Neuigkeiten vom Diabetes Kongress: Eine Frage des Typs

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© DDG/Foto: Dirk Deckbar
Neuigkeiten vom Diabetes Kongress: Eine Frage des Typs

Fast 6.000 Diabetesexperten trafen sich Ende Mai zum „Diabetes Kongress 2019“ der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG). „Diabetes – nicht nur eine Typ-Frage“ war das Motto, denn mittlerweile unterscheiden Experten mehrere Formen des Typ-2-Diabetes. Weiterer Schwerpunkt: Was unterscheidet Mann und Frau, wenn es um den Diabetes geht?

Typ-1- oder Typ-2-Diabetes? Das war jahrzehntelang die Frage – einmal abgesehen von weiteren, eher seltenen Diabetesformen. Diese Frage wird sich nicht mehr so einfach beantworten lassen, denn „neue Studien weisen darauf hin, dass die klassische Einteilung in Diabetes-Typen möglicherweise einer Revision bedarf“, so Kongresspräsident Prof. Michael Roden (Foto oben: rechts, daneben Prof. Monika Kellerer, neue DDG-Präsidentin) vom Deutschen Diabetes-Zentrum Düsseldorf (DDZ).

Prof. Andreas Fritsche (Tübingen) erklärte, was genau damit gemeint ist, nämlich dass heute zusätzlich zwischen verschiedenen Unterformen des Typ-2-Diabetes und auch zwischen verschiedenen Vorstufen des Diabetes unterschieden wird. Diese genauere Unterscheidung hat Folgen, denn ist die Unterform bekannt, kann der Betroffene präziser und damit besser behandelt werden – oder es kann individuell verschieden dem Diabetes vorgebeugt werden.

Unterformen des Typ-2-Diabetes

Fritsche spricht vom Typ-2-Diabetes als einer Ansammlung höchst unterschiedlicher Krankheitsformen. Wie aber herausfinden, welcher Unterform ein Typ-2-Diabetiker angehört? Dafür werden große Datenmengen mit Hilfe neuer analytischer Methoden untersucht und dadurch Gruppen mit ähnlich gelagerten Diabetesformen sichtbar, so Fritsche.

Video-Interview: Was ändert sich durch die Neueinteilung der Diabetestypen?


Die neue Klassifikation der Diabetestypen war ein vielbesprochenes Thema beim diesjährigen Diabetes Kongress. Was diese für die Diagnostik und Therapie der Betroffenen bedeutet, erklärt Prof. Dr. med. Baptist Gallwitz im Interview mit Dr. Katrin Kraatz.

Auf diese Weise konnten Forscher in den letzten Jahren vier Untergruppen finden: Typ-2-Diabetiker mit schwerem Insulinmangel, mit schwerer Insulinresistenz, mit mildem Diabetes im höheren Alter oder mit mildem Übergewichtsdiabetes.

Frauen sind anders krank als Männer

Auch wenn es um den Diabetes geht, gibt es Unterschiede zwischen Mann und Frau: PD Dr. Julia Szendrödi (DDZ) machte während des Kongresses klar, was das bedeutet: In allen Altersgruppen ist die Steigerung der Sterblichkeit durch Typ-2-Diabetes bei Frauen höher als bei Männern.

Warum die Diagnose Diabetes sich auf die Lebenserwartung von Frauen drastischer auswirkt, ist noch nicht geklärt. Auffällig ist auch, dass Frauen mit Diabetes ein deutlich höheres Risiko tragen, an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung (Herzinfarkt, Schlaganfall) zu sterben als Männer.

Die Kongresssekretäre Prof. Dr. Christian Herder (l.) und PD Dr. Julia Szendrödi mit dem diabetesDE-Vorstands-vorsitzenden Dr. Jens Kröger.

Wie können Frauen vorbeugen, wie kann ihre Diabetesbehandlung verbessert werden? Um wirksame Strategien der Prävention und Behandlung zu entwickeln, müssen geschlechtsspezifische, biologische und soziale Faktoren sowie Verhaltensmuster erforscht werden. Dies geschieht aktuell in der Deutschen Diabetes-Studie, die von Szendrödi am DDZ geleitet wird.

Schon jetzt ist bekannt, dass die Unterschiede zwischen den Geschlechtern auch damit zusammenhängen, wie Frauen es schaffen, selbst für sich zu sorgen, wenn es um die medizinische Behandlung, das Einhalten von Diäten oder sportliche Aktivitäten geht.

Typ-2-Diabetes: doch heilbar?

Wenn bei Typ-2-Diabetes von einer Heilung gesprochen wird, ist das irreführend. Gemeint ist damit eigentlich die Remission: „Remission ist definiert als nichtdiabetischer Zustand ohne glukosesenkende Medikamente“, betonte Kongresspräsident Roden.

Dieser Zustand könne eventuell auch nur vorübergehend sein. Trotzdem: Diesen medikamentenlosen Zustand zu erreichen, ist sicherlich das Ziel vieler Menschen mit Typ-2-Diabetes. In einer britischen Studie gelang es der Hälfte der Teilnehmer, ihre Blutglukosewerte zu normalisieren und auf Medikamente zu verzichten. Kein ganz neuer Ansatz – nun soll aber erforscht werden, welche Betroffenen eine Remission erreichen können und wie lange dieser Zustand anhält.

Therapie: Wie bei der Stange bleiben?

Diabetes ist eine chronische Erkrankung – was für Betroffene und auch für Behandelnde bedeutet, dass sie in der Therapie nicht nachlassen dürfen, sich immer um die Erkrankung kümmern müssen. Adhärenz ist das Fachwort dafür, wie Therapieempfehlungen eingehalten werden, und genau darum ging es in einem Symposium des Unternehmens Berlin-Chemie.

Konkret kann das bedeuten, die verschriebenen Medikamente nicht nur am Anfang zu nehmen, sondern dabeizubleiben, wie PD Dr. Matthias Frank (Neunkirchen) ausführte. Nicht nachlassen – das gelte allerdings auch für den Arzt, die Ärztin, nicht nur für Menschen mit Diabetes. Und wie können Menschen mit Diabetes dieses „Bei-der-Stange-Bleiben“ erreichen?

Video-Interview: „Bis zu 35 Prozent haben erhöhte diabetesbezogene Belastungen“


Depressionen und Diabetes-Distress sind häufige Begleiterscheinungen bei Menschen mit Diabetes. Betroffene haben oft eine schlechtere Stoffwechseleinstellung und Lebensqualität. Doch was unterscheidet die beiden Konditionen und wieso sollte sie sehr ernst genommen werden? Darüber haben wir mit den beiden renommierten Experten Prof. Dr. Bernd Kulzer und Prof. Dr. Norbert Hermanns (beide Bad Mergentheim) auf dem Diabetes Kongress 2019 gesprochen.

„Die einzige Möglichkeit ist, dass der Patient die chronische Erkrankung annimmt“, meinte Frank – aber das sei für die meisten schwierig, denn es bedeute auch, das eigene Lebenskonzept zu ändern. Informationsportale wie TheraKey können helfen, „aber das reicht nicht“. Nicht jeder Patient brauche dieselbe Art der Information, dieselbe Art der Motivation.

Sehr konkret wurde es im Vortrag von Dr. Andreas Lueg, Diabetologe aus Hameln: Darin ging es um die langfristige Einnahme von Diabetesmedikamenten. Er plädiert dafür, die Medikamente gut zu erklären und auch und gerade über Nebenwirkungen zu sprechen. „Viele Patienten nehmen ein Medikament nicht, weil sie es nicht vertragen, sagen es aber nicht. Medikamente, die nicht genommen werden, können aber auch nicht schützen. Hier müssen wir aktiv nachfragen!“

Höher konzentriertes Insulin hilft oft

Und wie steht es mit der Adhärenz, wenn Insulin gespritzt wird? Dieser Frage ging Dr. Winfried Keuthage (Münster) nach und zeigte die Vorteile von höher konzentriertem Insulin auf: Vor allem Menschen, die nicht so viel Kraft in den Händen haben, profitieren davon, mit dem Pen z. B. nur das halbe Volumen im Vergleich zu niedriger konzentriertem Insulin injizieren zu müssen.

Das Resultat: Es kommt auch die vorgesehene Menge an Insulin im Körper an, was sich günstig auf den Blutzucker auswirkt.

Video-Interview: „Schwere Hypoglykämien wurden lange Zeit unterschätzt“


Lena Schmidt sprach mit Prof. Thomas Haak, Chefredakteur des Diabetes-Journals, über schwere Unterzuckerungen, welche potentiellen Folgen sie haben können und was dagegen getan werden kann.


von Nicole Finkenauer
Kirchheim-Verlag, Wilhelm-Theodor-Römheld-Straße 14, 55130 Mainz,
Tel.: (0 61 31) 9 60 70 0, Fax: (0 61 31) 9 60 70 90,
E-Mail: redaktion@diabetes-journal.de

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2019; 68 (7) Seite 12-14

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