Seit Mai: Neue Begutachtungsleitlinien

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Seit Mai: Neue Begutachtungsleitlinien

Zum 1. Mai hat die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) eine Neufassung der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung veröffentlicht. Dort gibt es auch eine Übersicht körperlicher und/oder geistiger Einschränkungen, die die Eignung zum Führen eines Kfz beeinträchtigen können. Oliver Ebert berichtet.

Begutachtungskriterien bei Diabetes komplett neu geregelt

Für viele Krankheiten sind Vorgaben und Voraussetzungen definiert, die ärztliche Gutachter bei der Bewertung der Fahreignung berücksichtigen müssen. Die Begutachtungskriterien bei Diabetes wurden komplett neu geregelt.

“Gut eingestellte und geschulte Menschen mit Diabetes können Fahrzeuge beider Gruppen sicher führen.” Mit diesem erfreulichen Leitsatz beginnt der komplett neu gefasste Abschnitt “3.5 Diabetes mellitus” der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung, die am 01.05.2014 in Kraft getreten sind.

Unmissverständliche Klarstellung

Damit wird nun unmissverständlich klargestellt, dass die Teilnahme am Straßenverkehr mit – und trotz – Diabetes möglich ist. Auch stellt die Diabetes-Krankheit nun kein grundsätzliches Hindernis mehr für das Führen von Lkw über 3,5 t und die Personenbeförderung dar. Voraussetzung ist aber natürlich, dass Unterzuckerungen (Hypoglykämien) rechtzeitig wahrgenommen werden.

Die Begutachtungsleitlinien stellen nämlich fest, dass beim Diabetes die “Gefährdung der Verkehrssicherheit […] in erster Linie vom Auftreten einer Hypoglykämie mit Kontrollverlust, Verhaltensstörungen oder Bewusstseinsbeeinträchtigungen” ausgeht. Also heißt es weiter:

Neu: Unterzuckerungsrisiko der Therapieform maßgeblich

“Eine ungestörte Hypoglykämiewahrnehmung ist Voraussetzung für die Fahreignung.” Im Gegensatz zur früheren Regelung wird nun nicht mehr zwischen der Behandlung mit Insulin oder mit Tabletten unterschieden. Es kommt nun darauf an, ob die Therapie ein niedriges oder ein erhöhtes bzw. hohes Unterzuckerungsrisiko mitbringt. Ein niedriges Risiko liegt vor bei Behandlung mit Tabletten, die keine oder nur geringe Unterzuckerungsgefahr mitbringen wie die Biguanide (z. B. Metformin).

Ein höheres Risiko birgt die Einnahme von Sulfonylharnstoffen (z. B. Glibenclamid, Glimepirid): Sie erhöhen die Abgabe des noch vorhandenen, körpereigenen Insulins durch die Betazellen der Bauchspeicheldrüse und senken so den Blutzucker. Die Insulintherapie mit Insulinpen/-spritze bzw. die Insulinpumpentherapie bergen dagegen ein grundsätzliches hohes Risiko einer Unterzuckung.

Unterscheidung nach Fahrzeuggruppen

Die Begutachtungsleitlinien unterteilen wie bisher die Führerscheinklassen in 2 Gruppen:

Gruppe 1: Führer von Fahrzeugen der Klassen A, A1, A2, B, BE, AM, L, T

Gruppe 2: Führer von Fahrzeugen der Klassen C, C1, CE, C1E, D, D1, DE, D1E und die Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung (FzF)

Zur Bewertung der Fahreignung gibt es für beide Fahrzeuggruppen unterschiedliche Vorgaben; für die Gruppe 2 gelten insoweit deutlich strengere Maßgaben, denn das Führen von schweren Lkws oder die Personenbeförderung bergen auch höhere Risiken.

Die neuen Bewertungsgrundlagen

Gruppe 1: “Bei Therapie mit Diät, Lebensstilanpassung oder medikamentöser Therapie mit niedrigem Hypoglykämierisiko besteht keine Einschränkung, solange eine ausgeglichene Stoffwechsellage besteht und keine Folgekomplikationen vorliegen.

Bei Therapie mit hohem Hypoglykämierisiko ist bei ungestörter Hypoglykämiewahrnehmung nach Einstellung und Schulung das Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 möglich, Stoffwechselselbstkontrollen werden empfohlen.”

Zusammengefasst: Wenn Unterzuckerungen rechtzeitig bemerkt werden, dann kann/darf man auch Auto fahren!

Gruppe 2: “Für das Führen von Fahrzeugen der Gruppe 2 ist grundsätzlich eine stabile Stoffwechselführung über drei Monate nachzuweisen. Bei Therapie mit Diät und Lebensstilanpassung soll eine fachärztliche Nachbegutachtung durchgeführt werden. Bei Therapie mit oralen Antidiabetika mit niedrigem Hypoglykämierisiko müssen regelmäßige ärztliche Kontrollen gewährleistet sein, eine fachärztliche Nachbegutachtung ist erforderlich.

Bei Therapie mit höherem Hypoglykämierisiko (Sulfonylharnstoffe und ihre Analoga, sowie mit hohem Risiko Insulin) ist neben regelmäßigen ärztlichen Kontrollen alle drei Jahre eine fachärztliche Begutachtung erforderlich, bei der Beurteilung der Fahreignung sind Therapieregime, Einstellung und Fahrzeugnutzung zu berücksichtigen. Geeignete Stoffwechselselbstkontrollen sind regelmäßig durchzuführen.”

Zusammengefasst: Das Führen von Lkws über 3,5 t oder die Personenbeförderung setzt selbstverständlich ebenfalls die Fähigkeit zur Hypoglykämiewahrnehmung voraus, auch muss man eine weitgehend stabile Stoffwechselführung über drei Monate nachweisen können. Weiterhin müssen regelmäßige ärztliche Kontrollen gewährleistet sein, bei Therapie mit erhöhtem Hypoglykämierisiko sind zusätzlich fachärztliche Begutachtungen erforderlich.


Nächste Seite: Verbesserung für insulinbehandelte Patienten, Fahreignung kann wiedererlangt werden sowie die Risiken einer Therapieumstellung.

Deutlich besser für Insulinbehandelte

Für insulinbehandelte Patienten wird dies meiner Auffassung nach nun eine deutliche Verbesserung bringen. Die bisherigen Vorgaben waren viel restriktiver: “Wer als Diabetiker mit Insulin behandelt wird, ist in der Regel nicht in der Lage, den gestellten Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 2 gerecht zu werden.

Ausnahmen setzen außergewöhnliche Umstände voraus, die in einem ausführlichen Gutachten im Einzelnen zu beschreiben sind.” Nun hat es sich umgekehrt: es wird davon ausgegangen, dass grundsätzlich eine Eignung vorliegt

Mehrere Aspekte maßgeblich

Bei der Bewertung der Fahreignung ist also in erster Linie auf das Unterzuckerungsrisiko und die Fähigkeit zur Hypoglykämiewahrnehmung abzustellen. Die Leitlinie sieht vor, dass “wiederholte schwere Hypoglykämien im Wachzustand” in der Regel die Fahreignung solange ausschließen, “bis wieder eine hinreichende Stabilität der Stoffwechsellage sowie eine zuverlässige Wahrnehmung von Hypoglykämien sichergestellt ist”.

Schwere Hypoglykämie bedeutet die Notwendigkeit von Hilfe durch eine andere Person. Wiederholte Hypoglykämie bedeutet zwei schwere Hypoglykämien innerhalb von 12 Monaten. Wer also mehr als einmal eine so schwere Unterzuckerung hatte, dass er sich nicht mehr selbst helfen konnte bzw. sogar den Notarzt brauchte, der gilt grundsätzlich und bis auf Weiteres nicht mehr als fahrgeeignet.

Ursprüngliche Fassung deutlich entschärft

Jedoch konnte der Ausschuss Soziales erreichen, dass die ursprünglich vorgesehene Fassung deutlich entschärft wurde: Durch Einfügung des Zusatzes “in der Regel” wurde die ansonsten kategorische Vorgabe wieder relativiert, d. h. es sind also selbst bei mehreren schweren Hypoglykämien immer noch begründete Ausnahmen möglich.

Ebenfalls auf Bitten des Ausschusses wurde klargestellt, dass die Fahruntauglichkeit aber selbst in solchen Fällen nicht dauerhaft festgeschrieben ist. Sobald die “zuverlässige Wahrnehmung von Hypoglykämien” wieder sichergestellt ist, hat man auch in solchen Fällen dann wieder Anspruch auf die Fahrerlaubnis.

Fahreignung kann auch wiedererlangt werden

Die Fahreignung kann dann in der Regel “auf der Grundlage einer fachärztlichen (diabetologischen) Begutachtung durch geeignete Maßnahmen wie das Hypoglykämiewahrnehmungstraining, Therapieänderungen und vermehrte Blutzuckerselbstkontrollen wieder hergestellt werden”.

Es wird zwar nicht explizit in der Begutachtungsleitlinie genannt: Auch der Einsatz eines kontinuierlichen Glukosemonitoringsystems (CGM-Systems) könnte ein Mittel sein, um die Fahreignung wieder bejahen zu können.

Risiken einer Therapieumstellung

Daneben sind auch die mit einer Therapieumstellung verbundenen Risiken zu beachten. Die Leitlinie sagt: “Wer nach einer Stoffwechseldekompensation erstmals oder wer neu eingestellt wird, darf kein Fahrzeug führen, bis die Einstellphase durch Erreichen einer ausgeglichenen Stoffwechsellage (incl. der Normalisierung des Sehvermögens) abgeschlossen ist.”

In der Vergangenheit haben viele Betroffene aus Angst um ihren Führerschein die vom Arzt empfohlene Umstellung auf Insulin verweigert; hohe Werte wurden in Kauf genommen, um nur keine Unterzuckerung zu bekommen.

Auch solche Überzuckerungszustände müssen künftig berücksichtigt werden. Denn “auch Hyperglykämien mit ausgeprägten Symptomen wie z.B. Schwäche, Übelkeit oder Bewusstseinsbeeinträchtigungen schließen das Führen von Kraftfahrzeugen aus.”

Fazit

Die neuen Regelungen bringen nach meiner Einschätzung keine Verschlechterung,sondern für viele sogar deutliche Verbesserungen. Die Leitlinien enthalten ein klares Bekenntnis dazu, dass die meisten Menschen mit Diabetes in der Lage sind, Kfz beider Gruppen sicher zu führen.

Sofern Unterzuckerungen rechtzeitig erkannt werden, ist das Führen von Pkws weiterhin problemlos möglich; das Führen von Lkws oder die Personenbeförderung könnte für insulinpflichtige Diabetiker in Zukunft sogar weniger kompliziert möglich werden.


Autor:
© Oliver Ebert
Autor: RA Oliver Ebert

Kontakt:
REK Rechtsanwälte
Nägelestraße 6A, 70597 Stuttgart oder
Friedrichstraße 49, 72336 Balingen
E-Mail: Sekretariat@rek.de

Internet: www.diabetes-und-recht.de

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2014; 63 (6) Seite 61-63

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