Kinder mit Typ-1-Diabetes auf der Klassenfahrt betreuen

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Kinder mit Typ-1-Diabetes auf der Klassenfahrt betreuen

Was ist das Projekt KlaFa – Klassenfahrt-Begleitung für Kinder und Jugendliche mit Typ-1-Diabetes? Für wen ist das Angebot? Wie funktioniert so etwas? Im Diabetes-Journal wurde auf den Seiten der Selbsthilfe-Verbände wiederholt über einzelne Fahrten berichtet. Im vorliegenden Artikel geht es primär darum, das Projekt als solches vorzustellen und meine Motivation für dieses Engagement zu erläutern.

Mein Name ist Kathleen Brockelmann und ich leite das Projekt KlaFa seit dem Jahr 2020. Ich habe zwei Söhne mit Typ-1-Diabetes, die mittlerweile fast 21 und 18 Jahre alt sind. Unser ältester Sohn Erik bekam seinen Diabetes mit nur einem Jahr, sein Bruder Nils im Alter von 12 Jahren. Mit Nils nahmen wir seit Geburt an Studien teil, in denen das Risiko für das Auftreten eines Typ-1-Diabetes untersucht wurde und wird. Über die Zeit war dadurch klar, dass es so kommt, wie es jetzt ist. Beide meistern ihr Diabetes-Management seit einiger Zeit sehr bzw. komplett selbstständig, sodass ich Kapazitäten hatte, mich anderweitig in diesem Bereich zu engagieren.

Kasim ist sichtlich zufrieden mit Helferherz Kathleen Brockelmann. | Foto: Kathleen Brockelmann     Musikalische Stunde bei der Klassenfahrt: Yasmin lauscht versonnen dem Gitarrenspiel von Isis. | Foto: Isis Balke

Ich bin gelernte Bankfachwirtin, habe 25 Jahre in einer Bank gearbeitet. Im Januar 2023 wechselte ich jedoch über das Projekt, die pädagogische Arbeit und die intensive Begleitung von Kindern und Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes noch einmal meinen Hauptberuf. Seitdem bin ich Angestellte beim Arbeiter-Samariter-Bund (ASB).

Meine Aufgabe ist die (medizinische) Schulbegleitung für Kinder und Jugendliche mit Typ-1-Diabetes. Zudem mache ich eine interne Fortbildung zur Inklusions-Fachkraft und schule Schul-Begleiter („mache sie fit“) für die qualifizierte Betreuung von Kindern mit Typ-1-Diabetes im Schul-Alltag. Das Projekt ergänzt meinen Hauptberuf im Rahmen eines Minijobs mit sehr viel Engagement im Ehrenamt, da das Projekt sehr großen Zulauf hat. Dadurch fordert die Aufgabe sehr viel Zeit, ist aber meine Herzens-Angelegenheit geworden!

KlaFa – was ist das?

Es steht eine Kita-, Hort- oder Klassenfahrt an und ein Kind mit Typ-1-Diabetes darf wegen seiner Erkrankung nicht mitfahren? Für Kinder und Jugendliche mit Typ-1-Diabetes ist es oft nur möglich, an der Fahrt teilzunehmen, wenn eine Betreuungsperson dabei ist, die sich beim Thema Typ-1-Diabetes auskennt. Genau hier setzt KlaFa an: Kinder und Jugendliche mit Typ-1-Diabetes werden von einer Diabetes-kundigen Betreuungsperson – wir nennen sie unsere „Helferherzen“ – im Rahmen einer 1-zu-1-Betreuung 24 Stunden vor Ort begleitet.

Für wen ist KlaFa etwas? Braucht jedes Kind und jeder Jugendliche mit Typ-1-Diabetes eine Begleitung auf Klassenfahrten?

Unser Helferherz ist quasi immer da, mittendrin und voll dabei. Die Kinder sollen trotzdem oder gerade deswegen in ihrer Selbstständigkeit gefördert werden. Sie sind ein Teil der Klassen-Gemeinschaft, wie jedes andere Kind. Das ist Inklusion! Sie bekommen Hilfe und Unterstützung, wo sie diese benötigen, und haben bei Bedarf immer jemanden, den sie ansprechen können.

Das Helferherz ist ständig präsent, aber im Hintergrund. Kurze Erinnerungen an das Checken des Glukosewerts, das Besprechen von Wert und passender Insulindosis, das Berechnen der Kohlenhydrat-Mengen im Essen, das nächtliche Checken der Werte, bei Bedarf das Geben von Traubenzucker oder Insulin – all das gehört dazu. Natürlich unterstützt das Helferherz auch beim Wechseln des Sensors oder Katheters und bei manchem mehr – so, wie Hilfe und Unterstützung benötigt wird, um den Alltag während der Klassenfahrt zu meistern.

Sebastian und Helferherz Yannik sind nur im Spiel Gegner – sonst sind sie ein Herz und eine Seele auf der Fahrt. | Foto: Yannik Deserno     Auch in Schnee und Eis kann es für die Helferherzen gehen – wie hier für Yannik (links) und Timo. | Foto: Yannik Deserno

Die Kinder und Jugendlichen finden das super: Sie können sich jederzeit Rat holen und genießen gleichzeitig eine unbeschwerte Fahrt mit ihren Freunden. Das Ziel hierbei ist Teilhabe, Fördern der Selbstständigkeit und Aufklärung. Jede Fahrt wird genutzt, um Mitschüler und Lehrkräfte aufzuklären, ihre Fragen zu beantworten und sie zu bestärken, bei der nächsten Fahrt das Kind mit Diabetes auch ohne Begleitung bedenkenlos mitzunehmen.

Helferherz werden – so geht es

Helferherzen sind ehrenamtliche Helferinnen und Helfer, die die 1 : 1-Betreuung während der Fahrt übernehmen. Unsere Helferherzen sind mindestens 18 Jahre alt, das Alter ist nach oben hin offen. Vom Studium bis zum Rentenalter, alle Altersgruppen sind dabei. Mittlerweile unterstützen das Projekt etwa 80 Personen. Sie sind über ganz Deutschland verteilt, kontinuierlich kommen neue Helferherzen hinzu.

Und das ist auch gut so! Denn der Bedarf steigt. Im Jahr 2023 hatten wir etwa 250 Anfragen über unterschiedliche Kanäle (Telefon, E-Mail, Website) – Anfragen von Eltern, Kliniken/Ärzten, Schulen, Sonderpädagogen, Städten und Gemeinden sowie Bezirks- und Landratsämtern, sogar von Krankenkassen als Unterstützung der Eltern. 123 Kinder und Jugendliche wurden 2023 begleitet. Die Differenz zwischen Zahl der Anfragen und tatsächlicher Begleitung lässt sich auf unterschiedliche Ursachen zurückführen: Es wurde z. B. kein Betreuer gefunden, das Kind bzw. der Jugendliche wechselte die Schule oder wiederholte die Klasse, konnte oder durfte doch allein mitfahren oder Kapazitätsgrenzen wurden erreicht.

Helferherzen werden immer gebraucht!

Für 2024 habe ich bereits etwa 170 Anfragen in Bearbeitung und bis Ende Juni wurden etwa 80 Kinder und Jugendliche begleitet. Die Kinder und Jugendlichen haben oft nicht nur einen Typ-1-Diabetes, sondern weitere Erkrankungen oder Einschränkungen, wie Zöliakie (Gluten-Unverträglichkeit), Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitäts-Störung (ADS, ADHS), Epilepsie, Rechen-Störungen (Dyskalkulie), Trisomie 21 (Down-Syndrom). Aber auch das ist kein Hindernis – hier werden individuelle Lösungen gefunden.

Medizinisch erfahrene Helferherzen

Unsere eingesetzten Helferherzen kommen oft aus medizinischen Berufen. Dabei sind Rettungssanitäterinnen und -sanitäter, Rettungsassistentinnen und -assistenten, Kinderkrankenpflegerinnen und -pfleger, Diabetesberaterinnen und -berater, Diätassistentinnen und -assistenten. Aber auch Helferherzen aus nicht medizinischen Bereichen werden eingesetzt. Das sind oft Menschen, die selbst mit Typ-1-Diabetes leben oder die ein Kind mit Diabetes haben, das aber inzwischen großgeworden ist, viele auch mit pädagogischer Ausbildung.

Wichtig ist, dass die Eltern den Unterstützungs-Bedarf des Kindes oder Jugendlichen sowie Besonderheiten direkt mit dem Helferherz absprechen. Familie und Helferherz lernen sich vor der Fahrt in einem Telefonat oder einer Videokonferenz kennen.

Per Anhalter unterwegs? Nein, Leon und Helferherz Janina freuen sich auf die gemeinsame Fahrt. | Foto: Janina Raabe     Auf geht es in die Unter­kunft auf Borkum | Foto: Kathleen Brockelmann
Mit Helfer­herzen gemeinsam auf Wattwanderung. | Foto: Kathleen Brockelmann

Um Helferherz zu werden und das Projekt aktiv unterstützen zu können, erfolgt zuerst ein Kennenlernen per Telefongespräch und/oder Videokonferenz. Es müssen verschiedene Nachweise vor Beginn der ehrenamtlichen Tätigkeit als Helferherz eingereicht werden: ein erweitertes qualifiziertes Führungszeugnis, ein Nachweis über Kenntnisse in Erster Hilfe, ein Nachweis über Kenntnisse im Bereich des Typ-1-Diabetes usw.

Durch Online-Schulungen zur Technologie, die zur Behandlung des Diabetes eingesetzt wird (Insulinpumpen, Systeme zum kontinuierlichen Glukose-Monitoring) und eine Wochenend-Schulung alle zwei Jahre mit den Schwerpunkten Diabetes, Erste Hilfe, Kindeswohl-Gefährdung und persönlicher Austausch wird gewährleistet, dass ein Helferherz immer auf dem aktuellen Stand ist und fit für die Unterstützung im Diabetes-Management.

Wird ein Kind von einem Helferherz begleitet, werden alle hierfür anfallenden Kosten übernommen. Außerdem erhält das Helferherz eine Aufwands-Entschädigung im Rahmen der Ehrenamts-Pauschale.

Wer übernimmt die Kosten?

Für eine Klassenfahrt-Begleitung fallen eine Tagespauschale für eine 1 : 1-Betreuung 24 Stunden vor Ort sowie ggf. Kosten für An- und Abreise an. Mit der Schule muss geklärt werden, ob für die zusätzliche Begleitperson Kosten anfallen oder hierfür ein kostenfreier Platz über das Freiplatz-Kontingent gestellt werden kann oder ggf. eine Kosten-Übernahme über den Schul- oder Förderverein erfolgen kann.

Grundsätzlich sollen die Kosten über die Eingliederungshilfe nach §§ 112 und 113 SGB IX getragen werden. Diese kann einen anteiligen Erstattungs-Anspruch an die jeweilige Krankenkasse für medizinische Leistungen stellen.

Wenn ein Kind mit Typ-1-Diabetes eine Klassenfahrt-Begleitung bzw. ein Helferherz benötigt:

Je nachdem, welche Kosten aus den genannten Kosten-Positionen anfallen, reicht unter Umständen auch ein Antrag bei der Krankenkasse. Sollte eine Pflegestufe bestehen, kann man auch überlegen, Kosten über die Pflegekasse abzurechnen. Da dieses ganze Thema sehr komplex und jeder Antrag individuell ist, ist es sinnvoll, bei einem Antrag das notwendige Verfahren direkt mit mir zu besprechen – ich unterstütze dann gern.

Das Ziel des Projekts KlaFa

Wir, insbesondere ich, möchten durch das Projekt erreichen, dass Kinder und Jugendliche mit Typ-1-Diabetes nicht ausgegrenzt werden. Außerdem sollen Lehr- und Erziehungskräfte sowie die Eltern entlastet werden. Das Projekt kann zusätzlich zur Aufklärung über Diabetes beitragen und viele Kinder und Jugendliche in ihrer Selbstständigkeit fördern, ihnen die notwendige Sicherheit geben und sie stärken.

Weitere Informationen zum Projekt KlaFa:

Das Projekt lebt von Spenden

Damit das Projekt langfristig bestehen kann, werden immer neue Helferinnen und Helfer benötigt. Dazu gehören auch Personen, die die administrativen Aufgaben und die damit verbundenen Bürotätigkeiten mit viel Herzblut und Ehrenamts-Arbeit begleiten. Und: Nötig sind finanzielle Mittel, vor allem Spenden (siehe Kasten oben), da das Projekt sich komplett eigenfinanzieren muss.

Schwerpunkt

Autorin:

© privat
Kathleen Brockelmann
Leitung des Projekts “KlaFa”
Tel.: 01 51/72 01 22 39


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