Im Alter nehmen die Probleme zu

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Im Alter nehmen die Probleme zu

Auf Menschen, die mit Typ-1-Diabetes alt geworden sind, kommen oft ganz neue Probleme und Herausforderungen zu. Welche das sein können, schildert der Diabetologe Dr. Albrecht Dapp. Er hat außerdem zwei betroffene Frauen nach ihren Erfahrungen gefragt.

Medizinische und technische Fortschritte haben die Behandlung des Typ-1-Diabetes in den letzten Jahren stark verändert, und Folgeschäden auch nach jahrzehntelanger Krankheit sind seltener geworden. Durch viele neue Hilfsmittel wie Pens, Pumpen, Geräte zur Selbstkontrolle und Bolusrechner ist es inzwischen für Betroffene leichter geworden, ein lebenswertes Alter mit akzeptabler Lebensqualität zu erreichen.

Doch manches überfordert Menschen stark, sobald sie gebrechlich geworden sind, selbst wenn sie sich über lange Jahre souverän damit behandelt haben. Denn die speziellen Probleme des Alterns wie nachlassende geistige Leistungsfähigkeit, Gebrechlichkeit, Gewichtsabnahme und Zunahme der Insulinempfindlichkeit machen dann trotz der Hilfsmittel auch das Leben mit dem Diabetes schwieriger.

Mit allen diesen Fortschritten in der Diabetestherapie sind auch die Anforderungen an Betreuer und Betroffene gewachsen. Die Handhabung mancher Techniken ist schwieriger geworden, und die neuen Methoden der kontinuierlichen Glukosemessung haben auch einen Zuwachs an Daten beschert, der viele überfordert, sofern sie nicht speziell geschult sind.

Diabeteswissen in der Pflege

Leider sind jedoch die Kenntnisse der Altenpflegekräfte in der modernen Diabetesbehandlung oft unzureichend. Da die Mehrzahl der alten Diabetiker Typ-2-Diabetes hat, liegt auch die Tendenz nahe, alle „über einen Kamm zu scheren“. Es gibt zwar spezielle Schulungsprogramme, doch sind diese leider kaum bekannt. Der enorme Kostendruck, unter dem die Pflege steht, erlaubt nur beschränkt Fortbildung.

Viele Pflegeeinrichtungen werden kaum oder nicht diabetologisch betreut. Alternde Menschen mit Typ-1-Diabetes und differenzierten Therapien (Pumpe, CGM-System) haben daher berechtigte Angst, wie es damit wohl weitergehen kann, wenn sie gebrechlich und hilfsbedürftig geworden sind.

Inzwischen gibt es neue Wohn- und Betreuungsformen für alternde Menschen. Dazu gehören auch Wohngemeinschaften, in denen sich Bewohner gegenseitig helfen können. Doch sind derartige spezielle Angebote für Menschen mit Diabetes leider noch rar.


Dorle Wostatek, geb. 1930, Diabetes inzwischen klassifiziert als Typ 3c

Dorle Wostatek ist verwitwet, lebt allein und wird versorgt durch Sozialstation, Nachbarschaftshilfe, Freundin und Familie. Sie misst mehrmals täglich ihren Blutzucker, Therapieform: ICT nach Anpassungsplan, seit Umstellung auf ICT und Enzymsubstitution ist ihr Stoffwechsel stabiler. Sie hat eine schwere Polyneuropathie, eine schwere, zunehmende Sehbehinderung, zunehmende Vergesslichkeit und starke Blutzuckerschwankungen. Wie sieht sie selbst ihre Situation?

Dr. Albrecht Dapp: Was siehst Du als Deine größten Probleme an?
Wostatek:
Meine schlechten Augen und meine Vergesslichkeit. Bis vor Kurzem die plötzlichen Durchfälle, sodass ich mich nicht mehr aus dem Haus traute.

Dr. Dapp: Was hat Dir in den letzten Monaten am meisten geholfen?
Wostatek:
Ohne die Unterstützung durch meine Tochter und Enkelin, meine Freundin und die Sozialstation käme ich zu Hause nicht mehr zurecht. Zum Glück helfen mir die Medikamente gegen den Durchfall. Seit der Umstellung der Insulinbehandlung hat sich mein Zucker deutlich gebessert.

Dr. Dapp: Wie kann man aus Deiner Sicht die Situation der betagten und pflegebedürftigen Diabetiker verbessern?
Wostatek:
Durch bessere diabetologische Betreuung und gut funktionierende Fremdhilfen, die mehrmals täglich zur Verfügung stehen und ein soziales Netz bilden.


Erika Späth, geb. 1938, Typ-1-Diabetes seit 1953

Die Diagnose bekam Erika Späth während ihrer kaufmännischen Lehre. Eine Insulintherapie begann man im Krankenhaus Hof mit einmal täglicher Gabe von „Alt-Insulin“, das Ergebnis: „unruhige Zuckerwerte“. Später kam sie in die Universitätsklinik Erlangen. Der Diabetes galt damals als eine Erkrankung, die man nicht lange überlebt. Die Krankenkasse wollte sie sogar einmal für drei Monate „aussteuern“, d. h. die Leistungen verweigern. Das konnte glücklicherweise verhindert werden.

Erika Späth heiratete 1958. Sie und ihr Mann waren sich einig, auf Kinder verzichten zu müssen, denn eine „diabetische Schwangerschaft“ war damals lebensbedrohlich. Berufstätig war sie bis zum 55. Lebensjahr, jahrzehntelang als Vertrauensperson bei einem Juwelier.

Bei ihrer ersten Operation 1988 wurde der Diabetes so stark vernachlässigt, dass sie fast starb. Danach erhielt sie ihr erstes Blutzuckermessgerät, gegen den anfänglichen Widerstand ihrer Krankenkasse. Erst Mitte der 1990er-Jahre wurde sie in der Diabetesklinik Bad Mergentheim auf eine ICT umgestellt und strukturiert geschult. Danach ließ sich der Stoffwechsel besser kontrollieren, blieb aber instabil. Seit 2018 benutzt sie die kontinuierliche Glukosemessung. Sie wird verständnisvoll und kompetent von einem Diabetologen in Bayreuth begleitet.

Ihr Leben mit Diabetes beschreibt sie als sehr schwierig, ständige Wachsamkeit fordernd, „alles nebenbei“. „Mit Disziplin ist man als Diabetiker bedingt gesund. Heute haben wir die Quittung dafür: Niemand glaubt uns, dass wir im Alter spezielle Hilfe brauchen. Wir sind die erste Generation Typ-1-Diabetiker, die es bis ins hohe Alter geschafft hat. Wenn wir nicht mehr können, sieht es düster aus …!“

Erika Späth kämpft seit 67 Jahren gegen die Widrigkeiten ihres Typ-1-Diabetes, der schon Schäden an den Augen hinterlassen hat. Sie ist dankbar für die tatkräftige Unterstützung durch ihren Mann, der leider 2006 plötzlich verstarb. Erika Späth lebt nun nach über 50 Jahren in der Großstadt wieder in ihrer Heimat, einer Kleinstadt in Franken, und zwar im „betreuten Wohnen“. Von dort gehen regelmäßig energische Briefe an Entscheidungsträger, denn sie weiß, dass die Situation alt und hilfsbedürftig gewordener Menschen mit Diabetes vielerorts miserabel ist – anders, als die angeschriebenen Politiker es darstellen.

So heißt es in einem Schreiben des Petitionsausschusses des Landtags von NRW vom 25.08. lapidar: „Es besteht kein Anlass, der Landesregierung (von NRW) Maßnahmen zu empfehlen.“ Und Dagmar Wiedemann, Abgeordnete in Hamburg, schreibt am 20.08.: „Der Senat hat dem Eingabeausschuss mitgeteilt, welche Maßnahmen in Hamburg bereits ergriffen werden, um eine gute Versorgung von Pflegebedürftigen mit Diabetes Typ 1 zu gewährleisten. Ein weiteres Tätigwerden erscheint nicht erforderlich.“

Erika Späth kommentiert dies bitter als „selbstgefällige Überheblichkeit“ und stellt fest: „Schade, dass die Patienten die Leidtragenden sind.“

Die Wieland-Stiftung
Die Diabetiker Baden-Württemberg haben mit den Mitteln aus einer Erbschaft treuhänderisch den Grundstock zu einer Stiftung „Diabetes im Alter“ gelegt und diese nach dem Erblasser „Wieland-Stiftung“ genannt. Damit wollen sie sich dieser zunehmend bedeutsamen Probleme verstärkt annehmen.

Damit Nachhaltiges bewirkt werden kann, müssen nun Mittel für Aktivitäten eingeworben werden, denn das Stiftungskapital reicht bei Weitem nicht aus. Durch den engen finanziellen Rahmen muss die Stiftung klein beginnen, in der Hoffnung, weitere Möglichkeiten und Spielräume zu gewinnen. Weiterführende Infos: www.sozialspende.de


Autor:

von Dr. Albrecht Dapp
Klinikum Landkreis Tuttlingen
Ärztlicher Direktor, Chefarzt

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2020; 69 (12) Seite 8-9

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