Digital-Turbo oder Rohrkrepierer?

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Digital-Turbo oder Rohrkrepierer?

Für das Bundesgesundheitsministerium ist die Sache klar: Das derzeitgeplante Digital-Gesetz soll den Behandlungsalltag für Ärztinnen und Ärzte sowie Patientinnen und Patienten mit digitalen Lösungen vereinfachen. Zentraler Bestandteil des Gesetzes ist die Einrichtung der elektronischen Patientenakte (ePA) für alle. Sie soll den Austausch und die Nutzung von Gesundheitsdaten vorantreiben und so die Versorgung unterstützen. Mit dem Gesetzesvorhaben sollen auch das E-Rezept zum verbindlichen Standard in der Versorgung mit Arzneimittelnund die Nutzung per elektronischer Gesundheitskarte und ePA-App stark vereinfacht werden – und das schon zum 1. Januar 2024. Bisher war das Einlösen der E-Rezepte schon über eine eigene Smartphone-App möglich, die Anmeldung dazu aber kompliziert. Alternativ wurde es für die Patientinnen und Patienten als eine Art QR-Code auf Papier gedruckt – was bei einem Digitalisierungs-Projekt zu einigem Spott geführt hat. Das seit Juli ebenfalls mögliche Verfahren mit Nutzung der Versichertenkarte – ohne Extra-PIN – war beim Praxistest in den Modellregionen Schleswig-Holstein und Westfalen-Lippe noch wegen Datenschutzbedenken abgebrochen worden, nun wurde es überarbeitet: Krankenkassen senden Prüfnachweise, die die Karte bestätigen.

Im Juli wurde der Referenten-Entwurf des Digital-Gesetzes veröffentlicht. Die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) lobte in einer Stellungnahme dazu die Ziele des Gesetzes. Sie hält es für möglich, dass sich mit den aktuellen Gesetzesvorhaben die Versorgung der Menschen mit Diabetes deutlich verbessern kann. Die DDG bezieht dabei das "Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsversorgung" (GVSG) und das "Gesetz zur verbesserten Nutzung von Gesundheitsdaten" (GDNG) mit ein, zu beiden wurden im Juni ebenfalls Entwürfe vorgelegt.

Da die ePA als "Austauschplattform"für die Gesundheitsversorgung dienen soll, hält die DDG bei den Zugriffsberechtigten auf die elektronische Akte eine explizite Listung der nicht ärztlichen Gesundheitsfachberufe für essenziell. Diese seien direkt in den medizinischen Versorgungspfad eingebunden, für die Diabetologie gelte dies für die Diabetesassistenz und Diabetesberatung, die integrale Bestandteile des Behandlungsteams seien.

Im Digital-Gesetz sind auch Neuerungen zu den digitalen Gesundheitsanwendungen geplant, den DiGAs. Solche qualitätsgeprüften Apps auf Rezept gibt es mittlerweile auch für Diabetes oder Adipositas. Die DDG mahnt in ihrer Stellungnahme, dass eine Abkopplung der DiGAs vom integrierten Versorgungsprozess aus medizinischer Sicht weder zielführend noch effektiv sei. Die im Gesetz auch angedachte Erweiterung der DiGAs auf Software, die auch bei ernsthaften Erkrankungen oder zur Entscheidungsfindung in kritischen Situationen eingesetzt werden dürfen ("Medizinprodukte der Risiko-Klasse IIb"), nennt die Fachgesellschaft angemessen: Insbesondere Clinical-Decision-Support-Systeme könnten für Leistungserbringer und Betroffene von großer Hilfe sein. Diese Art von Software unterstützt Therapie-Entscheidungen, zum Beispiel das Bestimmen einer Insulindosis, durch die Analyse von Daten. "Wir betonen jedoch auch hier ganz deutlich, dass die DiGAs den Versorgungsprozess integrativ und nicht davon ‚losgelöst‘ ergänzen sollen", so die DDG. Anders gesagt: Digitale Lösungen sollen wie bisher Medikamente vom Arzt als Werkzeug eingesetzt werden und kein Eigenleben als "Dr. Google" entwickeln.

DMPs digital verbessern statt Parallelstrukturen schaffen

Die im Digital-Gesetz vorgesehene Einführung von digitalisierten Versorgungsprozessen in den strukturierten Behandlungsprogrammen (Disease-Management-Programmen, DMPs) für Diabetes begrüßt die DDG. Auch hier schaut die Fachgesellschaft allerdings kritisch auf die tatsächliche Umsetzung der Pläne: "Digitale DMPs sollten aus unserer Sicht in die bereits etablierten und gut evaluierten DMP-Programme integriert werden und diese nicht als mögliche ‚Doppel- beziehungsweise Parallelstrukturen‘ aushöhlen", mahnt sie. Digitalisierte Prozesse in den DMPs sollten vor allem das Zusammenführen von Daten unterschiedlicher Versorgungsebenen und diverser technischer Systeme erleichtern. Dazu bedarf es laut DDG einererheblichen Weiterentwicklung der Interoperabilität, also der reibungslosen Verständigung der Geräte und Software-Codes, und eines strukturierten Behandlungs-Datensatzes.

Regeln gegen Cloud-Zwang vermisst

Der im Mai frisch gewählte Vorsitzende des Berufsverbands Niedergelassener Diabetologen (BVND) Toralf Schwarz kritisierte im Interview mit DiabetesNews, dass im Gesetzentwurf zu eben jener Interoperabilität von Medizinprodukten nichts zu finden ist.Dringend regelungsbedürftig sei der quasi bestehende Zwang der Nutzung der Hersteller-Cloud für Patienten mit System zum kontinuierlichen Glukose-Monitoring (CGM) oder Insulinpumpe, um diese Geräte optimal zu nutzen. "Es ist nicht möglich, die Daten eines CGM-Gerätes lokal in der Praxis auszuwerten, ohne den Umweg über die Hersteller-Clouds zu gehen – ein Ding der Unmöglichkeit!", befand Schwarz.

Zu den Digital-DMPs warnte Schwarz, dass der Gesetzentwurf auch die Möglichkeit offenlasse, Programme zu etablieren, die zum Beispiel von Drittanbietern auf rein elektronischem Weg angeboten werden. "Ein Angriff auf die konventionellen DMPs würde ganz klar die Existenzgrundlage der Diabetes-Schwerpunktpraxen gefährden, weil die auf dem DMP fußenden Diabetes-Verträge letztendlich die wirtschaftliche Grundlage der Schwerpunktpraxen sind", sagte der in Zwenkau niedergelassene Diabetologe ganz klar. "Das Interesse der Krankenkassen ist im Zweifelsfall, DMPs möglichst billig zu haben", fürchtet er.


Marcus Sefrin

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