Typ-F-Diabetes kann auch belastend sein

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Typ-F-Diabetes kann auch belastend sein

Diabetes kann auch bei Angehörigen zu Belastungen führen. In einigen Bereichen, wie der Angst vor Unterzuckerungen, können diese sogar stärker ausgeprägt sein als bei den Personen mit Diabetes selbst.

Regelmäßige Termine beim Arzt, Schulungen oder Angebote zum Austausch mit anderen Menschen mit Diabetes: Für Betroffene gibt es viele Möglichkeiten, sich über die Erkrankung mit Experten oder anderen Personen mit Diabetes auszutauschen. Für Angehörige ist dies viel schwieriger, obwohl auch für sie der Diabetes eine wichtige Rolle im Leben spielt. Die Frau eines meiner Patienten drückte das in einer Therapie-Sitzung einmal so aus: “In Bezug auf den Diabetes fühle ich mich wie beim Autofahren auf dem Beifahrersitz. Er lenkt und gibt das Tempo vor, ich kann nicht eingreifen. Ich würde mich viel sicherer fühlen, wenn ich am Steuer sitzen würde – aber so bin ich seiner Fahrweise, mit der ich nicht einverstanden bin, völlig ausgeliefert. Das stresst mich, nicht ihn, da er seinen Umgang mit seinem Diabetes völlig in Ordnung findet. Ich finde das überhaupt nicht und mache mir oft große Sorgen und bin wegen des Diabetes viel angespannter und gestresster als mein Partner.”

Austausch unter Angehörigen

Da es tatsächlich nur wenige Angebote für Angehörige von Menschen mit Diabetes gibt, sich über ihre Erfahrungen, Wünsche und Nöte in Bezug auf den Diabetes auszutauschen, bietet die Diabetes-Akademie Bad Mergentheim regelmäßig auch Workshops für Angehörige an, in denen man sich austauschen kann, wie es sich anfühlt, auf dem “Beifahrersitz” zu sitzen. “Mein Mann Johannes geht immer sehr locker mit seinem Diabetes und auch mit dem Risiko für Unterzuckerungen um. Seit er mit unseren beiden Kindern auf dem Rücksitz eine ‚Hypo‘ während des Autofahrens hatte, habe ich immer Angst, dass ihm, unseren Kindern oder anderen Personen etwas zustößt. Und es bringt mich auf die Palme, wenn er meint, ich solle mich nicht so aufregen …”, berichtete etwa Hanna (38 Jahre) in einem dieser Workshops. “Unterzuckerungen sind auch für mich ein wichtiges Thema in unserer Beziehung, da mein Partner Klaus beruflich auf das Auto angewiesen ist und sehr viel fährt. Da ich weiß, dass seine Unterzuckerungs-Wahrnehmung nicht besonders gut ist, bitte ich ihn immer, dass er sich regelmäßig meldet, was er als Bevormundung auffasst und fast nie macht. Ich kann nicht schlafen, bis er zu Hause ist, und mache mir viele Sorgen, die mein Partner aber weitgehend ignoriert”, pflichtete ihr Maria (45 Jahre) bei. Für Ralph (61 Jahre) ist es vor allem der Perfektionismus seiner Frau Anette, der ihn auf die Palme bringt. “Anette möchte immer sehr gute Glukosewerte haben, was ja eigentlich positiv ist. Aber wenn ihr das nicht gelingt – und das ist bei Diabetes nicht zu selten –, sucht sie ständig nach möglichen Ursachen, analysiert ihre Werte und kontrolliert den Glukoseverlauf. Ich finde, sie geht zu perfektionistisch mit ihrem Diabetes um und ignoriert oft meine Bedürfnisse, da sich oft alles um ihren Diabetes und ihre Werte dreht. Das habe ich ehrlicherweise oft ganz schön satt.” In der Beziehung von Peter (31 Jahre) und Sabine steht ein ganz anderes Thema immer wieder im Mittelpunkt von Auseinandersetzungen. Peter kritisiert, dass Sabine oft zu hohe Glukosewerte hat und sich viel zu wenig mit ihrem Diabetes beschäftigt. Er hat Angst, dass durch Sabines Verhalten der gemeinsame Wunsch nach Kindern gefährdet ist und sich ihre beginnenden Folgeerkrankungen verschlechtern. Sabine hingegen fühlt sich durch Peter bevormundet, kritisiert und nicht verstanden.

Unterschiedliche Wahrnehmungen

Gemeinsam ist all diesen geschilderten Partnerschafts-Konflikten, dass die Partner ihr Verhalten aus ihrer eigenen Perspektive sehen und es nicht gelingt, auch die Schwierigkeiten und Wünsche des Partners bzw. der Partnerin wahrzunehmen. So gelingt es Johannes nicht, die Sorgen seiner Frau nachzuempfinden, da er sich von ihr kritisiert und kontrolliert fühlt. Mit seinem Verhalten verstärkt er jedoch nur die Befürchtungen seiner Frau – sehr ähnlich wie bei Maria und Klaus. Während Anette dem Diabetes einen sehr hohen Stellenwert einräumt und daher Ralph oft das Gefühl hat, dass die Erkrankung seiner Frau oft im Mittelpunkt steht und seine Wünsche und Bedürfnisse zu kurz kommen, ist es bei Sabine und Peter fast umgekehrt. Je mehr Peter seiner Frau Vorhaltungen macht, sich besser um ihren Diabetes zu kümmern, desto trotziger und patziger wird Sabine. Insgeheim denkt sie sich, Peter verhalte sich immer mehr wie ihre Eltern, die es durch ihr Verhalten Sabine nicht einfach gemacht hatten, ein unkompliziertes und positives Verhältnis zu ihrem Diabetes aufzubauen. Bei Hanna, Maria, Johannes, Anette, Ralph, Peter und Sabine gibt es eine Gemeinsamkeit: Der Diabetes nimmt einen großen Stellenwert in der Partnerschaft ein und ist für alle Beteiligten belastend.

Studien bestätigen Belastungen durch Typ-F-Diabetes

Eine Reihe von wissenschaftlichen Studien kam zu dem Schluss, dass die Belastungen und Einschränkungen der Lebensqualität aufgrund des Diabetes bei nahen Angehörigen – in der Regel der Partner bzw. die Partnerin – fast genauso hoch sind wie bei den Betroffenen selbst. Das war auch das Ergebnis der weltweiten DAWN2-Studie. In zwei Bereichen – der Sorge vor Unterzuckerungen und einer Gewichts-Zunahme des Partners – waren Angehörige sogar stärker belastet als die Menschen mit Diabetes. Daher sind auch mögliche Belastungen durch Typ-F-Diabetes bei der Therapie des Diabetes zu berücksichtigen.

Schulung auch für Angehörige

Während Betroffene geschult werden, fehlen bislang gezielte Schulungsmöglichkeiten für Angehörige. Zwar gibt es bei vielen Programmen “Angehörigen-Stunden”, aber in diesen können nur die wesentlichen Informationen über den Diabetes vermittelt werden. Um Abhilfe zu schaffen, hat der Verband der Diabetes-Beratungs und Schulungsberufe in Deutschland (VDBD) ein Schulungs-Programm für Angehörige – DiaLife – entwickelt und in einer Studie gezeigt, dass es wirksam ist. Sehr empfehlenswert ist auch das Buch “In guten wie in schlechten Werten” (Kirchheim-Verlag) von Antje Thiel, die selbst mit Typ-1-Diabetes lebt und in sehr einfühlsamen Gesprächen berichtet, wie Paare und andere Angehörige ihren gemeinsamen Weg im Umgang mit dem Diabetes gefunden haben.

Gemeinsam nach Lösungen suchen

Eigene Bedürfnisse ernst zu nehmen und im Dialog mit dem Partner nach konstruktiven Lösungen zu suchen, sind die wichtigsten Tipps aus den Angehörigen-Runden. Für Hanna und Johannes war die Methode der kontinuierlichen Glukose-Messung (CGM) mit der Follower-Funktion, bei der Dritte die Glukosewerte des Betroffenen über eine App aktuell sehen können, eine wichtige Hilfe. So konnte Johannes zeigen, dass er Hannas Befürchtungen ernst nimmt, und Hanna versprach, die Follower-Funktion nicht zu oft zu nutzen und ihren Mann nicht ständig zu kontrollieren. Dass Klaus bei dem Diabetologen einen Unterzuckerungs-Wahrnehmungs-Kurs besuchte und auch CGM regelmäßig nutzte, zeigte Maria, dass er ihre Sorgen ernst nimmt. Für Anette und Klaus waren die gemeinsamen Gespräche beim Diabetologen wichtig, bei denen Klaus auch das seinem Empfinden nach zu strikte Glukose-Management seiner Frau thematisieren konnte. Mittlerweile haben es sich beide angewöhnt, nach dem Quartals-Besuch beim Diabetologen gemeinsam essen zu gehen und in einer guten Atmosphäre über den gemeinsamen Umgang mit dem Diabetes zu sprechen. Für Peter und Sabine waren die Gespräche, die sie gemeinsam bei einem Psychotherapeuten führten, sehr aufschlussreich. So erfuhr Peter mehr über die Geschichte seiner Frau in Bezug auf den Diabetes und konnte ihr Verhalten daher viel besser nachvollziehen. Für Sabine war es wichtig, sich über ihren Kinderwunsch klarer zu werden und Peters Verhalten auch als einen Liebesbeweis anzuerkennen.

Mein persönliches Fazit:Ich habe in den Angehörigen-Workshops und in den Gesprächen mit meinen Patientinnen und Patienten sehr viel gelernt, vor allem, wie bedeutsam der Diabetes in den meisten Beziehungen ist und wie wichtig es ist, gemeinsam nach einem Weg zu suchen, mit dem alle Beteiligten – gleich welchen Diabetes-Typs – gut leben können.


Schwerpunkt “Den Diabetes gemeinsam managen”

Autor:
© zukunftsboard digitalisierung/Ludwig Niethammer
Prof. Dr. Bernhard Kulzer

Diabetes Zentrum Mergentheim
Forschungsinstitut Diabetes-Akademie Bad Mergentheim (FIDAM)
Johann-Hammer-Straße 24
97980 Bad Mergentheim

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2022; 71 (10) Seite 24-27

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