So beeinflusst Technologie die Diabetes-Therapie

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So beeinflusst Technologie die Diabetes-Therapie

Wer an die Therapie des Diabetes vor Jahrzehnten zurückdenkt, wird feststellen, dass sich seitdem viel getan hat – vor allem in Bezug auf Insulin-Zufuhr und Glukose-Messung. Besonders hat dazu die Diabetes-Technologie beigetragen, die heute daraus nicht mehr wegzudenken ist. Konsequenzen hatten diese Weiterentwicklungen auf die Art, wie Diabetes behandelt wurde und wird.

Die Ausstattung mit Geräten beim Durchführen der Diabetes-Therapie wird immer bedeutsamer. Bestand Diabetes-­Technologie (DT) vor Jahrzehnten nur aus Glas-Spritzen und relativ starken Kanülen, so wird die Produkt-Palette heute von Insulin-­Pens (seit 1987) und Insulin-Pumpen (ebenfalls seit den 1980er-Jahren) bestimmt. Natürlich haben sich Pens und Pumpen bezüglich ihrer Größe, Handhabbarkeit, ihres Designs und der Ankopplung an moderne Methoden der Informations-Verarbeitung weiterentwickelt.

Der Weg zur ICT

Eine wenig im Fokus stehende, aber sehr wichtige Erfindung sind Kanülen für die Injektion bzw. Infusion. Die hohe Güte der Kanülen ist verantwortlich dafür, dass Injektionen weitestgehend schmerzarm sind – was die Angst vor der Selbst-Verletzung mindert. Das hat sich wesentlich auf die Art der Insulin-Therapie ausgewirkt. Da das Spritzen mit den dicken Kanü­len vor vielen Jahrzehnten eine Tortur war, wollte man möglichst vermeiden, mehrfach am Tag zu spritzen. Die Folge war eine Therapie mit zwei Gaben Mischinsulin pro Tag: die konventionelle Therapie (CT). Sie entsprach aber nicht den physiologischen Verhältnissen.

Die Weiterentwicklung der Kanülen war dann ein Argument für eine intensivierte Insulin-­Therapie (ICT) mit 4 bis 6 Injektionen am Tag. Hierbei orientiert sich die Insulin-­Gabe besser an dem natürlichen Insulin-Bedarf der Patienten. Diese Kanülen sind heute sehr dünn (Dicke 0,25 mm), besitzen einen Facetten-­Schliff, womit der Stich in die Haut sehr fein ist, und eine Oberflächen-Behandlung, die ein schmerz­armes Eindringen in das Gewebe garantiert.

Der Schritt zur Insulinpumpen-Therapie

Mit Insulin-Pens ist ein weitgehend leicht handhabbares, unauffälliges Durchführen der Therapie gegeben. Das betrifft erst recht die Insulinpumpen-Therapie (kontinuierliche subkutane Insulin-Infusion, CSII). Aber auch hierfür mussten sowohl die Technik der Pumpen als auch die Kanülen für die Infusions-Sets weiterentwickelt werden.

Wichtige Säule: Glukose-Messung

Eine große Entwicklung mit ebenfalls weitreichendem Einfluss auf die Diabetes-Therapie hat es auch auf dem Gebiet der Glukose-Messung gegeben. Was zunächst nur im Labor ging, wurde als Erstes eine leicht handhabbare, nicht ortsgebundene und aufgrund eines erschwinglichen Preises breit verfügbare Selbstkontroll-Methode: die Selbstmessung der Blutglukose (SMBG). Die SMBG ist die zweite Säule zum Durchführen einer flexiblen, durch die Patienten selbst gemanagten Insulin-­Therapie.

Auch hier spielt eine eher weniger im Fokus stehende Erfindung eine Rolle: die Technologie für eine möglichst gut handhabbare und schmerzarme Blut-Entnahme. Die Lanzetten dafür besitzen ebenfalls einen Facetten-Schliff und die Stechhilfen sind so konzipiert, dass der Einstich sehr schnell und ohne seitliches Schwingen und deshalb weitgehend schmerzarm erfolgt.

Nächster Schritt: CGM

Durch das kontinuierliche Glukose-­Monitoring (CGM) mit Anzeige der aktuellen Glukosewerte erweiterte sich die Therapie-Unterstützung bis hin zu einer Therapie-Steuerung. In einer ersten Phase gab die praktisch lückenlose Verfügbarkeit von Glukose-Daten den Patienten jederzeit die Information über die Höhe und den Trend der Glukosewerte. Das führte zu einer Sensor-unterstützten Therapie (SuT; ICT plus CGM) bzw. Sensor-unterstützten Pumpen-Therapie (SuP; CSII plus CGM). Insbesondere konnte mithilfe von Alarmen rechtzeitig vor zu hohen, insbesondere aber vor sich abzeichnenden zu niedrigen Glukose-­Werten gewarnt werden.

CGM steuert Insulin-Zufuhr

Ab 2005 erfolgte dann erstmals die Kopplung von Glukose-Messung und Insulin-Zufuhr, also von CGM-System und Insulin-Pumpe. In einer zweiten Phase begann die Steuerung der Insulin-Zufuhr durch das CGM-System: Bei einer sich anbahnenden Unterzuckerung schaltet die Insulin-Pumpe die Insulin-Zufuhr automatisch ab, um zu tiefe Glukose-Werte zu verhindern, und schaltet sie wieder zu, wenn diese Gefahr vorüber ist. Seit 2016 ist es möglich, dass das CGM-System die Basis-Versorgung an Insulin steuert auf Grundlage der gemessenen Glukose-Werte. Dem zugrunde liegt ein Algorithmus. Damit war die erste Stufe eines Systems zur automatisierten Insulin-Abgabe (AID-System) entstanden, oft auch bezeichnet als ­Closed Loop. Inzwischen ist diese Entwicklung weitergegangen: Nun gibt es Systeme, die automatisch Korrektur-­Boli abgeben, also kleinste Insulin-Mengen zum Senken erhöhter Glukose-Werte.

Die Therapie wird immer digitaler

Diese Möglichkeit der automatischen Therapie-Steuerung ergab und ergibt sich auch durch die Digitalisierung. Wenn Patienten es wünschen, liefert CGM die Glukose-Werte über die Cloud ihrer jeweiligen Smartphones an einen Großcomputer. Dieser ist gefüttert mit den Personen-gebundenen Daten des Anwenders (Diabetes-­Dauer, Insulin-­Empfindlichkeit usw.) und dem wissenschaftlich fundierten und geprüften Studien-Wissen der Diabetologie. Dort werden die aktuell verfügbaren Daten analysiert und das Ergebnis als Vorschlag für das notwendige Therapie-Management an das Smartphone zurückgesandt. Die Patienten können die von diesem Therapie-Unterstützungs-System vorgeschlagene Aktion ausführen oder auch nicht. Aktuell sind derartige Systeme in Deutschland noch nicht zugelassen.

Wünsche an Diabetes-Technologie

Wenn man in der Vergangenheit Patienten mit Typ-1-Diabetes fragte, was sie sich wünschen, so waren zwei Antworten präsent: eine automatische Insulin-­Abgabe und eine „unblutige“ Glukose-­Messung. Diese beiden Wünsche bestimmen die grundsätzliche Entwicklung der Diabetes-Technologie. Ersteres ist erreichbar durch das Zusammenführen von Glukose-Messung und Insulin-­Abgabe. Die Patienten erhoffen sich davon, dass sie sich möglichst wenig um ihr Diabetes-Management kümmern müssen. Sie werden entlastet und können auch weniger Fehler in der Therapie machen. Die zweite wesentliche Richtung besteht im Verhindern von Selbst-Verletzungen. Bis zu einem gewissen Grad wird das bereits durch CGM realisiert, aber es sind auch „unblutige“ Mess-Verfahren in Entwicklung. Grundsätzlich gilt: Eine moderne Diabetes-Therapie ist an die Entwicklung der Diabetes-Technologie gebunden.


Autor:
Dr. Andreas Thomas

An der Elbaue 12
01796 Pirna

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2022; 71 (6) Seite 36-37

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