„Adler“: Gitzi und Wildforelle

6 Minuten

© Fotolia/Sonja Birkelbach
„Adler“: Gitzi und Wildforelle

Das Echt essen-Gasthaus im Mai: Im urigen Schweizer Landgasthof wird Saisonales wie Gitzi (Zicklein) und Wildforelle bodenständig-raffiniert zubereitet.

Spektakulär schön gleitet der Zug von Zürich entlang dem gleichnamigen See und dann am Zugersee vorbei nach Schwyz, wo über der Stadt die schroffen Felsenberge Großer und Kleiner Mythen aufragen. Von dort mäandert der natürlich superpünktliche Bus über enge Kurven ins plötzlich prächtig-weite Muotathal mit gut erhaltenen alten Bauernhäusern und satten Matten. Vor zwölf Jahren war ich schon einmal im „Adler“, der zu den besten Schweizer Adressen für eine regionale und saisonale Küche zählt. Über diesen Besuch habe ich eine meiner echtesten Geschichten geschrieben – und es lohnt sich sehr, das noch einmal zu lesen.

Bewährte Tradition: Gemütliche Gaststube

Faszinierend an der fast ein Dutzend Jahre alten Geschichte: Sie ist wunderbar aktuell geblieben. Immer noch locken drei stilvolle Gaststuben; immer noch wird bodenständig und raffiniert gekocht; immer noch begeistert die herzliche Gastfreundschaft von Paula und Dani Jann; immer noch werden die meisten Produkte aus dem Tal bezogen, von der Metzgerei Heinzer, von der Bäckerei Schwegler, während Kräuter selbst gesammelt werden. Im Herbst schießen die Jäger das frische Wild und im Frühling fangen Fischer die wilden Forellen aus der Muota.

Wildes Wasser, wilde Forellen: Bergfluss Muota

Extra wegen den Forellen bin ich gerade im April ins wunderschöne Tal gefahren. Sicher, die Forellen gibt es den ganzen Sommer über, aber im zeitigen Frühling sind es auch die, welche wirklich wild hier aufgewachsen sind. Später sind es vor allem diejenigen, welche von den Fischern eingesetzt wurden. Vor dem Essen laufe ich noch an neugierigen, auf den Wiesen weidenden Ziegen vorbei die rund 100 Meter zu der wild schäumenden Muota und lausche den reißenden Fluten. Herrlich natürliche Meditationsmusik ganz ohne künstliches Gesäusel.

So schmeckt die Forelle am besten: Blau

Als Gang vorneweg genießen wir saftige, selbst geräucherte Forellen, die aus einer nahen Zucht stammen. Verfeinert wird das Gericht für 19,50 Franken (wer vom Frankenbetrag rund 10 Prozent abzieht, hat den Betrag in Euro) mit Frischkäse und einem vitalen Salat mit Joghurtdressing. Nun aber der große Auftritt der wilden Forelle für 33 Franken, die ganz puristisch lediglich mit zerlassener brauner Butter und Salzgumeli (Salzkartoffeln) serviert wird. Puristisch ist auch die Zubereitung von Dani Jann: Blau, also rund 8 Minuten in einem 70 Grad heißen Sud aus Weißwein, Essig und Wurzelgemüse. In Windeseile perfekt tranchiert von Paula Jann, die am Wochenende von ihrer ältesten Tochter Laura unterstützt wird.

Zart intensiv schmeckt das, ein unvergleichlicher Hochgenuss, der die weite Reise ins abgeschiedene Tal lohnt.

Geschmortes Ragout: Gitzi-„Voressen“

Gitzi heißen in der Schweiz die Zicklein, also die jungen Ziegen, auch ein typisches Frühlingsgericht. Viele Menschen lehnen das Fleisch ab – aus einem schlichten Grund: Sie haben es noch nie probiert. Nun, ich habe es da leichter, mein Großvater hatte Geißen, wie die Ziegen im heimischen Dialekt heißen – und ich habe die Geißenmilch getrunken, die als die menschenähnlichste gilt. Immer wieder habe ich auch im Frühling Zicklein probiert – und habe jüngst an Ostern zwei Rücken aus der Eifel zubereitet, die exzellent geschmeckt haben.

Hochgenuss im Frühling: Zicklein

Nun, noch viel besser ist natürlich die Zubereitung vom „Adler“-Koch, der in der Küche seit vielen Jahren mit seiner jüngsten Tochter Ramona zusammen arbeitet. Zuerst serviert er als „Voressen“ ein Ragout aus geschmorten Muskelstücken mit feinen Nudeln. Perfekt auf dem individuellen Punkt gegart die anderen Teile, wobei mich besonders auch das schmelzig-feine Fett begeistert. „Rassig“ nennen die Schweizer diesen Geschmack aus zart und intensiv. Grandios intensiv auch die einreduzierte Jus, in der ganz viel ausgekochte Zickleinknochen und noch mehr guter Wein stecken. Angemessene 69,50 Franken werden für dieses großartige Gericht aufgerufen – noch ein Grund, bald wieder die weite Reise zu wagen.

Passend dazu der 2019er Cornalin, eine uralte Rotweinsorte aus dem Wallis, die mir mit ihrem tiefgründigen Geschmack von früheren Schweiz-Aufenthalten bestens in Erinnerung geblieben ist. 62 Franken kostet dieser feine Tropfen. Das klingt überrissen, ist aber für die Wein-teure Schweiz günstig zu nennen.

Bedingen zufriedene Gäste: Zufriedene Gastgeber Dani und Paula Jann

Keine Begeisterungsstürme löst bei Paula Jann mein Wunsch nach einem Foto aus, arbeitet sie mit ihrer angenehmen Art doch lieber im Hintergrund und instruiert ihre herzlichen Serviceleute. Aber ich finde es immer wieder bewundernswert, wenn ein Wirtepaar über so viele Jahrzehnte den Gästen eine verlässliche zweite Heimat bietet, was ich mit dem gemeinsamen Foto würdigen will.

Wie gut die „Heimat“ funktioniert, sehe ich an dem Abend, wo wir da sind: Praktisch alles Einheimische, die sich untereinander kennen, sich gegenseitig an den Tischen besuchen. Wer sich so eine treue und zufriedene Stammkundschaft aufgebaut hat, der dürfte auch künftige Pandemien gut überstehen. Wobei: An den Wochenenden und vor allem im Wild-trächtigen Herbst stürmen das Gasthaus auch Auswärtige.

Kochen mit einheimischen Produkten – das propagieren heute immer mehr Gastronomen. Ob sie es auch machen, sei dahingestellt. Im „Adler“ gehört das seit Jahrzehnten zum kulinarischen Alltag, eine vorbildliche Pionierrolle.

Fazit: Ein hochsympathischer Familienbetrieb mit vorbildlicher Regionalküche und einem unaufdringlich herzlichen Service.

„Adler“


Adresse: Kapellmatt 1, CH-6436 Ried-Muotathal

Öffnungszeiten: Dienstag bis Samstag mittags (Bravo!) und abends geöffnet. Nur Donnerstag Abend ist zu.

Kontakt: www.adler-muotathal.ch

Es ist angerichtet: Mein Wildmenü als Frühstück

Unfassbar satte Matten hat es rund um den „Adler“. Und weil es in der Nacht geregnet hat, nasche ich vom reichlich gedeckten Tisch der Natur: Würziger Löwenzahn, leicht pfeffriges Wiesenschaumkraut, animierender Sauerampfer, die auf dem Foto zu sehen sind. Aber bei meinem Streifzug finde ich auch den knoblauchigen Bärlauch, knackige Gänse- und Schlüsselblumen, sogar an die scharfen Brennesseln wage ich mich und selbstverständlich an den natürlichen Entzündungshemmer Mädesüß, eine Art pflanzliches Aspirin. Am meisten begeistert hat mich der richtig bittere Kriechende Günsel. Das ist statt dem Frühstück ein unnachahmlicher Vitalcocktail mit einer geballten Ladung Vitaminen und Mineralien, was viel wirksamer als künstliche Pastillen ist.

Werden von der Politik gefördert: Hochstämmige Bäume

Wer aufmerksam durch die Schweiz fährt, dem fallen die vielen alten, aber durchaus gepflegten hochstämmigen Bäume auf, die hierzulande Streuobst heißen. Dieser Reichtum hat einen Grund: Während bei uns bis vor einigen Jahren die EU noch Prämien für das Abholzen dieser für die Artenvielfalt so wichtigen Bäume zahlte, werden in der Schweiz vom Staat Prämien für den Erhalt gezahlt. Es lohnt sich halt manchmal doch, kein Mitglied in der gleichmacherischen EU zu sein. Dass sich auch kulinarisch der Erhalt der alten Sorten lohnt, beweist seit Jahren Jörg Geiger aus Schlat bei Göppingen. Denn erst nach Jahrzehnten entwickeln die Äpfel und Birnen die ausgereifte Aromenqualität, die er für seine preisgekrönten Schaumweine und vor allem seine aus der Spitzengastronomie nicht mehr wegzudenkenden alkoholfreien „Priseccos“ braucht.

Archaische Delikatesse: Gegrillter Markknochen

Weil im idyllischen Muotathal am Wochenende kein Quartier zu finden war, sind wir wieder nach Zürich gefahren, wo wir eh durch mussten. Hier lohnt ein Aufenthalt im neuen „Motel One“, das direkt neben dem Alten Botanischen Garten liegt, eine verwunschene Idylle mitten in der Großstadt.

„Lotti“ heißt nahe der Limmat ein angesagtes Gasthaus, das mit seinen hohen Räumen prädestiniert ist für den bevorzugten Küchenstil: Nämlich grillen mit heimischem Buchenholz. Da gelingt grandios heimisches Gemüse, vor allem der herrlich bittere Chicorée. Saftigst das 42 Franken teure Rib Eye von einem einheimischen Metzger, der ausgesuchte Rinder selbst schlachtet. Der Höhepunkt für mich: Gespaltener, geräucherter Markknochen (14 Franken), pure Archaik. Interessante Flaschenweine, die von Philippe Lau klug erklärt werden. Schweizer Küche, weltläufig serviert. www.lotti-lokal.ch

Lebendig und heimelig ist Zürich vor allem nachts, wenn das rechte Limmatufer mit dem Großmünster effektvoll lichtinszeniert wird.

Panorama von Zürich.


ECHT ESSENheißt der Blog, in dem ich seit zehn Jahren jeden Monat mindestens ein Gasthaus vorstelle. Wichtiges Auswahlkriterium: Herkunft der Produkte.


von Hans Lauber
E-Mail: aktiv@lauber-methode.de

Internet: www.lauber-methode.de

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