Was ändert sich jetzt für Patienten?

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Was ändert sich jetzt für Patienten?

Das „Gesetz zur Bekämpfung von Korruption im Gesundheitswesen“ ist seit dem 4. Juni 2016 in Kraft, seither gibt es die neuen Straftatbestände der „Bestechlichkeit“ bzw. „Bestechung“ im Gesundheitswesen. Obwohl sich die neuen Vorschriften in erster Linie nur an Ärzte bzw. die Industrie richten, werden auch Menschen mit Diabetes die Auswirkungen zu spüren bekommen.

„Korruption im Gesundheitswesen beeinträchtigt den Wettbewerb, verursacht erhebliche Kostensteigerungen und untergräbt das Vertrauen der Patienten in eine von unlauteren Zuwendungen unbeeinflusste Gesundheitsversorgung.“ Dieser Auszug aus der Gesetzesbegründung fasst eindrücklich zusammen, warum der Bundestag unlängst das „Gesetz zur Bekämpfung von Korruption im Gesundheitswesen“ beschlossen hat.

Einzelne schwarze Schafe verursachen großen Schaden

Selbstverständlich arbeitet die überwiegende Zahl der Ärzte vollkommen korrekt. Trotzdem gibt es aber – wie in jeder Branche – einige schwarze Schafe. Aufgrund der Milliarden­summen, die im Bereich der Gesundheitsindustrie im Spiel sind, können daher bereits solche Einzelfälle dazu führen, dass ein ganzer Berufsstand zu Unrecht unter Verdacht gestellt wird. Patienten müssen sich weiterhin darauf verlassen können, dass wirklich ihr Wohl bzw. ihre Gesundheit bei ärztlichen Verordnungen im Vordergrund stehen.

Bislang gab es Strafbarkeitslücken

Das bislang geltende Strafrecht erfasste nicht alle strafwürdigen Formen unzulässiger Einflussnahme im Gesundheitswesen. So gibt es zwar schon lange die allgemeinen Straftatbestände der Bestechlichkeit und Bestechung, aufgrund einer Gesetzeslücke waren diese aber weder auf niedergelassene Ärzte noch auf Apotheker oder auf sonstige entsprechend selbständig tätige Angehörige von Heilberufen anwendbar.

Auch andere Straftatbestände wie Untreue oder Betrug griffen bei korruptiven Verhaltensweisen nicht immer. So waren beispielsweise Prämienzahlungen von Pharmaunternehmen an Ärzte, mit denen das Verschreibungsverhalten zugunsten eines bestimmten Präparats beeinflusst werden soll, zwar wettbewerbs- bzw. standeswidrig, konnten in den meisten Fällen aber mangels entsprechender Straftatbestände nicht bestraft werden.

Was ist neu durch das neue Gesetz?

Die neuen Vorschriften führen nun einen zusätzlichen Straftatbestand der Bestechlichkeit im Gesundheitswesen ein. Dadurch soll sichergestellt werden, dass Verordnungen und Rezepte nicht „gekauft“ werden, d. h. dass der Arzt oder das Praxispersonal keine Vorteile dafür bekommen soll, dass bei der Verordnung bestimmte Produkte oder Anbieter bevorzugt werden.
Wann liegt eine Straftat vor?

Im Wortlaut: § 299a StGB: Bestechlichkeit im Gesundheitswesen

Wer als Angehöriger eines Heilberufs, der für die Berufsausübung oder die Führung der Berufsbezeichnung eine staatlich geregelte Ausbildung erfordert, im Zusammenhang mit der Ausübung seines Berufs einen Vorteil für sich oder einen Dritten als Gegenleistung dafür fordert, sich versprechen lässt oder annimmt, dass er

  1. bei der Verordnung von Arznei-, Heil- oder Hilfsmitteln oder von Medizinprodukten,
  2. bei dem Bezug von Arznei- oder Hilfsmitteln oder von Medizinprodukten, die jeweils zur unmittelbaren Anwendung durch den Heilberufsangehörigen oder einen seiner Berufshelfer bestimmt sind, oder
  3. bei der Zuführung von Patienten oder Untersuchungsmaterial

einen anderen im inländischen oder ausländischen Wettbewerb in unlauterer Weise bevorzuge, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Entgegen mancher Befürchtungen wird aber nicht jegliche Zusammenarbeit mit der Industrie oder die grundsätzliche Annahme von Geschenken strafrechtlich sanktioniert. Problematisch ist es aber immer dann, wenn die Zuwendung mit einem nicht unerheblichen (Geld-)Wert verbunden oder für den Arzt in anderer Weise von Bedeutung ist. Bestraft wird nicht nur der Berufsträger, sondern auch derjenige, der ihn besticht – also beispielsweise der Außendienstmitarbeiter bzw. der hierfür verantwortliche Vorgesetzte im Unternehmen.

Was heißt das für die Patienten?

Auch wenn Patienten von den Neuregelungen nicht direkt betroffen sind, wird man die Auswirkungen trotzdem in der Praxis spüren. Viele Patienten sind es beispielsweise gewohnt, dass sie vom Arzt (bzw. der Diabetesberaterin) kostenlos und ohne Rezept ein geeignetes Blutzuckermessgerät mit ersten Teststreifen bekommen. Das erspart allen Beteiligten unnötigen Formularkram und man muss als Patient auch nicht warten, bis die Apotheke oder der Versandhandel das Gerät liefert.

Auch wenn man mit seinem bisherigen Blutzuckermessgerät nicht mehr klarkam, es verlorenging oder man einmal etwas Neues ausprobieren wollte, konnte der Arzt oft unkompliziert weiterhelfen: Viele Unternehmen stellten Geräte zur kostenlosen Abgabe an Patienten zur Verfügung.

Eine solche kostenlose Abgabe von Geräten wird es – zumindest im bisherigen Umfang – nun wohl nicht mehr geben. Denn es ist nicht unumstritten, ob solche Praktiken nicht womöglich als Bestechung anzusehen sind. Ganz abwegig ist das nicht: Auch wenn es vielen Patienten gar nicht so bewusst ist, handelt es sich bei Blutzuckermessgeräten doch um hochwertige Medizinprodukte, die unter speziellen Bedingungen und unter Einhaltung strenger Vorschriften produziert werden.

Bestimmte Hersteller könnten ­bervorzugt oder benachteiligt werden

Solche Geräte haben daher einen relativ hohen Herstellungs- und Materialwert. Kleinere Hersteller, die sich das massenweise Verschenken ihrer Messgeräte schlicht nicht leisten können, sind daher möglicherweise benachteiligt, obwohl sie vielleicht eine gleich gute Qualität und sogar auch noch günstigere Teststreifenpreise anbieten. Denn ein Arzt wird womöglich bevorzugt nur Teststreifen für die Geräte verordnen, die er seinen Patienten zuvor kostenlos abgeben konnte.

Der Arzt hat dabei auch einen eigenen Vorteil, denn er erspart sich den Aufwand (und ggf. die Begründung) für die ansonsten notwendige Verordnung auf Krankenkassenrezept und er kann dadurch seinen Patienten auch einen besonderen „Service“ bieten.

Aufgrund solcher Bedenken könnte es sein, dass manche Ärzte lieber auf Nummer sicher gehen werden und künftig keine kostenlosen Geräte mehr abgeben, um jedes Risiko einer Strafbarkeit zu vermeiden. Gleiches gilt für die kostenlose Abgabe von Insulinpens. Das bedeutet nun aber natürlich nicht, dass Patienten solche Produkte überhaupt nicht mehr bekommen. Der Arzt wird dann aber hierfür ein Rezept ausstellen müssen.

Was ist mit den Fortbildungen?

Ein weiterer Aspekt: Die Ausbildung und Fortbildung der Ärzte wird bislang sehr stark von der Industrie unterstützt – so gibt es zahlreiche hochwertige Weiterbildungsveranstaltungen, zu denen Ärzte kostenlos eingeladen werden. Manche Praxen können es sich schlicht nicht leisten, mit ihrem ganzen Team zu Kongressen zu reisen, um sich dort fortzubilden. Auch hier hilft oft die Industrie aus und übernimmt mitunter einen Teil der Reisekosten. Auch das Durchführen von Kongressen ist ohne Unterstützung der Industrie kaum denkbar – Organisation, Personal und Verwaltung lassen sich nicht nur mit Eintrittsgeldern abdecken.

In diesem Zusammenhang ist auch das Engagement von Ärzten als Redner für Vortragsveranstaltungen oder in einem wissenschaftlichen Beirat zu sehen: Alle diese Maßnahmen tragen nicht unerheblich dazu bei, dass es in Deutschland eine sehr gute Diabetesversorgung auf hohem Niveau gibt.

Die neuen Regelungen könnten nun dazu führen, dass solche Maßnahmen künftig deutlich zurückgeschraubt werden. Der Blick nach den USA zeigt, dass die dortigen Antikorruptionsvorschriften von manchen Unternehmen so streng ausgelegt werden, dass es nicht einmal mehr Kaffee an Kongressständen gibt. Auch manche Ärzte werden es sich in Zukunft sicherlich zweimal überlegen, bevor sie kostenlose Angebote der Industrie annehmen – selbst wenn diese absolut unproblematisch sind.

Umsetzung bitte mit Augenmaß

Es bleibt daher zu hoffen, dass die neuen Regelungen mit Augenmaß umgesetzt werden. Es ist klar, dass ein Arzt keine Vorteile dafür bekommen darf, dass er bestimmte Anbieter bevorzugt. Umgekehrt sollte man aber auch die Kirche im Dorf lassen und sich nicht von übertriebenen Ängsten leiten lassen.


von Oliver Ebert
REK Rechtsanwälte,
Nägelestraße 6A, 70597 Stuttgart,
E-Mail: sekretariat@rek.de

Website: www.diabetes-und-recht.de

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2016; 65 (10) Seite 50-52

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