Schilddrüse: kleine Drüse, große Wirkung

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Schilddrüse: kleine Drüse, große Wirkung

Unsere Schilddrüse ist sehr klein, aber wie wichtig sie ist, merken alle, bei denen sie nicht richtig funktioniert und entweder zu viel oder zu wenig der Hormone produziert. Auch eine bedeutsame Verbindung zum Diabetes gibt es, weiß Dr. Schmeisl im Diabetes-Kurs zu berichten.

Der Fall


Johannes P. – 47 Jahre alt, Typ-1-­Diabetiker und IT-Spezialist bei einem renommierten Software-Unternehmen – ist in den letzten Wochen zunehmend „richtig fertig“. Mittags könnte er am Computer-Bildschirm oft fast einschlafen. Abends zu Hause mit seiner Frau ist kaum mehr ein gemeinsamer Abend möglich – er geht früh zu Bett und ist trotzdem tagsüber „hundemüde“.

Nachdem er selbst bei einem kurzen Spaziergang über müde Beine klagt und kaum mehr die 20 Stufen zu ihrer Wohnung hochkommt, schickt ihn seine Frau schließlich zum Arzt. Der macht einige Laboruntersuchungen und, als niedrige Schilddrüsenwerte auffallen, führt zusätzlich eine Ultraschalluntersuchung der Schilddrüse durch. Der Arzt ist überrascht: Es ist kaum noch Schilddrüsengewebe vorhanden.

Weitere Untersuchungen zeigen, dass Johannes P. die eher bei Frauen vorkommende „Hashimoto-Thyreoiditis“ hat, deren Folge eine Schilddrüsenunterfunktion ist. Durch die regelmäßige Einnahme von Schilddrüsenhormonen geht es ihm nach einigen Wochen schon wieder richtig gut!

Die Schilddrüse liegt direkt vor der Luftröhre, einige Zentimeter unterhalb des Zungenbeins, rechts und links „begleitet“ von der Halsschlagader (Arteria carotis) und der Drosselvene (Vena jugularis). Die Drüse ist hufeisenförmig, wobei der rechte und der linke Schilddrüsenlappen durch eine Gewebebrücke über die Luftröhre hinweg verbunden sind.

Aufbau, Wirkung und Diagnostik

Die Schilddrüse ist normalerweise so klein, dass man sie von vorne nicht sehen und meist auch nicht tasten kann – es sei denn, sie ist vergrößert (dann als Struma bezeichnet). Beide Schilddrüsenlappen haben je eine Länge von 3 bis 6 cm, eine Breite von 1,5 bis 2,5 cm und eine Dicke von 1 bis 2 cm. Dieses winzige Organ wiegt insgesamt nur etwa 5 bis 15 g – wirkt aber auf viele Organe bzw. Organsysteme:

  • Augen, Haut, Haare und Fingernägel,
  • Muskeln und Knochen,
  • Hoden beim Mann, Eierstöcke bei der Frau,
  • Herz, Nebennieren, Bauchspeicheldrüse und Darm,
  • das Ungeborene bei Schwangeren.

Die Schilddrüse kann durch eine Ultraschall-Untersuchung sehr einfach dargestellt werden – man sieht sofort, ob sie vergrößert ist und ob sie Knoten, z. B. verdächtige Knoten (Krebsverdacht), oder Zysten enthält. Für eine weitere Diagnose braucht man Untersuchungen wie ein Szintigramm, ggf. auch eine Computertomographie. Manchmal ist auch eine Gewebe-Entnahme unter Ultraschallkontrolle sinnvoll bzw. notwendig, um einen bösartigen Knoten von einem gutartigen unterscheiden zu können.

Schnell erklärt


  • TRH: Thyreotropin-Releasing-Hormon; wird im Hypothalamus gebildet
  • TSH: Thyreoidea-stimulierendes Hormon; wird in der Hirnanhangdrüse gebildet
  • „heißer“ Knoten: im Schilddrüsen-Szintigramm sehr stark speichernder Knoten (auch: autonomes oder toxisches Adenom)
  • „kalter“ Knoten: im Schilddrüsen-Szintigramm nicht speichernder Knoten; kann auf Krebs hindeuten

Das Messen der Schilddrüsenhormone im Blut und von Hormonen aus dem die Schilddrüsenfunktion steuernden „Regelkreis“ mit Hirnanhangdrüse (Hypophyse) und dem übergeordneten Hypothalamus im Gehirn ist fast immer erforderlich. Gemessen werden dabei Thyroxin (Tetrajodthyronin, T4), Trijodthyronin (T3) und Thyreoidea-stimulierendes Hormon (TSH).

Stoffwechsel der Schilddrüse

Die Hormone T4 und T3 werden in der Schilddrüse gebildet und in kleinen Tröpfchen, den Follikeln, gespeichert. Beide werden aus Aminosäuren (Tyrosin) durch Anlagern von Jod gebildet. Das Thyroxin enthält 4 Jodatome, das Trijodthyronin 3 Jodatome. Thyroxin ist biologisch weniger wirksam als Trijodthyronin, ist dafür aber in 10-fach höherer Konzentration vorhanden, wobei nach der Abgabe aus der Schilddrüse ein Großteil von T4 in T3 umgewandelt wird.

Wichtige Aufgaben der Schilddrüsenhormone:


  • Sie erhöhen den Grundumsatz des Körpers, indem die Herzarbeit, aber auch die Temperatur und der Abbau von Fett und Glykogen gesteigert werden.
  • Sie fördern das Wachstum und die Gehirnreife. Deshalb wird unmittelbar nach der Geburt bei jedem Neugeborenen die Schilddrüsenfunktion getestet (Bestimmung des TSH basal).
  • Sie bewirken eine Aktivitätszunahme des Nervensystems; wird zu viel von den Hormonen produziert, kommt es zu verstärkten Muskelreflexen.

Die Produktion der Schilddrüsenhormone unterliegt einem sehr ausgeklügelten Regelkreis, wobei im Gehirn der Hypothalamus den Botenstoff Thyreotropin-Releasing-Hormon (TRH) und die Hypophyse TSH produzieren und so unmittelbar auf den Anstieg oder Abfall der Schilddrüsenhormone im Blut reagieren.

Fehlfunktionen der Schilddrüse: häufig – und häufig unerkannt

Die wichtigsten Krankheitszustände sind die Schilddrüsenüberfunktion (Hyperthyreose) und die Schilddrüsenunterfunktion (Hypothyreose). Eine häufige Ursache einer Überfunktion ist ein gutartiger Tumor der Schilddrüse (Adenom, heißer Knoten), dessen Hormonproduktion nicht mehr der Kontrolle der Hirnanhangdrüse unterliegt, oder auch eine Immunerkrankung (Immunhyperthyreose, auch als Morbus Basedow bekannt).

Die Basisdiagnostik der Schilddrüse:


  • Krankengeschichte beim Arzt erzählen
  • Abtasten der Schilddrüse durch den Arzt
  • Ultraschall (Sonographie) der ­Schilddrüse
  • Blutuntersuchungen: TSH basal (evtl. auch die Schilddrüsenhormone T3 und T4)

ggf. weiterführende Untersuchungen:


  • Antikörper (AK) im Blut (z. B. ­TPO-AK, TRAK, TG-AK, TSH-Rezeptor-AK)
  • Szintigraphie der Schilddrüse
  • Gewebe-Entnahme aus der Schilddrüse durch Feinnadelpunktion (unter Ultraschallkontrolle)
  • zusätzliche Blutuntersuchung: Thyreoglobulin, Calzitonin

In einer großen Reihenuntersuchung mit Ultraschall in den Jahren 2001 und 2002 hatte von fast 100.000 untersuchten „gesunden“ Frauen und Männern im Alter von 18 bis 65 Jahren jeder Dritte eine Schilddrüsenvergrößerung entweder mit oder ohne Knoten, von der die meisten nichts wussten.

Seltene Schilddrüsenerkrankungen sind Schilddrüsenkrebs und auch Schilddrüsenmetastasen (z. B. bei einem Hypernephrom, einem bösartigen Nierentumor). Neuere Untersuchungen zeigen jedoch auch, dass regelmäßige Ultra­schall­unter­suchungen der Schilddrüse ohne „klinischen Verdacht“ zu überflüssigen Folgeuntersuchungen führen. Dies ist bei Menschen mit Diabetes etwas anders.

Besonderheiten bei Diabetes

Oft ist nicht bekannt, dass es ein erhebliches Zusammenwirken von Diabetes und Schilddrüsenerkrankungen gibt. Deshalb sollte die Schilddrüse bei Diabetikern mindestens einmal im Jahr kontrolliert werden. Durch eine Unterfunktion (Hypothyreose) kommt es bei Diabetes zu einer gesteigerten Insulinempfindlichkeit, wodurch Unterzuckerungen auftreten können und der tägliche Insulinbedarf sinkt. Außerdem sind die Beweglichkeit des Magen-Darm-Traktes und die Zuckeraufnahme im Darm herabgesetzt.

Ursachen und typische Zeichen für Über- und Unterfunktion


Ursachen einer Überfunktion (Hyperthyreose)
  • meist übermäßiges Wachstum von Schilddrüsengewebe wegen Jodmangels; Ausbildung einer Struma (Kropf)
  • Bilden können sich heiße/autonome Knoten, die unkontrolliert und damit autonom Hormone produzieren.
  • Handeln kann es sich auch um einen Morbus Basedow (Autoimmunerkrankung), oft bei jüngeren Frauen und mit Exophthalmus (vorstehende Augäpfel); Nachweis der Schilddrü­sen-­Antikörper TRAK und TPO-AK.

Typische Zeichen einer Überfunktion (Hyperthyreose)

  • Unruhe, Hyperaktivität, Nervosität
  • Gewichtsverlust trotz vermehrten Appetits
  • Schlafstörungen
  • Wärmeunverträglichkeit mit Schweißneigung
  • häufiger Stuhlgang bis hin zu ­Durchfall
  • Herzrhythmusstörungen, z. B. ­Vorhofflimmern, Herzrasen etc.
  • Bluthochdruck (Hypertonie)
  • Muskelschwäche
  • bei Frauen: Zyklusstörungen
  • Haarausfall (Alopezie)

Ursachen einer Unterfunktion (Hypothyreose)

  • Häufige Ursachen sind chronische Entzündungen, durch die das Gewebe zerstört wird, und eine Fehlsteuerung des körpereigenen Immunsystems (chronische lymphozytäre Thyreoiditis Hashimoto; vermehrt bei Typ-1-Diabetes).
  • weitere mögliche Ursachen: Medikamente (z. B. Amiodaron, Lithium, Thyreostatika, Jod etc.), Radiojodbehandlung, Schilddrüsenentfernung, angeboren

Typische Zeichen einer Unterfunktion (Hypothyreose)

  • Müdigkeit, Kraftlosigkeit, Antriebsarmut
  • Gewichtszunahme
  • Obstipation (Verstopfung)
  • Kälteunverträglichkeit (vermehrtes Frieren)
  • trockene Haut, Haarausfall
  • Zyklusstörungen bei Frauen (unerfüllter Kinderwunsch)
  • Schlaf-Apnoe-Syndrom
  • Verwirrtheit, Depressionen, Apathie; besonders bei älteren Menschen
  • Gesichtsschwellungen (teigig)

Umgekehrt ist bei mehr als der Hälfte der Menschen mit unbehandelter Schilddrüsenüberfunktion die Glukosetoleranz, also die Empfindlichkeit auf Zucker, gestört. Bei vielen besteht ein Diabetes. Die Insulinausschüttung ist gehemmt. Es wird aus dem Darm vermehrt Glukose ins Blut aufgenommen und zugleich vermehrt Glukagon freigesetzt. Zudem ist die Auflösung von Glykogenspeichern in der Leber verstärkt. All das macht einen massiven Zuckeranstieg und letztlich ein diabetisches Koma möglich.

Wichtig zu wissen: Schilddrüsenerkrankungen können Körper und Gehirn sehr negativ beeinflussen – besonders auch bei Menschen mit Diabetes. Eine Diagnose ist relativ schnell und einfach möglich, die meisten Erkrankungen sind gut behandelbar. Achten Sie auf die genannten Symptome und gehen Sie rechtzeitig, ggf. auch regelmäßig, zum Arzt.


Autor:

Dr. Gerhard-W. Schmeisl
Internist, Angiologe, Diabetologe und Sozialmediziner
Lehrbeauftragter der Universität Würzburg
Chefarzt Deegenbergklinik
Burgstraße 21, 97688 Bad Kissingen

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2020; 69 (4) Seite 32-34

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