Zöliakie – was nun?

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Zöliakie – was nun?

Das Klebereiweiß Gluten bzw. seine Unterfraktion Gliadin findet sich in Weizen, Dinkel, Roggen, Gerste und Hafer. Eine Unverträglichkeit gegen diese Nahrungsbestandteile tritt im Rahmen einer Autoimmunkrankheit auf, die bei Kindern als Zöliakie und bei Erwachsenen als Sprue bekannt ist. Sie kommt bei Typ-1-Diabetikern häufiger vor.

Es gibt zwei Häufigkeitsgipfel

Ein Ausbruch der Erkrankung ist in jedem Lebensalter möglich. Allerdings haben sich zwei Häufigkeitsgipfel herauskristallisiert: erstens zwischen dem 1. und 8. Lebensjahr, dann noch im Alter zwischen 20 und 50 Jahren. Menschen mit Typ-1-Diabetes haben häufiger eine Zöliakie als Stoffwechselgesunde. Im Gegensatz zur übrigen Bevölkerung mit einer Zöliakie-Häufigkeit von geschätzten 0,5 bis 1 Prozent kommt sie bei bis zu 10 Prozent der Kinder und Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes vor.

Warum genau, ist noch unklar, vermutlich durch gemeinsam auslösende Erbfaktoren. Diese begünstigen eine Fehlreaktion des Immunsystems, quasi eine Autoimmunität. Daher treten Autoimmunerkrankungen wie Typ-1-Diabetes und Zöliakie gern in Kombination auf.

Während sich beim Diabetes die Körperabwehr gegen noch unbekannte Bestandteile der Bauchspeicheldrüse richtet, führt bei Zöliakie die Aufnahme von Gluten zur autoimmunbedingten Entzündung der Darmschleimhaut. Da Typ-2-Diabetes nichtimmune Ursachen hat, besteht hier kein Zusammenhang mit einer Glutenunverträglichkeit.

Oft fehlen typische Symptome

Typische Symptome einer Zöliakie sind ein geblähter Bauch, Durchfall, zu geringes Wachstum oder fehlende Gewichtszunahme. Sie verläuft bei Kindern und Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes aber häufig ohne solche Symptome, was die Diagnose erschwert.

Beim Gesunden wird Gegessenes im Dünndarm in seine Bestandteile zerlegt und gelangt über die Schleimhaut in den Körper. Der Darm ist mit vielen Falten, den Zotten, ausgekleidet, um eine möglichst große Oberfläche zur Nährstoffaufnahme zu haben; beim Entzündungsprozess der Zöliakie bilden sich die Zotten zurück. Somit verringert sich die Dünndarmoberfläche, es können nicht mehr ausreichend Nährstoffe aufgenommen werden – Symptome folgen. Sobald auf eine glutenfreie Lebensweise umgestellt wird, bauen sich Darmzotten wieder auf, sämtliche Symptome verschwinden.

Mehr als 95 Prozent der europäischen Zöliakie-Patienten haben einen bestimmten immunsystemregulierenden Erbfaktor: HLA-DQ2-Heterodimer oder seltener HLA-DQ8. Da diese HLA-Typen auch bei Menschen mit Typ-1-Diabetes häufig bestehen, erklärt dies wahrscheinlich, warum beide Krankheitsbilder gern zusammen vorkommen.

Erbfaktoren regeln Risiko

Ein entsprechender Gentest ist teuer und bisher recht aufwendig. Deshalb werden Patienten mit Typ-1-Diabetes stattdessen mit einem Bluttest auf zöliakietypische Antikörper untersucht. Manche Kinder haben selbst bei positiven HLA-Merkmalen und Zöliakie-Antikörpern eine gesunde Darmschleimhaut, wie eine Studie zeigen konnte.

Es gibt mindestens 21 Risikogene für Typ-1-Diabetes und 11 für Zöliakie; 7 davon sind mit beiden Erkrankungen zugleich assoziiert. Eines der gemeinsamen Risikogene kodiert für Zonulin, das an Kontaktstellen zwischen Zellen eine wichtige Rolle spielt. So finden sich bei Typ-1-Diabetikern wie auch Zöliakie-Patienten deutlich erhöhte Zonulinspiegel, teils schon Jahre vor Erkrankungsbeginn.

Positiver Bluttest bei 10 Prozent der Diabetes-Kinder

Eine Auswertung deutscher und österreichischer Daten von Prof. Reinhard Holl aus Ulm zeigte bei Kindern und Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes eine Häufigkeit zöliakietypischer Antikörper von 11 Prozent. Aufgrund der beschriebenen Häufigkeit empfehlen die Arbeitsgemeinschaft für Pädiatrische Diabetologie und die International Society for Pediatric and Adolescent Diabetes (ISPAD) eine regelmäßige Blutuntersuchung bei Diabetesmanifestation und verdächtigen Symptomen.

Empfehlungen der Fachgesellschaft europäischer Magendarmspezialisten sehen jedoch ein leicht modifiziertes Vorgehen vor zur Untersuchung symptomloser Patienten mit erhöhtem Zöliakie-Risiko: Dazu zählen auch Typ-1-Diabetiker, bei denen in erster Linie ein HLA-Gen-Test angeboten werden sollte. Die Abwesenheit der HLA-DQ2- und -DQ8-Gen-Typen minimiert das Zöliakierisiko, was weitere Blutuntersuchungen unnötig macht.

Eine Zöliakie-Diagnose sollte trotz Gen- oder Bluttest nur gestellt werden, wenn die feingewebliche Untersuchung der Dünndarmschleimhaut typische Veränderungen von Dünndarmzotten zeigt. Dazu ist eine kurze, schmerzlose Prozedur, vergleichbar einer Magen-Darm-Spiegelung, erforderlich.

Gibt es Schutzfaktoren?

Warum manche Patienten mit auffälligem Bluttest eine normale Schleimhaut haben und andere fehlende Darmzotten als Ausdruck der Zöliakie, ist nach wie vor unklar. Es liegt nahe, dass diese Kinder genetisch anders ausgestattet sind als andere, die das Vollbild der Zöliakie-Erkrankung entwickeln. Das könnte bei Kindern, die in der HLA-Bestimmung eine besondere Empfänglichkeit für Zöliakie zeigen, dazu führen, dass sie auf Gluten reagieren. Dennoch können sie durch andere genetische Schutzfaktoren insgesamt ein vermindertes Risiko haben, tatsächlich eine Zottenatrophie zu entwickeln. Eine weitere Hypothese ist, dass womöglich eine regulatorische Immunantwort, die eine beginnende Zöliakie auslöscht, trotz Vorliegen von Risikogenen zum Einsatz kommt.

Unbehandelte Zöliakie macht den Diabetes schwer einstellbar

Die im Dünndarm veränderte Darmschleimhaut kann zur fehlerhaften Aufnahme von Nährstoffen oder sogar zu Durchfällen führen. So entstehen im Laufe der Erkrankung Nährstoffdefizite, die eine Reihe von Beschwerden auslösen können. Manche der Krankheitszeichen entstehen vermutlich auch durch entzündliche Prozesse – unabhängig von Nährstoffdefiziten.

Da sich eine Zöliakie nicht nur auf den Darm beschränkt, wird sie als Erkrankung des gesamten Körpers, also als Systemerkrankung angesehen. Dies kann bei Diabetikern erhebliche und unerklärliche Blutzuckerschwankungen zur Folge haben, was eine erfolgreiche Diabetestherapie erschwert. Die Einführung einer glutenfreien Kost bei Betroffenen führte in Studien und in klinischen Einzelfällen zur Reduktion von Unterzuckerungen und Normalisierung von Blutzuckerschwankungen insgesamt.

Glutenfrei: ab wann es sich lohnt …

Langzeitstudien haben gezeigt, dass eine unbehandelte Zöliakie einhergeht mit erhöhten Risiken zur Entwicklung von Krebserkrankungen, Unfruchtbarkeit, mangelnder Knochenfestigkeit oder neurologischen Auffälligkeiten. Bei Patienten mit konsequenter Einhaltung einer glutenfreien Kost sind diese Gefahren im Vergleich zur Normalpopulation nicht erhöht. Hinweise, dass eine glutenfreie Kost bei Menschen ohne Zöliakie das Risiko für Krebs, mangelnde Knochenfestigkeit oder Blutzuckerschwankungen reduziert, gibt es nicht.

Es fehlt jegliche Erfahrung zur Einschätzung des Folgeerkrankungsrisikos bei Patienten mit einer Zöliakie-Form ohne Symptome, die lediglich durch einen Bluttest diagnostiziert wird – ohne Nachweis typischer Veränderungen in der Dünndarmbiopsie. Eine Behandlung asymptomatischer Patienten wird in der ISPAD-Leitlinie der internationalen Kinderdiabetesgesellschaft empfohlen – auch wenn eingeräumt wird, dass dafür keine eindeutigen wissenschaftlichen Belege existieren.

Eine dänische Arbeitsgruppe konnte nachweisen, dass es Patienten gibt, bei denen erst unter einer glutenfreien Lebensweise erkannt wird, dass sie vor der Ernährungstherapie Symptome hatten, die nach Behandlungsbeginn verschwanden. Für diese Patienten mit fehlender oder sehr geringer Symptomatik wird deshalb eine ausführliche Aufklärung empfohlen – unter Darlegung der Studienlage.

Die Beratung sollte gemeinsam vom Diabetologen, Gastroenterologen und einer qualifizierten Ernährungsfachkraft erfolgen. Ein genereller oder teilweiser Verzicht auf Gluten für Menschen mit und ohne Diabetes ist nach wie vor unbegründet – auch wenn dies von einer bestimmten Gruppe der Bevölkerung aktuell als sinnvoll erachtet wird.

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