Wann Tabletten einnehmen?

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Wann Tabletten einnehmen?

Sind Sie ein normal dipper, non-dipper oder inverted dipper? Auch davon hängt ab, wann man welche Blutdruckmedikamente einnehmen muss.

Patienten-Beispiel

Anne Peters ist etwas verwirrt: Warum soll sie ihre Blutdruckmittel jetzt nur noch abends statt morgens einnehmen? Über 20 Jahre lang hatte sie die Tabletten immer morgens eingenommen.

Jetzt, nach der Auswertung einer “Langzeitblutdruckmessung” hat ihr neuer Hausarzt das geändert. Er hatte auch vorgeschlagen, den Blutdruck zu überprüfen, nachdem Anne Peters über “Ohrensausen” und vermehrt über starke Kopfschmerzen geklagt hatte.

Bluthochdruck: besonders hohes Herz-Risiko

Gerade Typ-2-Diabetiker mit Bluthochdruck (arterieller Hypertonie) haben ein besonders hohes Risiko für Komplikationen und Tod durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen. 2007 wurden deshalb – entsprechend den europäischen Leitlinien – bei Patienten mit Typ-2-Diabetes noch Blutdruckwerte unter 130/80 mmHg gefordert.

Heute werden nicht mehr so niedrige Werte angestrebt, denn in großen Studien wie ACCORD und ADVANCE zeigte sich, dass speziell bei Risikopatienten (nach Herzinfarkt, bei Gefäßschäden etc.) bei sehr niedrigen Blutdruckwerten die Komplikationen sogar zunahmen.

Zielwerte jetzt höher

So empfehlen Deutsche Hochdruckliga und Deutsche Diabetes-Gesellschaft nun auch für Diabetiker einen Zielwertkorridor für den Blutdruck von 130 – 139 mmHg systolisch und 80 – 85 mmHg diastolisch. Gelockerte Zielwerte sind aber kein Grund, sich weniger um den Blutdruck zu kümmern: Eine aktuelle Studie bei über 80-Jährigen zeigt, dass eine konsequente Blutdrucktherapie auch noch in diesem Alter nützt (bezüglich Gesamtsterblichkeit, tödlicher Schlaganfälle, Herzschwäche).

Bei Diabetikern mit Bluthochdruck stehen Allgemeinmaßnahmen im Vordergrund wie Gewichtsabnahme und Reduktion des Bauchumfangs durch regelmäßige Bewegung und reduzierte Kalorien- und Kochsalzzufuhr.

Die meisten Typ-2-Diabetiker mit Bluthochdruck brauchen aber von Anfang an auch Medikamente. Bewährt haben sich ACE-Hemmer und AT1-Blocker, meist kombiniert mit einem Entwässerungsmittel (z. B. HCT) und Kalziumantagonisten, bei bestehender koronarer Herzkrankheit (KHK, Verkalkung der Herzkranzgefäße) auch Betablocker.

Medikamente: Wann am besten einnehmen?

Allerdings wurde bisher der Einnahmezeitpunkt wenig beachtet, sagen führende Hypertensiologen (Bluthochdruckspezialisten). Dabei kann davon entscheidend abhängen, was bestimmte Medikamente im Körper bewirken. Die Medikamenteneinnahme nach der Uhr nennt man Chronotherapie (chronos (griechisch): Zeit).

Da die meisten Funktionen unseres Körpers über den Tag zyklischen Veränderungen unterworfen sind, ist die Chronotherapie oft sinnvoll. So fallen in der Regel Blutdruck und Herzfrequenz in der Nacht auf minimale Werte, steigen gegen Morgen aber wieder an, weil sich der Körper auf den Tag vorbereitet. Nahezu identisch verhalten sich Körpertemperatur und bestimmte Hormone (z. B. Kortisol).

Umgekehrt steigt nachts das Schlafhormon Melatonin um etwa das Fünffache des Tageswertes an! Offenbar werden sogar unsere Gene in den Zellen zum Teil im Tagesrhythmus unterschiedlich an- und ausgeschaltet.

Im Zusammenhang mit Bluthochdruck ist interessant, dass auch viele akute Krankheitssymptome wie Angina-pectoris-Anfälle (akute Herzenge) meist zwischen sechs Uhr morgens und zwölf Uhr mittags auftreten, Asthmaanfälle dagegen vor allem nachts.

Blutdruckspitzen meist morgens und abends

Morgens steigt der Blutdruck in der Regel stark an (Blutdruckspitze meist gegen sechs Uhr beim Aufstehen). Einen weiteren Höchstwert hat der Blutdruck am frühen Abend. Nach Prof. Zwicker (Graz) treten Herzinfarkte und Schlaganfälle sowohl morgens als auch abends gehäuft auf.

Und auch Schlaf und Blutdruck hängen offenbar eng zusammen: Ist die Schlafdauer um etwa eine Stunde verkürzt, z. B. durch die Umstellung von Winter- auf Sommerzeit, ist die Herzinfarktrate deutlich erhöht. Weniger Schlaf und auch Durchschlafstörungen können so die Entwicklung eines Bluthochdrucks fördern.

Erkrankungen von inverted dippers
Erkrankungen, die z. B. mit nächtlich erhöhtem Blutdruck einhergehen:
  • Diabetes mellitus
  • Niereninsuffizienz
  • Hypertrophie (Wandverdickung) der linken Herzkammer
  • Schlafapnoe (Atemstillstand im Schlaf)
  • Schwangerschafts-Bluthochdruck
  • bösartiger (extremer) Bluthochdruck

Verlauf des Blutdrucks – die „Dipper“-Typen

Normalerweise sinkt der Blutdruck in der Nacht um etwa 10 bis 20 Prozent unter den Tageswert. Menschen, bei denen das so ist, nennt man normal dipper (to dip (engl.): absenken). Menschen, bei denen der Blutdruck nachts um weniger als 10 Prozent absinkt, werden non-dipper genannt und solche, bei denen nachts der Blutdruck sogar ansteigt, inverted dipper (to invert (engl.): umkehren).

Ein inverted dipper zu sein, ist ein starker Risikofaktor für die Entwicklung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, es sei denn, nächtliche Arbeit oder andere Aktionen sind der Grund für die umgekehrte Reaktion des Blutdrucks. Aktuelle Studien belegen außerdem, dass nur der nächtliche Blutdruck im Verhältnis zum Tagesblutdruck – und nicht der Tagesblutdruck allein – eine schlechte Prognose hinsichtlich Herz-Kreislauf-Erkrankungen (non-dipper, inverted dipper) signalisiert.

Andererseits haben aber auch Menschen mit extrem niedrigem Blutdruck während der Nacht (extreme dipper) im Schlaf ein höheres Herz-Kreislauf-Risiko. Zudem gibt es Hinweise darauf, dass auch ein extremer Blutdruckanstieg nach dem Aufstehen in den frühen Morgenstunden auf über 55 mmHg (morning surge) ein besonderes Risiko darstellt.

Behandlung nach der Uhr

Was bedeutet das alles nun für die medikamentöse Blutdruckeinstellung bei Diabetikern? Für die Auswahl des richtigen Blutdruckmittels oder einer Kombination und für die Effektivität bzw. das Auftreten von Nebenwirkungen spielt der Einnahmezeitpunkt meist eine wichtige Rolle. Und wann der richtige Zeitpunkt ist, hängt davon ab, wo im Körper das Mittel wirkt und wie lange – und eben vom individuellen Blutdruckverlauf.

Durch eine Blutdruckmessung über 24 Stunden bzw. auch gelegentliche nächtliche Blutdruckmessungen ergeben sich Hinweise auf ein unnormales Blutdruckverhalten. Habe ich z. B. einen Patienten mit einem inverted-dipper-Verhalten, braucht dieser unbedingt auch abends ein Blutdruckmittel, so dass der Blutdruck über Nacht gesenkt wird.

Entdecke ich jedoch durch eine 24-Stunden-Blutdruckmessung, dass der Blutdruck nachts sogar extrem niedrig ist (extreme dipper), darf ich diesem Patienten natürlich abends nicht zusätzlich ein Medikament geben, das den Blutdruck in der Nacht noch mehr sinken lässt. Das Blutdruckmittel wird dann nur morgens eingenommen.

Mein Fazit

Bei Diabetikern hat die Blutdruckeinstellung einen sehr hohen Stellenwert, insbesondere um Herz-Kreislauf-Komplikationen und das Fortschreiten einer Nephropathie (Nierenschaden) zu vermeiden. Das richtige Medikament auch zum richtigen Zeitpunkt einzunehmen, scheint besonders wichtig und dann auch sicher und effektiv. Blutdruckmessungen zu unüblichen Zeiten sind eine der Voraussetzungen, um dieses Ziel zu erreichen.


Autor:
Dr. Gerhard-W. Schmeisl, Bad Kissingen

Kontakt:
Internist/Angiologe/Diabetologe, Chefarzt Deegenbergklinik, Burgstraße 21, 97688 Bad Kissingen, Tel.: 09 71 / 8 21-0
sowie Chefarzt Diabetologie Klinik Saale (DRV-Bund), Pfaffstraße 10, 97688 Bad Kissingen, Tel.: 09 71 /8 5-01

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2012; 61 (4) Seite 36-39

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