Die gute Stimme aus der Bibliothek der Hörmedien

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© diabetesDE/Jeske
Die gute Stimme aus der Bibliothek der Hörmedien

Jedes Jahr vergibt die gemeinnützige Gesundheitsorganisation diabetesDE – Deutsche Diabetes-Hilfe den “Thomas-Fuchsberger-Preis” an Personen, die sich in der Diabetes-Aufklärung und der Betroffenenhilfe engagieren. Zu den Geehrten im Jahr 2022 zählte Christa Mischke aus Selm, die regelmäßig das Diabetes-Journal für seh- und lesebehinderte Menschen vorliest. Wir haben mit ihr über ihre Motivation und ihr ehrenamtliches Engagement gesprochen.

Steckbrief

Name: Christa Mischke
Alter: 69 Jahre
Wohnort: Selm/Westfalen
Beruf: seit 2019 im Ruhestand
Diabetes seit: Typ 1 seit 1965
Hobbys: Lesen, Schreiben, Handarbeiten, Schwimmen, Wandern, Backen
Lebensmotto: Wenn der Mensch sich etwas vornimmt, ist ihm mehr möglich, als er glaubt. (Johann Heinrich Pestalozzi)
Kontakt: christa-mischke@web.de

DJ: Frau Mischke, Sie sind 2022 mit dem Thomas-Fuchsberger-Preis ausgezeichnet worden. Für welches Engagement haben Sie diesen erhalten?

Christa Mischke: Ich lese seit November 2019 einmal im Monat in der Westdeutschen Bibliothek der Hörmedien (WBH) in Münster für blinde, seh- und lesebehinderte Menschen das Diabetes-Journal vor. Die Produktion des Hörbuchs wäre damals eingestellt worden, wenn sich kein Freiwilliger gefunden hätte. Das Angebot richtet sich auch an Körperbehinderte, die kein Buch festhalten können, und an Analphabeten. Wenn eine entsprechende Bescheinigung vorliegt, können sie sich in der WBH Bücher und Zeitschriften ausleihen. Solche Bibliotheken sind in der Öffentlichkeit leider viel zu wenig bekannt. Selbst Betroffene wissen häufig nicht, dass es solche Angebote gibt. Für mehr Öffentlichkeitsarbeit fehlen die finanziellen Mittel, weil die WBH auf Fördergelder, Zuwendungen und Spenden angewiesen ist. Die meisten Vorleser dort sind Profis und werden bezahlt. Ich mache das ehrenamtlich.

DJ: Wie sind Sie eigentlich zum Vorlesen gekommen?

Christa Mischke: Gelesen habe ich eigentlich immer schon gerne. Neulich fand ich beim Aufräumen mein Grundschulzeugnis. Da steht bei Lesen schon “sehr gut”. Ich hatte eine Weile eine Fernbeziehung zu einem Mann in Hamburg, und damals habe ich ihm abends am Telefon ganze Bücher vorgelesen. Die Stadt Selm, in der ich wohne, ist 2015 Lesehauptstadt Deutschlands geworden. In diesem Zusammenhang hatte ich dort etwa 100 Vorlesetermine. Irgendwie gehört das Vorlesen schon immer zu meinem Leben. Als ich in den Ruhestand ging, habe ich mich zur ehrenamtlichen Mitarbeit bei der Hörzeitung “Pressegeflüster” in Lünen gemeldet. Diese gibt es inzwischen nicht mehr, aber die Mitarbeiter haben mich letztlich an die WBH in Münster verwiesen. Der dortige Geschäftsführer, Werner Kahle, hat mir dann nach einer Leseprobe die Chance gegeben, das Diabetes-Journal zu lesen. Das hat mich unglaublich gefreut, weil es genau das ist, was ich gerne mache.

DJ: Vieles kann man sich heute automatisch im Internet vorlesen lassen. Trotzdem werden noch Vorleserinnen und Vorleser gebraucht. Warum ist das so?

Christa Mischke: Es ist immer noch ein großer Unterschied, ob eine Computerstimme ohne Betonung und ohne Gefühl etwas vorliest oder ob wirklich ein Mensch persönlich spricht. Ein menschlicher Vorleser kann ganz anders Spannung aufbauen und mit der Stimme agieren. Computer sind aber sicherlich ein gutes Hilfsmittel, wenn es keinen menschlichen Vorleser gibt – das ist häufig auch eine Kostenfrage. Es ist übrigens gar nicht so einfach, ein solches Ehrenamt auszuüben. Ich habe gelegentlich schon angeboten, freiwillig und kostenlos etwas für Menschen mit Seh- oder Lesebehinderung einzulesen, zum Beispiel die Homepages von Museen. Oft heißt es dann aber, die Versicherungsfrage sei nicht geklärt oder man sei verpflichtet, die Leistung zu bezahlen und könne sich das nicht leisten. Ich finde das sehr traurig, da ich mich gerne noch viel mehr engagieren würde.

DJ: Was macht das Vorlesen im Studio aus? Gibt es dort irgendwelche Besonderheiten?

Christa Mischke: Im Studio ist natürlich eine professionellere Technik vorhanden. Man arbeitet dort sehr konzentriert. Bei einer Lesung mit Publikum muss man hingegen auch ein bisschen moderieren und den Leuten ein paar ergänzende Erläuterungen geben. Das ist im Studio nicht der Fall. Dort sind die Möglichkeiten, frei etwas zu ergänzen, sehr eingeschränkt. Der Text wird im Anschluss an das Vorlesen noch einmal kontrolliert, um Fehler oder Lücken zu finden. Danach muss das Ganze technisch bearbeitet werden. Das Hörbuch wird dann entweder auf CD gebrannt oder zum Download angeboten. Anschließend gehen die CDs in die Versandabteilung. Das Team, das an der Produktion beteiligt ist, umfasst insgesamt fast 20 Leute.

DJ: Hatten Sie vor diesem Engagement schon irgendeinen Bezug zum Thema Diabetes?

Christa Mischke: Nein, aber ich habe mich, denke ich, relativ schnell auf die Texte eingestellt. Mein Hausarzt, der auch Diabetologe ist, hat mir anfangs bei dem einen oder anderen medizinischen Begriff geholfen. Bei Fremdsprachen ist das manchmal ein bisschen schwierig, aber vieles kann ich auch selbst im Internet recherchieren. Ich bemühe mich dann, die Begriffe korrekt nachzusprechen. Bislang gab es noch keine Beschwerden.

DJ: Wie viel Zeit nimmt das Einlesen des Diabetes-Journals üblicherweise in Anspruch?

Christa Mischke: Ich fahre zwei Tage pro Monat nach Münster, um es einzulesen. Pro Tag arbeite ich dann ungefähr 4 bis 5 Stunden. Für ein Diabetes-Journal brauche ich etwa 8 bis 9 Stunden brutto. Dazu zählen auch die Vorbereitung des Leseplatzes, das Anlegen des Inhaltsverzeichnisses und die Pausen. Aufgezeichnet werden etwa 4,5 bis 5 Stunden.

DJ:Wie gehen Sie mit Fotos, Grafiken und Tabellen um?

Christa Mischke: Das Beschreiben von Fotos habe ich mir mit Hilfe des Blindenverbands in Berlin angeeignet. Ich schildere immer zunächst den Gesamteindruck – ob zum Beispiel eine Gruppe von Menschen zu sehen ist oder eine Einzelperson oder Kinder. Dann beschreibe ich Details. Ich frage mich: Was machen die Personen? Gibt es irgendwelche technischen Geräte zu sehen? Auch die Räumlichkeit, die Farben und die Emotionen beschreibe ich dann. Tabellen und Statistiken sind nicht so ganz einfach. Darüber muss ich mir vorab immer ein paar Gedanken machen. Die Überschriften der Spalten und Zeilen müssen teilweise mehrfach wiederholt werden, damit der Inhalt verständlich ist.

DJ: Welche Texte machen Ihnen besonders viel Spaß?

Christa Mischke: Besonders gerne lese ich persönliche Geschichten von Diabetikern – zum Beispiel Reiseberichte, in denen erläutert wird, wie die Menschen mit besonderen Situationen umgehen. Es ist mir bei persönlichen Schicksalen schon passiert, dass ich das Lesen abbrechen musste, weil mir die Tränen in die Augen geschossen sind. Dann musste ich mich erst einmal sammeln und nochmal neu beginnen. Wenn alles gut ausgeht, dann ist es natürlich am schönsten.

DJ: Gibt es ein Thema, dass Sie sich einmal im Diabetes-Journal wünschen würden?

Christa Mischke: Die schönste Nachricht wäre, wenn Diabetes geheilt werden könnte. Das wäre ein wunderbares Thema. Ich glaube zwar leider nicht, dass es in absehbarer Zeit möglich sein wird, aber die medizinische Entwicklung geht natürlich immer weiter.

DJ: Haben Sie schon Pläne, wie lange Sie Ihr Ehrenamt ausüben möchten?

Christa Mischke: Das ist noch völlig offen. Zum einen macht es mir unheimlich viel Spaß. Zum anderen sind mir auch die sozialen Kontakte sehr wichtig, deshalb fahre ich so gerne ins Studio. Man hätte mir die Technik grundsätzlich auch zu Hause einrichten können. Solange es meine Gesundheit mitmacht und ich Auto fahren kann, mache ich das auf jeden Fall gerne. Es ist ja eine Tätigkeit, die man glücklicherweise ausüben kann, solange man selbst sehen und sprechen kann.

DJ: Wir danken Ihnen für das Gespräch!

Interview: Thorsten Ferdinand

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2023; 72 (2) Seite 38-40

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