Mein Kind bekommt vielleicht Diabetes. Will ich das wirklich wissen?

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Mein Kind bekommt vielleicht Diabetes. Will ich das wirklich wissen?

Wenn es um Vererbung und Erkrankungsrisiko geht, kommt man um ein bisschen Statistik nicht herum. Und man muss ordentlich zwischen Typ-1- und Typ-2-Diabetes unterscheiden. Vergleichen wir also einmal: Für Menschen, bei denen ein Elternteil Typ-2-Diabetes hat, stehen die Chancen etwa bei 40 Prozent, dass auch sie die Veranlagung für einen Typ-2-Diabetes im genetischen Gepäck haben. Sind beide Elternteile betroffen, liegt das Risiko sogar bei etwa 80 Prozent. Mit einem gesunden Lebensstil (ihr wisst schon: nicht rauchen, viel bewegen, Übergewicht vermeiden, gesund essen) gelingt es vielen aber, ihr genetisches Erbe auszutricksen.

Bei der Entstehung des Typ-1-Diabetes ist das alles grundlegend anders. Hier spielen die Gene keine besonders große Rolle. Experten gehen davon aus, dass Kinder, deren Mutter Typ-1-Diabetikerin ist, ein etwa drei- bis vierprozentiges Risiko haben, ebenfalls zu erkranken (in der Normalbevölkerung liegt das Risiko für einen Typ-1-Diabetes etwa bei 0,5 Prozent). Hat der Vater Typ-1-Diabetes, liegt das Risiko bei sieben bis acht Prozent, manche Quellen sprechen sogar von bis zu zehn Prozent. Und für den Ausbruch eines Typ-1-Diabetes scheint es unerheblich zu sein, ob man nun einen gesunden Lebensstil pflegt oder nicht. So viel zu den abstrakten und trockenen Zahlen.

Nie über 130 mg/dl (7,2 mmol/l) trotz Snickers – so soll es bitte bleiben!

Als ich vor fünf Jahren im Alter von 40 Jahren meine Diagnose Typ-1-Diabetes erhielt, hatte ich mich mit derlei Statistik noch nicht beschäftigt. Entsprechend war eine meiner ersten Fragen an den Diabetologen, nachdem ich mein Schicksal so langsam zu begreifen begann: „Was bedeutet das für meinen Sohn? Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass auch er erkrankt?“ Mein Sohn war damals knapp 16 Jahre alt und kerngesund.

Als ich erfuhr, dass sein statistisches Risiko mit drei bis vier Prozent zwar deutlich höher ist als in der Normalbevölkerung, aber trotzdem insgesamt doch relativ gering, war ich erst einmal beruhigt. Drei bis vier Prozent Risiko heißt ja auch, dass er mit 96- bis 97-prozentiger Wahrscheinlichkeit nicht erkranken wird. Auch er selbst war erleichtert und verspürte nur sehr gelegentlich das Bedürfnis, einmal seinen Blutzucker zu testen. Der lag auch unmittelbar nach einem großen Snickers nie über 130 mg/dl (7,2 mmol/l). Das soll natürlich bitte, bitte immer so bleiben.

Es gibt inzwischen verschiedene Tests und Screenings

Dass man mit einem relativ einfachen Test Gewissheit darüber erhalten kann, ob das eigene Kind zu den drei bis vier oder zu den 96 bis 97 Prozent gehört, wusste ich zu Beginn noch nicht. Inzwischen läuft zum einen in Bayern ein großangelegtes Screening-Programm, mit dem die Eltern von Kleinkindern – unabhängig davon, ob es bereits Typ-1-Diabetes in ihrer Familie gibt oder nicht – das individuelle Erkrankungsrisiko ihrer Kinder bestimmen lassen können.

An der TEDDY-Studie können sogar Familien aus ganz Deutschland kostenlos teilnehmen, sofern sie bereit sind, ihr Kind in den ersten drei Lebensmonaten untersuchen zu lassen und auch im Verlauf der nächsten Jahre am Ball zu bleiben. Mit der TEDDY-Studie wollen die Forscher Erkenntnisse darüber gewinnen, wie sich Umweltfaktoren auf das individuelle Diabetesrisiko auswirken – und nebenbei Früherkennung betreiben.

Hängt ein Testergebnis nicht wie ein Damoklesschwert über einer Familie?

Lange Zeit war ich skeptisch, ob es wirklich einen Vorteil hat, schon vor dem eigentlichen Ausbruch der Erkrankung darüber Bescheid zu wissen. Macht man sich nicht selbst verrückt, wenn man mit der Gewissheit leben muss, dass sein Kind irgendwann Diabetiker sein wird – und man weiß nur eben nicht, wann? Kann man sich noch am Alltag mit seinem Kind freuen oder hängt diese Gewissheit wie ein Damoklesschwert über einem und vermiest einem jeden Tag? Doch seit dem diesjährigen Kongress der Deutschen Diabetes Gesellschaft 2015 sehe ich das etwas anders. Da besuchte ich nämlich eine Sitzung mit dem Titel „Typ-1-Diabetes: Prä-Diabetesscreening und Prävention“, in der von den Erfahrungen mit verschiedenen Screening-Programmen berichtet wurde.

Für die Betroffenen gibt es nur JA oder NEIN

Darin berichtete Prof. Karin Lange von der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) über genau diesen schwierigen Umgang mit Risiken und Wahrscheinlichkeiten: „Statistiken werden oft nicht verstanden, denn für die Betroffenen gibt es ja nur JA oder NEIN beim Diabetes.“ Deshalb sei es bei einem positiven Testergebnis wichtig, die betroffenen Familien schon in der Prädiabetes-Phase intensiv zu betreuen.

Wie so etwas abläuft, schilderte Lange am Beispiel eines kleinen Jungen, der im Rahmen der TEDDY-Studie getestet wurde. Er war das erste Kind seiner Eltern. Im Alter von einem Jahr wurden bei ihm Inselautoantikörper nachgewiesen. Sprich: Es war klar, dass er früher oder später an Typ-1-Diabetes erkranken würde. Der kleine Junge besuchte deshalb regelmäßig das Diabeteszentrum, wo er in bestimmten Abständen durchgecheckt wurde.

Start der Insulintherapie ganz ohne Trauma und Intensivstation

Als er dann knapp fünf Jahre alt war, lag sein HbA1c-Wert bei 6,1 Prozent und er hatte beim oralen Glukosetoleranztest (OGTT) zwei Stunden nach der Glukosegabe erstmals einen Blutzuckerwert von 179 mg/dl (9,9 mmol/l). Dieser Tag bildete den Startschuss für seine Insulintherapie. Er hatte noch keine der typischen Diabetessymptome gezeigt. Stattdessen hatten er und seine Eltern sich über die Jahre an die Besuche im Diabeteszentrum gewöhnt und empfanden sie als normal.

Die Eltern waren zu diesem Zeitpunkt gut vorbereitet, denn man hatte sie in den Jahren bis zum Start der Insulintherapie gründlich geschult. Ihr Kind war – anders als die meisten Kinder bei ihrer Diabetesdiagnose – nicht mit einer lebensgefährlichen diabetischen Ketoazidose auf der Intensivstation gelandet. Die Familie war nicht traumatisiert. Die Schilderung dieses Fallbeispiels überzeugte mich, dass es Vorteile hat, Bescheid zu wissen und frühzeitig vorbereitet zu sein.

Bis zum 30. Geburtstag kann man sein Risiko noch kostenlos testen lassen

Zurück vom Kongress, erzählte ich gleich meinem Sohn von meinem Sinneswandel. Auch für seine Altersgruppe (er ist mittlerweile 20 Jahre alt) gibt es noch Möglichkeiten, das individuelle Risikoprofil zu bestimmen. So bietet das Münchener Institut für Diabetesforschung Kindern, Geschwistern oder Eltern von Typ-1-Diabetikern vom 1. bis zum 30. Lebensjahr an, kostenlos ihr individuelles Diabetesrisiko bestimmen zu lassen. Man muss nur beim Hausarzt Blut abnehmen lassen und die Probe einschicken.

Mein Sohn fand das alles sehr interessant und versprach, darüber nachzudenken. Allerdings hat er sich bis heute nicht testen lassen. Wäre er noch ein kleiner Zwerg, für den ich ganz allein verantwortlich bin, würde ich ihn testen lassen. Doch in seinem Alter muss er natürlich selbst entscheiden. Und ich finde es völlig in Ordnung, dass es ihm nicht so wichtig ist, sein persönliches Risiko ganz genau zu kennen. Schließlich hat er mir einmal gesagt: „Mama, es wäre zwar blöd, wenn ich auch Typ-1-Diabetes bekäme. Doch ich sehe ja bei dir, wie das alles funktioniert und dass man damit gut leben kann.“

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