Merkmale von Wunden, die nicht heilen

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Merkmale von Wunden, die nicht heilen

Bei chronischen Wunden – also Wunden, die nicht abheilen – ist eine genaue Beschreibung wichtig, um richtig behandeln zu können. Wichtig ist außerdem, dass bei der Behandlung die beteiligten Berufsgruppen gut zusammenarbeiten.

Der Fall


Die Mutter von Petra M., Johanna P., ist 76 Jahre alt und hat seit 20 Jahren Diabetes Typ 2. Sie lebt allein in einer Wohnung und versorgt sich weitgehend selbst. Der Zuckerwert wird gelegentlich bei allgemeinen Kontrollen überprüft – sie nimmt Tabletten wegen des Diabetes, außerdem Mittel gegen Bluthochdruck und wegen Rückenschmerzen eine Art Rheumamittel.

Johanna P. hat Krampfadern und sollte eigentlich Kompressionsstrümpfe tragen, sie kann die Strümpfe jedoch vor allem wegen der Rückenschmerzen oft nicht an- und noch schlechter wieder ausziehen. Seit Wochen hat sie am rechten Unterschenkel ein handtellergroßes Geschwür, das nicht zuheilen will. Da es im Bereich um die Wunde juckt, kratzt sie diese oft unbewusst wieder auf. Die normalen Strümpfe sind oft feucht. Ihrer Tochter erzählt sie davon nichts.

Als sie plötzlich Fieber Schüttelfrost bekommt, wird sie abends notfallmäßig ins Krankenhaus gebracht. Der aufnehmende Arzt spricht von einem „infizierten Unterschenkelgeschwür“ bei Krampfadern; auch von einer Blutvergiftung ist die Rede.

Nach einer entsprechenden Behandlung, unter anderem mit Antibiotika, kann sie glücklicherweise nach einer Woche wieder entlassen werden. Die Wunde ist noch nicht ganz verheilt – die ambulante Versorgung ist weiterhin erforderlich, ebenso das konsequente Tragen der Kompressionsstrümpfe. Für das An- und Ausziehen bekommt Johanna P. evtl. Hilfe durch einen Pflegedienst; nach Verordnung durch den Hausarzt ist das eine Kassenleistung.

Von einer chronischen Wunde spricht man, wenn eine Wunde innerhalb von etwa 8 Wochen nicht abheilt. In Deutschland leiden etwa 3 bis 4 Millionen Menschen an einer chronischen Wunde. Besonders Menschen in höherem Alter sind davon betroffen, meist im Zusammenhang mit:

  • Dekubitus (Druckgeschwür am Rücken/Fuß),
  • Diabetischem Fußsyndrom (DFS),
  • gefäßbedingten Unterschenkelgeschwüren bei Krampfaderleiden („offenes Bein“).

Bei der Behandlung chronischer Wunden sollten wegen ihres unterschiedlichen Entstehens und des Vorhandenseins von Begleit-/Folgeerkrankungen Ärzte unterschiedlicher Fachrichtungen beteiligt sein, z. B. Hausärzte, Diabetologen, Angiologen, Chirurgen. Einbezogen sind auch Pflegekräfte, Podologen, aber auch Angehörige.

Je mehr engagierte und interessierte Ärzte sowie Pflegekräfte, Podologen und Wundmanager an der Behandlung beteiligt sind, desto größer sind die Chancen des Betroffenen. Die beteiligten Berufsgruppen arbeiten heute in einer Art offenem Netzwerk zusammen, auch die Kostenträger sind einbezogen. Klappt die Zusammenarbeit, ist das gut für die Patienten und auch finanziell günstiger für unsere Gesellschaft.

Bei Bedarf sollten weitere Fachleute einbezogen werden, z. B.:

  • Physiotherapeuten,
  • Ernährungsberaterinnen,
  • Mitarbeiter orthopädischer Fachgeschäfte mit Fachkenntnissen,
  • Apotheker,
  • Orthopädieschuhmachermeister,
  • Mitarbeiterinnen von „Home Care“-Dienstleistern/Sanitätshausern.

Die von den Mitgliedern des Expertenrats „Strukturentwicklung Wundmanagement“ vorgeschlagenen Empfehlungen zur besseren Versorgung von Menschen mit chronischen Wunden werden zum Teil schon bei der Behandlung des Diabetischen Fußsyndroms praktiziert (Fußnetze, Arbeitsgemeinschaft Diabetischer Fuß der Deutschen Diabetes Gesellschaft, Podologen etc.). Der Weg scheint also der richtige – das praktische Vorgehen muss nur Tag für Tag neu gelebt werden.

„Chronisch“ von Anfang an

Liegt ein Diabetisches Fußsyndrom vor, gilt eine Wunde nach der Definition der Initiative Chronische Wunden (ICW) von Anfang an als chronisch, weil von Beginn an auch Begleiterkrankungen oder die eigentlichen Ursachen (unbefriedigend eingestellter Diabetes, Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörungen, Durchblutungsstörungen etc.) sachgerecht behandelt werden müssen. Um eine chronische Wunde fachgerecht behandeln zu können, muss sie korrekt beschrieben werden – diese Wundheilungsphasen sollte man kennen:

1. Reinigungsphase (1. – 4. Tag)

  • Blutgerinnung
  • Entzündung mit Austritt von Flüssigkeit und Zellen (Exsudation)
  • totes Gewebe wird von speziellen Zellen „abgeräumt“

2. Granulationsphase (2. – 14. Tag)

  • neue Gefäße wachsen ins Wundgebiet
  • Gewebsneubildung mit „gutem“ Granulationsgewebe (hellrot, gut durchblutet, feucht, fest, wenig Exsudat) und „schlechtem“ Granulationsgewebe (blass-rötlich, viel Exsudat, eher weich)

3. Epithelisierungsphase (3. – 21. Tag)

  • Wunde zieht sich zusammen
  • Zellvermehrung und Zellwanderung

Noch bevor man eine Wunde betrachtet, sticht einem manchmal ein besonderer Geruch in die Nase. Dieser Geruch ist – je nach Erreger in der Wunde – prägend und oft unvergesslich: jauchig, süßlich, nach Fäkalien, eitrig, faulig.

Weitere Beurteilungs-Kriterien

Weitere Kriterien sind neben Ort, Wundart und -dauer und Anzahl von erneutem Auftreten auch: Wundgröße, Wundumgebung, Wundrand, Wundgrund, Wundschmerz, Wundinfektion, Exsudat.Vor allem der Wundrand und die Umgebung, aber auch der Wundgrund müssen beschrieben werden. Zeichen einer Infektion sind insbesondere: Rötung, Schwellung, Schmerzen, lokale Funktionseinschränkung, Überwärmung.

Wichtig ist auch die Beobachtung, ob die Wunde feucht ist und Exsudat abgesondert wird oder nicht – Farbe, Fließfähigkeit und Konsistenz geben wichtige Informationen für die Therapie.

So kann das Exsudat sein:

  • serös: klar, hell bis gelblich, flüssig,
  • blutig: hell- oder dunkelrot,
  • blutig/serös: hell, rot/rosa, wässrig,
  • eitrig/serös: getrübt, undurchsichtig,
  • eitrig: getrübt, grünlich-gelblich, schlechter (fauliger) Geruch,
  • zähflüssig/dünnflüssig.

Weiterhin ist wichtig: Hat der Betroffene Schmerzen? Kann die Wunde ohne Schmerzen gereinigt oder totes Gewebe entfernt werden (Débridement)? Hat der Patient keine Schmerzen, spricht dies für eine Polyneuropathie, also eine Schädigung der Nerven, die das Schmerzempfinden beeinträchtigt. Hat er – manchmal sogar starke – Schmerzen, sodass man ohne örtliche Betäubung gar nicht weitermachen kann, spricht dies eher gegen einen Nervenschaden.

Warum sind all diese Angaben zur Wunde so wichtig?

Das Risiko bei Menschen mit Diabetes für eine hohe Amputation (oberhalb des Fußknöchels) aufgrund einer vermeintlich harmlosen Wunde ist im Vergleich zu einem Nicht-Diabetiker um etwa das 20-Fache erhöht. Von den etwa 250 000 Diabetikern mit Verletzungen oder Wunden an den Füßen (Fußläsionen) in Deutschland erleiden jedes Jahr etwa 12 000 eine hohe Amputation.

Die Anzahl an hohen Amputationen ist in den letzten Jahren (2005 – 2014) zwar um etwa 30 Prozent zurückgegangen, die Anzahl der Amputationen an den unteren Extremitäten hat aber zugenommen – um etwa 25 Prozent. Die Entwicklung von Fußzentren hat regional die Situation verbessert, ebenso die rege Arbeit der AG Diabetischer Fuß, die an nationalen sowie internationalen Projekten mitarbeitet (International Working Group on the Diabetic Foot, IWGDF) und Leitlinien entwickelt.

Bei Menschen mit Diabetes ist in 50 bis 70 Prozent der Fälle der Grund für das Entstehen bzw. das Nichtbemerken einer Wunde am Fuß eine diabetische Polyneuropathie. Durch diese Nervenschädigung haben die Betroffenen oft wenige bis keine Schmerzen, bemerken deshalb Druckstellen oder bereits bestehende Wunden nicht und verpassen deshalb einen raschen Therapiebeginn.

Zeichen der Neuropathie Zeichen der Durchblutungsstörung
trockener Fuß, Haut rissig Schweißdrüsensekretion intakt, feuchte Haut
warm beim Betasten kühl, bis eiskalt
gut durchblutet, rötliche Farbe schlecht oder gar nicht mehr durchblutet, Farbe in der Regel blass bis bläulich
schmerzlos schmerzhaft
Fußpulse tastbar Fußpulse (oft auch Pulse weiter oben) nicht tastbar
Gewebeschwund (Atrophie) an den kleinen Fußmuskeln Wunden/Verletzungen an den Zehenspitzen

Entsteht in einer Wunde eine Infektion, fehlen wegen der diabetischen Polyneuropathie oft die üblichen Schutzfunktionen. Kommt darüber hinaus noch eine Durchblutungsstörung der Beine dazu (periphere arterielle Verschlusskrankheit, pAVK), wird es gefährlich. Wenn jetzt nicht rechtzeitig sowohl die Wunde als auch die Durchblutungsstörung (z. B. mittels Öffnung mit einem Katheter) behandelt wird, steigt das Risiko einer Amputation deutlich an.

Bagatell-Verletzungen sind häufig die Ursache, z. B. durch:
  • falsches oder zu enges Schuhwerk,
  • falsche Druckbelastung,
  • Entzündungen, die nicht innerhalb weniger Tage oder Wochen abheilen,
  • evtl. zusätzliche Pilzinfektionen im Bereich der Zehenzwischenräume und der Nägel.

Mit der Beschreibung des Diabetischen Fußsyndroms mit der Klassifikation nach Wagner/Armstrong (s. Tabelle links) können diese Risiken gut beurteilt werden – insbesondere, wenn noch eine Infektion hinzukommt.

Zusammenfassung


Eine chronische Wunde beim Diabetischen Fußsyndrom bedarf einer guten und engen Zusammenarbeit von verschiedenen Fachdisziplinen; zudem sollten die Betroffenen selbst und Angehörige einbezogen werden. Eine rechtzeitige Diagnose ist entscheidend für eine fachgerechte Therapie – dazu müssen die Füße von Menschen mit Diabetes regelmäßig angesehen werden.

Kommen Risikofaktoren wie Rauchen, Übergewicht, unbefriedigende Blutzuckereinstellung und mangelnde Bewegung hinzu, ist die regelmäßige Inspektion der Füße noch wichtiger (hier sollten z. B. auch die Schuhe angeschaut werden) und für den Erhalt des betroffenen Beins entscheidend.


Autor:

Dr. Gerhard-W. Schmeisl
Internist, Angiologe, Diabetologe und Sozialmediziner
ehem. Lehrbeauftragter der Universität Würzburg und Chefarzt Deegenbergklinik
PrivAS Privatambulanz (Schulung)

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2021; 70 (5) Seite 32-35

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