Trotz Sport und Diät: Blutzuckerwerte sind erhöht

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Trotz Sport und Diät: Blutzuckerwerte sind erhöht

Die Ernährung umgestellt, mehr Bewegung in den Alltag eingebaut – und trotzdem sind die Blutzuckerwerte zu hoch? Dann kann es sehr sinnvoll sein, mit Insulin zu beginnen. Was ist dabei zu beachten und welche Therapie-Arten gibt es?

Der Fall


Petra M., 76 Jahre und seit 20 Jahren Typ-2-Diabetes, war bisher mit „Diabetes-Tabletten“ gut eingestellt – besonders, nachdem sie 20 kg durch vernünftiges Essen und regelmäßige Spaziergänge abgenommen hatte.

Doch als im Rahmen einer akuten Bronchitis, die sie glücklicherweise zu Hause behandeln lassen konnte, der Blutzucker verrücktspielte (Blutzuckerwerte bis 240 mg/dl bzw. 13,3 mmol/l), brauchte sie Insulin. Auch nach Abklingen der akuten Bronchitis waren die Blutzuckerwerte immer noch bei etwa 200 mg/dl (bzw. 11,1 mmol/l) morgens.

Als sie nun lediglich eine kleine Dosis Basalinsulin abends spritzte (10 bis 14 Einheiten), lagen ihre Werte bei 120 bis 140 mg/dl bzw. 6,7 bis 7,8 mmol/l. Ihre Diabetes-Tabletten hatte sie weiterhin genommen.

Sie haben Typ-2-Diabetes und erhöhte Blutzuckerwerte nüchtern oder auch tagsüber? Und Ihr Arzt hat Sie deshalb darauf hingewiesen, wie notwendig Diät und mehr Bewegung sind, obwohl sie dem Arzt oder der Diabetesberaterin versichern, dass sie kaum naschen und auch, soweit möglich, körperlich aktiv sind? Wir wissen heute, dass trotz „Diät“ und regelmäßiger körperlicher Aktivität, unterstützt durch „Diabetes-Medikamente“ (meist Tabletten), irgendwann der Moment kommt, wo all diese Maßnahmen nicht mehr ausreichen.

Vor Insulin: GLP-1-Rezeptoragonisten

Da bereits zum Zeitpunkt der Diagnose eines Typ-2-Diabetes ein Teil der insulinproduzierenden Zellen abgestorben ist und ständig weitere Beta-Zellen absterben, kommt irgendwann der Tag, an dem man zusätzlich zu den bereits eingesetzten Medikamenten Insulin benötigt. Bei sehr übergewichtigen Menschen mit Typ-2-Diabetes ist vor dem Einsatz von Insulin ein Versuch mit GLP-1-Rezeptoragonisten sinnvoll.

Diese Medikamente imitieren die Wirkung des Darmhormons Glucagon-like Peptide-1 (GLP-1), das bei Nahrungsaufnahme bei fortschreitender Diabeteserkrankung in immer geringerer Menge aus der Schleimhaut des Dünndarms ausgeschüttet wird. Durch diesen Mangel steigen oft die Blutzuckerwerte nach dem Essen und auch nüchtern, ohne dass man viele Kohlenhydrate gegessen hat.

Die GLP-1-Rezeptoragonisten wie Dulaglutid (Handelsname: Trulicity), Exenatid (Byetta, Bydureon), Liraglutid (Victoza) und Semaglutid (Ozempic) werden, wie Insulin, gespritzt. Es gibt eine Ausnahme: Semaglutid ist unter dem Namen Rybelsus seit Kurzem auch als Tablette verfügbar. Die Medikamente verringern den Appetit und die Zuckeraufnahme im Darm, außerdem hemmen sie die Zuckerabgabe aus der Leber. So ist zusätzlich zur besseren Blutzuckereinstellung manchmal eine drastische Gewichtsabnahme möglich.

Zusätzlich zu den Einzelsubstanzen gibt es ein Präparat mit einer festen Kombination eines GLP-1-Rezeptoragonisten (Lixisenatid) und eines Basalinsulins (Insulin glargin 100 Einheiten/ml): Suliqua. Mit dieser Kombination versucht man, eine Gewichtszunahme durch den Beginn einer Insulintherapie zu verhindern.

Zunehmendes Alter der Menschen mit Diabetes

Diabetes ist gerade bei älteren Menschen immer häufiger – 25 Prozent der über 75-Jährigen haben einen Diabetes. Deshalb müssen bei der Neueinstellung auf Insulin immer auch das Alter des Betroffenen und dessen körperliche und psychische/geistige Fähigkeiten berücksichtigt werden, um niemanden zu überfordern. Auch die oft vorhandene Angst vor dem Spritzen muss man durch Aufklärung nehmen – ein einfaches Insulinschema und das Verwenden sehr kurzer Kanülen mit 4 mm Länge für die Injektion unterstützen dies.

Da bei einer Insulintherapie das Messen der Glukosewerte sinnvoll ist, kann der Einsatz der Gewebezuckermessung mit einem Sensor anstelle der Blutzuckermessung mit regelmäßigen „Finger-Piksen“ den Einstieg manchmal erleichtern. Klar ist auch: Einmal Insulin heißt nicht immer Insulin. Man sollte mit seinem Diabetesteam besprechen, unter welchen Bedingungen wieder ein Ausstieg aus der Insulintherapie möglich ist.

Wie beginnt man eine Insulintherapie?

Zunächst klärt man, ob primär die Nüchtern-Blutzuckerwerte erhöht sind und/oder auch die Werte nach dem Essen. Sind beide Werte erhöht, spricht das eher dafür, dass man sowohl nachts als auch tagsüber Insulin benötigt. Dann geht es nur noch darum, mit welchem Therapieschema man möglichst einfach und ohne Nebenwirkungen (vor allem Unterzuckerungen) beginnen kann.

Derzeit bei uns verfügbare Insuline


kurzwirksame Insuline
kurzwirksame Humaninsuline
  • Actrapid
  • Berlinsulin H Normal
  • Huminsulin Normal
  • Insuman Rapid
kurzwirksame Analoginsuline
  • Apidra
  • Humalog
  • Insulin aspart Sanofi
  • Insulin lispro Sanofi
  • Liprolog
  • NovoRapid
ultrakurzwirksame Analoginsuline
  • Fiasp
  • Lyumjev
langwirksame Insuline
langwirksame Humaninsuline
  • Berlinsulin H Basal
  • Huminsulin Basal
  • Insuman Basal
  • Protaphane
langwirksame Analoginsuline
  • Abasaglar
  • Lantus
  • Levemir
ultralangwirksame Analoginsuline
  • Toujeo
  • Tresiba
Mischinsuline (kurz- und langwirksames Insulin)
Humane Mischinsuline
  • Insuman Comb 15, 25 und 50
  • Actraphane 30 und 50
  • Huminsulin Profil III
  • Berlinsulin H 30/70
Analoge Mischinsuline
  • Liprolog Mix 25 und 50
  • NovoMix 30
  • Humalog Mix 25 und 50

Trotz einer Insulingabe sollten Medikamente wie Metformin möglichst beibehalten werden, da dadurch weniger Insulin notwendig ist und damit auch das Risiko für eine Unterzuckerung und ggf. auch eine weitere Gewichtszunahme reduziert wird. Die Art der Insulintherapie richtet sich, wie oben schon erwähnt, primär danach, ob erhöhte Nüchternwerte und/oder erhöhte Blutzuckerwerte etwa 2 Stunden nach den Mahlzeiten vorliegen:

1. Erhöhte Blutzuckerwerte nüchtern

Sind die Nüchtern-Blutzuckerwerte erhöht und lassen sie sich durch die alleinige Gabe von Metformin abends nach dem Abendessen nicht mehr in den Normbereich senken, ist es sinnvoll, die Insulintherapie mit einer kleinen Menge Basalinsulin vor dem Schlafengehen zu starten.

2. Erhöhte Blutzuckerwerte nach den Mahlzeiten

Viele Typ-2-Diabetiker haben schon zu Beginn ihrer Erkrankung zu wenig Insulin, um die Kohlenhydrate aus den Mahlzeiten aus dem Blut in die Zellen zu bringen – Blutzuckermessungen etwa 2 Stunden nach dem Essen können dies aufzeigen. Regelmäßig erhöhte Werte nach den Mahlzeiten sind besonders für schwerwiegende Schäden am Herz-Kreislauf-System verantwortlich – weshalb es sinnvoll ist, diese konsequent zu senken.

Ein einfacher Einstieg in eine Insulintherapie bei lediglich erhöhten Werten nach den Mahlzeiten ist die SIT (supplementäre Insulintherapie): die Gabe von kleinen festen Dosen schnell- und kurzwirksamen Insulins kurz vor den Hauptmahlzeiten. Mittlerweile gibt es auch zwei sehr schnell und kürzer wirkende analoge Mahlzeiten-Insuline, mit denen dies oft sehr gut gelingt: Fiasp (Wirkstoff: faster Insulin aspart) und Lyumjev (Insulin lispro).

3. Erhöhte Blutzuckerwerte nüchtern und nach den Mahlzeiten

Zeigt sich anhand von erhöhten Blutzuckerwerten nüchtern und nach den Mahlzeiten und dazwischen, dass sowohl nachts als auch tagsüber Insulin gebraucht wird, hat sich als einfachster Einstieg in die Insulintherapie die Verwendung eines Langzeit-Analoginsulins wie Insulin glargin (Lantus, Abasaglar, Toujeo) und Insulin degludec (Tresiba) als sehr günstig erwiesen. In Kombination mit Tabletten zur Behandlung des Diabetes nennt man diese Therapie basalunterstützte orale Therapie (BOT).

Zum einfacheren Start gibt es für Insulin glargin eine Art „Titrationsschema“ – eine Anleitung für die konkrete Insulinmenge (siehe folgende Tabelle), die aber immer mit dem behandelnden Arzt besprochen werden muss.

Basal unterstützte orale Therapie (BOT)


Anpassung der abendlichen Insulindosis, abhängig von den morgendlichen Blutzuckerwerten (Beispiel)
Nüchternblutzucker Dosis-Vorschlag (Erfahrungswerte) mit Insulin glargin 100 Einheiten/ml (z. B. Abasaglar, Lantus)
über 180 mg/dl (10,0 mmol/l) + 6 Einheiten
über 140 mg/dl (7,8 mmol/l) + 4 Einheiten
über 110 mg/dl (6,1 mmol/l) + 2 Einheiten
unter 90 mg/dl (5,0 mmol/l) - 2 Einheiten

Wird schon eine SIT durchgeführt, kann ergänzend ein Langzeit-Analoginsulin eingesetzt werden wie Insulin glargin und Insulin degludec, aber auch z. B. Insulin detemir (Levemir) oder ein verzögertes Humaninsulin (NPH-Insulin). Alternativ kann auch eine konventionelle Insulintherapie (CT) mit Mischinsulin mit z. B. 30 Prozent kurzwirkendem und 70 Prozent verzögertem Insulin zwei- oder dreimal täglich gespritzt.

Heute ist es aber eher sinnvoll, Mischungen mit Analoginsulin einzusetzen, z. B. Humalog Mix 25 oder NovoMix 30, da die Unterzuckerungsgefahr geringer ist. Das Mischinsulin sollte nur zu den Hauptmahlzeiten gegeben werden, unter Umständen z. B. auch nur mittags und abends, wenn nicht gefrühstückt wird.

Insulin bei Niereninsuffizienz

Viele ältere Menschen mit Typ-2-Diabetes haben eine eingeschränkte Nierenfunktion (Niereninsuffizienz). Manche Tabletten zum Senken der Blutzuckerwerte dürfen ab einem bestimmten Ausmaß der Nierenfunktionsstörung nicht mehr gegeben werden oder müssen von der Menge her reduziert werden.

Die Wirkung von Insulin kann bei einer Niereninsuffizienz verstärkt und verlängert sein, denn Insulin wird z. T. über die Nieren ausgeschieden. Manchmal benötigt man aber auch mehr Insulin. In diesen Fällen ist, wie bei jeder anderen Diabetestherapie auch, ein individuelles Ausprobieren erforderlich.

Zusammenfassung

Wenn ein Mensch mit Typ-2-Diabetes wegen ständig zu hoher Blutzuckerwerte – auch ohne üppiges Essen – Insulin benötigt, ist gerade mit zunehmendem Alter eine einfache, möglichst nicht einschränkende Therapie sinnvoll. Die Lebensqualität soll sich ja damit verbessern und nicht verschlechtern. Das Beibehalten von „Diabetes-Tabletten“, evtl. in geringerer Stärke/Dosis, hilft, eine Gewichtszunahme zu verhindern und trotzdem gute Blutzuckerwerte zu erreichen.

Neue Insuline, evtl. auch in Kombination mit GLP-1-Rezeptoragonisten, sind dabei sehr effektiv. Das Verhindern schwerer Unterzuckerungen hat dabei Vorrang! Schulung und regelmäßiges Training sind ebenfalls sehr hilfreich bei diesem Schritt hin zu einer Therapie mit Insulin.


Autor:

Dr. Gerhard-W. Schmeisl
Internist, Angiologe, Diabetologe und Sozialmediziner
Lehrbeauftragter der Universität Würzburg
Chefarzt Deegenbergklinik
Burgstraße 21, 97688 Bad Kissingen

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2021; 70 (1) Seite 32-35

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