„Ich möchte schwanger werden! Aber …“

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„Ich möchte schwanger werden! Aber …“

Prof. Dr. Reinhard Zick zeigt in diesem Schwerpunktbeitrag anhand eines Patientenbeispiels, was Frauen mit Typ-1-Diabetes zum Thema Schilddrüse und Schwangerschaft wissen sollten.

Beginnen möchte ich das Titelthema mit einer 28-jährigen Typ-1-Diabetikerin, die mich in meiner Sprechstunde aufsuchte und deren größter Wunsch es war, schwanger zu werden. Sie berichtete mir, dass ihre Mutter und ihre ältere Schwester an der Schilddrüse erkrankt seien und regelmäßig das Schilddrüsenhormon L-Thyroxin einnehmen würden. Sie sorge sich deshalb sehr, auch “schilddrüsenkrank” zu sein und eventuell nicht schwanger werden zu können – oder ein krankes Kind zur Welt zu bringen. Sie bat mich um Rat …

Nun, zunächst wurden im Blut meiner Patientin die Spiegel für TSH (siehe Einleitung) und die Antikörper gegen Schilddrüsengewebe bestimmt und noch eine Untersuchung der Schilddrüse mit Ultraschall durchgeführt. Durchatmen: Zum Glück waren alle Befunde unauffällig. Im Gespräch stellte sich heraus, dass sie selbst Krankenschwester ist und sich zum Thema Schilddrüse, Kinderwunsch und Schwangerschaft im Internet belesen hatte; damit entwickelte sich ein Frage-und-Antwort-Spiel folgenden Inhalts:

1. Kann eine Über- oder Unterfunktion den Eintritt einer Schwangerschaft beeinflussen?

Ja. Bei einer schweren Unter- oder Überfunktion der Schilddrüse kommt es nur ganz selten zu einer Schwangerschaft, da bei den Patientinnen aufgrund der Schilddrüsenerkrankung die Regel ausbleibt. Auch milde Formen der gestörten Schilddrüsenfunktion gehen mit Störungen der Regel einher – die Empfängnis ist eingeschränkt, aber nicht ausgeschlossen.

2. Woran erkenne ich eine milde Form einer Unter- oder Überfunktion der Schilddrüse?

Ist der TSH-Wert im Blut normal, so ist bis auf wenige Ausnahmen, die ich hier übergehe, die Schilddrüsenfunktion normal; Mediziner sprechen von einer Euthyreose. Die Bestimmung der Schilddrüsenhormone fT3 und fT4 erübrigt sich in dem Fall. Ist jedoch der TSH-Wert zu niedrig oder zu hoch, muss noch die Bestimmung der fT3- und fT4-Werte erfolgen.

Sind sowohl der TSH-Wert als auch die fT3- und fT4-Werte verändert, liegt eine schwere Form der Schilddrüsenerkrankung vor. Sind nur die TSH-Spiegel nach oben oder unten verändert, aber die eigentlichen Schilddrüsenhormone im Normalbereich, dann spricht man von einer milden Form einer Über- oder Unterfunktion der Schilddrüse.

3. Sollte jede Typ-1-Diabetikerin vor einer geplanten Schwangerschaft den TSH-Wert bestimmen lassen?

Ja, auf jeden Fall!

4. Warum?

Wir wissen, dass die Schilddrüsenfunktion des Kindes erst ab der 20. Schwangerschaftswoche so weit ausgereift ist, dass es sich von der Mutter unabhängig mit den Schilddrüsenhormonen versorgen kann. Bis zur 20. Woche ist das Kind von den Schilddrüsenhormonen der Mutter abhängig, die über den Mutterkuchen oder die Plazenta das Kind erreichen. Dabei ist der kritische Zustand nicht die milde Über-, sondern die Unterfunktion.

Wird das Kind in der Frühschwangerschaft nicht ausreichend mit mütterlichem Schilddrüsenhormon versorgt, kann es zu einer Störung der Hirnentwicklung des Kindes kommen, die sich in späteren Intelligenzdefekten bemerkbar macht. Deshalb werden auch Frauen mit der milden Form einer Unterfunktion der Schilddrüse bereits vor Eintritt einer Schwangerschaft mit dem Schilddrüsenhormon behandelt, damit es auf keinen Fall zu einer Störung der Hirnentwicklung des zu erwartenden Kindes in der Frühschwangerschaft kommt.

5. Wie sollte sich eine Typ-1-Diabetikerin verhalten, die seit längerem z. B. L-Thyroxin wegen einer Unterfunktion der Schilddrüse einnimmt?

Der Bedarf an Schilddrüsenhormon steigt in der Schwangerschaft um etwa 50 Prozent an. Eine Schilddrüse, die in ihrer Funktion bereits eingeschränkt ist und medikamentöser Unterstützung bedarf, kann dieser zusätzlichen Aufgabe nicht mehr nachkommen. Deshalb können auch Frauen, die bereits L-Thyroxin einnehmen, im Rahmen der Schwangerschaft in eine Unterfunktion der Schilddrüse abgleiten und die Hirnentwicklung ihres ungeborenen Kindes gefährden. Deshalb sollten Typ-1-Diabetikerinnen, die bereits z. B. L-Thyroxin einnehmen, während der Schwangerschaft die Dosis des Hormons um etwa 50 Prozent steigern. Der Erfolg dieser Behandlung muss regelmäßig durch die Bestimmung des TSH-Wertes kontrolliert werden, der durchgehend bei 1 mU/l liegen sollte.

6. Kann eine mütterliche Überfunktion der Schilddrüse das ungeborene Kind gefährden?

Nein und Ja zugleich: Eine milde Form der Überfunktion der mütterlichen Schilddrüse führt nicht zu einer Gefährdung des Kindes und wird aus diesem Grund auch nicht behandelt. Das gilt aber nicht für die schwere Form der Schilddrüsenüberfunktion, da die mütterlichen Schilddrüsenhormone die Plazenta passieren und auch beim Kind diese schwere Stoffwechselstörung auslösen können.

7. Kann die medikamentöse Behandlung der Schilddrüsenüberfunktion der Mutter das ungeborene Kind gefährden?

Auch diese Frage kann man nur mit Ja und Nein zugleich beantworten: Die schwere Form der Schilddrüsenüberfunktion wird mit den Medikamenten Methimazol oder Propylthiouracil behandelt. Beide Medikamente passieren die Plazenta und gelangen damit in das kindliche Blut. Methimazol kann nur in der Frühschwangerschaft das Kind gefährden. In den letzten beiden Dritteln der Schwangerschaft ist es für das ungeborene Kind ungefährlich.

Das Propylthiouracil ist in der Frühschwangerschaft für das Kind ungefährlich, kann aber zu einem späteren Zeitpunkt schwere Leberschäden bei der Mutter auslösen. Deshalb behandelt man die mütterliche schwere Überfunktion der Schilddrüse im ersten Drittel der Schwangerschaft mit Propylthiouracil und danach bis zur Geburt mit Methimazol.

8. Muss man in der Schwangerschaft als Typ-1-Diabetikerin zusätzlich Jodtabletten nehmen?

Die Antwort ist eindeutig Ja! Zwar ist die durchschnittliche Jodaufnahme vor allem auch durch die zunehmende Verwendung von jodiertem Speisesalz in den letzten 15 Jahren gestiegen. Sie liegt jedoch mit 120 μg Jodid pro Tag immer noch unter den Empfehlungen der Fachgesellschaften, wodurch sich die anhaltend hohe Häufigkeit von vergrößerten Schilddrüsen (50 Prozent Mehrbedarf an Schilddrüsenhormon in der Schwangerschaft!) erklären lässt.

Da der Jodbedarf in der Schwangerschaft steigt, sollte jede Frau während der gesamten Schwangerschaft 250 μg Jodid täglich einnehmen, um nicht für sich und das ungeborene Kind in eine Jodmangelsituation zu kommen, die auch bereits beim Ungeborenen zu einer vergrößerten Schilddrüse führt.

9. Sind Patienten mit Typ-1-Diabetes besonders gefährdet, an der Schilddrüse zu erkranken?

Auch hier gilt Ja und Nein: Vergrößerte Schilddrüsen einschließlich der Knoten in der Schilddrüse sind bei Typ-1-Diabetikern nicht gehäuft. Gleiches gilt für die bösartigen Erkrankungen der Schilddrüse.

Aber es gibt zwei Schilddrüsenerkrankungen, die bei Typ-1-Diabetikern gehäuft auftreten: die Hashimoto-Thyreoiditis und die Postpartum-Thyreoiditis. Die Hashimoto-Thyreoiditis

tritt gehäuft bei Typ-1-Diabetikern auf und ist unerkannt die Hauptursache für eine milde mütterliche Unterfunktion der Schilddrüse, die beim Kind zu den oben erwähnten schweren Komplikationen führen kann. Die Postpartum-Thyreoiditis tritt bei 25 Prozent der Typ-1-Diabetiker innerhalb eines Jahres nach Entbindung auf. Die Entzündung ist schmerzlos und verläuft in der Regel unbemerkt.

Bei einzelnen Patientinnen kommt es jedoch durch die Zerstörung der Schilddrüsenzellen zu einer vorübergehenden Überfunktion der Schilddrüse. Typischerweise folgt darauf eine ebenso lang andauernde Phase der Unterfunktion der Schilddrüse, bis sich der Schilddrüsenstoffwechsel wieder normalisiert. Eine spezifische Behandlung ist in der Regel nicht erforderlich.

Mehr als nachvollziehbar

Das waren im Wesentlichen die Fragen, die mir die junge Typ-1-Diabetikerin zum Thema Schilddrüse und Schwangerschaft gestellt hat. Ich gab ihr zum Schluss mit auf den Weg, dass ihre Schwester, bei der auch ein Typ-1-Diabetes bestand und die bereits mit dem Schilddrüsenhormon L-Thyroxin behandelt wurde, sich vor einer eventuellen Schwangerschaft vom Hausarzt untersuchen lassen solle. Die Gründe waren ihr nach dem ausführlichen Gespräch mit mir mehr als nachvollziehbar. Ich hoffe, liebe Leserinnen: Ihnen auch.

Schwerpunkt Diabetes und Schilddrüse

von Prof. Dr. med. Reinhard Zick
Endokrinologikum Osnabrück, Parkstraße 42 (Medipark Haus B), 49080 Osnabrück, E-Mail: osnabrueck@endokrinologikum.com

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2015; 64 (4) Seite 16-18

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