Ein Blick zurück auf das vergangene Jahr

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Ein Blick zurück auf das vergangene Jahr

Das vergangene Jahr war bekanntermaßen eins mit vielen Besonderheiten und Ereignissen – auch, was die Themen Soziales und Rechtliches betrifft. Immer wieder muss man hierbei auch auf die Prinzipien des Rechtsstaats ­blicken, nicht nur in Hinblick auf den Diabetes. Außerdem bot das Jahr 2021 ­interessante Neuerungen für Kinder und auch für Ihren Geldbeutel.

Das Jahr 2021 ist nun vorüber – und auch die letzten 12 Monate waren leider wieder voll im Griff des Corona-Virus. Mir macht allerdings nicht nur die Pandemie große Sorge, sondern auch, was diese aus unserer Gesellschaft macht – und was dies für die Zukunft befürchten lässt. Derzeit werden Menschen mit Behinderung vom Staat zwar noch geschützt und gefördert. Die momentanen gesellschaftlichen Entwicklungen lassen aber erahnen, wie schnell sich der Wind drehen kann. Die ganze Corona-Situation zeigt für mich erschreckend, wie verletzlich die Zivilisation mittlerweile geworden ist.

Rechtsstaatliche Prinzipien im Wandel

Aus Angst um ihre eigene Gesundheit oder der ihnen nahestehender Personen sind immer mehr Menschen wieder sich selbst die Nächsten – dabei ist die Stimmung zwischenzeitlich so aufgeheizt, dass Impfbefürworter und Impfgegner nicht mehr vernünftig miteinander reden und sich zuhören. Nicht wenige Familien und Freundschaften sind dadurch schon gespalten.

Auch bislang eherne Prinzipien unseres Rechtsstaats sind im Wandel: Früher war es selbstverständlich, dass der Arbeitgeber oder auch Schulen keine Diagnosen oder Gesundheitszustände erfahren müssen, damit es nicht zu Diskriminierung kommt. Seit Corona ist das aufgeweicht: So werden ärztliche Befreiungen von der Maskenpflicht meist nur anerkannt, wenn hierfür eine Begründung geliefert wird – selbst ohne Angabe einer Diagnose wird dann meist offensichtlich, welche Krankheiten dafür der Grund sein könnten. Und dieses Wissen um bestehende Krankheiten kann für Arbeitnehmer auch für die Zeit nach Corona zum Problem werden.

Zudem ist alles andere als sicher, ob als Folge von Corona nicht auch noch andere Grundsätze wanken. So scheint es gar nicht so abwegig, dass Arbeitgeber aus „Fürsorge“ bzw. aus Gründen des Mehrheitsschutzes die Mitarbeiter künftig womöglich pauschal nach gesundheitsbedingten Gefahrenquellen fragen dürfen – beispielsweise, ob jemand Diabetes oder andere Krankheiten hat.

Das Gesundheitssystem ist aktuell an seinen Grenzen und viele Menschen – auch mit anderen Erkrankungen – laufen Gefahr, im Notfall nicht mehr zeitgerecht die für sie notwendige Behandlung bekommen zu können. Möglicherweise ist daher die Forderung berechtigt, dass Menschen, die sich nicht gegen das Corona-Virus impfen lassen wollen, zum Schutz der Allgemeinheit dafür dann gewisse Einschränkungen hinnehmen müssen. Das darf aus meiner Sicht aber nicht dazu führen, dass damit die Büchse der Pandora geöffnet und der Boden womöglich bereitet wird für noch weitergehende Maßnahmen, z. B. in Bezug auf den Diabetes.

Denn sollte beispielsweise der „Diabetes-Tsunami“ weiter ungebremst anrollen, dann wird man irgendwann vielleicht auch manchen Menschen mit Diabetes vorwerfen, dass sie sich unvernünftig bzw. „sozialschädlich“ verhalten und deswegen mit daran schuld seien, dass die Kapazitäten im Gesundheitssystem unnötig belastet werden. Gleiches gilt natürlich auch für Menschen, die Risikosportarten wie Fußball oder Skifahren betreiben und bei Unfällen dann Notfallambulanzen oder Intensivbetten unnötig belegen bzw. der Solidargemeinschaft „auf der Tasche liegen“, oder Raucher, Raser, Fahrradfahrer ohne Helm – jeder kennt noch viele weitere Beispiele. Hoffen wir, dass es nicht so weit kommt.

Kita- und Schulbegleitung einfacher

Trotz allem gibt es für Menschen mit Diabetes auch ein paar positive bzw. erfreuliche Entwicklungen. So scheint es für Kinder mit Diabetes zwischenzeitlich etwas einfacher zu werden, eine notwendige Begleitperson für Kindergarten oder Schule zu erhalten. Bislang war es für Eltern oft sehr mühsam, eine solche Hilfe zu bekommen – vielmals kam es zum Ämter-Pingpong: Das Integrationsamt verwies auf die Krankenkasse, von dort ging der Ball wieder zurück und niemand wollte für die jeweils benötigten Unterstützungsleistungen zuständig sein.

Mehrere Gerichte (LSG Baden-Württemberg, L 4 KR 3741/20, Beschluss vom 25. März 2021; Sozialgericht Darmstadt, S 17 SO 115/21 ER, Beschluss vom 26.08.2021) haben nun klargestellt, dass es sich bei den benötigten Leistungen typischerweise um eine Sicherungspflege handelt, für welche die Krankenkasse zuständig ist. Wenn es im Tagesverlauf zu unvorhersehbar häufig schwankenden Blutzuckerwerten kommt – was bei Kindern wohl immer der Fall sein dürfte –, dann ist es notwendig, dass jederzeit Hilfe möglich ist.

Hierzu bedarf es dann auch während des Schulbesuchs einer ständigen Beobachtung, „damit in den jeweiligen unvorhersehbar auftretenden Situationen die geeigneten Maßnahmen ergriffen werden, um Über- oder Unterzuckerung zu vermeiden“ (SG Darmstadt). Eltern haben es damit deutlich einfacher: Der Arzt kann dafür die benötigte Begleitperson als Maßnahme der „speziellen Krankenbeobachtung“ gemäß § 37 Absatz 2 SGB V zu Lasten der Krankenkasse verordnen.

Höhere Steuerfreibeträge

Ebenfalls erfreulich: Seit dem Steuerjahr 2021 gibt es deutlich höhere Steuerfreibeträge, wenn ein Grad der Behinderung festgestellt wurde. Die Beträge wurden verdoppelt: Wer einen GdB von 50 hat, der kann nun 1140 Euro von der Steuer abziehen. Für Kinder mit Diabetes, bei denen das Merkzeichen H festgestellt wurde (dies erfolgt auf Antrag bis zum 16. Lebensjahr), können die Eltern nun sogar einen Betrag von 7400 Euro geltend machen.

Geld zurück gibt es auch für Menschen mit einem GdB von weniger als 50: Bislang erhielten diese nur dann einen Steuerfreibetrag, „wenn gesetzliche Renten oder andere laufende Bezüge bezogen werden oder wenn eine Einschränkung der körperlichen Beweglichkeit oder eine typische Berufskrankheit vorliegt.“ Bei Diabetes waren diese Voraussetzungen jedoch meist nicht erfüllt, sodass ein GdB von 30 oder 40 in der Regel keine Steuererleichterung brachte.

Mit dem Steuerjahr 2021 entfallen diese Voraussetzungen: Bei einem GdB von 30 kann man nun 620 Euro, bei einem GdB von 40 sogar 860 Euro von der Steuer abziehen. Wichtig: Diese Steuererleichterungen gibt es nur, wenn der GdB entweder bereits festgestellt ist oder der Antrag auf Feststellung einer Behinderung noch in 2021 gestellt wurde.

Ein Ohr für Ihre Anliegen

Mit diesen positiven Nachrichten schließe ich nun meinen Rückblick und bedanke mich an dieser Stelle nun bei Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, ganz herzlich für Ihr Interesse und Ihre zahlreichen E-Mails und Zuschriften. Viele solcher Fragen konnte ich zeitnah in meiner Rubrik aufbereiten, sodass auch andere Betroffene profitieren konnten. Das macht das Diabetes-Journal seit vielen Jahren aus: Wir haben ein Ohr für Ihre Anliegen. Das Diabetes-Journal ist ein Heft für alle Patienten, auch für Menschen mit „Typ-F-Diabetes“ – die Familienmitglieder.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein glückliches, gesundes neues Jahr mit allzeit erfreulichen Werten!


Autor:

Oliver Ebert
REK Rechtsanwälte Stuttgart, Balingen
Nägelestraße 6A, 70597 Stuttgart

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2022; 71 (1) Seite 46-47

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