Trainieren auch für den Diabetes

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Trainieren auch für den Diabetes

Wer Rückenschmerzen hat, denkt selten an gezieltes Muskeltraining als Therapie. Dabei hat Kieser-Training gezeigt: Es hilft. Das intensive Muskeltraining wirkt sich aber auch positiv auf den Diabetes aus. Wie ein Training abläuft und welche Effekte es hat, verraten wir Ihnen im Artikel und im Interview.

Viertel vor sieben am Abend: Die Arbeit ist getan, ich kann losziehen – zum Kieser-Training. Das Studio am Rand der Altstadt von Mainz empfängt mich mit seinen nüchternen Räumen, aber dem Strahlen der Trainer. Nichts soll vom Training ablenken, nur die Geräte stehen im Raum, und Uhren hängen von der Decke.

Ausführlich eingeführt ins Training

Schnell umgezogen, Blutzucker gemessen – 148 mg/dl bzw. 8,2 mmol/l ist er –, Trainingskarte herausgesucht … und los geht der Muskelaufbau. Vor knapp zehn Jahren, als ich anfing mit dem Training, wurde ich ausführlich eingeführt. Regelmäßige Kontrollen helfen, Fehler zu vermeiden. Gut so, denn wie schnell schleicht sich Routine ein.

Rückenmuskulatur zum Start

Zuerst kommt die große Rückenmuskulatur dran, an der F3. Alle Gerätetypen haben eine Bezeichnung aus einem Buchstaben und einer Zahl, so dass sie einzelnen Muskelgruppen zuzuordnen sind. Fußplatte und Schienbeinstütze stelle ich auf meine Körpermaße ein, außerdem das zu bewegende Gewicht – und schiebe noch meine Insulinpumpe am Bauchgurt an die Seite, damit sie nicht stört bei der Übung.

Aus sitzender Position stemme ich mich jetzt mit dem gestreckten Rücken langsam nach hinten, bleibe wenige Sekunden in dieser Haltung und gehe langsam zurück in die Ausgangsposition. 85 Sekunden schaffe ich es, die Übung zu wiederholen, 6 Wiederholungen sind es. Hier spielen aber die Wiederholungen keine Rolle, die Zeit ist wichtig: Zwischen 60 und 90 Sekunden sollte man jede Übung langsam ausführen. Schaffe ich es länger, steigere ich das Gewicht beim nächsten Mal.

Den ganzen Körper trainiert

So kommt eine Übung nach der anderen an die Reihe. Durch die ruhigen Bewegungen kann ich meine Gedanken schweifen lassen. Zwischendurch ein kurzes “Hallo” zu Bekannten – und die nächste Übung ist dran. Um kurz vor acht habe ich meinen ganzen Körper trainiert und gehe mit einem Blutzucker von 78 mg/dl bzw. 4,3 mmol/l nach Hause.

Muskeln aufbauen und sein Leben genießen
“Ja zu einem starken Körper”: Mit diesem Motto wirbt das international tätige Unternehmen Kieser-Training um Kunden. Vor über 45 Jahren wurde es in der Schweiz gegründet, von Werner Kieser. Zuerst ging es darum, Menschen zu helfen, keine Rückenschmerzen mehr zu haben. Heute geht es auch darum, einfach seine Muskeln zu trainieren. Ziel ist, seinen Körper so stark zu machen, dass die Muskeln den Körper problemlos tragen können – und man das Leben genießen kann. Unter www.kieser-training.de gibt es weitere Informationen.

Interview: “Devise: Muskeln statt Fett”

Dr. Martin Weiß arbeitet als niedergelassener Facharzt für Allgemeinmedizin und Chirotherapie in Rosenheim. Kieser-Training begleitet er als ärztlicher Berater. Die Redaktion des Diabetes-Journals hat ihn nach den Zusammenhängen zwischen Krafttraining und Diabetes gefragt und was Krafttraining eigentlich bringt.

Diabetes-Journal (DJ): Wer Kieser-Training hört, denkt zuerst an eine Stärkung der Rückenmuskulatur. Warum kann sich auch Diabetes mit dem Namen Kieser verbinden?

Dr. Martin Weiß: Genauso wichtig wie für einen gesunden Rücken sind unsere Muskeln für einen intakten Stoffwechsel. Sämtliche Kohlenhydrate, die wir mit der Nahrung aufnehmen, werden durch die Verdauung und durch Stoffwechselprozesse in Glukose umgebaut. Das Gehirn braucht Glukose für die Energieversorgung. Weitaus mehr von diesem “Supertreibstoff” wird in den Muskeln verbrannt.

Das Hormon Insulin schleust Glukose in die Muskelzellen und liefert Energie. Beim Typ-2-Diabetes reagieren die Muskelzellen durch die genetische Veranlagung und gefördert durch körperliche Inaktivität zunehmend schwächer auf Insulin, es kommt zur Stoffwechselentgleisung.

Krafttraining verbessert die Zuckeraufnahme in die Muskelzellen durch eine bessere Insulinwirkung, aber auch durch insulinunabhängige Kanäle gelangt Glukose in die Muskelzellen – und diese Schleusen öffnen und vermehren sich durch intensives Krafttraining.

DJ: Können Sie beschreiben, warum ein Mehr an Muskulatur ein Weniger an Körperfett bedeutet?

Dr. Weiß: Das Verhältnis Muskeln zu Fett hat eine starke genetische Komponente. Frauen haben tendenziell mehr Fettgewebe, und bei beiden Geschlechtern gibt es “gute Futterverwerter”. Bei diesen Menschen wird jede überschüssige Kalorie in Fettpolstern angelegt.

Darüber hinaus hängt es aber von muskulärer Aktivität ab, wie sich Fett und Muskeln entwickeln: Zu viel Insulin fördert die Fettentwicklung auf Kosten der Muskulatur. Intensives Krafttraining, am besten in Kombination mit reichlich ausdauernder Beanspruchung, korrigiert diese Fehlregulation des Stoffwechsels. Muskulatur wird aufgebaut und die Fettreserven nehmen ab.

Unabhängig vom Zuckerstoffwechsel helfen auch die in der vergangenen Dekade entdeckten “Myokine” beim Abschmelzen von Fettgewebe. Myokine werden von den Muskelfasern produziert und in das Blut abgegeben. Sie wirken in Gehirn, Leber und Knochen und regulieren auch den Fettstoffwechsel.

DJ: Warum bedeutet weniger Körperfett nicht unbedingt weniger Körpergewicht?

Dr. Weiß: Übergewichtige Menschen haben nicht nur zu viel Fett. Sie haben zugleich zu wenig Muskelmasse – und mit jeder Hungerkur verlieren sie aufs Neue stoffwechselaktive Muskulatur. Wichtige Ziele beim Abnehmen sollten Aufbau und Erhalt von Muskulatur sein. Muskeln haben einen hohen Wassergehalt, sind also schwer. Muskeln statt Fett heißt bei der langfristigen Gewichtskontrolle die Devise. Bis der Aufbau von neuer Muskelmasse ausgereizt ist, zeigt sich der Erfolg deshalb nicht so deutlich auf der Waage.

DJ:Welche Muskeln bzw. Muskelgruppen sollten am besten trainiert werden, wenn es um die Reduktion des Körperfetts geht?

Dr. Weiß: Der Erfolg ist unabhängig von der Lokalisation der Muskeln. Auf die Masse kommt es an, und deshalb sollten Übungen für große Muskeln und Muskelgruppen bevorzugt werden. Gute Beispiele sind Übungen wie der Ruderzug, bei dem beide Arme, der gesamte Schultergürtel und der Rücken im Spiel sind, oder die Beinpresse, mit der wir die gesamte Stützmuskulatur der Beine trainieren. Große Muskelgruppen, hohe Intensität und nach heutiger Kenntnis 3-mal pro Woche sind die Parameter, die zum Erfolg führen.

DJ: Welche Effekte bringt das Training für Typ-2-Diabetiker in Bezug auf die Blutzuckereinstellung?

Dr. Weiß: Der beste Erfolgsparameter für die Qualität der Blutzuckereinstellung ist das HbA1c. Durch Studien belegt ist eine Verbesserung des Wertes um 0,5 bis 0,6 Prozentpunkte, publiziert z. B. von König und Kollegen in der Deutschen Zeitschrift für Sportmedizin im Jahr 2011. Das Ausmaß der Verbesserung ist signifikant und für den Erhalt von Gesundheit und Lebensqualität relevant.

DJ: Gibt es weitere Trainingseffekte, die nicht unmittelbar mit dem Diabetes zu tun haben?

Dr. Weiß: Krafttraining wirkt auf den ganzen Menschen. Die Figur, die innere und äußere Haltung, Bewegungs- und Lebensfreude, körperliche und geistige Leistungsfähigkeit reagieren spürbar positiv, und zugleich werden die ebenso wichtigen Effekte von Ausdauersport besser verfügbar. Auch hier steigt mit der Leistung die Freude an Bewegung und die Wirkung auf den gesamten Stoffwechsel, auf das Nervensystem bis hinein ins Gehirn.

Das vielleicht aufregendste bisher bekannte Myokin BDNF verbessert die Hirnfunktion, schützt Nervenzellen vor dem Verfall und kann sogar die Neubildung von Hirnzellen bis ins hohe Alter bewirken. Kraft- und Ausdauertraining sind universell wirksame Methoden mit weit unterschätztem Potential für Gesundheit und Lebensfreude.

DJ: Ist Kieser-Training auch für Typ-1-Diabetiker sinnvoll?

Dr. Weiß: Ja, aktive Muskulatur erleichtert auch hier Aufnahme und Verwertung von Zucker. Und Diabetiker profitieren unabhängig von ihrer Erkrankung von den vielfältigen Wirkungen eines intensiven Krafttrainings. Bei Typ-2-Diabetikern reicht die Wirkung allerdings tiefer als bei Typ-1-Diabetikern.

Beim Typ-2-Diabetes, früher fälschlicherweise als “Alterszucker” bezeichnet, setzt Krafttraining an der Muskelzelle an, vermindert die sonst zunehmende Insulinresistenz und kann bei guter Ernährung, reichlich körperlichen Alltagsaktivitäten und Sport über Jahre den Stoffwechsel im Lot halten. Das ist ein viel größerer Beitrag für die Gesundheit als die Korrektur der Blutzuckerwerte durch Medikamente.


Text und Interview von Dr. Katrin Kraatz

Kontakt:
Kirchheim-Verlag, Kaiserstraße 41, 55116 Mainz, Tel.: (06131) 9 60 70 0,
Fax: (06131) 9 60 70 90, E-mail: redaktion@diabetes-journal.de

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2014; 63 (6) Seite 44-46

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