Früh- versus Spätzünder

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Früh- versus Spätzünder

Die Bezeichnungen „Jugend-“ und „Altersdiabetes“ für Typ-1- und Typ-2-Diabetes sind angesichts von 5-jährigen Typ-2-Diabetikern und Typ-1-Diabetikern, die ihre Diagnose mit Anfang 40 erhalten, längst überholt. Treffender wäre die Unterscheidung in „Früh-“ und „Spätzünder“. Denn eines bestimmten Tages war für jeden von uns „Tag X“ – der Tag der Diagnose. Manch einer hat diesen als Kleinkind erlebt und vermutlich dessen Tragweite nicht so wahrgenommen wie Neu-Diabetiker im Jugendalter oder „Spätzünder“, die bis dahin schon viele Jahrzehnte ohne den Diabetes gelebt haben.

pressmaster - fotolia.com
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Ich wurde im Alter von 21 Jahren diagnostiziert, mitten in meinem Studium. Bin ich damit nun ein Früh- oder ein Spätzünder? Ein Gefühl für völlig unterschiedliche Empfindungen in diesem Zusammenhang bekam ich zum ersten Mal, als ich mit Mitte 20 am „Camp D“ von Novo Nordisk teilnahm, einem mehrtägigen Event für Jung-Diabetiker aus ganz Deutschland. Ich teilte mir dort ein Zelt mit drei anderen Typ-1-Diabetikern, darunter eine 18-Jährige. Als sie mir erzählte, dass sie seit ihrem 3. Lebensjahr Diabetes hat, war ich ganz betroffen und reagierte mit: „Oje, das ist heftig.“ Auf Betroffenheit folgte Überraschung, denn sie wiederum antwortete, als sie hörte, dass ich „erst“ mit 21 diagnostiziert wurde, ebenfalls: „Oje, das ist heftig.“

Eine Frage der Perspektive

Spannend, oder? Ich für meinen Teil stellte es mir extrem schwierig vor, als Kind den Umgang mit Diabetes zu lernen, sich in Kindergarten und Schule zu behaupten und gerade in der Teenager-Zeit, wenn verwirrende Gefühle, Hormone und erste Erfahrungen mit Alkohol anstehen, seinen Diabetes nie ganz zu vergessen – und war froh, später diagnostiziert worden zu sein. Sie wiederum stellte es sich ganz furchtbar vor, „mitten im Leben“ so plötzlich mit einer Diabetes-Diagnose konfrontiert zu sein. Sie kenne es ihr ganzes bisheriges Leben lang ja gar nicht anders, meinte sie, aber ich dagegen hätte ja alles erst von jetzt auf gleich erlernen und umstellen müssen.

Unsere konträren Reaktionen von damals zeigen: Es gibt keinen „optimalen“ Zeitpunkt. Jeder muss sich zwangsläufig arrangieren, egal, ob er 5, 25, 45 oder 65 Jahre alt ist, wenn er von seiner Diabeteserkrankung erfährt. Und trotzdem gibt es natürlich verschiedene altersabhängige Rahmenbedingungen: Als minderjähriger Neu-Diabetiker tragen die Eltern die Verantwortung für eine gute Blutzucker-Einstellung, die ganze Familie muss sich ausgiebig mit dem neuen Thema befassen. In Kindergarten und Schule kann der Diabetes Fragen aufwerfen (siehe Beitrag in der BSL).

Syda Productions - fotolia.com
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Als Erwachsener dagegen trägt man von Anfang an die Verantwortung selbst, hat häufig bereits berufliche Richtungen eingeschlagen und bestimmte Meilensteine gesetzt. Was ändert sich durch die Diagnose, muss man sich beruflich, in seinen Hobbys oder Routinen verändern? Wie reagieren Kollegen, Freunde und der Lebenspartner?

„Ne, ne, da machen wir nicht mit auf unsere alten Tage!“

Dass Diabetiker, die erst im Rentenalter von ihrem Diabetesdasein erfahren (meist Typ 2), teilweise ebenfalls mit liebgewonnen Routinen und der Motivation zu kämpfen haben, zeigt folgende Anekdote: Ich wurde einmal während eines Krankenhausaufenthaltes zur Blutzucker-Neueinstellung vom Oberarzt gebeten, eine Gruppe „unmotivierter“ Typ-2-Diabetiker im Seniorenalter zu „coachen“, die ebenfalls zu dieser Zeit im Krankenhaus waren. In geheimer Mission, sozusagen. Ich traf die gutgelaunte Gruppe im Aufenthaltsraum: Jeder hatte vor sich ein großes Stück Sahnetorte aus der Krankenhaus-Cafeteria, das definitiv nicht Teil der täglichen BE-Ration war.

Meine Verwunderung darüber und meine Nachfragen zu ihrem Diätplan und ihrem Blutzucker entlarvten mich und mein Gesprächsziel schnell – bis mich eine der älteren Damen zur Seite nahm und sagte: „Kind, du meinst es nur gut mit uns. Aber früher, im Krieg, da hätten wir alles essen dürfen – und hatten nichts. Heute, da haben wir alles – und da sollen wir nicht mehr dürfen? Ne, ne, da machen wir nicht mit auf unsere alten Tage!“

Ob das eine kluge Einstellung sein mag oder nicht, jeder urteilt eben aus seiner persönlichen Situation … Wie alt wart ihr beim Start eurer „Diabetes-Karriere“ – und welche Rolle spielte euer Alter dabei für euch?

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