Umstellen auf ein AID-System – ohne die typischen Fehler

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Umstellen auf ein AID-System – ohne die typischen Fehler

Nicht mehr in Basal und Bolus denken

Den ersten Denkfehler hatte Peter schon bei der Vorstellung der Insulinpumpe bei der Diabetesberaterin geklärt. Idealerweise wäre das System ein geschlossener Kreis, bei dem die Menschen mit Diabetes dem System keine Informationen mehr geben müssen. Jedoch sind bei den heute verfügbaren Systemen verschiedene Grundeinstellungen und Eingaben erforderlich, insbesondere von Kohlenhydrat-Mengen der Mahlzeiten oder körperlicher Aktivität. Auch sind die traditionellen Konzepte von "Basal" und "Bolus" mit AID weniger nützlich, da bei AID-Systemen ein Rechen-Programm, der Algorithmus, die Steuerung der Insulin-Gabe nach Bedarf übernimmt. Da der Algorithmus "Basal" und "Bolus" verwendet, um die Glukosewerte zu steuern, unterscheidet man jetzt eine "Nutzer-initiierte" und eine "automatische" Insulin-Dosis.

Größter Fehler: falsche Erwartungen

In den USA hat sich gezeigt, dass viele Erwachsene, aber auch Jugendliche nach einem Jahr die Automatisierung nicht mehr verwenden. Sind Erwartungs-Haltung an den Grad der Automatisierung und Wissen über die Systeme nicht ausreichend vermittelt, kann dies zum Abbruch dieser Therapie führen.

Wichtig sind das passgenaue Einstellen des Kohlenhydrat-Verhältnisses, die Bedeutung des Timings der von den Anwendern veranlassten Insulin-Bolusgaben vor der Mahlzeit, der korrekte Umgang mit einem verzögerten oder versäumten Mahlzeiten-Bolus, das Verstehen der neuen Prinzipien im Umgang mit Sport sowie des rechtzeitigen Umstiegs von AID zu manuellem Modus bei Auftreten erhöhter Ketonwerte. Für den Erfolg der Behandlung mit einem AID-System scheint eine gute Kenntnis des jeweiligen Systems und das richtige Erwartungs-Management sowohl beim Behandlungs-Team als auch bei den Anwendern von großer Bedeutung zu sein.

Wissen, wie das System funktioniert

AID-Systeme sind dadurch charakterisiert, dass mithilfe der von einem Glukose-Sensor gemessenen Werte und eines programmierten Algorithmus das Insulin so abgegeben wird, dass der gewünschte Zielbereich erreicht wird. Dazu wird bei den meisten Systemen ein Zielwert für die Glukose zwischen 100 und 150 mg/dl (5,6 und 8,3 mmol/l) festgelegt. Der Algorithmus berechnet die notwendige Insulinmenge aus der Differenz zwischen dem aktuellen Glukosewert und dem Zielwert. Der Algorithmus für die automatisierte Insulin-Zufuhr betrifft die basale Insulin-Menge. Die Mahlzeiten-Boli rufen die Anwender weiterhin manuell auf der Insulinpumpe ab. Deshalb spricht man auch von einem Hybrid-AID-System (z. B. MiniMed 670G, 770G, CAM AP). Bei den aktuellsten Systemen MiniMed 780G, t:slim X2 CONTROL-IQ bzw. dem Algorithmus DBLG1 wird zusätzlich ein Korrektur-Bolus automatisch abgegeben, falls die Glukosewerte zu hoch sind.

Grundsätzlich gibt es bei den verschiedenen Systemen Besonderheiten zu beachten. Zum Beispiel wird bei den Medtronic-Pumpen (MiniMed) alle 5 Minuten ein Mikro-Bolus abgegeben. Die Abfolge solcher Mikro-Boli stellt die basale Insulin-Abgabe dar. Dagegen wird bei der t:slim X2 CONTROL-IQ die einprogrammierte Basalrate bedarfsgerecht hoch- oder runtergeregelt. Auch sind die dem System anfänglich einzugebenden Werte unterschiedlich. Die Medtronic-Pumpen errechnen sich die Insulin-Empfindlichkeit anhand pharmakologischer Daten für das Insulin und der eingestellten Wirkdauer, bei der t:slim steht dafür das einzugebende Körpergewicht Pate. Mit dem Diabetesteam sind die Unterschiede bei den AID-Systemen zu besprechen, um das optimale System für den jeweiligten Anwender auszuwählen.

Richtiger Umgang mit Unterzuckerungen

Peter wurde empfohlen, vor einem Unterzuckerungs-Alarm bei niedrigen Werten keine Kohlenhydrate zu sich zu nehmen. Bei AID-Systemen werden typischerweise weniger schnelle Kohlenhydrate für die Behandlung von Unterzuckerungen (Hypoglykämien) benötigt. Peter wurde geraten, mit 5 bis 10 g Kohlenhydraten statt der zuvor ihm empfohlenen 15 g zu beginnen, mit einer Ausnahme für Hypoglykämien bei körperlicher Betätigung oder im Fall einer bekannten deutlichen Überschätzung des Kohlenhydrat-/Mahlzeiten-Bolus. Ähnlich wie bei der Insulinpumpen-Therapie ohne AID sollte Peter 15 Minuten warten, bevor er eine Hypoglykämie erneut behandelt. Es brauchte ein bisschen Überwindung für Peter, die Pumpe "machen zu lassen", aber er stellte fest, dass es als Folge übermäßiger Gabe von "Rettungs-Kohlenhydraten" sonst rasch zu einem "Rauf und Runter" von Glukosewerten kam.

Abschied von KE und BE

Menschen mit Diabetes, die keine Kohlenhydrate berechnen, können ein AID-System nicht effektiv einsetzen. Da eine grammgenaue Eingabe von Kohlenhydraten bei allen Geräten notwendig ist, sind die bislang in Deutschland immer noch weit verbreiteten Schätzgrößen wie KE oder BE (Kohlenhydrat- oder Broteinheiten) aber nicht mehr zeitgemäß. Die Kohlenhydrat-Zählung mit einem gewissen Genauigkeits-Grad ist für die aktuellen Systeme immer noch eine Notwendigkeit. Kleine Fehler beim Schätzen der Kohlenhydrat-Zufuhr und damit des Bolus-Insulinbedarfs von ca. 10 bis 20 Prozent können jedoch durch automatisierte Insulin-Abgabe nach den Mahlzeiten kompensiert werden.

Wie bei herkömmlichen Insulinpumpen-Systemen bleiben sehr große Kohlenhydrat-Mahlzeiten (z. B. mehr als 70 bis 100 g Kohlenhydrate pro Mahlzeit) ein Problem für AID-Systeme, selbst wenn der Bolus 15 bis 20 Minuten vor einer Mahlzeit verabreicht wird. Dies ist wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass Insulin subkutan gegeben wird und immer noch nicht schnell genug in den Kreislauf gelangt.

Vorsicht bei vergessenem Bolus

Ähnlich wie bei den Empfehlungen für Insulinpumpen ohne automatisierte Insulin-Abgabe sollte der Mahlzeiten-Bolus bei AID-Systemen mindestens 10 bis 20 Minuten vor einer Mahlzeit gegeben werden, insbesondere in Zeiten geringer Insulin-Empfindlichkeit wie beim Frühstück. Der Zeitpunkt des von den Anwendern gegebenen Bolus (vor der Kohlenhydrat-Aufnahme) ist besonders wichtig, da das AID-System nach einem Mahlzeiten-bedingten Anstieg des Glukosespiegels automatisch die durch den Algorithmus berechnete Insulin-Abgabe erhöht. Als Peter z. B. eine Stunde nach dem Essen einfiel, dass er seinen Mahlzeiten-Bolus vergessen hatte, und dann die volle Mahlzeiten-Dosis gab, kam es zu einer Unterzuckerung. Diese Dosis, zusammen mit der bereits von der Pumpe in der letzten Stunde zusätzlich abgegebenen Korrektur, war zu viel, obwohl das AID-System nach dem Bolus die weitere Insulin-Abgabe sofort unterbrochen hatte. Peter erinnerte sich an den Rat, in Situationen, in denen er einen Mahlzeiten-Bolus erst 30 bis 60 Minuten nach der Mahlzeit abgeben sollte, nur die Hälfte des Bolus zu geben. Wenn mehr als 60 Minuten seit dem Zeitpunkt der Mahlzeit vergangen sind, sollte er nur einen Korrektur-Bolus geben, der auf Glukose-Anstieg basiert, d. h. nur den vom System empfohlenen Korrektur-Bolus.

Verschiedene Bolus-Typen?

Mit seiner alten Insulinpumpe hatte Peter bei fett- und eiweißreichen Mahlzeiten mit verschiedenen Bolus-Typen gearbeitet. Obwohl einige Systeme (z. B. t:slim X2) die Möglichkeit haben, einen verlängerten Bolus zu geben, ist der klinische Nutzen bei den meisten AID-Systemen möglicherweise begrenzt. Bei anhaltend erhöhten Glukosewerten nach bestimmten Mahlzeiten, wie solchen mit hohem Fettgehalt, führt der AID-Modus unweigerlich zu einer Insulin-Mehrabgabe. Bei eiweiß- und fettreichen Mahlzeiten kann bei Systemen, bei denen das Verwenden eines verlängerten Bolus im Auto-Modus nicht mehr möglich ist (MiniMed 780G), ein zusätzlicher, vom Anwender gegebener Korrektur-Bolus notwendig werden, wenn der Algorithmus nicht in der Lage ist, die hohen Werte nach dem Essen trotz automatisierter Insulin-Abgabe auszugleichen. Einige Systeme (CamAPS FX) erlauben die Angabe einer "langsam absorbierten Mahlzeit", um solche Mahlzeiten gut mit Insulin zu versorgen.

Umdenken beim Sport

Alle AID-Systeme haben die Fähigkeit, die Insulin-Abgabe bei niedrigen Glukosespiegeln zu verringern und auszusetzen, um eine Hypoglykämie zu verhindern. Diese Funktionen sind jedoch typischerweise während des Trainings nicht so effektiv wie im Ruhe-Zustand, da die Insulin-Empfindlichkeit während des Trainings meist deutlich höher sein kann. Bislang hatte Peter immer eine "Sport-KE" vor körperlicher Belastung gegessen. Bei dem AID-System führt das aber zu mehr Insulin im System, was durch die stärkere Insulin-Wirkung bei Sport das Risiko für Unterzuckerungen eher erhöht. Bei Sport ist beim Umgang mit AID-Systemen das Grundprinzip, dass zu Beginn des Trainings nur eine kleine Menge Insulin im System ist. Das Management bei körperlicher Aktivität mit AID-Systemen erfolgt daher durch die Einstellung eines höheren Glukose-Ziels, idealerweise lange vor Beginn der Aktivität, z. B. bis zu 1 bis 2 Stunden im Voraus. Nach einer sehr langen und anstrengenden Trainings-Einheit hilft es, das AID-System bis zu 12 Stunden in einer Trainings-Einstellung (oder einem erhöhten Glukose-Zielwert) zu halten, um eine Unterzuckerung nach dem Training zu verhindern.

AID bringt Ruhe in der Nacht

Peter war jedenfalls mit seiner Entscheidung für ein AID-System sehr zufrieden. Es fiel ihm nicht besonders schwer, die vom System geforderten Aufgaben – gegebenenfalls Kalibrierung, Eingabe von Gramm Kohlenhydraten, rechtzeitiges Einstellen des Aktivitätsmodus – umzusetzen. Was er besonders schätzte, war, dass er morgens immer mit einem guten Wert aufwachte und seine Mutter nachts nicht mehr zur Kontrolle in sein Zimmer kam. Tagsüber hatte er weniger Arbeit mit dem Anpassen der Einstellungen und dem Mikromanagement hoher Glukosewerte. In seinem Tanzkurs hatte er aber auch ein Mädchen kennengelernt, die sich mit einem "Do-it-Yourself"-System behandelte. Sie hatte eine detaillierte Kenntnis ihrer Einstellungs-Parameter und war von der fehlenden Flexibilität kommerzieller Systeme enttäuscht.

Von Studien ist bekannt, dass Menschen, die bereits bei Umstellung auf ein AID-System eine gute Zeit im Zielbereich haben, die insgesamt besten Ergebnisse mit AID erreichen. Andererseits zeigen solche mit einer geringeren Zeit im Zielbereich bei Beginn die insgesamt größte Verbesserung. Wie zu erwarten, spielt dabei die Dauer der tatsächlichen Nutzung des AID-Modus für einen Erfolg die größte Rolle.

Schwerpunkt „Wege und Nutzen von Technologien“

Prof. Dr. Thomas Danne
Kinderkrankenhaus auf der Bult
Janusz-Korczak-Allee 12
30173 Hannover
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