Update: Therapie des Typ-2-Diabetes

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Update: Therapie des Typ-2-Diabetes

Bei den Medikamenten zur Behandlung des Typ-2-­Diabetes tut sich immer wieder Neues auf. Deshalb geben wir Ihnen in Abständen immer wieder einen Überblick über den aktuellen Stand – damit Sie immer auf dem Laufenden sind.

Der Fall
Johannes B., 47 Jahre, Typ-2-Dia­betiker und 147 kg schwer, hat schon seit einigen Jahren vermehrt Luftnot bei Belastung – zeitweise auch schon im Sitzen. Nach einem Unterschenkelbruch vor 4 Jahren, bei dem er wochenlang nicht mehr richtig laufen konnte, nahm Johannes immer mehr an Gewicht zu – nun kam auch noch „Corona“ dazu.

Nachdem der Hausarzt schon über eine Magen-Operation nachgedacht hatte, erwähnte ein Diabetologe im Krankenhaus, der dort als Konsiliar-Arzt tätig war und den man hinzugezogen hatte, um seine Meinung zu hören, eine „neue“ Medikamenten-Gruppe, mit der viele übergewichtige Diabetiker schon sehr stark abgenommen hätten.

Johannes spritzte sich die neue Substanz täglich, zunächst in geringer Dosis, nach 6 Wochen in höherer Dosierung. In 3 Monaten hatte er, auch mit mehr Bewegung auf dem Cross-Trainer und einer geringeren Kalorien-Aufnahme, tatsächlich schon 12 kg abgenommen. Es ging ihm viel besser und er bekam deutlich besser Luft. Seine Blutzuckerwerte waren sehr gut und er war motiviert, weiterzumachen! Eine Operation wurde jetzt nicht mehr diskutiert.

Bei der Behandlung des Typ-2-Diabetes steht nicht nur das Normalisieren der Blutzuckerwerte im Fokus der Behandlung, sondern oft auch gleichzeitig das Normalisieren des Körpergewichts.Nach den neuen Leitlinien zur Behandlung des Typ-2-Diabetes müssen zum einen insbesondere bereits bestehende Nieren- und/oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen berücksichtigt werden. Darüber hinaus sind persönliche Einschränkungen von Fähigkeiten zu beachten. Komplikationen sollen verhindert, die Lebensqualität soll optimiert werden. Neu auch: Mit den von Diabetes betroffenen Menschen sollen gemeinsame Behandlungsziele vereinbart werden. Diese sollen realistisch, erreichbar, aber auch messbar sein.

Leitlinien zur Therapie des Typ-2-Diabetes


In den Leitlinien der europäischen und der amerikanischen Diabetes-­Gesellschaft (EASD, ADA) aus dem Jahr 2018 wird empfohlen, folgende, den Patienten selbst betreffende Faktoren zu berücksichtigen:
  • individueller Lebensstil
  • Begleit- und Folgeerkrankungen:
  • Alter, Gewicht, HbA1c-Ziel
  • psychische Aspekte:
    • Wie ist die Motivation?
    • kulturelle, soziale und finanzielle Voraussetzungen

Medikamentöse Stufentherapie

Nicht der Blutzucker-Langzeitwert (HbA1c), sondern der aktuelle körperliche und psychische Zustand des Einzelnen und das Risiko für schwere Herz-Kreislauf-Erkrankungen stehen im Vordergrund der Therapie-Entscheidungen. Sie bestimmen die Therapie-Strategie. Diese folgt einer Stufentherapie:

  • Zuerst bekommen Menschen mit Typ-2-Diabetes Tabletten (z. B. Metformin, SGLT-2-Hemmer).
  • Danach werden GLP-1-­Rezeptoragonisten zum Spritzen eingesetzt, besonders bei massivem Übergewicht.
  • Insulin kommt dazu, wenn es erforderlich ist.

Vor einer medikamentösen Therapie des Typ-2-Diabetes spielen aber immer noch Lebensstil-Änderungen die entscheidende Rolle. Dazu gehören:

  • regelmäßige Bewegung und
  • eine kalorienreduzierte bzw. der Aktivität angepasste ausgewogene Ernährung.

  (Klicken Sie hier, um die Tabelle auszuklappen.)

Medikamente in Tablettenform

Tabletten zum Normalisieren der Blutzuckerwerte nennt man orale Antidiabetika, also Medikamente, die über den Mund (oral) in den Körper gelangen.

Metformin (Biguanid)

Metformin ist nach wie vor der einzige zur Therapie verwendete Wirkstoff aus der Klasse der Biguanide. Es ist nicht nur bei stark übergewichtigen (adipösen) Menschen mit Typ-2-Diabetes effektiv, sondern auch bei adipösen Patienten ohne Diabetes – und es scheint das Risiko für einige Krebs-Erkrankungen bei Menschen mit Diabetes zu senken. Der Grund könnte sein, dass Metformin die Bakterien-­Besiedlung der Menschen im Darm positiv zu beeinflussen scheint.

Unter Metformin können Magen-­Darm-Probleme wie Blähungen und Durchfälle auftreten. Gegebenenfalls können dann eine Dosisreduktion und auch ein Absetzen erforderlich sein. Man sollte Metformin nicht einsetzen bei Zuständen mit ausgeprägtem Sauerstoffmangel, schweren Leber-Erkrankungen und Situa­tionen, die ein Übersäuern des Körpers begünstigen, wie es z. B. durch Fasten, Operationen und Schock auftreten kann.

Der Einsatz von Metformin ist jetzt auch bei einer mäßig eingeschränkten Nierenfunktion möglich – eine Reduktion der Dosis durch den behandelnden Arzt ist aber erforderlich. Bei schweren Herz-Erkrankungen (z. B. akute und chronische Herzinsuffizienz) oder massiven Einschränkungen der Leber-­Funktion sollte Metformin nicht oder nur bedingt verwendet werden.

Ist eine Untersuchung mit Kontrastmittel geplant, wird ein Unterbrechen der Therapie ab dem Untersuchungstag als ausreichend angesehen. Die Einnahme von Metformin ist wieder möglich, wenn keine Hinweise auf eine eingeschränkte Funktion der Nieren bestehen. Erforderliche Notfall-Operationen können auch unter Metformin durchgeführt werden; eine solche Situation stellt keine absolute Kontraindikation mehr dar. Eine Senkung des Vitamin-B12-Spiegels im Blut ist möglich– insbesondere bei mehrjähriger Einnahme.

Sulfonylharnstoffe

Sulfonylharnstoffe werden seit über 50 Jahren zur Behandlung des Typ-2-Dia­betes eingesetzt. Sie sind bei der Therapie von relativ schlanken Menschen mit Typ-2-Diabetes noch in kleiner Dosis angebracht. Aufgrund der Gefahr von Unterzuckerungen und der damit oft verbundenen erhöhten Nahrungs-Aufnahme ist und war dies für übergewichtige Patienten jedoch nicht sehr sinnvoll, da dies zu einer weiteren Gewichtszunahme führt. Ob diese Medikamente ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen darstellen, ist nicht sicher belegt. Wenn eine Therapie mit Sulfonylharnstoffen heute noch durchgeführt wird, sollte sie nur noch mit einem Sulfonylharnstoff der dritten Generation wie Glimepirid in einer niedrigen Dosierung durchgeführt werden.

Alpha-Glukosidase-Hemmer

Sie spielen heute keine große Rolle mehr – insbesondere durch ihre manchmal sehr starken Nebenwirkungen wie Blähungen und Durchfall. Eigentlich wären sie vom Wirkprinzip her aber gerade bei übergewichtigen Menschen mit Typ-2-Diabetes sehr sinnvoll.

Glinide

Glinide (Wirkstoffe: Repaglinid, Nateglinid) werden fast ausschließlich über die Leber bzw. Galle ausgeschieden, weshalb sie auch bei (mäßiger) Niereninsuffizienz eingesetzt werden können. Bei einer schweren Leberschwäche sind sie wegen des Ausscheidens über die Leber nicht erlaubt. Glinide spielen aktuell keine wesentliche Rolle in der Therapie des Typ-2-Diabetes mehr. Sie sind auch nicht mehr zulasten der gesetzlichen Krankenkassen verordnungsfähig.

Glitazone

Pioglitazon ist gegenwärtig das einzige in Deutschland zugelassene Glitazon. Da die Glitazone die Insulin-Empfindlichkeit verbessern, sind sie bei Übergewichtigen mit Typ-2-Diabetes durchaus sinnvoll. Aber ein erhöhtes Risiko für Knochenbrüche und eventuell Blasenkrebs sowie Herzinfarkte haben dazu geführt, dass bereits 2010 Glitazone von der Verordnungsfähigkeit zulasten der gesetzlichen Krankenkassen ausgeschlossen wurden. In anderen Ländern (z. B. in den USA) spielen sie immer noch eine wichtige Rolle.

Gliptine, DPP-4-Hemmer

Gliptine, auch als DPP-4-Hemmer bezeichnet, hemmen den Abbau von GLP-1 im Darm, das normalerweise bereits nach 1 bis 2 Minuten abgebaut wird. Sie bewirken so, dass GLP-1 länger seine positiven Wirkungen (wie unten beschrieben) entfalten kann. Gliptine zeigen kaum Nebenwirkungen. Sie beeinflussen nicht das Körpergewicht und bei Einnahme nur dieser Substanz besteht kein Risiko für Unterzuckerungen. Sie sind besonders geeignet, wenn Metformin allein zum Senken des Blutzuckers nicht mehr ausreicht oder es wegen Unverträglichkeit oder schwerer Einschränkung der Nierenfunktion nicht mehr eingenommen werden kann oder darf. Bei geringerer Einschränkung der Nierenfunktion muss die Dosis reduziert werden.

Gliflozine, SGLT-2-Hemmer

Gliflozine, auch SGLT-2-Hemmer genannt, senken sehr effektiv sowohl als Einzelsubstanz als auch in der Kombination mit anderen Glukose-­senkenden Medikamenten einschließlich Insulin den Blutzucker. Die Gliflozine bewirken, dass mit dem Urin pro Tag bis zu 70 g Glukose ausgeschieden werden. Eine Gewichtsreduktion neben dem Senken des Blutzuckers ist die Folge, auch der Blutdruck sinkt leicht. Außerdem reduzieren die SGLT-2-Hemmer das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Als Nebenwirkung kann es zu Scheiden-­Infektionen (vor allem durch Pilze) bei Frauen und Penis-­Entzündung bei Männern kommen. Eine unerkannte Übersäuerung des Körpers ist ebenfalls möglich, kommt aber eher selten vor.

Medikamente zum Spritzen

Neben oralen Antidiabetika gibt es zur Behandlung des Typ-2-Diabetes auch Medikamente zum Spritzen, neben Insulin.

GLP-1-Rezeptoragonisten

GLP-1-Rezeptoragonisten ahmen die Wirkung des Darmhormons Glucagon-like Peptide-1 (GLP-1) nach und bewirken unter anderem eine vermehrte Insulin-Produk­tion, ein Senken der Produktion des Insulin-­Gegenspielers Glukagon, ein Verlangsamen der Magen-Bewegung und eine Reduktion des Appetits. Die GLP-1-Rezeptoragonisten wirken nur bei erhöhtem Blutzucker und erhöhen das Risiko für Unterzuckerungen deshalb nicht. Sie können dazu beitragen, das Gewicht deutlich zu reduzieren. Hinsichtlich Herz-Kreislauf-Erkrankungen zeigen sie ebenfalls positive Effekte.

GLP-1-Rezeptoragonisten sind nur für übergewichtige Menschen mit Typ-2-Diabetes zugelassen. Der Einsatz besonders bei stark übergewichtigen Typ-2-Diabetikern ist daher als mögliche Alternative zu einer möglicherweise sonst notwendigen bariatrischen Operation absolut sinnvoll. Der GLP-1-Rezep­tor­agonist Lira­glu­tid mit der Dosierung von 3 mg täglich ist zur Behandlung von krankhaftem Übergewicht (Adipositas) auch ohne gleichzeitig bestehenden Diabetes zugelassen. Es ist aber nicht zulasten der gesetzlichen Krankenkassen verordnungsfähig.

Zusammenfassung

GLP-1-Rezeptoragonisten helfen insbesondere übergewichtigen Menschen mit Typ-2-Diabetes dabei, eine bessere Blutzucker-Einstellung bei gleichzeitiger Gewichtsabnahme und ohne wesentliches Risiko für Unterzuckerungen zu erreichen – auch in der Kombination mit Insulin bei fortgeschrittener Erkrankung. Basis jeder Therapie ist jedoch weiterhin eine Ernährung mit reduzierter Kalorien-Aufnahme und weniger Kohlenhydraten, außerdem mit regelmäßiger (am besten täglicher) körperlicher Bewegung. Dies sollte, wenn möglich, mit Metformin kombiniert werden.

Nach den neuen Leitlinien kann zum Vorbeugen von Herz-Kreislauf- und Nieren-Erkrankungen die Therapie sowohl mit GLP-1-Rezeptoragonisten als auch mit SGLT-2-Hemmern begonnen werden. Insulin ist einsetzbar, wann immer erforderlich, es steht aber nicht an erster Stelle. Individualität ist bei der Therapie zu berücksichtigen.


Autor:

Dr. Gerhard-W. Schmeisl
Internist, Angiologe, Diabetologe und Sozialmediziner
ehem. Lehrbeauftragter der Universität Würzburg und Chefarzt Deegenbergklinik
PrivAS Privatambulanz (Schulung)

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2022; 71 (4) Seite 32-35

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