Die psychische Belastung durch die Coronapandemie: ein Thema für die Forschung

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Die psychische Belastung durch die Coronapandemie: ein Thema für die Forschung

Das Corona-Virus stellt alle Menschen vor Herausforderungen. Der Alltag vieler hat sich grundlegend geändert. Das ist eine besondere mentale Belastung, die es zu bewältigen gilt. Personen mit chronischen Krankheiten, wie z.B. Diabetes, erfahren eine deutliche Mehrfachbelastung. Auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wissen um diese Problematik. Daher haben sich nun Forschende an der Universität Duisburg-Essen diesem Thema zugewendet. Dabei ist nicht nur das Hilfsangebot „CoPE It“ entstanden, sondern auch eine Studie darüber, wie Menschen mit Diabetes die Corona-Zeit mental überstehen. Hannah Kohler hat uns in einem Interview „CoPE It“ sowie die Studie zu Diabetes und der Bewältigung der Coronapandemie vorgestellt.

Hannah Kohler untersucht die psychische Auswirkung der Coronapandemie auf Menschen mit Diabetes
Quelle: Hannah Kohler/ LVR Klinik Essen

Das Interview

Frau Kohler, warum interessieren Sie sich in Ihrer Forschung für Menschen mit Diabetes?

Vor meiner Ausbildung zur Fachärztin für Psychosomatik habe ich ein Jahr in der Endokrinologie gearbeitet und viele Menschen mit Diabetes behandelt. Das hat bereits mein Interesse als Wissenschaftlerin an dieser Erkrankung geweckt. Ein großer Anteil meiner Arbeit in der Psychosomatik ist nun auch die Forschung. Als Corona aufkam, war für mich sofort klar, dass wir einen Blick auf Menschen mit chronischen Erkrankungen haben müssen, da sie oft zu den Risikogruppen gehören. Durch mein Interesse an diabetischen Erkrankungen war für mich klar, dass ich mich auf diese fokussiere. Deswegen haben wir zuerst die Online-Studie zur psychischen Belastung der Allgemeinbevölkerung während Corona durchgeführt. Daraus ist das CoPE-Projekt entstanden. Dazu gehören das CoPE-It-Angebot und auch Studien, die Risikogruppen untersuchen, wie z.B. Menschen mit Diabetes.

Was ist genau ist „CoPE It“?

„CoPE It“ ist der Name eines Hilfsangebots in Zeiten der Coronapandemie, das für alle Menschen zugänglich ist. Entlehnt ist dies vom englischen Wort „cope“, was bewältigen bedeutet. In der Psychologie meint man damit die Bewältigung von Belastungs- und Stresssituationen. Mit „CoPE It“ wollen wir alle Menschen unterstützen, die merken, dass sie mit der neuen Situation durch Corona Schwierigkeiten haben. Isolation, Ängste, Stress – all das gehört zu der aktuellen Lage dazu. Allerdings reagieren Menschen darauf unterschiedlich. Einige brauchen Hilfe, um die neue Situation zu bewältigen oder zu akzeptieren. Wenn jemand merkt, dass er oder sie besonders gestresst ist oder Ängste sich einschleichen, dann ist „CoPE It“ eine gute Möglichkeit, sich zu Hause durch dieses Onlineangebot Unterstützung zu holen.

Ziel von CoPE It ist es, eine Unterstützung und Hilfe in belastenden Situationen zu sein, damit Sie mit den Belastungsfaktoren und Gefühlen besser umgehen können.
Quelle: „CoPE It“ steht für „Coping mit Corona: 
Psychosomatisch-Psychotherapeutische Grundversorgung in Essen“
© Grafik LVR-Klinikum Essen

Wie hilft „CoPE It“?

Man braucht nur einen PC und einen Internetzugang. Wir haben mehrere Übungen und Videos entwickelt. Diese leiten die Menschen an, z.B. herauszufinden, was ihre Ressourcen sind und wie sie diese stärken können. Wer dieses Angebot nutzt, erhält alle zwei Tage eine kleine Aufgabe. Man bekommt Videos und Material, das einem erklärt, wie man sich mental stärken und schützen kann. Insgesamt gibt es vier Blöcke. Die dauern etwa 30 Minuten. So hat man also nach einer Woche bereits Werkzeuge gezeigt bekommen, die einem helfen können, Stress und Ängste, die durch das Corona-Virus verursacht wurden, zu bewältigen. Ein Team von etwa 20 Forschenden hat in den letzten Monaten dieses Projekt auf die Beine gestellt, um schnell vielen Menschen helfen zu können. Aber wir lernen selbst noch jeden Tag dazu und wollen das Angebot erweitern. Außerdem wollen wir natürlich herausfinden, ob „CoPE It“ vielen hilft, und das Angebot immer weiter verbessern.

Es gibt aber noch eine weitere Studie, die Menschen mit Diabetes fokussiert. Worum geht es da?

Wir haben, wie erwähnt, eine große, bevölkerungsweite Studie durchgeführt, die die psychischen Belastungen durch die Coronapandemie in der gesamten Bevölkerung untersucht. An dieser haben über 16.000 Menschen teilgenommen. Da haben wir bereits nach Risikoerkrankungen und explizit nach Diabetes gefragt, aber auch nach Lungen- oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Dabei haben wir festgestellt, dass jede Risikogruppe anders ist. Deshalb brauchten wir andere Fragen, um dem gerecht zu werden. Denn jede Gruppe zeigte einen Schwerpunkt auf andere Sorgen und Ängste. Ein Krebspatient denkt an seine Chemotherapie, eine Transplantationspatientin hat Angst, ihr Organ zu verlieren, und bei Menschen mit Diabetes geht es viel stärker um den veränderten Alltag und die Schutzmaßnahmen. Daher müssen wir uns die Gruppen einzeln anschauen, um herauszufinden, was genau die psychischen Belastungen sind, um dann auch gezielt helfen zu können. Wir müssen wissen, was diese Menschen in einer solchen Krisenzeit brauchen und wie wir ihnen am besten helfen können.

Haben Sie bereits erste Ergebnisse gewinnen können?

Die Studie mit Menschen mit Diabetes ist noch nicht abgeschlossen. Durch unsere erste Studie, die sich an die gesamte Bevölkerung richtete, haben wir aber eine interessante und positive Sache herausgefunden. Die Menschen mit Diabetes, die an dieser großen Studie teilgenommen haben, sind gut gewappnet für die Coronapandemie. Tatsächlich hat es uns überrascht, dass viele sehr entspannt sind. Sie fühlen sich gut aufgeklärt und sind informiert. Ängste und Sorgen sind ganz klar vorhanden. Aber das trifft aktuell auf alle Menschen zu. Menschen mit Diabetes haben im Durchschnitt keine massiv gesteigerte Angst, die sich von Personen ohne Risikoerkrankung unterscheidet. Wir haben eine erste Idee für einen Erklärungsversuch: Menschen mit Diabetes oder generell mit chronischen Erkrankungen haben oft schon Ressourcen, um Stress zu bewältigen, oder sind achtsam. Denn sie wissen bereits, wie man schlimme Ereignisse im Leben bewältigen kann. Das liegt z.B. an der Diagnose. Das war bereits ein Einschnitt, der das Leben verändert hat und bewältigt werden musste. Dadurch hat man bereits gelernt, mit einer Krise umzugehen. Dementsprechend ist auch Corona ins Leben integrierbar.

Gibt es Menschen mit Diabetes, die eine deutliche erhöhte Angst haben?

Natürlich gibt es die. Dabei handelt es sich aber meistens um Personen, die bereits Folgeerkrankungen haben oder andere Erkrankungen, die das Risiko erhöhen. Meistens sind es eben auch Ältere. Aber es ist deutlich zu erkennen, dass Menschen mit Diabetes ihr Risiko realistisch einschätzen. Man muss eine weitere Gruppe noch einmal separat sehen: Wir wissen, dass Diabetes oft mit psychischen Erkrankungen, wie z.B. Depressionen, verbunden ist. Diese Menschen sind noch einmal auf eine ganz andere Art belastet durch die Situation der Pandemie. Sie waren vielleicht schon vorher oft allein, sie sind viel anfälliger, Ängste zu entwickeln, die über das normale Maß in dieser Zeit hinausgehen.

Menschen mit Diabetes sind gut gewappnet für die Coronapandemie. Es hat uns überrascht, dass viele sehr entspannt sind. Sie fühlen sich gut aufgeklärt und informiert.
Quelle: Hannah Kohler/ LVR-Klinikum Essen

Welche Ängste und Sorgen konnten Sie bisher im Zusammenhang mit Corona ermitteln?

Zu Beginn gab es vor allem die Befürchtung, dass es einen Engpass bei den Medikamenten geben könnte. Das betraf sowohl Antidiabetika in Tablettenform als auch Insulin. Dadurch, dass sich dann einige Menschen mehr haben verschreiben lassen, gab es auch gefühlte Auswirkungen, weil in den Apotheken nicht alles immer vorrätig war. Zusätzlich gab es die Angst vor einem Shutdown, der bedeutet hätte, dass man nicht mehr so einfach an die Medikamente gekommen wäre. Eine weitere große Angst – nicht nur bei Menschen mit Diabetes – ist es, dass man sich im Krankenhaus oder bei einem Arztbesuch anstecken könnte. Die diabetische Quartalskontrolle ist ein wichtiger Termin, der dadurch von manchen abgesagt wurde.

Haben Sie Tipps oder Hilfestellungen für Menschen mit Diabetes in Zeiten der Pandemie?

Es gibt viele verschiedene Ansätze, um die Situation mit Corona psychisch zu meistern. Ich persönlich finde eine gute Alltagsstruktur sehr wichtig. Die sollte dem Alltag ähneln, den man sonst auch hat. Das bedeutet, dass man auch im Homeoffice seine festen Arbeitszeiten hat, Pausen macht und den Feierabend festlegt. Gerade bei Menschen mit Diabetes ist dieser Rhythmus auch mit Blick auf die Behandlung sehr wichtig. Ein Tipp, der oft vergessen wird: Man sollte sich ab und zu etwas Besonderes gönnen. Das kann ein gutes Essen sein, etwas, was man immer mal machen wollte. Dadurch schafft man sich besondere Momente und geht auch bewusster mit sich um. Das hilft, auch mal den Fokus von den Blutzuckerwerten abzulenken. Denn bei Diabetes geht es viel um Zahlen und vor allem um die richtigen Zahlen. Das bedeutet viel Druck, den man sich selbst macht. Nicht nur in Zeiten von Corona ist es gut, das mal in den Hintergrund rücken zu lassen und sich zu entspannen. Den universellen Tipp gibt es aber wohl nicht für Menschen mit Diabetes. Ich glaube, dass es einfach ganz wichtig ist, dass wir alle gerade auf uns selbst aufpassen und auf alle anderen, die um uns herum sind.

Möchtest Du Teil der Forschung sein und anderen Menschen dadurch helfen?

Zu der Studie, die die psychische Auswirkung der Pandemie auf Menschen mit Diabetes erforscht, geht es hier entlang.

Möchtest Du das Angebot von „CoPE It“ nutzen und Dich mental stärken?

Das Hilfsangebot ist für alle Menschen kostenlos zugänglich und hier zu finden.

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