Vitaminpillen fürs gute Gewissen

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Vitaminpillen fürs gute Gewissen

Der Markt für Vitamine und Mineralstoffe boomt ohne Unterlass. Es gibt kaum einen Stoff, der nicht als Mono- oder Kombi-Präparat erhältlich ist. Doch hilft viel tatsächlich viel? Kirsten Metternich erklärt, wann ein Präparat sinnvoll sein kann und was im Umgang damit beachtet werden sollte.

Rund eine Milliarde Euro gaben die Deutschen 2011 für Nahrungsergänzungsmittel aus. Sei es, um Stress besser ertragen zu können, Blutzuckerwerte zu verbessern oder das Immunsystem auf Trab zu halten. Oder einfach, weil nicht genug Gemüse und Obst, Vollkornprodukte und andere gesunde Sachen gegessen wurden. Laut Nationaler Verzehrsstudie II stufen 66 Prozent der befragten Bundesbürger ihr Essverhalten als zu üppig und einseitig ein.

Da ist es kein Wunder, dass 28 Prozent der Deutschen laut gleicher Studie regelmäßig zu Vitalstoffpräparaten oder angereicherten Lebensmitteln greifen (also supplementieren). Ziel ist dabei stets, einem möglichen Mangel zuvorzukommen oder ihn auszugleichen. Man will sich einfach etwas Gutes tun und sein Gewissen beruhigen. Statt regelmäßig Frischkost zu essen, ist es bequemer, den einen oder anderen Stoff per Pille oder Pulver einzunehmen. Doch Präparate-Fans aufgepasst:

Kirsten Metternich ist Diätassistentin und Ernährungsberaterin. Außerdem ist sie Redakteurin des Diabetes-Journals und zuständig für die Rubrik „Essen und Trinken“. Im Journal schreibt sie außerdem über Fitness und Wellness. Auch Bücher übers Backen (Himmlisch Backen mit Stevia und Co) und andere Ernährungsthemen hat sie bereits verfasst. Wenn sie nicht neue Rezepte ausprobiert und über Ernährung, Sport und Wellness schreibt, findet man sie im Kino, auf Reisen oder auf großen Konzerten.

Kein positiver Effekt

„Die überwiegende Zahl der Interventionsstudien zur Supplementierung hat leider keinen positiven Einfluss auf das Risiko, an Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Typ-2-Diabetes zu erkranken, gezeigt“, sagt Prof. Marc Birringer von der Hochschule Fulda. Viele Studien stammen aus den 1990er Jahren und wurden zum Teil bis heute verfolgt: „Besonders bei Hoch- und Megadosen zeigten sich häufig unerwünschte Nebenwirkungen“, so Birringer.

Der Experte geht noch weiter und weist darauf hin, dass Präparate mit Antioxidantien (z. B. Selen, Vitamin A, C und E) nicht empfehlenswert sind, da sie nicht positiv auf die Gesundheit wirken. Eine große Studie zeigte, dass unter Selen-Zuführung die Zahl der Diabeteserkrankungen sogar steigt, warnt der Experte. Auch zur Diabetesvorbeugung hilft es nicht, sekundäre Pflanzenstoffe als Kapseln oder Pulver einzunehmen. Es gilt: Man sollte einfach gesund und abwechslungsreich essen.

Mangel in Deutschland?

Botschaften wie „Deutschland ist ein Vitaminmangelland“ oder „Bei Stress braucht der Körper mehr Vitalstoffe“ sind beliebte Aussagen, damit der Verbraucher zumindest eine Vitaminkur anstrebt. „Doch ein Vitaminmangel ist in Deutschland äußerst selten“, erklärt Diplom-Ökotrophologin Angela Bechthold vom Referat Wissenschaft der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). Fälschlicherweise wird ein Unterschreiten der empfohlenen Referenzwerte für Vitamine und Mineralien schnell als Mangel dramatisiert.

Zu schnell dramatisiert

Zwischen einem tatsächlichen Mangel und einem Unterschreiten der Tagesmengen an Vitamin C, Magnesium und Co liegt eine große Spanne; ein Mangel macht sich erst über längere Zeit bemerkbar. Er zeigt sich z. B. mit Mundwinkelrhagaden (Vitamin-B2-Mangel), extremer Müdigkeit (Eisenmangel) oder Muskelkrämpfen (Magnesiumdefizit). „Allerdings wissen wir, dass die Wahrscheinlichkeit eines Mangels steigt, je weiter der Vitalstoffstatus von den empfohlenen Mengen abweicht“, erklärt Bechthold.

Sind Sie zu wenig draußen?

Kritisch wird es laut Experten bei Folsäure und Vitamin D: Wer sich kaum oder gar nicht im Freien aufhält, hat kaum eine Chance, den Körper ausreichend mit Vitamin D zu versorgen. Über Lebensmittel wird der Bedarf nur zu 20 Prozent gedeckt. Der Rest erfolgt normalerweise über UV-Strahlung. Wenn diese nicht ausreicht, zum Beispiel in der trüben Jahreszeit, ist ein Monopräparat als Kur sinnvoll – vor allem im Winter.

Folsäure ist besonders für Frauen, die schwanger werden möchten, wichtig. Hier wird ein Zusatzpräparat (400 µg täglich) spätestens ab dem ersten Schwangerschaftsdrittel empfohlen. Auch zur Versorgung mit Eisen und Jod kann bei Schwangeren und Stillenden ein Präparat sinnvoll sein. Dazu sollte der Arzt befragt werden. Vitamin K ist besonders für Neugeborene wichtig, da sie nur geringe Speicher haben; Vitamin D und Fluorid werden ebenfalls empfohlen.

Für Ältere: Vitamin B12

Ältere Menschen leiden häufig an einer chronischen Magenschleimhautentzündung. Hier kann es zu Engpässen bei der Versorgung mit Vitamin B12 kommen. Ähnliches gilt für Veganer und teilweise auch für Vegetarier. Nahrungsergänzungsmittel für Kinder, die sich laut Werbung günstig auf Gehirnfunktion, Lernen und Konzentration auswirken, sind unnötig. Der Nutzen solcher Präparate ist nicht ausreichend belegt, sagt Stiftung Warentest.

Hingegen kann eine Zuführung nötig sein bei einseitiger Ernährung oder langen Diäten, bei chronischem Genussmittelkonsum, Verdauungsstörungen oder Störungen in der Verwertung von Nährstoffen. Auch bei Untergewicht und für ältere Menschen in Pflegeeinrichtungen ist es – nach ärztlicher Rücksprache – empfehlenswert, entsprechende Präparate individuell auszuwählen und einzunehmen.

Tabletten gegen hohe Blutzuckerwerte und Bluthochdruck, für den Kreislauf, gegen schwere Beine: ein typischer Mix, den viele Menschen täglich einnehmen. Ein Viertel der über 65-Jährigen nimmt fünf oder mehr rezeptpflichtige Medikamente täglich ein. Wenn dann noch Vitaminpräparate dazukommen, können unerwünschte Nebenwirkungen auftreten.


Nächste Seite: Neben- und Wechselwirkungen bei „Polymediaktion“ und Vorsicht beim Kauf im Internet!

Die „Polymedikation“

„Ab 5 verschiedenen rezeptpflichtigen Medikamenten spricht man von Polymedikation und dann ist besondere Vorsicht geboten“, erklärt Dr. Sophie Kolbe vom Arzneimittelberatungsdienst der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland (UPD) in Dresden. Eine anonyme Auswertung von fast 2 400 Verbraucherdaten ergab laut Kolbe, dass beinahe jeder Vierte neben verschriebenen Medikamenten regelmäßig zu Nahrungsergänzungsmitteln greift.

Im Schnitt wurden 7 verschiedene Präparate täglich eingenommen; je älter die Patienten waren, desto mehr Präparate waren es, berichtet sie. Problematisch wird es, wenn freiverkäufliche Produkte wahllos mit verordneten Medikamenten kombiniert werden: Eisen oder Kalzium können beispielsweise die Wirkung von Schilddrüsentabletten verringern, Johanniskraut führt in Kombination mit UV-Strahlung möglicherweise zu Hautreaktionen und kann die Wirkung der Anti-Baby-Pille herabsetzen.

Zuerst die Beratung

Bevor arglos zu einem Präparat gegriffen wird, lohnt eine fachkundige Beratung in der Apotheke oder beim Diabetesexperten. Für das Patientengespräch ist es wichtig, dass Sie sich alle Präparate aufschreiben, die Sie regelmäßig einnehmen, ganz gleich, ob Verschreibungspflichtiges für den Diabetes und mögliche Begleiterkrankungen, Kopfschmerztabletten oder Nahrungsergänzungsmittel.

Kauf im Internet: Achtung!

Ein Sonderangebot hier, die Großpackung unschlagbar günstig dort: Das Internet bietet ungeahnte Möglichkeiten, sich mit Pillen, Pulver und speziellen Lebensmitteln einzudecken. Doch es ist nicht alles Gold, was glänzt: Oft werden Verbraucher dabei getäuscht.

Seit Beginn vergangenen Jahres arbeitet das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) deshalb am Pilotprojekt „Kontrolle des Internethandels mit Lebensmitteln“. Die Ermittlungen der Projektgruppe zeigten, dass etwa ein Viertel der Unternehmen, die im Internet Lebensmittel verkauften, zum Zeitpunkt der Überprüfung nicht registriert und somit der Lebensmittelüberwachung nicht bekannt waren. Bei den reinen Online-Händlern waren es sogar über 40 Prozent.

Somit wird es für den Besteller im Bedarfsfall zum Teil extrem schwer, sich an den Händler zu wenden, um eventuelle Ansprüche geltend zu machen. Ferner kontrollierte die Projektgruppe stichprobenartig die angebotenen Produkte. Das Hauptaugenmerk lag auf dem fast unüberschaubaren Markt für Nahrungsergänzungsmittel. Auffällig sind insbesondere Schlankheits-, Schönheits- und Potenzsteigerungsmittel, Anti-Aging-Produkte sowie Sportlernahrung.

Wann ergänzen?

Die Nahrung zu ergänzen um Vitamine und Mineralstoffe („Supplementierung“), kann nötig werden bei:

  • einseitiger Ernährung
  • langen Diäten
  • chronischem Genussmittelkonsum
  • Verdauungsstörungen
  • Störungen in der Verwertung von Nährstoffen
  • Untergewicht
  • alten Menschen, die z.B. in einer Pflegeeinrichtung leben

Das Blaue vom Himmel

Allzu oft wird das Blaue vom Himmel versprochen. „Tatsächlich enthalten zahlreiche Mittel gesundheitsschädliche Substanzen oder es fehlen angegebene Zutaten, die zuvor besonders intensiv beworben wurden“, erklärt Dr. Jörg Häseler vom aid Verbraucherdienst. Daher gilt, bei Bestellungen im Internet besonders wachsam zu sein. Wichtige Grundregeln sind zum Beispiel, Vorsicht walten zu lassen bei schnellen und unrealistischen Erfolgsversprechen, bei vagen Verzehrsempfehlungen und bei Produkten, die exklusiv im Internet gehandelt werden.

Schwerpunkt Diabetes und Ernährung

Autorin:
Kirsten Metternich, Frechen-Königsdorf

Kontakt:
Diätassistentin/DKL, DGE, Redaktion Essen & Trinken, Hildeboldstraße 5, 50226 Frechen-Königsdorf, Tel.: 0 22 34 / 91 65 41, Fax: 0 22 34 / 91 65 42, E-Mail: info@metternich24.de
, Internet: http://www.metternich24.de

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2013; 62 (5) Seite 38-41

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