Leben mit Diabetes Typ 1 in den USA #Teil1

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Leben mit Diabetes Typ 1 in den USA #Teil1

In den letzten Monaten, Wochen und vor allem Tagen war Amerika aus der öffentlichen Berichterstattung nicht mehr wegzudenken. Die aktuelle US-Präsidentenwahl beherrschte die Menschen und die Wahl von Donald Trump spaltet nicht nur die amerikanische Nation, auch hier in Deutschland wird viel darüber diskutiert.

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Eines der vielen „Wahlversprechen“ von Donald Trump war, die von seinem Vorgänger eingeführte Gesundheitsreform „Obamacare“ wieder abzuschaffen. O.k., er hat jetzt schon wieder das Ganze relativiert. Aber Fakt ist: Ohne diese Gesundheitsreform wären viele US-Bürger nicht krankenversichert und ohne ein Fangnetz im Falle einer Krankheit. Ich frage mich, was ist, wenn mein Kind in den USA von einem Tag auf den anderen die Diagnose Diabetes Typ 1 bekommt? Kann ich mir die Krankheit dann überhaupt „leisten“? Welche Kosten würden auf mich zukommen?

Fragen über Fragen. Ich freue mich, das mir Anja so viel Einblick in ihr Leben mit Diabetes Typ 1 in den USA gegeben hat. Anja lebt mit ihrer Familie in Vermillion, South Dekota. Ihr Sohn Jayden bekam im März 2016 die Diagnose Diabetes Typ 1 im Alter von 7 Jahren.

Die Diagnose Diabetes Typ 1 kann für eine Familie in den USA zum finanziellen Kraftakt werden. Anja erzählt mir, wie sie die Diagnose erlebt haben und welche Kosten nun auf sie zukommen.

Die Diagnose von Jayden

Anja erzählt, dass die Diagnose ihres Sohnes Jayden sehr überraschend für die ganze Familie kam:

„Es gab keine familiäre Vorbelastung. Jayden zeigte die typischen Symptome für Diabetes Typ 1. Am auffälligsten waren sein großer Durst und auch die Müdigkeit. Er hat so viel getrunken, dass er sogar nachts mehrmals aufgestanden ist. Natürlich kam dann auch das extrem häufige Urinieren dazu. Ungewöhnlich war auch, dass Jayden seit ein paar Wochen jede Nacht schlafgewandelt ist. Uns war klar: Irgendetwas stimmte mit ihm nicht, und ein bisschen kannte ich mich auch mit den Symptomen von Diabetes aus. Ich hatte also eine Vorahnung und bin mit ihm zu unserem Hausarzt gegangen. Dort wurde es dann recht schnell festgestellt, und es war für uns ein Riesen-Schock.bsl-bericht-usa-teil1-bild2

Vom Hausarzt aus sind wir dann direkt ins Kinderkrankenhaus in Sioux Fall gefahren. Dort wurden wir sehr nett aufgenommen und es wurden noch ein paar mehr Tests gemacht. Das erste Mal Insulin zu spritzen, war sehr dramatisch und hat unserem Sohn Riesen-Angst gemacht. Am nächsten Tag wurde uns sehr viel erklärt und auch viel von den Krankenschwestern gezeigt. Mehrmals am Tag kam speziell geschultes Personal, das mit uns sehr viel geredet hat. Am Ende des Tages hatten wir einen Haufen Info-Material, und es war alles sehr verwirrend. Ich durfte während dieser Zeit bei meinem Sohn im Krankenhaus bleiben. Mein Mann kümmerte sich in der Zwischenzeit um unsere einjährigen Zwillinge. Am nächsten Tag bekamen wir dann noch Besuch von einer Sozialarbeiterin, die uns Tipps im Umgang mit Versicherungen und anderen Problemen geben konnte. Auch eine Ernährungsberaterin war eine halbe Stunde bei uns, mit ganz viel Info-Material. Jayden hat sein Messgerät und seinen Insulinpen bekommen und wir ein langes Rezept für alles andere, was wir ab jetzt so brauchten. Nach genau drei Tagen ging es dann wieder nach Hause. Die Schulungen wurden alle im Schnellverfahren durchgezogen, und wir hatten ziemlich Angst, nach Hause zu gehen.“

Die Diagnose hat unser Leben sehr verändert

Anja berichtet weiter, dass die ersten Wochen sehr schwierig für sie und ihre Familie waren:

„Es sind bei uns viele Tränen gelaufen. Gerade in der ersten Zeit war es sehr schwierig für mich, Jayden einfach draußen spielen zu lassen, und er ist erst einmal nicht zu seinen Freunden gegangen. Zu Kindergeburtstagen bin ich immer mitgegangen, um zu helfen. Es engt das Familienleben ganz schön ein. Doch wir haben hier in unserem Umkreis zwei Familien gefunden, die ebenfalls Kinder mit Typ-1-Diabetes haben. Beide Jungs haben die Krankheit schon seit vielen Jahren, so dass wir von diesen Familien sehr viel lernen konnten. Sie haben immer ein offenes Ohr für uns. Aber nicht nur familiär, auch finanziell macht die Krankheit sich als Belastung bemerkbar. Aber wir wollen uns nicht beschweren, wir sind durch die Armee gut abgesichert. Anderen Familien geht es in Hinblick auf die entstehenden Kosten sehr viel schlechter als uns.“

Diabetes Typ 1, eine teure Erkrankung in den USA

Wir in Deutschland sind im Großen und Ganzen sehr gut abgesichert. Wir müssen für die Diabetesbehandlung und für die Versorgung mit Insulin, Teststäbchen etc. keine Zusatzkosten leisten. Die Grundversorgung ist immer gesichert. Doch in den USA sieht das schon ganz anders aus. Anja erzählt, dass das Gesundheitssystem in den USA sehr unübersichtlich ist. Vor allem die Leistungen der Krankenkassen sind sehr unterschiedlich, und das kann einen großen Unterschied in der Behandlung machen. Durch die Armee-Zugehörigkeit ihres Mannes ist ihre Familie recht gut abgesichert.

„Aber“, so Anja weiter, „wir müssen zu jedem Rezept einen gewissen Eigenanteil bezahlen. Die Preise für Medikamente, vor allem für Insulin, sind recht hoch und man vermutet, dass sie in den nächsten Jahren noch weiter steigen werden. Das ist für viele Familien eine sehr schwierige Situation. So sind die Kosten für Insulin seit 2002 auf das Dreifache gestiegen. Hat 2002 das Insulin noch ca. 230 US-Dollar gekostet, so kostete es 2015 bereits 735 US-Dollar. Dieser Anstieg wird in letzter Zeit auch sehr häufig diskutiert. Da die meisten Krankenversicherungen einen recht hohen Eigenanteil zum Medikament verlangen, zahlen viele Familien mehrere hundert Dollar im Monat.

Wir haben Glück“, berichtet Anja, „unsere Insuline Novolog und Levemir werden von der Versicherung übernommen. Auch die Pennadeln, die Teststreifen und die Ketosticks. Jayden spritzt mit dem Pen, da die Krankenkasse im Moment noch keine Insulinpumpe genehmigt hat. Ein zweites Messgerät mussten wir selber kaufen. Die ersten Rezepte direkt nach der Diagnose haben uns ca. 500 Dollar gekostet. Das war sehr viel Geld für uns. Damit hatten wir dann die Grundausstattung.“

Anja hat uns hier einmal ihren Eigenanteil aufgelistet:

  • Insulin Novolog: pro Rezept 22 Dollar
  • Insulin Levemir: pro Rezept 50 Dollar
  • Pennadeln: pro Rezept 22 Dollar (für ca. 3 Monate)
  • Teststreifen: pro Rezept 22 Dollar (900 Teststreifen für ca. 3 Monate)
  • Glucagon: pro Rezept 50 Dollar (nur einmal im Jahr)
  • Lanzetten: pro Rezept 22 Dollar (für ca. 3 Monate)

Sonstiges Zubehör wie Taschen, Glucose-Tabletten etc. werden nicht übernommen.

Anja beschreibt, dass sie mit diesen Kosten einen sehr niedrigen Eigenanteil haben. Bei einer „normalen“ Krankenkasse wäre es um einiges mehr. Anja bekommt die Medikamente von einer „Mail-Apotheke“ geliefert, was es auch noch etwas günstiger macht. „Unsere Bekannten“, so Anja weiter, „zahlen im Jahr ca. 10.000 Dollar an Eigenanteil und für weiteres Zubehör für ihren Sohn mit Diabetes Typ 1. Von anderen Familien hört man Ähnliches oder die Kosten sind noch höher. Teilweise müssen die Familien auch noch für jeden Arzttermin eine Zuzahlung leisten.“

Zusatzkosten von 10.000 Dollar im Jahr oder mehr: von Familien manchmal kaum zu stemmen

Anja berichtet ja von den unheimlich hohen Kosten, die Familien teilweise durch die Erkrankung der Kinder begleichen müssen. Ich habe einmal gelesen, dass es Familien gibt, die diese Kosten nicht alleine tragen können und deshalb auf Spendengelder angewiesen sind. Ich habe Anja gefragt, ob sie einen solchen Fall auch schon mal mitbekommen hat.

Anja hat bereits von ein paar Fällen gehört, wo die Familien aus privaten Gründen beispielsweise die Krankenversicherung wechseln mussten. In so einem Fall kann es passieren, dass die neue Versicherung erst viele Wochen später verfügbar ist und dass die Medikamente (also auch das Insulin) in dieser Zeit nicht bezahlt werden. In solchen Situationen fühlen sich manche Familien dazu gezwungen, nach Spendengeldern zu fragen. Es gibt auch ein Programm von der Regierung, das in extremen Fällen die Kosten für eine Weile übernimmt, aber auch das muss erst beantragt werden und kann einige Wochen dauern. Es ist zwar nicht die Regel, dass die kompletten Kosten alleine getragen werden müssen, aber es kommt leider immer wieder mal vor.

Obamacare: eine Hilfe für viele Familien – Sorge nach Wahlsieg von Donald Trump

Anja erzählt weiter: „Mit den neuen Gesetzen durch die Obama-Regierung haben mehr Bürger eine Krankenversicherung als früher. Doch es gibt immer noch eine sehr große Anzahl an Menschen, die leider nicht versichert ist. Mit einer chronischen Erkrankung wie Typ-1-Diabetes ist es aber fast unmöglich, die lebensnotwendigen Medikamente wie Insulin selbst zu bezahlen. So versuchen viele Menschen, so schnell wie möglich eine Versicherung abzuschließen. Vor ein paar Jahren wurde gesetzlich geregelt, dass Krankenversicherungen einen nicht mehr wegen einer Diagnose oder Krankheit fallen lassen können. Vorher war es möglich, dass man nach der Diagnose Diabetes Typ 1 seines Kindes plötzlich ohne Versicherung dastand. Und mit einer chronischen sogenannten ‚pre-existing condition‛ haben Versicherungsgesellschaften die Versicherung sogar komplett abgelehnt.

Dieses Gesetz war für viele Menschen in den USA lange überfällig, aber der Wahlsieg von Donald Trump macht uns schon große Sorgen. Er will diese wichtigen Gesetze des ‚Affordable Care Acts‛ wieder abschaffen. Wir sind zwar im Moment gut versichert, aber was wird, wenn unser Sohn erwachsen ist und seine eigene Krankenkasse braucht? Wie teuer wird es dann für ihn, und findet er überhaupt eine gute Krankenkasse, die ihn aufnimmt? Diese Gedanken gehen Familien mit einem Kind mit Diabetes Typ 1 im Kopf herum. Einige Familien versuchen, für ihre Kinder so eine Art Sparkonto für medizinische Notfälle einzurichten. Damit soll ihnen der Start in die eigene Zukunft erleichtert werden. Aber auch dieses Geld muss man als ‚normale‛ Familie erst einmal entbehren können.“

Mein Fazit

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Wenn ich das alles von Anja so höre, bin ich ehrlich gesagt doch über unser deutsches Gesundheitssystem recht froh. Wir Eltern mussten nach der Diagnose mit dem großen Schock umgehen lernen. Wir mussten aber erst einmal keine finanziellen Mittel aufbringen, um die Grundversorgung unserer Kinder an lebensnotwendigen Medikamenten zu sichern. Wir werden hier, auch wenn wir um vieles wie Insulinpumpen und CGM-Systeme kämpfen müssen, doch gut versorgt. Ich weiß nicht, ob wir Zusatzkosten in Höhe von 10.000 Euro und mehr aufbringen könnten.

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