Ist Betrug menschlich?

2 Minuten

© © Les Cunliffe - Fotolia
Ist Betrug menschlich?

Wenn man Teststreifen, die von der Solidargemeinschaft bezahlt wurden, online verkauft, ist dies nicht nur unfair, sondern betrügerisch, legt Dr. Katrin Kraatz in der Rubrik Blickwinkel dar.

Das ist unmenschlich! Diesen Satz hört man oft – und gemeint ist damit normalerweise, dass jemand etwas tut, das einem anderen Menschen schadet. Im schlimmsten Fall geschieht jemand anderem tatsächlich Grausames, manchmal sind es auch nur vermeintliche Kleinigkeiten. Aber ist das unmenschlich?

Allmählich wage ich das zu bezweifeln. Allzu oft erlebe ich, wie sich Menschen zum Schaden anderer verhalten, ständig höre ich es auch in den Nachrichten. Allmählich glaube ich, dass ein solch egoistisches Verhalten eher als menschlich zu bezeichnen ist, als wenn ein Mensch anderen hilft – obwohl Letzteres für das Zusammenleben doch das bessere und sinnvollere Verhalten ist.

Problematisch: Teststreifen- und Sensoren-Verkauf auf ebay

Und damit bin ich bei einer Beobachtung, die den Diabetes betrifft. “Wieso?”, werden Sie fragen, “Hier bringt doch keiner einen anderen um.” Stimmt, so schlimm ist es nicht – aber hochgradig egoistisch, und einer Vielzahl Menschen schadend ist das beobachtete Verhalten schon: Es geht um den Verkauf von Blutzuckerteststreifen und FreeStyle-Libre-Sensoren über den Online-Händler ebay.

In der vorliegenden Ausgabe des Diabetes-Journals beschreibt Professor Dr. Heiko Burchert aus Bielefeld anhand einer Studie, wie viele Blutzuckerteststreifen nachweisbar über ebay verkauft werden, und gibt Erläuterungen zu den wahrscheinlichen Verkäufern.

Hier fängt mein Problem mit dem “Menschlichsein” an. Denn wenn ein Diabetiker von seinem Arzt Blutzuckerteststreifen verschrieben bekommt, die seine Krankenversicherung ihm bezahlt, ist es Betrug, solche Teststreifen über ebay weiterzuverkaufen.

Auf Kosten der Solidargemeinschaft

Wer bis zum nächsten Arztbesuch nicht alle verschriebenen Teststreifen verbraucht hat, lässt sich beim nächsten Arztbesuch eben weniger verschreiben – und lässt nicht die Solidargemeinschaft, also die Versicherten bei der Krankenkasse und damit die Mitpatienten, für Dinge aufkommen, die man durch den Verkauf unrechtmäßigerweise zu Geld macht.

Und wer wegen eines Wechsels der Messgerätemarke oder durch den Tod eines Angehörigen Teststreifen übrig hat und diese vernünftigerweise nicht wegwerfen möchte, sollte wenigstens so fair sein, sie zu verschenken – denn bezahlt wurden sie ja nicht vom Verkäufer, sondern eben von anderen versicherten Gesunden und Kranken.

Extrem unfair: Wucherpreise für Mess-Sensoren

Noch weniger fair wird es aber aus meinem Blickwinkel beim neuen Messsystem FreeStyle Libre, mit dem kontinuierlich der Gewebszucker gemessen werden kann. Durch Lieferengpässe kann der Hersteller Abbott derzeit nicht jeden beliefern, der das System gern einsetzen würde. Prompt blüht der Schwarzmarkt auf ebay. Abbott verkauft einen Sensor zum Preis von 59,90 €, hinzu kommen Versandkosten.

Als ich die aktuellen Angebote in ebay ansah, lag das höchste Angebot bei 230,00 €, also bei knapp dem Vierfachen des Preises. Wer, bitte schön, ist so unfair, die Sensoren anderen vor der Nase wegzuschnappen und dann zu Wucherpreisen wieder anzubieten? Das scheint mir bedauerlicherweise das zu sein, was man heutzutage unter menschlich verstehen muss: sich egoistisch und anderen schadend zu verhalten.

Mein Vertrauen in das Gute im Menschen bröckelt immer mehr. Traurig!


von Dr. med. Katrin Kraatz
Kirchheim-Verlag, Kaiserstraße 41, 55116 Mainz, Tel.: (0 61 31) 9 60 70 0,
Fax: (0 61 31) 9 60 70 90, E-Mail: redaktion@diabetes-online.de

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2015; 64 (4) Seite 42

Ähnliche Beiträge

Lea Raak im Interview: Durch Community zurück ins Leben

Lea Raak lebt seit dem Jahr 2011 mit einem Typ-1-Diabetes. Viele Fragen taten sich nach der Diagnose auf – und eine gewisse Verzweiflung. Die Community hat ihr zurück ins Leben geholfen: „Ich tue mein Bestes und alles andere kommt, wie es kommt.“

11 Minuten

#dedoc° voices meet DDG: die Patienten-Perspektive beim Diabetes Kongress

Im zweiten Teil der Berichte der #dedoc° voices vom diesjährigen Diabetes Kongress kommen weitere Menschen mit Diabetes zu Wort, die im Mai die Fachtagung in Berlin besucht haben, um ihre Perspektive einzubringen.

9 Minuten

Keine Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Über uns

Geschichten, Gemeinschaft, Gesundheit: Der Diabetes-Anker ist das neue Angebot für alle Menschen mit Diabetes – live, gedruckt und digital. Der Diabetes-Anker und die Community sind immer da, wo du sie brauchst. Für alle Höhen und Tiefen.

Diabetes-Anker-Newsletter

Alle wichtigen Infos und Events für Menschen mit Diabetes – kostenlos und direkt in deinem Postfach. Mit unserem Newsletter verpasst du nichts mehr.

Werde Teil unserer Community

Community-Frage

Mit wem redest du über deinen Diabetes?

Die Antworten auf die Community-Frage werden anonymisiert gesammelt und sind nicht mit dir oder deinem Profil verbunden. Bitte achte darauf, dass deine Antwort auch keine Personenbezogenen Daten enthält.

Werde Teil unserer Community

Folge uns auf unseren Social-Media-Kanälen

Push-Benachrichtigungen

notification icon
Aktiviere Benachrichtigungen auf dieser Seite, um auf dem laufenden zu bleiben, wenn dir Personen schreiben und auf deine Aktivitäten antworten.
notification icon
Du hast die Benachrichtigungen für diese Seite aktiviert
notification icon
Aktiviere Benachrichtigungen auf dieser Seite, um auf dem laufenden zu bleiben, wenn dir Personen schreiben und auf deine Aktivitäten antworten.
notification icon
Du hast die Benachrichtigungen für diese Seite aktiviert