Ängste von Kindern in schwierigen Zeiten – wie können Eltern helfen?

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Ängste von Kindern in schwierigen Zeiten – wie können Eltern helfen?

COVID-19-Infektion, häusliche Isolation, Überforderung beim Home Schooling und jetzt auch noch die unfassbaren Bilder aus der Ukraine – wer hat da keine Sorgen und Ängste? Und wenn dann auch noch ein Diabetes beim Kind festgestellt wird und die Glukosewerte ständig stark schwanken … Wie können wir Kindern helfen, Ängste zu bewältigen und hoffnungsvoll in die Zukunft zu schauen?

Welche Ängste für Kinder häufig typisch sind und wie sie damit umgehen, das hängt zum großen Teil vom Entwicklungsstand ihres Gehirns ab. Schon bei der Geburt ist jeder Mensch mit grundlegenden Emotionen ausgestattet, die dafür sorgen, dass wir körperlich und seelisch sehr schnell auf unsere Umwelt reagieren können, ohne lange darüber nachdenken zu müssen.

Zu diesen emotionalen Programmen zählt, neben der Freude, dem Ärger oder der Überraschung, auch das überlebenswichtige Gefühl der Angst. Sie führt dazu, dass schon Neugeborene nach “Hilfe” schreien und ca. einjährige Kinder sich nicht zu weit von den Eltern entfernen und gegenüber anderen Menschen fremdeln. Diese Ängste gehören zur normalen Entwicklung von Kindern. Sie werden durch die täglichen Erfahrungen ausgeformt und vor allem im Schlaf seelisch verarbeitet und im Gedächtnis gespeichert. Deshalb haben viele Kleinkinder, deren Gedächtnis und Denken noch nicht weit entwickelt sind, Angst vor fremden Gegenständen, lauten Geräuschen, z. B. beim Gewitter, vor der Dunkelheit oder davor, allein gelassen werden. Trennungsängste sind in diesem Alter ein zentrales Thema, weil Kinder Zeit noch nicht einschätzen und verstehen können. Sie sind sich noch nicht sicher, ob Mama oder Papa in einer Stunde oder erst in ein paar Tagen wiederkommen.

Gute Erfahrungen gegen Ängste

Mit zunehmenden guten, aber auch schlechten Erfahrungen und der Entwicklung der Hirnregionen (präfrontaler Kortex), die für die Einordnung und Dämpfung der Emotionen zuständig sind, gehen typische Ängste von Kleinkindern etwas zurück. Voraussetzung dafür ist aber, dass sie gute Erfahrungen gemacht haben, d. h. in schwierigen Situationen beruhigt, getröstet und zuverlässig versorgt werden, vor allem, dass ihre Eltern für sie und ihre Sorgen einfühlsam da waren, wenn es nötig war.

Magisches Denken im Kindergartenalter

Im “magisch denkenden” Kindergartenalter fällt es oft noch schwer, zwischen Fantasie, Filmen und der Wirklichkeit zu unterscheiden. Entsprechend haben Kinder Angst vor Monstern, Gespenstern oder anderen Bedrohungen, die sie in den verschiedenen Medien “real” erleben. Das gilt besonders auch für das Kriegsgeschehen, mit dem sie in Videos oder Nachrichten ständig konfrontiert werden. Sie können noch nicht einordnen, ob und wann sie selbst durch die schlimmen Ereignisse gefährdet sind, ob die Angreifer sie “vielleicht heute Nacht selbst bedrohen werden”.

Hier sollten Eltern besonders darauf achten, was ihr Kind in den Medien sieht und hört, z. B. wenn der Fernseher nebenbei läuft. Kinder nehmen sehr viel mehr wahr, als wir denken, und sie machen sich dazu ihre eigenen Gedanken.

Grundschulkinder leben im Hier und Jetzt

Je besser Grundschulkinder Zeit, Entfernungen und den Unterschied zwischen Geschichten und Wirklichkeit verstehen können, umso mehr verschwinden Ängste, die aus ihrer Fantasie entspringen. Dafür treten Ängste und Sorgen in den Vordergrund, die mit den eigenen täglichen Anforderungen zu tun haben. Häufig sind dabei Ängste vor Schulversagen, Angst davor, ausgeschlossen oder ausgelacht zu werden, aber auch Angst um die eigene Gesundheit und die von Angehörigen.

Hier müssen Kinder Schritt für Schritt lernen, ihre Ängste zu überwinden und mit Misserfolgen umzugehen. Ängste können nur abgebaut werden, wenn man sich ihnen stellt. Daher ist es für Kinder keine Hilfe, sie ständig vor diesen Emotionen schützen zu wollen. Die Angst, z. B. vor einer Klassenarbeit oder Prüfung, wird immer stärker, je mehr man sich der Situation entzieht.

Dagegen werden Kinder seelisch gestärkt, wenn sie ihre eigene Angst überwunden und sich etwas zugetraut haben. Dies gilt auch für den Umgang mit dem Diabetes und möglichen Risiken, z. B. durch eine Unterzuckerung.

Schulkinder werden heute durch Alarme eines CGM-Systems bei niedrigen Glukosewerten früh gewarnt, sie können nach guter Vorbereitung darauf reagieren und den Wert mit Traubenzucker normalisieren. Wenn es Eltern gelingt, dieses sehr begrenzte Risiko gelassen mit ihrem Kind zu besprechen und ihm zuzutrauen, richtig zu handeln, kann daraus ein selbstbewusster Umgang mit dem Diabetes entstehen. Ständige angstvolle Überwachung durch Erwachsene verstärkt dagegen die Unsicherheit und Ängste der Kinder.

Wie viel Angst ist noch normal?

Angst ist eine lebenswichtige Emotion, die uns vor zu riskantem Verhalten schützt. Sie tritt bei Kindern – aber auch Erwachsenen – besonders dann auf, wenn es tiefgreifende Veränderungen im Alltag oder ganz neue Anforderungen gibt, von denen wir nicht wissen, ob wir ihnen gewachsenen sind. Und es ist eine wichtige Lernerfahrung, sie zu überwinden.

Dagegen sind Ängste nicht “normal”, wenn es keine reale Bedrohung gibt, sie extrem ausgeprägt und mit starkem Leidensdruck verbunden sind. Dies gilt besonders dann, wenn wegen der Angst auf vieles verzichtet wird, z. B. wenn ein Kind aus Angst vor einer Hypoglykämie nicht am Sportunterricht teilnehmen mag. Hier sollten Eltern das Gespräch mit dem Diabetesteam suchen und psychologische Hilfe in Anspruch nehmen, damit sich die Angst nicht weiter verstärkt und das ganze Leben erfasst. Ebenso sollten sich Eltern professionellen Rat bei massiven Schul- und Trennungsängsten bei älteren Kindern holen.

Wie können Eltern helfen?

Viel wichtiger als kluge Ratschläge ist das “emotionale” Vorbild der Eltern. Von Geburt an können Kinder die Emotionen ihrer Eltern lesen, d. h. unbewusst erkennen. Sie passen ihre eigenen Gefühle daran an. Wenn Eltern bei einem heftigen Gewitter gelassen bleiben und beruhigend mit ihrem kleinen Kind sprechen, dann reguliert das Kind seine Angst sehr schnell. Eine positive Emotionalität und ein ehrlicher Optimismus der Eltern stärken Kinder jeden Alters, z. B. auch dann, wenn die Glukosewerte gerade sehr hoch oder zu niedrig sind und behandelt werden müssen. Gelassenheit und konsequentes Handeln helfen hier am besten.

Wenn Kinder zusätzlich erleben, dass sie schwierige Situationen zunächst zusammen mit den Eltern, später allein meistern können, stärkt das ihr Selbstbewusstsein und beugt Ängsten vor. Dazu kann die “Schritt für Schritt”-Methode angewandt werden, indem Eltern mit dem Kind eine schwierige Aufgabe in kleinen Einheiten durchspielen und jeweils besprechen, was als Nächstes zu tun ist und es ausprobieren, z. B. allein mit dem Rad zur Schule fahren.

Eltern können auch darin ein Vorbild sein, wenn sie berichten, wie sie sich selbst Mut machen oder auch um Hilfe bitten. Dazu kann z. B. überlegt werden, ob eine angstbesetzte Situation wirklich so schlimm ist, und welche Gedanken helfen, das Gefühl der Angst, z. B. während einer Klassenarbeit, zurückzudrängen.

Wenn ein Kind sehr ängstlich erscheint, fragen Sie offen nach den Gründen und hören Sie zunächst nur gut zu, ohne die Gefühle des Kindes zu bewerten. Und es ist auch okay, sich manchmal schlecht zu fühlen oder Sorgen zu haben. Allein dadurch, dass sich ein Kind ernst genommen fühlt und ihm zugehört wird, wird seine seelische Last etwas geringer, und es finden sich manchmal ganz unerwartete Lösungen und Hilfen.

Überforderung durch Risiken

Es gibt aber auch Gefahren, die jüngere Kinder noch nicht verstehen können. Das gilt z. B. für Folgeerkrankungen, die vielleicht in ferner Zukunft drohen. Kinder bis ins Teenageralter verstehen Zeit, Risiken und die Zusammenhänge des Stoffwechsels noch nicht so wie Erwachsene. Drohungen damit gefährden die Therapiemotivation eher als sie zu fördern.

Wenn Kinder jedoch selbst nach den Folgen des Diabetes fragen, sollten Erwachsene ehrlich, aber auch hoffnungsvoll antworten. Beschränken Sie sich dabei auf das, was Ihr Kind gehört hat und wissen möchte. Die vielen modernen Behandlungsmethoden bieten eine große Chance, lange gesund zu bleiben. Und die Forschung zu noch besseren und einfacheren Therapien geht so intensiv weiter, dass heute niemand vorhersagen kann, wie Typ-1-Diabetes in 10 Jahren behandelt werden wird – aber sicher einfacher und erfolgreicher.

Ängste durch verstörende Kriegsnachrichten

Selbst für sehr belastbare und seelisch stabile Erwachsene sind die emotionalen Nachrichten und Bilder der letzten Monate aus den Kriegsgebieten kaum zu ertragen. Die Unmenschlichkeit ist durch nichts zu erklären, es gibt dafür oft keine Worte. Deshalb sollten jüngere Kinder nicht mit diesen verstörenden Bildern und Videos konfrontiert und schon gar nicht damit allein gelassen werden.

Kinder im Schulalter sind aufmerksam und wissbegierig, sie brauchen Antworten ihrer Eltern auf Fragen zu allem, was sie gesehen oder gehört haben. Es gibt einige altersgerechte Formate im Netz, in den Mediatheken und als Kindernachrichtensendungen, die sie gemeinsam anschauen und besprechen können. Dabei ist wichtig, dass Sie mit ihrem Kind sprechen und es offen fragen, was es in Medien über den Krieg erfahren hat, wie es ihm damit geht und welche Fragen es beschäftigt. Dabei sollten Sie ehrlich bleiben und Ihre eigene Besorgnis und Ihr Unverständnis nicht verschweigen.

Lassen Sie sich jedoch nicht von Ihren berechtigten Gefühlen des Entsetzens, der Wut oder Verzweiflung beherrschen. Es ruft bei Kindern nur noch größere Ängste hervor, wenn diejenigen, die ihnen Schutz und Sicherheit bieten sollen, selbst nicht mehr ein noch aus wissen. Versuchen Sie, ruhig und sachlich zu bleiben, die Fragen Ihres Kindes einfach und ehrlich zu beantworten und falsche Befürchtungen einzuordnen und zu korrigieren.

Denken Sie aber auch an Ihr eigenes Wohlbefinden und die Belastungen, die sich durch ständige Medienpräsenz ergeben. Die ständige emotional aufgeladene Konfrontation lässt niemanden unberührt, die Angst schleicht sich unbemerkt ein und setzt sich fest, ohne, dass sich die eigentliche Situation in irgendeiner Weise ändert. Konzentrieren Sie sich lieber auf wenige sachliche Nachrichten und schalten Sie den ständigen Stress durch zu viele aufgeregte Medien einfach aus. Und wenn sie stattdessen, geflüchtete Familien unterstützen, können Sie effektiv helfen und gleichzeitig das Gefühl der eigenen Machtlosigkeit gegenüber den furchtbaren Kriegsereignissen etwas abbauen.

Angst vor Krieg
Ihr Kind hat Angst z. B. vor dem Krieg in der Ukraine? Vorschläge, wie man die Geschehnisse kindgerecht einordnen kann, gibt es z. B. auf schau-hin.info.

Autorin:

Prof. Dr. Karin Lange
Leiterin Medizinische Psychologie
Medizinische Hochschule Hannover
Carl-Neuberg-Str. 1, 30625 Hannover

Erschienen in: Diabetes-Eltern-Journal, 2022; 13 (2) Seite 16-18

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