Trainingsplan gegen die Demotivation

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Trainingsplan gegen die Demotivation

Warum ich angefangen habe, für die Blood Sugar Lounge zu schreiben, war, um andere Menschen mit derselben Erkrankung zu motivieren und ihnen mit meinen Erfahrungen zu helfen. Ich habe es auch gemacht, um mich selber zu inspirieren und sogar zu motivieren. Wenn ich schon die Verantwortung mir gegenüber habe, habe ich sie auch euch gegenüber und verspreche, mein Bestes zu geben. Ich möchte klarstellen, dass ich mich nicht in ein gutes Licht rücken werde und reine Ehrlichkeit praktizieren werde.

Ich möchte Vorbild sein

Weder werde ich den Schein wahren, meinen Diabetes perfekt unter Kontrolle zu haben – das stimmt nämlich nicht –, noch werde ich euch die Schattenseiten meines Prozesses vorenthalten. Ich verspreche, dass ich – obwohl es mir schwerfällt, meine Schwächen einzugestehen – ehrlich sein werde und euch an dem gesamten Prozess meiner Entwicklung teilhaben lassen werde. Denn ein Vorbild ist kein „perfekter“ Mensch, ein Vorbild ist ein Mensch, der das imperfekte Leben perfekt meistert, und das möchte ich sein – ein Vorbild und kein Schein.

Quelle: privat

Wer nur wünscht, will nicht

Wie ihr wisst, will ich hoch hinaus und nicht nur hoch hinaus, sondern auf 8848 Meter, das natürlich etappenweise. Mein Trainer sagt immer: „Wer will, der kann, und wer nicht will, der kann nicht, der wünscht es sich nur.“

Da ist auch etwas dran. Damals war es nur ein Wunsch von mir, die Berge zu besteigen, ich wurde auch oft ausgelacht und als „lebensmüde“ betitelt. Den Berg will ich etappenweise erreichen und im Dezember den Kilimandscharo besteigen. Auf dem Gipfel sehe ich mich jeden Abend vor dem Schlafengehen, aber bis man dort ankommt, ist es ein harter Weg und keiner warnt einen vor. Leider habe ich niemanden in meiner Umgebung, der solche Träume hat. Die meisten Frauen in meinem Alter wollen heiraten und Kinder bekommen, vielleicht ein Haus bauen. Das ist alles schön und gut, doch allein der Gedanke, so ein Leben an ein und dem selben Ort zu führen, macht mich depressiv.

Viele trauen es mir nicht zu

Das ist aber auch gut so, dass wir alle verschiedene Träume haben.

Nun, bevor ich euch meinen Trainingsplan zur Verfügung stelle, möchte ich euch sagen, dass ich jeden Tag mit Selbstzweifeln, Selbsthass und Demotivation zu kämpfen habe. Ich bin nicht 24h am Tag motiviert und nur positiv drauf. Im Gegenteil. Es ist hart, täglich zu hören, dass das, was ich will, zu viel ist und ich es nicht erreichen werde. Dann kommen Menschen auf einen zu, die einem Tipps geben wollen, ohne dass man sie gefragt hat. Vor allem liebe ich es, wenn es Menschen sind, die teilweise zu träge sind, einmal im Monat in ihren Zumbakurs – oder was auch immer – zu gehen. Am liebsten würde ich sie anbrüllen und sagen: „EURE MEINUNG UND EURE TIPPS GEHEN MIR AM A### VORBEI!“ Meine Erziehung hat mich aber gelehrt, zu schweigen und nett zu lächeln. Schweigen tue ich immer noch, aber meine Eltern haben mir nicht gesagt, ich dürfe es nicht schreiben ;).  Durch die Diät, die ich einhalten muss – die schon hart genug ist –, werde ich schon als jemand beschrieben, der eine Essstörung hat.

Wie ich die „Essgestörte“ wurde

Ein Beispiel bei der Arbeit. Es war ein Sonntag und ich hatte Frühschicht mit 4 Kolleginnen. Eine hatte den Vorschlag, uns allen vom Kiosk im Krankenhaus ein Eis zu spendieren. Ich habe als Einzige dankend abgelehnt und habe gesagt, dass ich keines möchte. Zuerst haben sie gemeint: „Ach ja, du hast ja Typ-1-Diabetes und darfst nicht.“ Ich hätte es darauf beruhen lassen können und hätte schon eine Ausrede gehabt, aber es wäre moralisch falsch, gegenüber medizinischem Fachpersonal als Betroffene Typ-1erin so einer Lüge zuzustimmen. Ich habe sie belehrt und gesagt, dass man als Typ-1-Diabetiker alles essen darf, was man will, nur dass ich im Moment kein Eis möchte. Eine meiner Kolleginnen ist fast schon aggressiv geworden. Sie argumentierte, dass Eisessen ein „Gesellschaftsding“ wäre und etwas mit mir nicht stimmt, wenn ich kein Eis esse.

Und da war es geschehen, von nun an war ich die Essgestörte, weil ich an einem heißen Sonntagmittag ein Eis abgelehnt habe. Ich habe sogar aufgehört, bei der Arbeit zu essen, denn mein Diätplan beinhaltet immer das Gleiche, wie ihr in meinem Plan sehen könnt. Um einfach den Kommentaren von meinen Kolleginnen aus dem Weg zu gehen, mache ich lieber keine Pausen und arbeite durch, statt mich ihrem Spott auszusetzen. Denn für sie ist das, was ich mache, ungesund, und immer das Gleiche zu essen, sei mehr als ungesund, das sagen sie mir, während sie sich ein Nutellabrot schmieren. Mich macht das beim Schreiben schon wütend, denn bevor ich mit dem Plan angefangen habe, habe ich teilweise 4 Stück Kuchen auf einmal gegessen – aber das war natürlich normal. Ich verstehe es bis heute nicht, doch wenn die Gesellschaft mich zwingen will, ein Eis zu essen, obwohl ich keines will, dann genieße ich lieber meine eigene Gesellschaft, denn ich weiß, wohin ich will, und kann mich damit nicht aufhalten.

Lieber sterbe ich, als mich anzupassen

So ist das. Mein Sport und meine Ernährung lassen mich vereinsamen. Das ist der Preis, den man zahlt, um etwas Großes und Tolles zu erreichen. Ich habe schon Angst, mich mit Freunden zum Grillen zu treffen und daneben mit einem Glas Tee oder meinem Putensalat zu sitzen. Es bleiben nur die übrig, die einen verstehen und wirklich unterstützen. Manchmal weine ich deshalb vor Wut und fühle mich unverstanden und frage mich, ob es nicht doch vielleicht besser wäre, mich anzupassen und ein „normales Leben“ zu führen. ABER ich würde selber nicht in den Spiegel schauen können.

Wenn ich das mal nicht schaffe, hasse ich mich dafür. Nicht, weil ich es heute nicht geschafft habe, sondern ich denke an all die Menschen, die es so runtermachen, und ich will ihnen auf gar keinen Fall die Bestätigung geben – lieber würde ich sterben, als das zu tun. Und für mich ist das nicht nur ein Spruch.

Ich habe das Gefühl, dass diese Menschen sich selber schlecht fühlen, wenn nicht alle in ihrer Umgebung so sind wie sie. Aber das ist nur ein Gefühl.

Ich bin stolz auf mich

Manchmal muss ich schmunzeln, wenn Kolleginnen mir erzählen, wie sie vor der Spätschicht eine halbe Stunde joggen waren. Natürlich spiele ich die Begeisterte und erzähle nicht, dass ich vor der Spätschicht um 5 Uhr morgens aufgestanden bin, um mit meinem einstündigen Cardiotraining zu beginnen, um danach ins Fitnesscenter zu fahren und dort mein Muskeltraining zu machen, um danach wieder eine Stunde Cardiotraining zu machen und zwischendurch mein Diätessen vorzubereiten und zu essen. Ich möchte nicht, dass sich irgendjemand meinetwegen schlecht fühlt, andererseits spiele ich mein Tun jeden Tag ab und möchte gerne rausschreien, wie stolz ich auf mich bin, wenn ich das mache.

Fast alle wollen mich scheitern sehen

Doch sie würden mich für verrückt erklären und – so ist meine Wahrnehmung und mein Gefühl – mich dafür hassen. Den Fehler habe ich einmal gemacht und habe erzählt, was ich vorhabe, und es wurde nur darauf gewartet, dass ich einen Fehler mache oder mich mal zu schwach fürs Training fühle oder mal unmotiviert bin. Das passiert immer wieder, aber wenn man das den falschen Leuten erzählt und die das mitbekommen, wird es gefährlich. Sie nutzen die Situation aus und fühlen sich bestätigt in ihrem Denken, dass das, was ich tue, falsch ist, und demotivieren mich noch mehr. Mit Sprüchen wie: „Ich habe es dir doch gesagt, das klappt niemals, was glaubst du eigentlich, du bist doch nicht Arnold Schwarzenegger.“ Bei jeder Erkrankung und Grippe heißt es: „Ja, das passiert, wenn du zu viel Sport treibst.“ Es macht mich fertig, noch fertiger als das Training und die Diät selber, aber da muss ich durch.

Nun zu meinem Trainingsplan :)…

Ich arbeite im Schichtdienst und werde euch jetzt nur ein Beispiel liefern, für einen Tag, an dem ich von 13:30 Uhr bis 21:30 Uhr Spätdienst hätte. Gestartet habe ich richtig erst am 1. Juni 2018.

Quelle: privat

Zuerst Ausdauer

Ich wache jeden Morgen auf und praktiziere nüchtern 1h mein Ausdauertraining zu Hause auf dem Crosstrainer. Beim Spätdienst um 6 Uhr morgens. Ich leide am Dawn-Phänomen, das bedeutet, dass mein Körper nachts verstärkt Hormone ausschüttet, die den Blutzucker in den frühen Morgenstunden ansteigen lassen. „Dawn“ ist Englisch für „Morgenröte“; Stress oder Schlafstörungen verstärken diesen Effekt. So habe ich einen Weg für mich gefunden, statt meine Basalrate nachts zu erhöhen morgens auf „natürlichem“ Weg meinen Blutzucker auf meinen Zielwert von 100 mg/dl (5,6 mmol/l) zu bringen. Klappt sehr oft, aber natürlich nicht immer.

Wenn ich das geschafft habe, frühstücke ich meine ersten zwei Mahlzeiten und fahre danach ins Gym, schließlich brauche ich Energie – natürlich in meinen verschwitzten Klamotten 🙂 ich muss ja Zeit sparen und im Gym fällt das nicht auf. Bis ich dort bin, ist es ca. 9 oder 10 Uhr.

Dann Kraft

Quelle: privat

Jetzt heißt es Muskeltraining – wenn du Fett ab- oder Muskeln aufbauen möchtest, liegt die Priorität im Krafttraining. Wenn die Energiequelle in den Muskeln hoch ist, das heißt auf gut deutsch: wenn du dein Pulver nicht zu früh verschießt. Deshalb darf man nie direkt vor dem Muskeltraining Ausdauertraining durchführen, sonst wäre dein Krafttraining weniger effektiv. Glaubt mir, übermüdet eine Hantel zu halten, ist nichts Schönes.

Nach dem Muskeltraining kommt noch eine Stunde Ausdauertraining, ist unproblematisch umsetzbar, außer an Tagen, an denen du deine Beine trainierst… und wenn du es dennoch schaffst, dann hast du nicht richtig deine Beine trainiert :).

Um ca. 12 fahre ich nach Hause und dusche, danach esse ich meine 5. und 6. Mahlzeit, um sie nicht bei der Arbeit essen zu müssen. Ich habe immer so einen unstillbaren Hunger, doch versuche ich, mich immer abzulenken oder 1 Liter auf ex zu trinken, um gar nicht erst daran zu denken, meine Diät aufzugeben. Nach der Spätschicht kommt die letzte Mahlzeit und das Tag für Tag. Ich muss darauf achten, mindestens 8h täglich zu schlafen und schlafe direkt nach der Spätschicht ein, um am nächsten Tag fit zu sein.

So viel zum Anfang. Ich habe bald einen Termin bei meiner Diabetologin und bei meinem Trainer. Ich werde euch mehr erzählen, wenn es so weit ist.

Bis dahin nicht unterkriegen lassen, egal, in welchem Aspekt des Lebens ihr seid 🙂

Liebe Grüße

eure Bilge


Steffi empfiehlt euch außerdem ein Diabetes-Trainingstagebuch!

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