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Seit dem 3. Dezember 2011 reiht sich Stevia unter der Nummer “E 960” in die Liste der als Zusatzstoff zugelassenen Süßstoffe ein. Nun hat das lange Warten für viele Interessierte ein Ende. Denn künftig wird Stevia ganz normal im Handel angeboten. Wir erklären Ihnen alle wichtigen Fakten rund um den nun erlaubten Süßstoff natürlichen Ursprungs.
Es war der 11.11.11 – das Schnapszahl-Datum des vergangenen Jahres. Paare gaben sich am besagten Tag das Ja-Wort. Im Rheinland hieß es zur Eröffnung der fünften Jahreszeit Alaaf und Helau. Und bei der EFSA (Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit) im italienischen Parma gab es das seit langer Zeit von vielen erhoffte Ja für die Zulassung der Steviolglykoside, kurz Stevia.
Ob nun das Begehren von vielen Menschen mit Diabetes im Hinblick auf den Bezug von Stevia steigt oder schwindet, wird sich zeigen. Denn bisher gab es Stevia entweder über das Internet, teilweise haben Apotheken es für ihre Kunden bestellt. Ferner stand es oft in der Kosmetikabteilung von Reformhäusern oder Biogeschäften.
Es gab vereinzelte Ausnahmen wie Joghurt der Molkerei Andechser in den Sorten Orange-Sanddorn und Maracuja-Banane. Beide wurden mit Stevia-Tee gesüßt. Zunächst hieß es: Kommando zurück, und besagte Molkerei musste die Milchprodukte aus den Regalen nehmen. Im September 2011 durften, nach Klärung durch das Verwaltungsgericht München, die Joghurts wieder auf den Markt. Jetzt sind sie ganz normal im Supermarkt zu finden.
Dagegen dauerte der Rechtsstreit eines bayerischen Teeunternehmens mehrere Jahre. Hier galt es, durch den Hersteller zu beweisen, dass die im Kräutertee verwendeten getrockneten Steviablätter nicht unter die Novel-Food-Verordnung fallen. Obwohl bereits mehr als 20 Millionen Tassen konsumiert wurden, bedurfte es verschiedener Beweisanträge und sogar einer Berufung durch den Freistaat Bayern.
Letztlich stellte sich heraus, dass es sich bei den im Tee verwendeten getrockneten Blättern der Pflanze Stevia rebaudiana nicht um neuartige Lebensmittel im Sinn der EU-weiten Novel-Food-Verordnung handelt. “Hierzu muss der Verbraucher wissen, dass, bevor ein Lebensmittel als Novel Food (neuartiges Lebensmittel) in den Verkehr gebracht wird, eindeutig bewiesen sein muss, dass es die Gesundheit nicht schädigt”, sagt Dipl.-Ökotrophologin Anja Krumbe vom Deutschen Süßstoffverband (Köln).
Gut Ding braucht bekanntlich Weile. Zulassungsverfahren sind zeitaufwändig, bürokratisch und teuer. Kein Wunder, dass die Zulassung von Stevia so lange gedauert hat.
Steviolglykoside – ihre Geschichte ist eng verknüpft mit der des Stevia-Krauts, aus dem die Glykoside extrahiert werden. Deshalb kann man Stevia und Steviolglykoside nicht über einen Kamm scheren. Wenn man umgangssprachlich nun von Stevia spricht, sind die Glykoside gemeint. In Zutatenlisten wird sich deshalb auch der Begriff Steviolglykoside, Stevia rebaudiana A oder Rebiana finden.
Das in Südamerika heimische Kraut wird wegen seiner stark süßenden Eigenschaften – es ist rund 300-mal süßer als Zucker – dort seit jeher verwendet. Punkten kann es außerdem damit, dass es praktisch kalorienfrei ist und keine Karies verursacht.
Hinzu kommt, dass sein Ursprung natürlich ist. Doch das ist nicht gleichzusetzen mit einem naturbelassenen Süßstoff; bis aus den geernteten, getrockneten Blättern Steviolglykoside entstehen, bedarf es weiterer Arbeitsschritte: Die trockenen Blätter werden eingeweicht. Die Extraktion ergibt die süß schmeckenden Glykoside, ähnlich wie beim Aufgießen von Tee. Nun wird der Extrakt gereinigt, um die süßen Bestandteile vom Rest der Blätter abzutrennen. Es geht an die Trocknung und Kristallisation. Das Ergebnis sind reine weiße Kristalle.
Der nun zugelassene Stevia-Extrakt trägt die E-Nummer 960. Die aus dem Kraut der südamerikanischen Stevia-Pflanze extrahierten Steviolglykoside reihen sich seit 3. Dezember 2011 in die Liste der als Zusatzstoff zugelassenen Süßstoffe ein. Zunächst lehnte der Wissenschaftliche Ausschuss für Lebensmittel der Europäischen Kommission (SCF) einen Antrag ab, Stevia als Novel Food in der EU anzuerkennen.
In dem Gutachten über die Pflanze und ihre Blätter hieß es, dass den eingereichten Informationen die Spezifizierung der getesteten Extrakte und die Standardisierung des gewerblichen Produktes fehle. Stevia wurde nicht für den Handel zugelassen.
Im Februar 2000 hieß es zudem, dass es an Gesundheits- und Sicherheitsstudien im Hinblick auf den Stevia-Konsum mangle. Die Zulassung wurde von der Europäischen Kommission für die Vermarktung als Pflanze oder Blätter untersagt (Entscheidung vom 22. Februar 2000). Die Krux bei der Sache bestand jedoch darin, dass Naturprodukte sehr verschieden in ihrer Zusammensetzung sein können. Deshalb ließ sich die gesundheitliche Unbedenklichkeit nicht eindeutig feststellen.
Was nicht eindeutig sicher ist, darf laut EU-Recht nicht auf den Markt. “Doch mittlerweile hat die EFSA 180 Studien im Hinblick auf die gesundheitliche Unbedenklichkeit von Stevia geprüft”, erklärt Dr. Susanne Kettler, verantwortlich für den Bereich EU-Lebensmittelrecht beim Getränkemulti Coca Cola in Brüssel. Doch die Stevia-Zulassungsreise ging weiter.
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Für den Extrakt, die Steviolglykoside, hat die EFSA im Januar vergangenen Jahres (wir berichteten) eine Sicherheitsbewertung abgegeben. Danach gilt eine tägliche Aufnahmemenge (ADI-Wert) von 4 mg Steviolglykosiden pro kg Körpergewicht als unbedenklich.
Ein Problem könnte jedoch die konsumierte Menge sein, erklärt Dr. Christina Rempe vom Bonner aid-Infodienst: “Je leichter ein Mensch, desto weniger kann er aufnehmen. Insbesondere bei Kindern könnten deshalb größere Mengen des süßenden Stoffes leicht überschritten werden. Bei Erfrischungsgetränken ist das gar nicht so schwer”, sagt Rempe.
Vielleicht ist das mit ein Grund, warum aktuell Softgetränke Steviolglykoside nur als Teil einer süßen Mischung enthalten – meist in Kombination mit Zucker oder anderen Süßstoffen. “Deshalb enthält die Zulassung Höchstmengen, die strikt eingehalten werden müssen. Die Europäische Kommission geht in den im November 2011 beschlossenen beiden Zusatzstoffverordnungen sogar noch weiter. Sie kündigte an, dass sie von Herstellern und Verwendern der Steviolglykoside Angaben über die tatsächliche Verwendung des Süßstoffes einfordern und diese den Mitgliedsstaaten zugänglich machen wird”, so Rempe.
Doch noch ist die Geschichte nicht ganz zu Ende: Reines Stevia-Kraut darf nach wie vor nicht als Zutat in Lebensmitteln eingesetzt werden. Auch der Anbau der Pflanze in Europa bleibt vorerst verboten.
Die Lebensmittelindustrie wird sich freuen, denn eine Fülle neuer Produkte wird in den betriebsinternen Forschungslabors auf ihren Marktauftritt warten. Steviabasierte Süßstoffe können zum Beispiel für Tafelsüßen, Saucen, Fertiggerichte, eingelegte Lebensmittel, Brot, Konfitüren, Desserts, Speiseeis, Milchprodukte, Tee, Säfte und Erfrischungsgetränke eingesetzt werden. Besonders die Getränkehersteller freuen sich über den Zuwachs in der Süßstoff-Familie.
Getränkegiganten wie Pepsi oder Coca Cola haben international bereits entsprechende Produkte am Markt. In der Schweiz gibt es seit einiger Zeit Nestea grün mit Stevia, und in Frankreich (wo eine zweijährige Übergangsfrist herrschte) eine Fanta Still, die mehr an Saft als an Limonade erinnert. Beide Produkte wurden durch den Einsatz von Steviolglykosiden um 30 Prozent zuckerreduziert. Der restliche süße Anteil am Getränk besteht aus herkömmlicher Saccharose (Haushaltszucker).
In welcher Form diese oder ähnliche Produkte auf den deutschen Markt kommen, ist derzeit nicht ganz klar. Für Sie als Diabetiker ist es besonders wichtig, die Zutatenliste dieser Produkte genau unter die Lupe zu nehmen. Denn ein mit Stevia gesüßtes Produkt muss nicht unbedingt komplett zucker- und damit kalorienfrei sein.
Was die Produktqualität betrifft, gibt es Unterschiede. Steviosid, das im Steviablatt hauptsächlich enthaltene Steviolglykosid, hat einen eher bitteren, lakritz- oder weihnachtsgewürzartigen Nachgeschmack. Beim hochreinen Steviaextrakt Rebaudiosid A (Rebiana) ist der Nachgeschmack weitaus dezenter. Es geht eine geschmackliche Symbiose mit den genannten Produktgruppen ein.
Aktuell gibt es diesen Süßstoff zum Beispiel unter der Markenbezeichnung Truvia, das Unternehmen Cargill hält das Patent darauf. Truvia ist ein hochreiner Stevia-Süßstoff, gewonnen aus dem am besten schmeckenden Teil des Stevia-Blattes. Und hier schließt sich der Kreis wieder, denn Rebaudiosid A (Rebiana) ist dieser besagte Ausgangs-Stevia-Extrakt. Truvia verwenden mittlerweile eine Reihe von Herstellern zur Süßung ihrer Produkte wie Erfrischungsgetränke, Pfefferminzbonbons, Tees, Riegel etc.
Die Verbraucher können also gespannt sein, welche neuen Produkte mit dem Süßstoff dieses Jahr auf den Markt kommen. Ob der Stevia-Hype dann nachlässt?
von Kirsten Metternich
Kontakt:
Kirchheim-Verlag, Kaiserstraße 41, 55116 Mainz, Tel.: (06131) 9 60 70 0,
Fax: (06131) 9 60 70 90, E-Mail: redaktion@diabetes-journal.de
Erschienen in: Diabetes-Journal, 2012; 61 (1) Seite 66-69
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