Möglichkeiten der Schmerztherapie

4 Minuten

© Halfpoint - Fotolia
Möglichkeiten der Schmerztherapie

Nervenerkrankungen verhindern, eindämmen, behandeln: Welche Therapien können bei der “peripheren diabetischen Polyneuropathie” den Betroffenen Linderung verschaffen? Im Folgenden geht es um Behandlung ohne Tabletten, um Behandlung mit Tabletten sowie um allgemeine Maßnahmen, um ein Fortschreiten der Erkrankung zu verhindern.

Der chronische Schmerz ist nur vor dem Hintergrund eines bio-psycho-sozialen Krankheitskonzeptes zu verstehen (siehe Seite 22). Also spielt die Psychotherapie neben einem abgestimmten Konzept aus medikamentöser, Physio-, Ergo- und Sozialtherapie eine wichtige Rolle.

Psychotherapeutisch orientierte Behandlungsverfahren sind nicht als konkurrierende oder ausschließliche, sondern als ergänzende Therapieoptionen zu verstehen. Sie dienen primär dazu, eine rasche Chronifizierung mit oft sehr langem Krankheitsverlauf zu vermeiden. Die Rede ist von Schmerzbewältigungsstrategien, Verhaltenstraining, Entspannungstechniken, Achtsamkeitstraining, Hypnose etc.

Physikalische Therapieverfahren

Ziel ist es, Schmerzen zu lindern sowie eine Chronifizierung zu vermeiden, falsche Bewegungsabläufe zu kompensieren und eine adäquate Funktion zu erhalten – hierbei haben sich nichtmedikamentöse Therapieverfahren ergänzend sehr bewährt. Dazu gehören:

  • Mechanotherapie (Physiotherapie, Ergotherapie, Massage, Lymphdrainage, manuelle Therapie), z. B. zur Verbesserung der Stand- und Gangsicherheit, Steigerung der Muskelkraft,
  • Elektrotherapie (z. B. Reizstrom, Mikrowelle, Ultraschall),
  • Hydro- und Balneotherapie (Wassergüsse, z. B. 4-Zellen- und 2-Zellen-Bad),
  • Thermotherapie (Infrarottherapie, Kältekammer etc.),
  • Krankengymnastik und z. B. Gangtraining bei Unsicherheit.

Manche empfehlen Wechselbäder, die die Durchblutung anregen sollen. Das Führen eines Schmerztagebuches durch die Betroffenen selbst sowie die Teilnahme an Treffen einer Selbsthilfegruppe haben sich ergänzend bewährt.

Allgemeine Maßnahmen gegen ein Fortschreiten

Bevor man zu Medikamenten greift, sollten die Risikofaktoren für die Entwicklung einer diabetischen Polyneuropathie angegangen werden:

  • optimale Blutzuckereinstellung,
  • Optimierung der Durchblutung, des Blutdrucks und damit Verbesserung einer eventuell bestehenden peripheren arteriellen Verschlusskrankheit,
  • Gewichtsreduktion sowie Optimierung der Blutfette (falls diese zu hoch sind), Reduktion bzw. Absetzen von Alkohol und Nikotin,
  • regelmäßige körperliche Aktivität.

Laut Studien hat nur etwa die Hälfte aller Menschen mit Polyneuropathien auch Schmerzen – und die Mechanismen des Entstehens neuropathischer Schmerzen unterscheiden sich grundlegend von Schmerzen z. B. bei Wunden/Verletzungen. Also sind andere Therapieansätze notwendig.

Medikamente, die helfen können

Besonders effektiv ist die Kombination von Antiepileptika mit Antidepressiva. Antidepressiva sind heute fester Bestandteil der Therapie neuropathischer Schmerzen, da sie die vom Gehirn kommenden schmerzhemmenden Bahnen im Rückenmarksystem verstärken und dadurch die Schmerzsymptomatik abschwächen – bezüglich des Schmerzes besonders z. B. das Amitriptylin.

Es sollte einschleichend und individuell begonnen werden, besonders bei älteren Diabetikern. Bei Patienten mit mehreren Erkrankungen sind Antidepressiva jedoch wegen der Nebenwirkungen problematisch (Sedierung, Mundtrockenheit, Beschwerden beim Wasserlassen, Herzrhythmusstörungen).

Duloxetin wirkt vor allem über eine Aktivierung absteigender hemmender serotoninerger und noradrenerger Bahnen. Pregabalin hat sich bei Beschwerden aufgrund einer diabetischen Polyneuropathie besonders bewährt. In ausreichend hoher Dosierung kommt es relativ rasch zu einem deutlich besseren Schlaf und zur Verbesserung des Allgemeinbefindens. Die Behandlung sollte mit 75 mg zur Nacht begonnen werden – das muss aber unbedingt mit dem behandelnden Arzt im Detail besprochen werden!

Die Dosis sollte bei älteren Patienten und Patienten mit mehreren Erkrankungen am Anfang niedriger gewählt werden. Entweder gleichzeitig, in Kombination oder auch als Versuch zuvor geben manche Ärzte noch immer Thioctazid-Infusionen (später Tabletten) mit teils guten Ergebnissen – die Krankenkassen übernehmen dafür aber in der Regel nicht die Kosten!

Opioide sind z. B. bei Patienten mit drohendem Nierenversagen (Niereninsuffizienz) Mittel der ersten Wahl. Sie werden heute grundsätzlich immer dann eingesetzt, wenn Schmerzen die Lebensqualität von Patienten so weit einschränken und das Funktionsniveau so stark beeinträchtigen, dass der tatsächliche Nutzen die Risiken der Therapie rechtfertigt.

Unerwünschte oder auch häufigere Begleitsymptome sollte man unbedingt kennen:

  • Verstopfung (Obstipation),
  • Müdigkeit,
  • erhöhtes Sturzrisiko,
  • Libidoverlust (keine Lust auf Sexualität).

Wenn irgend möglich, sollten Opioide zunächst maximal 4 bis 12 Wochen verwendet werden.

Therapie extrem schwierig

Grundsätzlich ist die Therapie von Nervenschmerzen extrem schwierig und langwierig – und es gibt bis heute keine Patentrezepte, sondern Ärzte müssen mit allen anderen Therapeuten nach dem Prinzip Versuch und Irrtum Behandlungsstrategien ausprobieren. Man braucht Geduld, da jeder Patient unterschiedlich auf die unterschiedlichen Medikamente und Therapien reagiert. Bei schätzungsweise 30 bis 50 Prozent der Patienten, in manchen Patientengruppen sogar 80 Prozent, lässt sich bei frühzeitiger Therapie und guter Blutzuckereinstellung eine Reduktion der Schmerzen erreichen.

Völlige Schmerzfreiheit ist jedoch nicht garantiert. Selbst 10 Prozent Schmerzreduktion sind ein Erfolg!

Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) wie Diclofenac, Ibuprofen oder auch Naproxen ebenso wie Paracetamol und Metamizol helfen in der Regel bei Nervenschmerzen nicht oder nur sehr wenig. Außerdem sollten die Nebenwirkungen beachtet werden.

Und wenn selbst Opiate nicht helfen?

Die transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS)

Eine Stimulation der Nerven der betroffenen Hautregion kann die Schmerzen der Polyneuropathie bessern. Es gibt sogar entsprechende Socken, die dem Fuß übergestreift werden und so die Stimulation mit Strom erleichtern. Es gibt Einzeluntersuchungen zur Effektivität – wissenschaftlich basiert ist die Methode noch nicht.

Eine Mikroelektrode im Rücken

Eine weitere Möglichkeit ist die elektrische Nervenstimulation des Rückenmarks mit einer im Rücken eingepflanzten Mikroelektrode, die mit einem Impulsgenerator verbunden ist und dessen Stärke und Dauer der Impulse programmiert werden kann. So kann mit winzigen Stromimpulsen über bestimmte Nervenfasern die Schmerzweiterleitung zum Gehirn blockiert werden.

Nervenblockaden

Unabhängig davon helfen auch bei manchen Patienten interventionelle Verfahren wie Nervenblockaden, bei denen der Nervenschmerz durch wiederholte Spritzen in bestimmte Nervenknoten (Sympathikus) blockiert wird.

Alternative Verfahren

Inwieweit komplementäre Verfahren wie Thermo- oder Atemtherapie oder Qigong, Homöopathie, Akupressur oder Yoga Besserung bringen, ist nicht systematisch untersucht.

Verhaltenmedizinisches Training genauso wie körperliches Training sollten ebenso einbezogen werden, denn der chronisch anhaltende Schmerz ist das Ergebnis eines dynamischen Prozesses, an dem Körper und Seele gleichermaßen beteiligt sind – weshalb die Psyche in die Behandlung chronischer Schmerzen unbedingt mit einbezogen werden muss, ebenso das soziale Umfeld und Angehörige. Belastende Situationen etc. sollten mit berücksichtigt werden. Operative Verfahren, bei denen Teile des schmerzverarbeitenden oder -leitenden Nervensystems zerstört werden, sind in der Regel nicht sinnvoll.

Zusammenfassung

Trotz einer aktuellen und umfangreichen Literatur-Recherche bezüglich des neuropathischen Schmerzes habe ich nichts sensationell Neues bezüglich des Entstehens und insbesondere der Therapie gefunden – auch nicht bei der diesjährigen Jahrestagung der Deutschen Diabetes Gesellschaft (“Diabetes Kongress” ) in Berlin vor drei Monaten!

Nachdem ich verschiedene Therapeuten um ihre Meinung gebeten hatte, musste ich feststellen, dass neben den oben beschriebenen Methoden keine wissenschaftlich belegten neuen Therapien existieren und dass die verschiedenen möglichen Methoden sehr subjektiv bewertet wurden.

Wichtig: Versuch und Irrtum!

Wichtig aber scheint, dass bei jedem Betroffenen individuell und so früh wie möglich Therapien nach dem Prinzip “Versuch und Irrtum” angewendet werden. Da aber gerade die langfristige medikamentöse Therapie auch Gefahren beinhaltet, sollte die Behandlung immer in Absprache mit einem erfahrenen Therapeuten (Arzt, Schmerztherapeut, Psychologe) durchgeführt werden.

Eine Schmerzreduktion, nicht Schmerzfreiheit, ist ein realistisches Ziel. Wenn Schmerzfreiheit erreicht wird, ist dies wunderbar – aber auch eine Schmerzreduktion von nur wenigen Prozent kann das Leben der Betroffenen grundlegend verbessern! Gerade weil es aktuell keine “großen Neuerungen” bezüglich der Therapie gibt, muss die Therapie mit den möglichen Mitteln und Methoden individuell ausprobiert werden.

Schwerpunkt: „Schmerzen verstehen und früh behandeln“

von Dr. Gerhard-W. Schmeisl
Internist/Angiologie/Diabetologie/ Sozialmedizin,
Lehrbeauftragter der Universität Würzburg,
Chefarzt Deegenbergklinik,
Burgstraße 21, 97688 Bad Kissingen,
Tel.: 09 71/8 21-0, E-Mail: schmeisl@deegenberg.de

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2018; 67 (8) Seite 26-29

Ähnliche Beiträge

Lea Raak im Interview: Durch Community zurück ins Leben

Lea Raak lebt seit dem Jahr 2011 mit einem Typ-1-Diabetes. Viele Fragen taten sich nach der Diagnose auf – und eine gewisse Verzweiflung. Die Community hat ihr zurück ins Leben geholfen: „Ich tue mein Bestes und alles andere kommt, wie es kommt.“

11 Minuten

#dedoc° voices meet DDG: die Patienten-Perspektive beim Diabetes Kongress

Im zweiten Teil der Berichte der #dedoc° voices vom diesjährigen Diabetes Kongress kommen weitere Menschen mit Diabetes zu Wort, die im Mai die Fachtagung in Berlin besucht haben, um ihre Perspektive einzubringen.

9 Minuten

Keine Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Über uns

Geschichten, Gemeinschaft, Gesundheit: Der Diabetes-Anker ist das neue Angebot für alle Menschen mit Diabetes – live, gedruckt und digital. Der Diabetes-Anker und die Community sind immer da, wo du sie brauchst. Für alle Höhen und Tiefen.

Diabetes-Anker-Newsletter

Alle wichtigen Infos und Events für Menschen mit Diabetes – kostenlos und direkt in deinem Postfach. Mit unserem Newsletter verpasst du nichts mehr.

Werde Teil unserer Community

Community-Frage

Mit wem redest du über deinen Diabetes?

Die Antworten auf die Community-Frage werden anonymisiert gesammelt und sind nicht mit dir oder deinem Profil verbunden. Bitte achte darauf, dass deine Antwort auch keine Personenbezogenen Daten enthält.

Werde Teil unserer Community

Folge uns auf unseren Social-Media-Kanälen

Push-Benachrichtigungen

notification icon
Aktiviere Benachrichtigungen auf dieser Seite, um auf dem laufenden zu bleiben, wenn dir Personen schreiben und auf deine Aktivitäten antworten.
notification icon
Du hast die Benachrichtigungen für diese Seite aktiviert
notification icon
Aktiviere Benachrichtigungen auf dieser Seite, um auf dem laufenden zu bleiben, wenn dir Personen schreiben und auf deine Aktivitäten antworten.
notification icon
Du hast die Benachrichtigungen für diese Seite aktiviert