„Achterdiek“: Fein-Bürgerlich

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„Achterdiek“: Fein-Bürgerlich

Das Echt essen-Gasthaus im Februar: Mit vielen heimischen Produkten kocht Stefan Danzer auf Juist eine feine Küche der klaren Aromen. Eine Empfehlung aus dem neuen Slow Food „Genussführer“, den ich nach der Gasthaus-Geschichte vorstelle.

Juist ist Stille. Schon die Anfahrt ist Entschleunigung pur: Über eineinhalb Stunden braucht die Fähre von Norddeich Mole zur vom Festland sichtbaren längsten ostfriesischen Insel, weil es nur eine schmale Fahrrinne gibt, die in Schleifen an der Insel vorbeiführt. Eine ideale Einübung in den gemächlichen Takt von Juist, wo statt lauten Autos nur Fahrräder schnurren und Pferdegespanne verkehren. Es herrscht ein angenehmes Klima, die Sonne scheint hier häufig.

Alles geht gemächlicher von statten als auf dem Festland – aber auch als im trubligen Sylt. Sozusagen die geerdete Schwester der Glamour-Insel ist Juist. Hier grüßen sich die Menschen, alles ist übersichtlich, es gibt nur die zwei Orte Juist und direkt daneben Loog. Die meisten Häuser sind Ferienwohnungen, Hotels und Pensionen, nur das zu mächtige, frühere Kurhaus sticht heraus. Kleine Fachgeschäfte, zwei gutsortierte Lebensmittelläden, etliche Kneipen laden zum Bummeln.

Einer der sonnenreichsten Orte Deutschlands: Juist

Töwerland nennt sich Juist. Das heißt Zauberland – und in der Tat entfaltet die Insel einen stillen Zauber. Wer sich darauf einlässt, findet den magischen, allmählich verlandenden Hammersee, Relikt einer gigantischen Sturmflut vor einigen hundert Jahren; findet das von dem Botaniker Otto Leege angelegte Naturparadies, wo die ungeheure Vielfalt der Pflanzen und Tiere eindrücklich dokumentiert ist; findet den breiten Sandstrand, auf dem es sich im Winter wunderbar wandern, im Sommer herrlich baden lässt. Besonders schön ist die Insel in den ruhigen Monaten, wo nachts eine unbeschreibliche Ruhe herrscht.

Hinterm Deich und auf der Höhe der Zeit: Achterdiek

Viele Hotels haben noch bis gegen Ende Februar geschlossen. Nicht so das erste Haus am Ort, das Traditionshotel „Hinterm Deich“, also „Achterdiek“. Seit über 20 Jahren arbeiten Gaby und Stefan Danzer in dem Betrieb, wachsen langsam in die Verantwortung hinein, Stefan Danzer etwa als stellvertretender Küchenchef, und übernehmen das Hotel 2014 als Eigentümer. Es ist ein gut geführtes Haus mit inzwischen knapp 50 Zimmern. Stück für Stück wird immer wieder modernisiert, wird eine zeitgemäße Wellness-Welt geschaffen, gibt es inzwischen prächtige Suiten mit einem herrlichen Blick aufs direkt vor dem Haus liegende Wattenmeer.

Es ist ja immer ein Wagnis, so einen Betrieb zu führen auf einer Insel, wo im Sommer der Gästeansturm immens ist – und wo es im Winter eher ruhig zugeht. Aber die ungemein gastfreundlichen Danzers haben sich eine treue Stammkundschaft aufgebaut, begeistern mit einer hochmotivierten, freundlichen Belegschaft, für die auch eigene Unterkünfte gebaut werden. Wer sich von der quirligen, aus Essen stammende Gaby Danzer das Hotel zeigen lässt, bekommt ein gutes Gefühl, dass das „Romantik-Hotel“ auf einem erfolgreichen Weg ist.

Jäger vor Jagdtrophäe: Koch Stefan Danzer

Aus Haßfurt am Main stammt Stefan Danzer, der in seiner Heimat eine bodenständige Lehre machte, bevor er sich zum Küchenmeister weiterbildete und, darauf legt er wert, zum Vollwertkoch. Er weiß, wie Gerichte nicht nur geschmackstark, sondern auch bekömmlich zu bereiten sind – ein Versprechen, das er bei unseren Besuchen wunderbar einlöste. Die Küche konzentriert sich auf wenige, handwerklich perfekte Gerichte – und alles kommt in einem idealen Tempo auf den Tisch. Jäger ist der sympathische Gastgeber, der in der Saison Rehe, Hasen, Kaninchen und Fasane schießt.

Traditionsgericht der Heimatküche: Brathering

An drei Abenden hintereinander waren wir in dem großzügig eingerichteten Restaurant, zu dem der Weg durch stilvoll eingerichtete Räume mit alten Uhren, einer richtigen Bibliothek und einem echten Kamin führt. Natürlich interessieren mich ganz stark die regionalen Produkte – und so war ich vom Brathering begeistert, dieser norddeutschen Delikatesse, wo ausgenommene, mehlierte Heringe braun gebraten und anschließend in einer säuerlichen Marinade eingelegt werden. Das klingt simpel und gelingt doch selten so perfekt wie hier, wo die feine Säure herrlich zu den sanft marinierten Zwiebeln passt.

Ein Gedicht auch der zarte Matjes, der wie der Brathering aus dem nahen Emden stammt. Himmlisch dazu die in Butterschmalz gebratenen Röstkartoffeln, fein mit Speck gewürzt. Beide Gerichte kosten jeweils 9,50 Euro. Ideal dazu das leicht herbe, fassgezapfte Jever.


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Voller Freude war ich auf die Fische aus dem umliegenden Meer – und wurde wieder auf den Boden der Tatsachen geholt. Denn irgendwie gelingt es an der gesamten Nordsee nicht, eine leistungsfähige DEUTSCHE Küstenfischerei aufzubauen. Das ist mir im nahen Greetsiel schon aufgefallen, wo die Fischer fast ausschließlich auf Krabben gehen – und die Fische „den Holländern überlassen“. Das scheint auch hier (genau wie überall an der Küste) so zu sein – und zu den „Holländern“ gibt es wohl wenige Verbindungen, obwohl Holland doch direkt gegenüber von Juist liegt. Aber eine gute Adresse für frische Fische hat mir Stefan Danzer verraten: Fischfeinkost Karl Weissig mitten in Norden, wo es wohl auch einen kleinen Imbiss gibt.

Entfaltet ihr Potential pochiert am Feinsten: Seezunge

Auf jeden Fall haben wir eine feine, auf meinen Wunsch hin pochierte Seezunge gegessen, die noch einen Hauch saftiger hätte sein können. Wunderbar dazu die dezent safranisierte Beurre blanc, weniger gut die Kartoffeln, die genau so wenig wie das labbrige Weißbrot zum Stil des Hauses passen. Überrascht waren wir, dass das zarte Gemüse die meist verkannten Steckrüben sind, die hier aber auch auf den edlen Namen „Oldenburger Ananas“ hören. Angemessene 28 Euro werden für den Fisch aufgerufen, zwei Euro mehr als für den ebenfalls feinen Wildsteinbutt in Rieslingsauce, den ich ebenfalls probiert habe.

Sag mir, wo die Austern sind, wo die Queller sind – wo sind sie geblieben? Ein wenig habe ich nach meinen Erfahrungen bei Johannes King auf Sylt gehofft, dass ich auch hier die vitalen Kräuter aus dem Watt bekomme, wie etwa die Salzdelikatesse Queller. Aber ein sehr strikter Naturschutz schiebt dem Sammeln wohl einen Riegel vor. Etwas einfacher ist es wohl, an die wilden Austern zu kommen, die auf den Bänken im Watt gedeihen – und die von einigen Wirten auf Juist angeboten werden. Werde ich beim nächsten Mal ausprobieren, genauso wie die Muscheln, die ich überall am Strand gesehen habe – und die auf den Teller gehören! Aber: Im Sommer gelangen wohl von Fischern gefangene Wolfsbarsche in die Küche – das lohnt schon fast den Weg ins Achterndiek.

Adelt den Lammrücken: Lavendel-Kruste

Garzeiten beherrscht die Küche hier aus dem Effeff: Der Lammrücken aus Schottland (sonst gibt es auch die Deichlämmer) ist so was von zartrosa, schmeckt nach Lamm, ohne zu „lammeln“. Fluffig die Kruste aus einer ausgewogenen Mischung mit geröstetem Weißbrot, Zwiebeln, Butter, Thymian, Rosmarin, Lavendel und Petersilie. Geschmackvoll die Kroketten, die hier wohl geformt als Dauphin auf den Tisch kommen – das alles für angenehme 26 Euro.

Hier würden natürlich auch die Weine aus der kleinen, aber wohl sortierten Karte passen, etwa ein Kaiserstühler Spätburgunder von Heger für 26 Euro. Zu den Fischen empfiehlt sich der Riesling von Robert Weil für 25 Euro oder der Silvaner Würzburger Stein für gastfreundliche 28,50 Euro.

Hirsch, wie zart kann dein Rücken sein!

Wer Glück hat, kann im Mai einen vom Chef geschossenen Rehbock genießen. Wir verzehrten mit großem Genuss einen Hirschrücken mit Macadamiakruste für 28 Euro. Der war so schmackig-zart, dass ich an Damwild dachte, aber Stefan Danzer versicherte, dass es ein geschossenes Tier vom nahen Festland ist. Was ich gut finde: Hier werden, wenn es sich anbietet, auch ganze Tiere verarbeitet – nicht nur die Edelteile. So bekommt das Achterdiek wohl auch Ziegen von einem Hof, den eine Frau auf dem Festland betreibt.

Eine Delikatesse übrigens die „Grüße aus der Küche“, wie etwa eine Scheibe vom Spanferkelrücken mit knackiger Kruste, würzigen Kapern und einem vom Sonnenblumenöl verwöhnten Feldsalat. Ebenfalls sehr angenehm: Der stets präsente, aber nie aufdringliche Service – so etwas schafft eine gastfreundliche Wohlfühlatmosphäre.

Fazit: Eine feine Küche der Produkte und Aromen, die eine Reise auf die gastliche Insel lohnt. Und wer weiß, vielleicht öffnet sie sich noch stärker den Früchten des umliegenden Meeres und den wilden heimischen Kräutern.

Achterdiek, Wilhelmstraße 36, 26 571 Juist, Tel.: 049 35/80 40, geöffnet täglich von 12 Uhr 30 bis 13 Uhr 30 und von 18 Uhr 30 bis 22 Uhr 30. Website: www.hotel-achterdiek.de

Rund 200 Euro kosten die Doppelzimmer im Achterndiek – was angemessen ist. Wer sich das, wie ich nicht, leisten kann, dem empfehle ich das 200 Meter entfernte „Seehotel Freese“ – ein würdevoll gealteter Betrieb mit freundlichem Service, angenehmen Zimmern und einem schönen Frühstück mit herrlichen Schinkenspezialitäten.


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Eine Empfehlung aus dem neuen Genussführer von Slow Food ist das „Achterdiek“. So gründlich wie für keinen Gastro-Guide werden die Gasthäuser für den Genussführer ausgewählt: So war eine Delegation vom Convivium Ostfriesland (Convivien heißen die einzelnen Regionalabteilungen) für zwei Tage auf der Insel – und anschließend gab es noch einmal einen separaten Besuch der für den Führer zuständigen Slow Foodies. Die Mühe hat sich gelohnt, das Insel-Restaurant ist ein echter Gewinn – und es wird sonst nirgends vernünftig vorgestellt, wie so viele Gasthäuser, die es nur in diesem Essensführer gibt.

Der Guide zu authentischen Gasthäusern: Slow Food-Genussführer

An sich wollte ich die neue, dritte Auflage noch einmal komplett besprechen – doch dann merkte ich, dass sich an meiner grundsätzlichen Einstellung nicht viel geändert hat. Weshalb Sie im Anschluss an diese Ausführungen noch einmal meinen Text von 2014 nach der Besprechung des „Lumperhofs“ finden.

Stehen immer häufiger für regionale Kreativität: Michelin-Sterne

Nur eine Anmerkung sei mir gestattet: Grundsätzlich werden im Genussführer keine Sterne-Gasthäuser berücksichtigt, und es werden keine Häuser berücksichtigt, die eine gewisse Preisgrenze überschreiten. Ein Fehler, wie ich finde, der auf einem falschen Verständnis des Guide Michelin beruht. Waren es früher in der Tat vor allem „Gourmettempel“, die Aufnahme in die „Rote Bibel“ fanden, hat sich das mittlerweile radikal gewandelt: Es zählt, was auf den Teller kommt – weshalb es inzwischen Gasthäuser gibt, die extrem schlicht daherkommen, keine Tischtücher haben, einfaches Geschirr verwenden.

Ein gutes Beispiel dafür ist das Kölner „maiBeck“, ein quirliges Gasthaus mit einfachen Tischen, wo es laut ist – wo aber absolut authentisches Essen auf dem Tisch steht; wo die Lieferanten persönlich ausgesucht werden; wo auf Nachhaltigkeit geachtet wird – also genau die Kriterien, für die Slowfood steht. Ähnliche Sternehäuser sind in Berlin „einsunternull“ und das gefeierte „Nobelhart & Schmutzig“, die sehr überzeugende regionale Lieferketten aufbauen; die alte Gemüsesorten wie Haferwurzeln verwenden; die alte Konservierungstechniken wie Einwecken und Räuchern eingesetzen. Aber auch das von mir kürzlich vorgestellte „Sosein“ in der Nähe von Nürnberg gehört dazu. Nicht zu vergessen der ebenfalls von mir präsentierte „Söl´ring Hof“ auf Sylt, der eine fast schon radikale Regionalität und Saisonalität pflegt.

So entsteht die paradoxe Situation, dass der Genussführer viele der Gasthäuser ausschließt, die wirklich ernst mit dem Regionalgedanken machen – einem Gedanken, dem mehr denn je die Zukunft gehört. Und einem Gedanken übrigens, der endlich helfen wird, dass die deutsche Küche auch international den Stellenwert bekommen wird, der ihr gebührt.

Fazit: Der Genussführer ist ein unersetzlicher Wegweiser zu authentischen Gasthäusern. Mit einer kreativen Erweiterung seines Kriterienkatalogs könnte er dieses Potential künftig noch viel stärker ausschöpfen.

Slow Food Genussführer Deutschland 2017/18. Oekom-Verlag, München, 608 Seiten, 24,95 Euro

Hier finden Sie meine Einschätzung zum Slow Food-Genussführer von 2014.


von Hans Lauber
E-Mail: aktiv@lauber-methode.de
, Internet: www.lauber-methode.de

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