzeitigem Führen eines Fahrzeuges und dem Konsum von Alkohol.

Deswegen denken Sie bitte rechtzeitig daran – grundsätzlich bei einer Fahrt mit dem Auto genau null Alkohol zu trinken! Unabhängig davon muss man immer wieder betonen: Alkohol in größeren Mengen genossen löst keine Probleme, in der Regel schafft er neue. Aber: Auch ein Mensch mit Diabetes kann wie jeder andere auch Alkohol zur Steigerung seiner Lebensqualität und zur Bereicherung eines Essens etwas Alkohol zu sich nehmen – in gewissen Mengen und am besten nicht regelmäßig.


Autor:

Dr. Gerhard-W. Schmeisl
Internist, Angiologe, Diabetologe und Sozialmediziner
Lehrbeauftragter der Universität Würzburg
Chefarzt Deegenbergklinik
Burgstraße 21, 97688 Bad Kissingen

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2017; 66 (6) Seite 32-34

Ähnliche Beiträge

Lea Raak im Interview: Durch Community zurück ins Leben

Lea Raak lebt seit dem Jahr 2011 mit einem Typ-1-Diabetes. Viele Fragen taten sich nach der Diagnose auf – und eine gewisse Verzweiflung. Die Community hat ihr zurück ins Leben geholfen: „Ich tue mein Bestes und alles andere kommt, wie es kommt.“

11 Minuten

#dedoc° voices meet DDG: die Patienten-Perspektive beim Diabetes Kongress

Im zweiten Teil der Berichte der #dedoc° voices vom diesjährigen Diabetes Kongress kommen weitere Menschen mit Diabetes zu Wort, die im Mai die Fachtagung in Berlin besucht haben, um ihre Perspektive einzubringen.

9 Minuten

Keine Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Über uns

Geschichten, Gemeinschaft, Gesundheit: Der Diabetes-Anker ist das neue Angebot für alle Menschen mit Diabetes – live, gedruckt und digital. Der Diabetes-Anker und die Community sind immer da, wo du sie brauchst. Für alle Höhen und Tiefen.

Diabetes-Anker-Newsletter

Alle wichtigen Infos und Events für Menschen mit Diabetes – kostenlos und direkt in deinem Postfach. Mit unserem Newsletter verpasst du nichts mehr.

Werde Teil unserer Community

Community-Frage

Mit wem redest du über deinen Diabetes?

Die Antworten auf die Community-Frage werden anonymisiert gesammelt und sind nicht mit dir oder deinem Profil verbunden. Bitte achte darauf, dass deine Antwort auch keine Personenbezogenen Daten enthält.

Werde Teil unserer Community

Folge uns auf unseren Social-Media-Kanälen

Push-Benachrichtigungen

notification icon
Aktiviere Benachrichtigungen auf dieser Seite, um auf dem laufenden zu bleiben, wenn dir Personen schreiben und auf deine Aktivitäten antworten.
notification icon
Du hast die Benachrichtigungen für diese Seite aktiviert
notification icon
Aktiviere Benachrichtigungen auf dieser Seite, um auf dem laufenden zu bleiben, wenn dir Personen schreiben und auf deine Aktivitäten antworten.
notification icon
Du hast die Benachrichtigungen für diese Seite aktiviert