Vorsicht bei Wunden, die nicht heilen!

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Vorsicht bei Wunden, die nicht heilen!

Wer eine Wunde am Fuß hat, die nicht in wenigen Tagen kleiner wird, der sollte diese direkt seinem Hausarzt und/oder Diabetologen zeigen. Entschiedenes und frühes Einschreiten verhindert gefährliche Wunden – und vor allem Amputationen.

Der Fall
Claudia M. (67 Jahre, Typ-2-Diabetes, mit Tabletten behandelt) hat seit einigen Tagen eine geschwollene, gerötete Großzehe – der Nagel an der rechten Großzehe hebt sich etwas ab, und der Strumpf ist an dieser Stelle immer etwas feucht. Die Nachbarin von Frau M. tippte auf eine „Gicht-Zehe“. Eine kleinere offene Stelle ist am Großzehenballen.

Als die Tochter von Claudia M. wie immer Dienstagnachmittag vorbeikommt und den Zeh der Mutter sieht – diese wollte ihn zunächst gar nicht zeigen, doch die Nachbarin drängte darauf –, ist sie erschrocken: „Das sieht ja fürchterlich aus, du musst doch Schmerzen haben!“ Aber Frau M. hatte keine Schmerzen.

In der Klinik, in der Frau M. 7 Tage lag, konnte die Zehe gerettet werden. Die Behandlung ist aber noch nicht abgeschlossen.

Eine schlecht heilende Wunde am Fuß eines Menschen mit Diabetes kann quasi über Nacht die Amputation bedeuten. Nach Prof. Ralf Lobmann (Stuttgart) könnten von den etwa 50.000 Fuß- und Beinamputationen bei Menschen mit Diabetes bis zu 80 Prozent durch eine „rasche und fachkundige Behandlung“ wahrscheinlich vermieden werden. Heute ist es Pflicht eines jeden Arztes, vor einer Amputation eine Zweitmeinung eines anderen Spezialisten einzuholen.

„Fußnetze“: Spezialisten kooperieren

Erhöhten Druck an Fußsohlen von Diabetikern kann man entdecken mit druckempfindlichen Einlegesohlen, die in Verbindung mit einer „Smartphone-App“ Alarm schlagen. So lassen sich Geschwüre vermeiden oder rechtzeitig entdecken. Nach Prof. Neil Reeves (Manchester) konnte damit in Studien das erneute Auftreten eines Fußgeschwürs um bis zu 70 Prozent reduziert werden. Durch das Warnsystem können Menschen ihr eigenes Risiko viel besser und früher realistisch einschätzen.

Die Amputationsrate konnte ebenfalls deutlich reduziert werden – dort, wo Spezialisten (Diabetologen, Gefäßspezialisten, Chirurgen) gut zusammenarbeiten mit Hausärzten, Podologen und spezialisierten Ambulanzen („Fußnetze“), z. B. in Köln, Leverkusen und Stuttgart. Etwa 12.000 der Amputationen sind „hohe“ Amputationen oberhalb des Knöchels/Unter-, Oberschenkels. Zum Glück ist die Zahl endlich rückläufig! Eines ist wichtig: Immer noch geht einer solch eingreifenden Maßnahme oft ein vermeintlich harmloses Geschwür („Ulkus“) voraus.

Wie das Problem entsteht

Beim Entstehen des Diabetischen Fußsyndroms spielt die diabetische Polyneuropathie, eine Erkrankung der Nerven, eine entscheidende Rolle. In mehr als 70 Prozent ist sie führend: Viele Patienten mit Diabetes und einem Geschwür haben aufgrund der Nervenschädigung kaum oder keine Schmerzen oder diese werden nicht ernst genug eingeschätzt („Was nicht weh tut, kann auch nicht so schlimm sein!“).

Kommt es aber zu einer Wundinfektion, fehlen wegen der Nervenschädigung oft die üblichen Schutzfunktionen – vor allem der Schmerz. Besteht darüber hinaus eine Durchblutungsstörung der Beine im Sinne einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK), wird es noch gefährlicher: Wo kein Blut hinkommt, kann nichts heilen. Das bedeutet: Wenn eine Wundinfektion aufgetreten ist und diese zu spät bemerkt wird, wird sie in der Regel auch nicht konsequent behandelt, weil das Risiko einer Amputation gar nicht bewusst ist.

Anzeichen eines reinen Nervenschadens Anzeichen einer zusätzlichen Durchblutungs­störung (pAVK)
trockener Fuß feuchter Fuß
warm beim Betasten kühl bis eiskalt
gut durchblutet, rötlich schlecht oder gar nicht durchblutet, in der Regel blass bis bläulich
schmerzlos meist schmerzhaft/aber auch schmerzlos

„Diabetisches Fußsyndrom“: Gründe

Das Risiko einer chronischen Wundheilungsstörung steigt mit folgenden Einflüssen:

  • schlechte Blutzuckereinstellung,
  • zunehmender Nervenschaden,
  • gleichzeitige Durchblutungsstörung der Beine (pAVK: periphere arterielle Verschlusskrankheit),
  • nicht ausreichende oder falsche Fußpflege,
  • „falsche“ Schuhe (zu eng, zu kurz, Sohle nicht glatt und/oder hart) und damit Druckstellen,
  • Arthrose in den Gelenken und dadurch mangelnde Beweglichkeit.

Durchblutungsstörungen der Beine

Durchblutungsstörungen vor allem der Unterschenkelarterien sind die Hauptursache dafür, dass Unterschenkel- bzw. Fußgeschwüre bei Diabetikern mit einer Nervenschädigung nicht abheilen. Das Problem bei gleichzeitigem Vorliegen von Neuropathie und Durchblutungsstörungen der Unterschenkel/Füße ist, dass die Betroffenen durch die fehlenden Schmerzen keine Warnsymptome mehr haben (20 – 30 Prozent der Patienten). Infizierte Geschwüre werden nicht so ernst genommen und können nicht abheilen – das Amputationsrisiko steigt!

Durch einen einfachen Test wie den Knöchel-­Arm-Index (engl. Ankle-Brachial-Index, ABI) kann so eine Durchblutungsstörung rechtzeitig erkannt werden. Besteht eine Media­skle­rose, also eine spezielle Form der Verkalkung der Arterien, können beim Blutdruckmessen die Unterschenkelarterien nicht durch die Blutdruckmanschette zusammengedrückt werden, so dass die Messergebnisse nicht zuverlässig sind.

Die Arterienwände sind dann zwar starr, die Durchblutung kann aber trotzdem normal sein, was z. B. mit einer Gefäß-Ultraschall-Untersuchung (Farb-Duplex) nachweisbar ist. Eine Mediasklerose bedeutet also nicht unmittelbar, dass eine Durchblutungsstörung besteht, kann aber wegen des oft gemeinsamen Auftretens ein Hinweis auf eine Polyneuropathie sein.

Diabetisches Fußsyndrom: Behandlung

Auf mehreren Säulen steht die Behandlung des Diabetischen Fußsyndroms:

  1. Antibiotika-Gabe bei Infektion,
  2. Entfernen von abgestorbenem Gewebe („Wund­débridement“),
  3. Verbessern der Durchblutung durch Operation oder Katheterbehandlung,
  4. Mitbeachten von Verformungen am Fuß, die ein Abheilen gefährden,
  5. Vakuumtherapie bei ausgeprägten tiefen Wunden,
  6. Thrombose-Prophylaxe.

Bei jedem Patienten mit Diabetes und einem Fußgeschwür ist vor einer größeren Amputation zwingend, dass ein Spezialist hinzugezogen wird – neben dem Arzt, der den Patienten untersucht hat und behandelt –, also ein weiterer Kollege, der sich mit der Durchblutungsstörung, ggf. auch mit der Operationstechnik auskennt. Wenn irgend möglich, sollte man das Wissen und auch die Erfahrung eines Gefäßzentrums, das in größeren Städten zur Verfügung steht, in Anspruch nehmen.

Bei Polyneuropathie und/oder pAVK: Tipps, um Fußprobleme zu verhindern:


  • möglichst Baumwoll- oder Wollstrümpfe tragen, denn sie saugen den Schweiß besser auf
  • täglich die Strümpfe wechseln, um Fußpilz zu verhindern
  • Strümpfe bei 60 °C waschen; in Nylonstrümpfen, die nur bei geringen Temperaturen gewaschen werden sollen, können sich Pilzsporen über Wochen halten
  • regelmäßig die Schuhe inspizieren, damit Fremdkörper entfernt und z. B. Materialdefekte frühzeitig erkannt werden können
  • Schuhe am besten abends kaufen, weil die Füße dann meist etwas geschwollener sind
  • das Schuhwerk sollte bequem sein, zum Vermeiden von Druckstellen und Blasenbildung; Lederschuhe bevorzugen, möglichst ohne Innennähte
  • bei Fußverformungen (z. B. Hammerzehen, Spreiz- und Plattfüßen) können orthopädische Einlagen oder Schuhe erforderlich sein; die Einlagen sollten regelmäßig auf Splitter, Kanten etc. kontrolliert werden
  • nicht barfuß laufen: in Hallen- und Schwimmbädern drohen Fußpilz, am Strand Verletzungen durch Muscheln, Steine, Scherben
  • bei kalten Füßen Wollsocken anziehen oder Decken verwenden
  • regelmäßiges (tägliches) Training fördert die Durchblutung der Beine: täglich 5 – 10 Minuten für Fußgymnastik aufwenden

Diese Abteilungen sind mit den entsprechenden Geräten ausgestattet und haben Fachärzte, die in kurzer Zeit eine Durchblutungsstörung bestätigen oder auch ausschließen können, um eine entsprechend rechtzeitige Therapie mit Katheter oder Operation in die Wege zu leiten.

Zusammenfassung

Ein diabetisches Fußgeschwür ist immer noch eine große therapeutische Herausforderung. Dabei könnten durch rechtzeitiges Entdecken und konsequente Behandlung bis zu drei Viertel aller Amputationen, die jedes Jahr durchgeführt werden, wahrscheinlich vermieden werden. Jedes nicht in wenigen Tagen sich verkleinernde Geschwür sollte unbedingt dem Hausarzt und/oder einem Diabetologen gezeigt werden.

Die Zusammenarbeit aller an der Therapie Beteiligten ist unbedingt erforderlich – das Einbeziehen Angehöriger auch oft notwendig und sinnvoll. Der meist fehlende Schmerz führt leicht zu einem Verharmlosen und oft einem Hinauszögern der Behandlung!


Autor:

Dr. Gerhard-W. Schmeisl
Internist, Angiologe, Diabetologe und Sozialmediziner
Lehrbeauftragter der Universität Würzburg
Chefarzt Deegenbergklinik
Burgstraße 21, 97688 Bad Kissingen

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2019; 68 (8) Seite 34-36

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