Mit Diabetes im Krankenhaus

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Mit Diabetes im Krankenhaus

Mit Diabetes für einen stationären Aufenthalt ins Krankenhaus zu gehen, erfordert einiges an Vorbereitung. Das betrifft vor allem die Therapie mit Medikamenten, seien es Tabletten oder Insulin. Aber es gibt noch Weiteres zu bedenken und zu planen.

Der Fall
Claudia T., 52 Jahre, seit 10 Jahren Typ-2-Diabetes, muss wegen einer Operation der Gallenblase in die Klinik. Sie quält sich schon seit Monaten mit immer wiederkehrenden Bauchschmerzen herum, eine Untersuchung hatte mehrere Steine und einen leichten Aufstau des Gallengangs ergeben. Ihr Hausarzt hatte ihr wegen der immer wiederkehrenden Koliken zu einer Operation geraten. In Absprache mit dem Diabetologen und dem Anästhesisten der Klinik wurden ihre Diabetes-Medikamente (Tabletten) am Vorabend der geplanten Operation abgesetzt, ihr Basalinsulin wurde in etwas geringerer Dosis als üblich gespritzt.Nach der Entfernung der Gallenblase und dem Aufwachen aus der Narkose konnte Claudia T. vor der nächsten Mahlzeit wieder ihre üblichen Medikamente einnehmen. Regelmäßige Blut- und auch Gewebezucker-Messungen ergaben relativ gute Werte während und auch nach der ganzen Prozedur.

Von den in deutschen Krankenhäusern behandelten Patienten hat nach Angaben der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) etwa jeder Fünfte einen Diabetes mellitus. Aus diesem Grund empfiehlt die DDG den insgesamt fast 2000 Krankenhäusern, jeweils einen diabetologisch versierten Arzt zu beschäftigen. Laut Deutschem Gesundheitsbericht Diabetes erfüllt diese Voraussetzung nur knapp ein Sechstel der stationären Einrichtungen. Eine größere Zahl von Diabetesberaterinnen und -beratern könnte sicher helfen, einige Lücken zu überbrücken. Dass dies für Betroffene mit Diabetes manchmal sogar existenziell wichtig ist, konnte man während der Corona-Pandemie in den letzten Jahren sehen.

Eine Alternative für eine qualifizierte stationäre Behandlung von Menschen mit Diabetes stellt die in Deutschland vorhandene Möglichkeit der Behandlung in einer Rehabilitations-Klinik dar, wenn es sich nicht um eine Erkrankung handelt, die in einem Akutkrankenhaus behandelt werden muss. 18 Diabetes-zertifizierte Kliniken stehen aktuell speziell zur Behandlung des Diabetes zur Verfügung, fünf Kliniken sind für Kinder und Jugendliche geeignet.

In Corona-Pandemie gute Betreuung im Krankenhaus notwendig

Laut DDG war und ist eine Grundvoraussetzung für Menschen mit Diabetes und COVID-19, die in einer Klinik behandelt werden mussten oder müssen, normnahe Blutzuckerwerte zu haben und gut überwacht zu sein, um Anzeichen für eine mögliche Stoffwechsel-Entgleisung im Sinne einer Ketoazidose oder Laktazidose (Übersäuerung des Körpers durch Insulinmangel) zu erkennen. Auch der Blutdruck muss gut überwacht werden.

Von DDG-Experten wurde vorgeschlagen, dass bei schwerem Krankheitsverlauf oder bei notwendiger intensivmedizinischer Betreuung eine Behandlung mit Blutzucker-senkenden Tabletten auf eine Insulintherapie umgestellt werden sollte, um den Blutzucker besser steuern zu können. Menschen mit Diabetes müssen bei COVID-19 etwa viermal häufiger ins Krankenhaus als Menschen ohne Diabetes, jährlich werden aus verschiedensten Gründen insgesamt mehr als 2 Millionen Menschen mit Diabetes in einem Krankenhaus in Deutschland stationär behandelt. Deshalb sollen hier die Voraussetzungen für eine optimale Versorgung während eines stationären Krankenhausaufenthalts besprochen werden.

Erfahrungen aus Krankenhäusern

Menschen mit Diabetes werden, informierte die DDG im Jahr 2016, “im Krankenhaus oft schlecht versorgt”. Zum Beispiel kann es vorkommen, dass das Basalinsulin, das ein Mensch mit Typ-1-Diabetes am Vorabend einer Operation spritzen muss, abgesetzt wird. Wer eine Insulinpumpe für die Therapie einsetzt, muss möglicherweise seine Insulinpumpe abgeben, ohne dass dafür eine entsprechende alternative Insulintherapie in der Klinik durchgeführt wird. Das zeigt, dass der Aufenthalt in einer qualifizierten Einrichtung wichtig ist und immer wichtiger wird, weil die Zahl der Menschen mit Typ-2- und mit Typ-1-Diabetes in Deutschland stetig zunimmt und der positive Verlauf einer Erkrankung oft von zufriedenstellenden Blutzuckerwerten abhängt. Studien der letzten Jahre belegen immer deutlicher, wie wichtig die Blutzuckerwerte für die Prognose von stationär Behandelten mit Herzinfarkt, Schlaganfall oder auch von Infekten wie dem Diabetischen Fußsyndrom oder einer Lungenentzündung ist.

In spezialisierten Diabetes-Einrichtungen werden besonders folgende Probleme behandelt:

  • Erstmanifestation des Typ-1-Diabetes, insbesondere bei Kindern und Jugendlichen,
  • Abklären wiederholter schwerer Unter- oder Überzuckerungen (Hypoglykämien oder Ketoazidosen),
  • stark schwankende Blutzuckerwerte bei intensivierter Insulintherapie (ICT) oder Insulinpumpen-Therapie,
  • unerklärliche Schwankungen der Blutzuckerwerte,
  • spezielle schwere Entgleisungen des Stoffwechsels, z. B. häufige nächtliche Hypoglykämien nach normnahen Werten am Vorabend und unerklärlich hohen Blutzuckerwerten am nächsten Morgen,
  • Hypoglykämie-Wahrnehmungs-Störungen,
  • Einleitung einer Insulinpumpen-Therapie,
  • Einleitung einer ICT mit Schulungs- und Behandlungsprogrammen,
  • Mitbehandlung von Folge- und Begleiterkrankungen des Diabetes,
  • Einschränkungen der Mobilität z. B. durch erhebliche Gehbehinderung, Seh- oder Hörbehinderung,
  • wenn keine Schulung in der Muttersprache verfügbar ist,
  • erforderliche psychologische Mitbehandlung (z. B. bei begleitender Depression, Motivationsstörung, Akzeptanzstörung).

Spezialisierte Einrichtungen für (Diabetes-)Fußbehandlungen sind die richtigen Adressen bei

  • Verdacht auf einen infizierten diabetischen Fuß,
  • Verdacht auf eine durch den Diabetes verursachte Gelenk-Erkrankung (z. B. Charcot-Fuß, bei dem Gelenke im Fuß zerstört sind).

“Gute” Blutzuckerwerte sind wichtig – auch im Krankenhaus

Durch den Stress, den ein Aufenthalt im Krankenhaus oder eine Operation darstellt, steigen im Blut die Konzentrationen zahlreicher Hormone, wie Glukagon, Adrenalin, Kortisol und Zytokine. Sie alle führen zu einer vermehrten Zucker-Neubildung (Glukoneogenese) in der Leber – insbesondere bei schwerkranken, intensivpflichtigen Menschen mit Diabetes steigt dadurch das Risiko für Komplikationen und auch das Risiko, vorzeitig zu sterben. Bei Patienten, die bis zu diesem Zeitpunkt keine erhöhten Blutzuckerwerte hatten, findet man ebenfalls in solchen Situationen häufig erhöhte Blutzuckerwerte. Sie bedürfen einer besonderen Therapie und Überwachung, da auch bei ihnen durch den Stress und die Überzuckerung das Risiko für Komplikationen im Rahmen von Operationen steigt. Nicht selten wird auch anlässlich einer Operation ein Diabetes neu entdeckt.

Auf Intensivstationen moderate Blutzuckerwerte anzustreben

Viele Jahre wurden Blutzuckerwerte über 200 mg/dl (11,1 mmol/l) als “milde Hyperglykämie” bezeichnet und für Patienten auf Intensivstationen zum Erhalt der Funktion der Organe als vorteilhaft angesehen. Nach vielen Studien mit zum Teil gegensätzlichen Ergebnissen und auch Studien, die ein aggressives Senken der Blutzuckerwerte befürworteten – mit mehr Todesfällen –, gelten heute Blutzuckerwerte zwischen 140 und 180 mg/dl (7,8 und 10,0 mmol/l) als Zielbereich auf Intensivstationen. Durch das rechtzeitige Einleiten einer passenden Insulintherapie kann die anfänglich bei hohen Blutzuckerwerten vorhandene Insulinresistenz (“Stress-Diabetes”) rasch behoben werden.

Regelmäßige Blutzucker-Kontrollen

Die Blutzuckerwerte sollten bei stationärem Aufenthalt im Krankenhaus sowohl bei Menschen mit Typ-1- als auch bei Menschen mit Typ-2-Diabetes bei stabiler Stoffwechsellage viermal täglich – vor den Mahlzeiten sowie vor dem Zubettgehen – kontrolliert werden. Das Messen nach den Mahlzeiten ist meist entbehrlich. Natürlich müssen Menschen mit instabiler Stoffwechsellage, z. B. bei Typ-1- oder Typ-3c-Diabetes (Diabetes nach Zerstörung oder Entfernung der Bauchspeicheldrüse, pankreopriver Diabetes) ihre Blutzuckerwerte häufiger testen.

Merke: Nur durch regelmäßige Blutzuckerkontrollen kann entdeckt werden, wenn die Blutzuckerwerte zu stark fallen und eine schwere Hypoglykämie droht – der es rechtzeitig vorzubeugen gilt!

Umgang mit “Diabetes-Tabletten”

Menschen mit Typ-2-Diabetes sollten den Wirkstoff Metformin 48 Stunden vor einer geplanten Operation oder Kontrastmittelgabe absetzen, Medikamente mit einem Wirkstoff aus der Klasse der Glinide oder der Glitazone (Wirkstoffe enden auf -glinid bzw. -glitazon) sollte man zum letzten Mal am Vorabend nehmen. Sulfonylharnstoffe können bis zu 50 Stunden oder sogar bis zu 72 Stunden wirksam sein, weshalb sie rechtzeitig abgesetzt werden müssen, um Unterzuckerungen zu verhindern; ein Umstellen auf Insulin ist häufig erforderlich bzw. sinnvoll. Dagegen können die “Diabetes-Tabletten” bei kurzem stationärem Aufenthalt

  • ohne Operation,
  • ohne Änderung der Nahrungsaufnahme sowie
  • ohne Gabe von Kontrastmitteln im Rahmen einer ärztlichen Diagnostik

weiterhin eingenommen werden – es sei denn, es tritt eine Entgleisung des Stoffwechsels auf.

Therapie mit Insulin im Krankenhaus (nach DDG 2021)

1. Bei Menschen mit Typ-1-Diabetes ist die konsequente, aber evtl. angepasste Insulintherapie lückenlos fortzusetzen, sowohl mit Basal- als auch mit kurzwirksamem Insulin, weil es lebensnotwendig ist.

  • Es sollten die bekannten Insulin-Schemata verwendet werden, die, soweit möglich, sowohl eine basale als auch eine Mahlzeiten-bezogene Versorgung mit Insulin erlauben. Eine ICT (intensivierte konventionelle Insulintherapie) ist, wenn möglich, immer vorzuziehen, sowohl bei Typ-1-Diabetes als auch, wenn notwendig, bei Typ-2-Diabetes. Nur selten ist im Krankenhaus bei Typ-2-Diabetes eine SIT (supplementäre Insulintherapie) ausreichend, bei der nur kurzwirksames Insulin zu den Mahlzeiten gespritzt wird.
  • Am Vorabend einer Operation soll nicht das Basalinsulin weggelassen werden – sonst sind massiv erhöhte Blutzuckerwerte am folgenden Morgen zum Zeitpunkt der Operation zu erwarten.

2. Auch bei Menschen mit Typ-2-Diabetes muss in der Regel wegen ansteigender Blutzuckerwerte im Rahmen der Stress-Situation und wegen des häufigen Absetzens aller Blutzucker-senkenden Tabletten auch eine Insulintherapie eingeleitet werden. Während Operationen, insbesondere bei größeren Operationen, wird das Insulin kontinuierlich über einen Perfusor (Infusions-Pumpe) zugeführt.

3. Bei Menschen mit einer Insulinpumpen-Therapie sollte die weitere Therapie unbedingt vorher mit dem Personal im Krankenhaus abgesprochen werden – ein Umstellen auf eine ICT, und damit Ablegen der Insulinpumpe, ist nicht unbedingt notwendig. Nicht nur auf Intensivstationen sollte fachlich kompetentes Personal vorhanden sein, um eine Therapie mit einer Insulinpumpe korrekt durchzuführen und zu betreuen. Menschen mit einer Insulinpumpe sollten, wenn möglich, ihre Insulinpumpen-Therapie selbstständig fortführen dürfen.

Menschen mit Diabetes sollten unbedingt Folgendes mit ins Krankenhaus nehmen:

  1. ausgefüllter Gesundheits-Pass Diabetes mit letztem HbA1c-Wert, Blutdruck etc.,
  2. Daten über den Beginn und den Verlauf des Diabetes inklusive Folgeerkrankungen wie Retinopathie (Netzhaut-Erkrankung), Neuropathie (Nerven-Erkrankung), Nephropathie (Nieren-Erkrankung) etc.,
  3. den aktuellen Medikations-Plan (Tabletten, Insulin, andere zu spritzende Medikamente, Begleitmedikation),
  4. Name, Adresse und Telefonnummer des behandelnden Diabetologen bzw. Hausarztes,
  5. Liste der Vorerkrankungen (vor allem für das ggf. notwendige Vorgespräch mit dem Anästhesisten),
  6. einen Vorrat der gewohnten Medikamente und des Zubehör-Bedarfs (auch Traubenzucker, Blutzucker-Messgerät mit Teststreifen, ggf. Zubehör für Insulinpumpen, Glukosesensoren etc.).
Zusammenfassung
Immer mehr Menschen mit Diabetes werden wegen ihres Diabetes oder wegen anderer Erkrankungen in einer Klinik stationär behandelt (Operationen, Infektionen etc.). Dafür steht immer weniger qualifiziertes medizinisches Personal zur Verfügung. Wenn qualifizierte Ärzte, qualifiziertes Pflegepersonal und auch Diabetesberaterinnen/-berater vorhanden sind, ist die Chance für einen erfolgreichen Aufenthalt natürlich viel größer. Die Betroffenen sollten sich gut vorbereiten und sich über die Qualifikation der entsprechenden Klinik informieren. Selbsthilfe-Organisationen können dabei gut behilflich sein.

Autor:
© privat
Dr. Gerhard-W. Schmeisl

Internist/Angiologie/Diabetologie/Sozialmedizin
PrivAS Privatambulanz (Schulung)
E-Mail: dr.gerhardw@schmeisl.de

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2023; 72 (3) Seite 32-37

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