Die periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK)

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Die periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK)

Oft haben Betroffene ein leichtes Ziehen beim Gehen in Waden oder Oberschenkeln; nach kurzer Pause geht es wieder – bis zum nächsten schmerzbedingten Stopp. Im Volksmund nennt man das “Schaufensterkrankheit”, da die Betroffenen oft so tun, als würden sie die Auslagen eines Schaufensters ansehen – ihre Beschwerden verheimlichend. Es geht um die “periphere arterielle Verschlusskrankheit” oder anders: das Raucherbein.

Der Fall
Pfarrer Mendel aus D. hatte diese Beschwerden schon seit Monaten: Wenn er auf der Kanzel stand, bemerkte er kaum etwas – aber nach 300 Metern schnellen Gehens waren die Schmerzen in den Waden oft nicht auszuhalten. Er entschloss sich, in das nicht so weit entfernte “Gefäßzentrum” der Stadt zu gehen, um sich untersuchen zu lassen.

Dort hatte sich bestätigt, was er schon vermutete – eine Durchblutungsstörung seiner Oberschenkelarterien, rechts mehr als links. Also stimmte er schließlich einer Operation zu. Denn ohne eine solche Operation kam bei Belastung kaum noch Blut in die Waden.

Beide Oberschenkelarterien wurden über einen Zugang zu den Arterien in der Leiste mittels eines Drahtes mit einem Ballon aufgedehnt und anschließend mit einem Stent (einer Gefäßstütze) versorgt. Er kann jetzt, 6 Wochen nach dem Eingriff, fast wieder wie früher gehen. Er hatte Glück – seinen Lebensstil muss er jedoch in Zukunft etwas umgestalten! Vor allem auf das Rauchen will er nun verzichten – über 30 Jahre lang hinterließen täglich 30 bis 40 Zigaretten deutliche Spuren …

Gefäßerkrankungen betreffen meist den ganzen Körper – im Fall der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK) die großen Brust- und Bauchschlagadern genauso wie die Becken-Bein-Arterien. Sie sind in mehr als 95 Prozent durch arteriosklerotische Verkalkungen in Fettablagerungen bedingt. Durchblutungsstörungen der Arme und Hände sind sehr selten.

20 Prozent der über 65-jährigen sind betroffen

In Deutschland leiden etwa 20 Prozent aller Menschen über 65 Jahren daran. Die Lebenserwartung von Menschen mit einer pAVK ist ca. 10 Jahre geringer als bei Vergleichspersonen! 50 bis 70 Prozent von ihnen sterben am Herzinfarkt, 10 bis 20 Prozent erleiden einen Schlaganfall, und 10 bis 20 Prozent sterben durch andere Gefäßkomplikationen. Problem: Nur 1 von 10 Patienten hat die typischen, oben beschriebenen Schmerzen, die der Krankheit den Namen Schaufensterkrankheit gaben.

Typischerweise nimmt mit den Jahren die Gehstrecke ab, die ein Betroffener ohne Schmerzen gehen kann – die Symptome können sich aber auch weiterentwickeln bis hin zum Ruheschmerz. Manchmal treten auch ohne größere Vorboten Geschwüre am Fuß auf, die schlecht heilen. Besteht zusätzlich eine diabetische Polyneuropathie, also ein Nervenschaden, verursacht das Geschwür keine Schmerzen – es besteht die Gefahr einer kritischen Durchblutungsstörung, Infektion und Amputation.

Es gibt einen sehr engen Zusammenhang zwischen der pAVK und dem Auftreten einer koronaren Herzkrankheit (KHK) sowie dem Risiko für einen Schlaganfall: Die pAVK spiegelt sozusagen als Marker den Gesamtzustand des Gefäßsystems eines Menschen wider.

Ursachen: Blutfette, Übergewicht und Lebensstil

In den meisten Fällen liegt der pAVK eine Ablagerung von schlechtem Cholesterin (LDL-Cholesterin) in den Arterienwänden zugrunde. Im Verlauf der Erkrankung werden darin zusätzlich Kalk eingelagert und die Gefäßinnenwand (Endothel) geschädigt – Diabetes und Rauchen fördern zusätzlich diese Endothel-Schädigung.

Die Gefäßwände können sich immer schlechter dehnen, so dass die Gefäße bei Bedarf nicht mehr so viel Blut aufnehmen können; die Wände werden starr, der Platz in den Gefäßen wird immer enger und somit auch die Blutversorgung immer schlechter. Durch ein Gerinnsel (arterieller Thrombus) kann so ein Gefäß aber auch plötzlich und ohne Vorboten verschlossen werden.

Rechtzeitiges Erkennen – wie?

Durch einfache, überall durchführbare Tests könnte die pAVK rechtzeitig erkannt und dadurch adäquat behandelt werden. Durch eine rechtzeitige Diagnose ergibt sich darüber hinaus die Chance, andere betroffene Gefäßgebiete (z. B. Halsschlagadern, Herzkranzgefäße) rechtzeitig auf Engstellen zu untersuchen und so ggf. rasch einschreiten zu können.

Beim Hausarzt bzw. beim Gefäßspezialisten werden als Basisdiagnostik zunächst zwei wichtige Untersuchungen durchgeführt:

  • die Messung des Blutdrucks über den Knöchelgefäßen an den Füßen und vergleichend an den Armgefäßen in Ruhe,
  • die Untersuchung der Durchblutung unter Belastung z. B. auf einem Laufband mit Bestimmung der schmerzfreien Gehstrecke.

Als wichtigste Methode folgt nach der körperlichen Untersuchung eine Ultraschall-Duplex-Untersuchung (Farb-Duplex-Sonographie), mit der die betroffenen Blutgefäße angesehen, die Blutströmung gemessen bzw. eine Engstelle genau dargestellt werden können. Diese Befunde stimmen nahezu perfekt mit Befunden überein, die mit einem Katheter und Röntgen erhoben werden. Gerade bei Menschen mit Diabetes und womöglich schon Nierenschäden sind Ultraschall-Techniken zunächst zu bevorzugen, weil das Kontrastmittel für die Nieren schädlich sein kann.

Wie behebt man die Engstelle?

Wie kann eine mögliche Engstelle der Blutgefäße wieder behoben werden? Muss immer operiert werden? Ein durch Kalk- und/oder Fettablagerungen bzw. auch ein Gerinnsel verengtes Gefäß kann je nach Situation mit einem der genannten Verfahren behandelt werden (s. Abb. 1):

  • Lyse-Therapie: An der Stelle der Einengung kann über einen Katheter ein Medikament (z. B. Alteplase) eingebracht und so versucht werden, z. B. ein Gerinnsel aufzulösen.
  • PTA (perkutane transluminale Angioplastie): Durch Einbringen eines Ballons über einen Katheter meist über die Leistenarterie kann die lokale Engstelle aufgedehnt werden.
  • Stent mit PTA: Nach der Ballonaufweitung des Gefäßes erfolgt nicht selten das zusätzliche Einbringen einer Gefäßstütze (Stent), um das Gefäß an dieser Stelle zu stabilisieren und offen zu halten.
  • TEA (Thrombendarteriektomie): Darunter versteht man das Ausschälen größerer und ausgeprägter Wandverkalkungen bzw. auch von Gerinnseln mit eventuell dem Aufnähen einer Art “Flicken” (Patch-Plastik) durch den Gefäßchirurgen, um den Defekt zu schließen.
  • Gefäß-Bypass: Umgehen eines engen bzw. verschlossenen Gefäßabschnittes durch ein Stück eigener Vene (z. B. aus dem Ober-/Unterschenkel) bzw. Kunststoff (PTFE-Bypass) als Bypass (Umgehungskreislauf).

Welches Verfahren im Einzelfall angewendet wird, hängt ganz vom örtlichen Befund ab (Ausdehnung?, kompletter Verschluss?) und von der Dringlichkeit: Ist das Bein akut gefährdet? Oder kann durch Gehtraining und womöglich durch Medikamente noch etwas erreicht werden? Sind konservative Maßnahmen ausgereizt? Wenn trotz konservativer Maßnahmen die Lebensqualität des Betroffenen z. B. durch Schmerzen stark eingeschränkt ist, sollte gehandelt werden.

Konservative Maßnahmen

Was weiß man heutzutage über konservative Maßnahmen – welche Maßnahmen sind sicher hilfreich? Nun, zu den sinnvollen konservativen Maßnahmen gehören:

  • regelmäßiges Gehtraining (Gefäßsport): kann die Gehstrecke eines Menschen trotz Gefäßverengung deutlich verlängern, es fördert das Entstehen z. B. von Kollateralen, d. h. von Umgehungskreisläufen über kleinere Arterienäste; diese können manchmal sogar ein Hauptgefäß komplett ersetzen – längeres Training vorausgesetzt,
  • vernünftige Ernährung: kalorienreduzierte Ernährung mit mehr einfach und mehrfach ungesättigten Fettsäuren, weniger Kohlenhydraten (weniger Softdrinks, Saucen), viel Gemüse und etwas Obst,
  • Einstellen des Rauchens,
  • medikamentöse Senkung des LDL-Cholesterins (z. B. mit dem Fettsenker CSE-Hemmer), evtl. mäßige Reduktion des Blutdrucks,
  • eventuell Umstellung der Medikamente bei Diabetes: z. B. weniger gewichtsfördernde Medikamente wie Sulfonylharnstoffe, Insulin, sondern SGLT-2-Hemmer,Metformin und darmhormonbasierte Medikamente wie Inkretin-Analoga und DPP-4-Hemmer,
  • Blutplättchenhemmer (Thrombozytenaggregationshemmer wie ASS, Clopidogrel etc.).

Die Zusammenfassung

Rauchen ist nach wie vor der wichtigste Risikofaktor für die pAVK – die Menge des Rauchens korreliert direkt mit dem Schweregrad der pAVK, der erhöhten Amputationsrate und der Sterblichkeit! Ein Nikotin-Stopp ist für einen Raucher mit pAVK unabdingbar! Starke Raucher sollten jede erdenkliche Hilfe in Anspruch nehmen, um es zu schaffen: Nikotinersatz, Nikotinpflaster, Nichtraucherprogramme mit psychologischer Unterstützung oder Ähnliches.

Da der Diabetes auch ein unabhängiger Risikofaktor für das Entstehen und das Fortschreiten der pAVK darstellt, ist auch eine gute Blutzuckereinstellung mit einem Ziel-HbA1c-Wert um etwa 7 Prozent erstrebenswert; das HbA1c-Ziel sollte aber individuell vereinbart werden. Dem Einsatz von Blutplättchenhemmern kommt ebenfalls eine wichtige Bedeutung zu.

Ein tägliches Gehtraining (ca. 1 Stunde) in Intervallen von 5 bis 15 Minuten ist als Basis sehr zu empfehlen – es fördert neben der peripheren Durchblutung zusätzlich die Herz-Kreislauf-Fitness und hilft so eventuell auch, Gewicht zu reduzieren.

Da die periphere arterielle Verschlusskrankheit eine Markererkrankung für manchmal noch schwerwiegendere Folgeschäden ist wie eine KHK (mit drohendem Herzinfarkt) oder Hirndurchblutungsstörungen (mit drohendem Schlaganfall), sollte bei entsprechender Veranlagung dringend nach ihr gefahndet werden.


von Dr. Gerhard-W. Schmeisl
Internist/Angiologe/Diabetologe, Chefarzt Deegenbergklinik sowie Chefarzt Diabetologie Klinik Saale (DRV-Bund)
Deegenbergklinik, Burgstraße 21, 97688 Bad Kissingen, Tel.: 09 71/8 21-0 sowie
Klinik Saale, Pfaffstraße 10, 97688 Bad Kissingen, Tel.: 09 71/8 5-01

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2015; 64 (5) Seite 30-33

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