Neues aus der Schlafforschung

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Neues aus der Schlafforschung

Wer pro Nacht sechs Stunden schläft, verbringt etwa 19 Jahre seines Lebens schlafend, bei acht Stunden Nachtruhe sind es 26 Jahre (ausgehend von der durchschnittlichen Lebenserwartung). Aber nicht alle Menschen können ohne Probleme schlafen: Sechs Prozent der Deutschen haben Ein- und Durchschlafstörungen, die behandelt werden müssten. Mit solchen Störungen und dem Schlaf allgemein beschäftigen sich Schlafforscher; die neuesten Erkenntnisse wurden während der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) im Dezember in Mainz ausgetauscht. Die Tagung stand unter dem Motto „Die schlaflose Gesellschaft“.

„Lange hat die Medizin den Schlaf verschlafen“ – das sagt Tagungspräsident Dr. Hans-Günter Weeß (Pfalzklinikum Klingenmünster). Mittlerweile rückt der Schlaf aber immer mehr ins Zentrum der Aufmerksamkeit: Welche Bedeutung hat der Schlaf für uns Menschen? Was passiert, wenn der Schlaf dauerhaft gestört ist oder wir durch die „24-Stunden-Nonstop-Gesellschaft“ über längere Zeit zu wenig schlafen? Beobachtet haben die Forscher schon, dass Schlafmangel und Schlafstörungen das Risiko für Diabetes (einen Artikel dazu können Sie hier nachlesen) und Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöhen. Auch das Risiko für psychische Erkrankungen (insbesondere Depressionen) steigt dadurch. „Depressionen stehen an vorderster Stelle, wenn es um Frühberentungen geht – das macht deutlich, wie wichtig ein ausreichender und erholsamer Schlaf ist“, erläuterte Weeß während eines Pressegesprächs.

Schlafen ist nicht hip

„Wer viel schläft, gilt eher als faul, als wenig dynamisch“, so Weeß. Dazu passt, dass ungefähr 20 Prozent der Manager, Führungskräfte und Politiker laut einer Befragung weniger als 5 Stunden pro Nacht schlafen, mehr als die Hälfte der Spitzenkräfte in unserem Lande fühlt sich danach chronisch übermüdet und trifft doch in diesem kritischen Zustand wichtige Entscheidungen für Unternehmen und Gesellschaft. „Wir wissen, dass Schläfrigkeit unser Entscheidungsverhalten beeinflusst, dahingehend, dass wir risikofreudiger werden, die Konsequenzen unserer Handlungen optimistischer einschätzen und ethisch-moralische Grundsätze eher etwas vernachlässigen.“

Übermüdete Schüler

Frühes Aufstehen gilt als Tugend, der Langschläfer als Faulpelz. Die Deutschen haben das verinnerlicht – ihr Tag beginnt im Durchschnitt frühmorgens um 6.48 Uhr. Aber die meisten Deutschen sind dann noch nicht ausgeschlafen und brauchen deshalb einen Wecker, um aufzuwachen. Ob jemand ein Frühaufsteher oder ein Morgenmuffel ist, liegt übrigens in den Genen. Studien belegen, dass Frühaufsteher („Lerchen“) eher selten sind. „Nur etwa ein Sechstel der Bevölkerung, die sogenannten Morgenmenschen, kommen mit den üblichen Arbeits- und Schulzeiten gut zurecht“, sagt Manfred Betz vom Institut für Gesundheitsförderung und –forschung Dillenburg. Die meisten sind „Eulen“, würden nach ihrer inneren Uhr nach Mitternacht einschlafen und erst im Laufe des Vormittags wieder wach werden. Für sie beginnen Arbeit und Schule zu früh; sie sind nicht ausgeschlafen und quälen sich durch den Vormittag.

Fast alle Kleinkinder sind Frühaufsteher– aber das ändert sich: Mit Beginn der Pubertät werden Jugendliche immer mehr zu Eulen. Die Folge, so Dr. Betz: „Bei einem Schlafbedarf von neun bis zehn Stunden kommt während der Schulzeit der Schlaf zu kurz. Die meisten Heranwachsenden sind chronisch müde. Viele leiden unter einem Dauerschlafmangel mit Konzentrationsschwierigkeiten und fehlender Lernmotivation. Die Schule beginnt viel zu früh.“ Und Hans-Günter Weeß sagt: „7.45 Uhr ist zumindest für das pubertierende Gehirn noch mitten in der Nacht. Und da muss es sich schon in der Schule befinden und Mathematikklausuren und ähnliches schreiben.“ Daher sei es nur konsequent, wenn Familienministerin Schwesig einen späteren Schulbeginn fordert. Übrigens: In England, Schweden und Portugal beginnt die Schule erst um 9 Uhr.


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Neuigkeiten aus der Welt des Schlafs

Gemeinsames Schlafzimmer: Nach einer neueren Studie wird bei Frauen der Schlaf eher durch ihren Partner gestört, während Männer generell besser schlafen, wenn ihre Partnerin neben ihnen liegt. Allgemein ist es so, dass Paare, in der die Partner einem ähnlichen Chronotyp angehören, bei denen die biologische Uhr also ähnlich eingestellt ist, besser harmonieren: Sie zeigen mehr Flexibilität und Anpassungsfähigkeit in ihrer ehelichen Problemlösung. „Paare mit unterschiedlichem Chronotypus – zum Beispiel ein Abendtyp und ein Morgentyp – gaben an, mehr Konflikte, weniger Zeit für ernsthafte Konversationen sowie gemeinsame Aktivitäten und auch weniger sexuelle Kontakte als Paare mit gleichem Chronotypus zu haben“, sagt dazu Professor Dr. Kneginja Richter, Universitätsklinik Nürnberg.

Fahrfähig oder nicht? Immer mehr Unternehmen, die außerhalb der klassischen Medizintechnik agieren, interessieren sich für Schlafmedizin, sagt Profesor Dr.-Ing. Hagen Mahlberg von der TU Dresden. Automobilhersteller und Telekommunikationskonzerne wollen zum Beispiel wissen, wie belastbar ein Mensch ist, wie gestresst, wie leistungsfähig. Und beim Autofahren interessiert man sich vor allem dafür, ob der Fahrer fahrfähig ist oder nicht. Prof. Mahlberg rechnet mit einer rasanten technischen Entwicklung von kleinen Systemen, die man sich vor wenigen Jahren noch gar nicht vorstellen konnte.

Sieben Stunden täglich: Die amerikanische National Sleep Foundation fordert, dass jeder Mensch mindestens sieben Stunden schlafen soll.

Endlich ausschlafen Warum freuen sich viele Menschen aufs Wochenende? Um mal wieder richtig auszuschlafen. Dazu Tagungspräsident Dr. Hans-Günter Weeß: „Das liegt daran, dass der frühe Schul- und Arbeitsbeginn mit der inneren Uhr von vielen nicht in Einklang steht. So wird über die Woche ein sozialer Jetlag, also ein Schlafmangel, aufgebaut.“

Unfallrisiko Sekundenschlaf: Nach einer Studie des „National Transportation Board“ ist jeder sechste Unfalltote auf Schläfrigkeit am Steuer zurückzuführen. Und die Deutsche Verkehrswacht schätzt: Jeder vierte Deutsche, der im Straßenverkehr stirbt, stirbt aufgrund von Übermüdung und Sekundenschlaf. Zum Vergleich: Nur jeder zwölfte Verkehrstote ist auf Alkohol am Steuer zurückzuführen. Dr. Hans-Günter Weeß führte außerdem aus, dass nach den Angaben von US-Behörden 21 Prozent aller kritischen Ereignisse in der Luftfahrt zurückzuführen sind auf übermüdete Piloten/übermüdetes Flugpersonal. Deklariert werde das oft als „Pilotenfehler“ und „menschliches Versagen“ – dass Übermüdung z. B. infolge langer Cockpitzeiten dahintersteckt, werde oft verschwiegen oder ignoriert.

Schlafstörungen sind hartnäckig: 80 Prozent der Menschen mit Schlafstörungen leider darunter schon länger als ein Jahr, ca. 25 Prozent sogar schon länger als 10 Jahre. Je nach Schätzung sind zwischen 300 000 und 1,9 Millionen Menschen in Deutschland abhängig von Schlafmitteln.

Risiko Schichtdienst

2014 leisteten schon 16 Prozent der in Deutschland Beschäftigten Schichtarbeit. Betroffen sind z. B. Arbeitnehmer in der Industrie, in Krankenhäusern, bei der Polizei, bei der Bahn, bei der Feuerwehr, in Callcentern … „Schlafstörungen sind bei Schichtarbeit ein häufiges Beschwerdebild“, betont Tagungspräsident Dr. Hans-Günter-Weeß. „Mehr als jeder dritte Arbeiter im Drei-Schicht-Betrieb leidet an Einschlaf- und Durchschlafstörungen.“ Ältere hätten häufiger Probleme als Jüngere. Abendtypen (Eulen) kämen aufgrund ihres flexibleren Schlaf-Wacht-Rhythmus mit der Spät- und Nachtschicht besser zurecht als Morgentypen (Lerchen). „Allerdings haben die Eulen deutliche Probleme mit der Frühschicht. Sie können aufgrund der nach hinten verlegten Taktung ihrer inneren Uhr nur schwer früh zu Bett gehen. Bei verkürztem Schlaf leiden sie unter Tagesschläfrigkeit und Einschränkungen im Leistungsvermögen.“

Diese arbeitsmedizinischen Erkenntnisse werden in Großunternehmen schon berücksichtigt – ansonsten aber noch oft ignoriert. Mit negativen Folgen: Nach einer amerikanischen Studie nehmen z. B. schläfrigkeitsbedingte Fehler im ärztlichen Handeln bereits bei mehr als fünf 24-Stunden-Bereitschaftsdiensten im Monat um das Siebenfache zu.“ Zudem ist bei Schichtarbeitern das Unfallrisiko auf dem Nachhauseweg auf das bis zu Achtfache erhöht.
Insgesamt klagen unter den Schichtarbeitern mehr als 30 Prozent über Schlafstörungen. Darüber hinaus haben sie ein höheres Risiko für Magen-Darm- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Ein erhöhtes Krebsrisiko ist wissenschaftlich noch nicht eindeutig belegt.

Mehr erfahren und entdecken
Mehr über das Thema Diabetes und Schlafmangel können Sie hier nachlesen.
Und hier noch ein Interview mit dem Kongresspräsidenten Dr. Hans-Günter Weeß – unter anderem über die Therapiemöglichkeiten bei Schlafstörungen.
Auf der Internetseite der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin finden Sie auch Informationen für Patienten und können z. B. nach einem Schlaflabor in Ihrer Nähe suchen.

Nicole Finkenauer-Ganz | Redaktion Diabetes-Journal
Kirchheim-Verlag, Kaiserstraße 41, 55116 Mainz,
Tel.: (0 61 31) 9 60 70 0, Fax: (0 61 31) 9 60 70 90,
E-Mail: redaktion@diabetes-journal.de

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