Tiergeflüster

3 Minuten

Community-Beitrag
Tiergeflüster

Ich wuchs auf einem umgebauten Bauernhof auf, mit einem großen Garten und unglaublich vielen Tieren. Meine Eltern waren sorgengeplagte „Workaholics“, was mich sozial ziemlich früh isolierte und einsam machte. Vom Typ her extrovertiert, wuchs ich nach innen gekehrt auf. Die Natur und stundenlange Dialoge, die ich mit allen Tieren um mich herum zu führen glaubte, waren mein Anker und sind mein Fundament.

Die Beziehung zu Tieren als Anker

Es dauerte nicht lange – ich glaube, ich war noch nicht einmal fünf –, da glaubte ich fest daran, mit meinen Tieren richtig „sprechen“ zu können und sie zu verstehen. Ich begrüßte sie mit gesenktem Blick, meine Nase stieß an ihre – ob Hund, Katze, Schweinchen, Meerschweinchen, Hase, Pferd, Kuh oder Esel.

Bei Hühnern, Gänsen, Truthähnen und dem Pfau war ich natürlich distanzierter. Ja, ich wusste mein „Territorium“ wertzuschätzen, ich vertraute meinen Instinkten, wann ich einem Tier näherkommen durfte und wann nicht. Ich sah es fast immer, wenn Tiere nervös oder sauer wurden, und ich weiß sie bis heute zu beruhigen.

Quelle: Pixabay

Meine Eltern waren keine Bauern. Aus diesem Grund schlachteten wir auch nicht. Im Gegenteil: Wir hatten den Platz und weil ich mich gut und gewissenhaft um alles kümmerte, durfte ich von klein auf überall Tiere retten und mitnehmen, denen es nicht gut ging oder deren Ende bevorstand. Darunter war zum Beispiel einmal ein Esel, der einfach auf einem Müllberg abgestellt worden war. Ich weigerte mich, diesen Esel zurückzulassen, und setzte mich demonstrativ neben ihn auf den Müllberg. Mein Vater, dessen Nerven schon am Ende mit mir waren, ließ mich dort kurzzeitig sitzen und fuhr weg, um schließlich mit einem Anhänger zurückzukommen. Der Esel starrte mich lange an, als wir da alleine auf dem Müllberg verweilten – bis er sich schließlich neben mich legte. Sein Name wurde Pedro. Er erfüllte alle Sturheits-Kriterien, aber er liebte und beschützte mich seit diesem Tag, davon bin ich überzeugt. Einmal wurde ich von einem Hahn angegriffen, weil ich den Küken zu nah kam. Der Esel trat den Hahn so gewaltig weg, als dieser zuhacken wollte, dass dieser seinem Tritt erlag.

Glaube ich an Zufälle?

Heute mit knapp 40 Jahren bin ich mir sicher, dass es die Verbindung zu den Tieren war, die mich innerlich über zwei Jahrzehnte zusammengehalten hatte. Es war tröstend, sie um mich zu wissen. Es gab Tage, da spielten sie mit mir, an anderen ärgerten sie mich, doch sehr oft schenkten sie mir einfach Sicherheit, Vertrauen und Zuversicht.

Nur 1,5 Jahre, nachdem ich mein Elternhaus verlassen hatte und keinen Katalysator in Natur und Tier mehr hatte, erkrankte ich an Typ-1-Diabetes. War das Zufall?

Als ich von meiner Pilotenausbildung zurück nach Hause kam, wurde ich stürmisch von meinen Tieren begrüßt. Meine Katzen legten sich allesamt tröstend auf meinen Bauch – genauso wie an Tagen meiner Menstruation, wenn es mich vor Schmerzen zerriss. Ich war frisch erkrankt, hatte alle Perspektiven in meinem Leben verloren und konnte (und wollte) meine „Hypo“-Symptome noch nicht so gut einschätzen. Einmal „haute“ eine meiner Katzen ständig mit dem Pfötchen auf meine Nase. Sie hörte nicht auf, obwohl ich schlafen wollte. Es stellte sich heraus, dass sie mich auf eine „Hypo“ von 36 mg/dl (2,0 mmol/l) aufmerksam gemacht hatte. War das wieder Zufall?

Der Einfluss von Tieren auf die mentale Gesundheit

Beweisen lässt sich all das (noch) nicht. Doch alle, die Diabetes haben, wissen, dass die Einstellung dieser Krankheit auch sehr stark von unserer mentalen Verfassung mitbestimmt wird. Tiere wirken, meiner Meinung nach, genau darauf ein.

Gehen wir davon aus, dass Tiere und Tierliebhaber einen unsichtbar nahen Zugang zueinander haben – eine Art „Interface“ (Schnittstelle). So kann ich mir vorstellen, dass Tiere über ihren Instinkt spüren können, wie es uns geht und ob irgendeine Abweichung zum „Normalzustand“ vorhanden ist.

Quelle: Pixabay

Ungeschulte Tiere können uns bereits als liebevoller „Ausgleich“ helfen, wieder Kraft zu schöpfen und emotional wieder ins Lot zu kommen. Doch ausgebildete Tiere wie zum Beispiel die Diabetes-Hunde sind dadurch nicht nur wärmespendende Wegbegleiter, sondern sicherlich auch treue und engagierte Lebensretter.

Leider lebe ich heute in der Großstadt. Meine Vergangenheit verbietet mir innerlich, Tiere in einer Wohnung zu halten, denn ich möchte sie weitestgehend „freilebend“ wissen. Wären die Möglichkeiten gegeben, würde ich mich zutiefst freuen, einen Diabetes-Freund-Hund zu haben. Wie in jeder Beziehung, denke ich, müsste man einander erst einmal kennenlernen. Doch dann würde ich dem Hund vertrauen und wahrscheinlich wäre alleine basierend auf diesem instinktiven Vertrauen mein Sicherheitsgefühl so hoch, dass mein Blutzucker ausgeglichener und ruhiger wäre. Ist das nicht eine schöne Vorstellung?


Hier findet ihr die tierischen Helfer der #wirsindviele-Community!

Ähnliche Beiträge

Lea Raak im Interview: Durch Community zurück ins Leben

Lea Raak lebt seit dem Jahr 2011 mit einem Typ-1-Diabetes. Viele Fragen taten sich nach der Diagnose auf – und eine gewisse Verzweiflung. Die Community hat ihr zurück ins Leben geholfen: „Ich tue mein Bestes und alles andere kommt, wie es kommt.“

11 Minuten

#dedoc° voices meet DDG: die Patienten-Perspektive beim Diabetes Kongress

Im zweiten Teil der Berichte der #dedoc° voices vom diesjährigen Diabetes Kongress kommen weitere Menschen mit Diabetes zu Wort, die im Mai die Fachtagung in Berlin besucht haben, um ihre Perspektive einzubringen.

9 Minuten

Keine Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Über uns

Geschichten, Gemeinschaft, Gesundheit: Der Diabetes-Anker ist das neue Angebot für alle Menschen mit Diabetes – live, gedruckt und digital. Der Diabetes-Anker und die Community sind immer da, wo du sie brauchst. Für alle Höhen und Tiefen.

Diabetes-Anker-Newsletter

Alle wichtigen Infos und Events für Menschen mit Diabetes – kostenlos und direkt in deinem Postfach. Mit unserem Newsletter verpasst du nichts mehr.

Werde Teil unserer Community

Community-Frage

Mit wem redest du über deinen Diabetes?

Die Antworten auf die Community-Frage werden anonymisiert gesammelt und sind nicht mit dir oder deinem Profil verbunden. Bitte achte darauf, dass deine Antwort auch keine Personenbezogenen Daten enthält.

Werde Teil unserer Community

Folge uns auf unseren Social-Media-Kanälen

Push-Benachrichtigungen

notification icon
Aktiviere Benachrichtigungen auf dieser Seite, um auf dem laufenden zu bleiben, wenn dir Personen schreiben und auf deine Aktivitäten antworten.
notification icon
Du hast die Benachrichtigungen für diese Seite aktiviert
notification icon
Aktiviere Benachrichtigungen auf dieser Seite, um auf dem laufenden zu bleiben, wenn dir Personen schreiben und auf deine Aktivitäten antworten.
notification icon
Du hast die Benachrichtigungen für diese Seite aktiviert