Ärzte, bitte bedachter!

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Ärzte, bitte bedachter!

Widersprüchliche Ärzte-Aussagen verunsichern. Was fehlt: Kluger „Oberarzt“ und maßvoller Blick für Folgen medizinischen Mahnens, findet Kolumnist Hans Lauber.

Nein, ich bin kein Arzt. Ja, aber ich habe vielfältige Erfahrungen im Umgang mit Ärzten durch meine sieben Bücher über Diabetes, Ernährung und Heilpflanzen. Alle Werke habe ich in engem Kontakt mit Ärzten, Biologen und Apothekern geschrieben. Von daher weiß ich, wie kritisch und kontrovers die Kollegen oft gesehen werden, wie kopfschüttelnd manche Ansichten als falsch kritisiert werden. Nur, das passiert in geschlossenen Zirkeln, die Betroffenen konnten immer sicher sein, dass ich dieses Wissen für mich behalte; dass ich es lediglich dafür nutze, um die richtigen Experten für meine Themen zu finden.

Nun aber ist plötzlich alles öffentlich – was natürlich dem dringenden Bedürfnis der Gesellschaft geschuldet ist, verlässliche Informationen über die Pandemie zu erhalten. Gerne, fast zu gerne begrüßen die Ärzte dieses Bedürfnis, sind pausenlos auf Sendung. Irritierend, wie gnadenlos die Beteiligten miteinander umgehen – völlig ignorierend, welche sozialen und wirtschaftlichen Folgen ihre lustvoll ausgetragenen Kontroversen haben.

Drei Themenfelder exemplifizieren das bestens:


Masken-Mumpitz:

Trefflich streiten lässt es sich, ob die Gesichtsmasken wirklich vor der Ansteckung schützen. Unstrittig ist, dass das Risiko andere zu infizieren, deutlich sinkt. Wobei das natürlich nur wirklich funktioniert, wenn es medizinische Masken sind, die aber in Wahrheit nicht einmal ausreichend für das medizinische Personal vorhanden sind. Außerdem müssen sie regelmäßig gewechselt werden, weil sie sich sonst in wahre Viren-Schleudern verwandeln und eine höchst riskante Quelle der Selbstinfektion werden.

Viele Unsicherheiten also, aber rechtfertigt das die harte Aussage, dass solche schlichten „Masken“ wie Schals oder Tücher „lächerlich“ seien, wie Weltärztepräsident Frank Ulrich Montgomerey sagt. Damit hat er sicher recht, nur was sollen die armen Polizisten sagen, wenn sie bei renitenten Bürgern die existierende Maskenpflicht durchsetzen müssen? Was sollen leidgeprüfte Politiker sagen, die sich vorhalten lassen müssen, ihre Vorschriften seien „lächerlich“? Bitte künftig etwas bedachter, Herr Präsident, pardon Weltärztepräsident.

Nur, wenn sich niemand mehr ansteckt, was ist dann mit der „Durchseuchung“ (in Deutschland immer ein Wort mit unangenehmen Beiklang)? Auch das fordern viele Mediziner, denn die Herdenimmunität soll einer dieser vielbeschworenen Königswege sein, um das Virus langfristig einzudämmen. Oder doch nicht?


Virologen-Zoff:

Sie sind die Stars der Pandemie, die Virologen. Genüsslich kosten sie diesen Status aus – und streiten öffentlich wie die Kesselflicker, wer denn der Beste sei, wer am Meisten recht hat. Was mich irritiert: Wie offen und versteckt versucht wird, die wissenschaftliche Kompetenz der Kontrahenten zu attackieren. Dabei sind das alles exzellent ausgebildete Wissenschaftler, die ihr Handwerk zu verstehen haben. Das tun sie natürlich auch, trotzdem zeigen sich aufschlussreiche Unterschiede:

  • Hendrick Streeck aus Bonn hat im Corona-Hotspot Heinsberg so viele Erkrankte wie kein anderer tatsächlich untersucht. Die Ergebnisse seiner Studie zu beurteilen, maße ich mir nicht an. Nur, wer seine Resultate etwas vorschnell und dann auch noch mit grenzwertiger PR publiziert, stellt sich wohl selbst schnell ins Abseits, auch wenn er möglicherweise in der Sache recht hat.
  • Alexander Kekulé aus Halle ist ein Anhänger der systematischen „Durchseuchung“. Mir gefällt, dass er einer von sechs Prominenten ist, die im „Spiegel“ für einen maßvolles Ende der derzeitigen strengen Maßnahmen sind, solange stark Gefährdete, etwa Alte und Vorbelastete, besonders geschützt werden. Zu den Promis gehören Julian Nida-Rümelin, Thomas Straubhar und Juli Zeh.
  • Christian Drosten aus Berlin hat das Virus anfangs unterschätzt – und scheint es jetzt zu überschätzen. Wie alle Experten gibt er scheinbar nur Empfehlungen, schwingt aber sofort die apokalyptische Keule, wenn diese Ratschläge nicht befolgt werden. Würde die Politik allein auf ihn hören, wären wir noch für Monate im Lockdown. Hätten vielleicht das Virus eingedämmt, aber das Land ruiniert.

Davor warnt nun einer, der gottseidank kein Virologe ist, Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble. In einem visionären Interview mit dem Berliner „Tagesspiegel“ sagt er: „Wir dürfen nicht allein den Virologen die Entscheidungen überlassen“ und weiter: „Wenn ich höre, alles andere habe vor dem Schutz des Lebens zurückzutreten, dann ist das in dieser Absolutheit nicht richtig“.

Auch großartig, wie der Grand Old Man unserer Politik mit einem Satz diesen so tückisch gelegten, scheinbaren Widerspruch zwischen Gesundheit und Geschäft in eine vernünftige Balance bringt: „Zwei Jahre lang alles still zu legen, auch das hätte fürchterliche Folgen“.


Impf-Illusion:

Hoffnungsfroh träumte die Medizin des Mittelalters vom Theriak, dem allumfassenden Arzneimittel. Natürlich wurde dieses Mittel nie gefunden, weil es das nicht gibt, nicht geben kann. Trotzdem wird dieser Traum auch heute wieder geträumt – und er heißt Impfstoff. Wird dieser Impfstoff endlich entwickelt, ist die Pandemie besiegt, kehrt wieder die Normalität ein, lautet das auch von vielen Ärzten rezitierte Mantra.

Klingt gut, ist aber wohl eine Illusion, wie der Kölner Immunologe Professor Martin Krönke in einem sehr fundierten Interview mit dem „Kölner Stadtanzeiger“ erläutert: „Es ist in den vergangenen 18 Jahren nicht gelungen, eine Impfung gegen Sars oder ein anderes Coronarvirus zu entwickeln“. Selbst wenn das gelänge, wären damit nicht alle Probleme gelöst, denn „Sars-CoV-2-Impfungen werden in der Regel auch zytotoxische T-Zellen aktivieren. Damit könnte zumindest eine Teilimmunität erreicht werden. Allerdings lauert hier die Gefahr, dass bei einigen der geimpften Personen – vor allem bei älteren Menschen – schwere Verläufe von Covid-19 auftreten. Für die Sicherheit von Corona-Impfstoffen könnte das zu einem richtigen Problem werden“.

Wenig tröstlich fällt deshalb das Fazit von dem Direktor des Instituts für Mikrobiologie und Immunologie der Uniklinik Köln aus: „Eines ist völlig ausgeschlossen: Das Verschwinden des Virus. Wir werden mit dem Virus leben müssen und die Hoffnung auf einen Impfstoff ist trügerisch“.


Auch hier wieder das gleiche Bild: Meinung steht gegen Meinung. Da wünsche ich mir eine Art Oberarzt – natürlich sehr gerne auch eine Oberärztin. Jedenfalls jemand, der in das medizinische Meinungsdickicht Schneisen schlägt, die endlich auch einmal gangbare Wege aufzeigen.

Solange das nicht passiert, wird es nicht ausbleiben, dass plötzlich ganz andere Hypothesen aufgestellt werden, etwa in der für ihre steilen Thesen bekannten Schweizer „Weltwoche“, wo es in der Ausgabe vom 24. April 2020 heißt: „War der Shutdown ein grotesker Irrtum, eine Überreaktion der Angst? Der schwedische Epidemiolgie-Professor Johan Giesecke sagt, dass am Ende alle Länder ungefähr gleich viel Corona-Tote pro Kopf der Bevölkerung verzeichnen würden – unabhängig von den Maßnahmen, die ihre Regierungen getroffen haben“.

Klingt verwegen? Ist aber auch schon einmal gesagt worden, nämlich am 5. April 2020 in einem „Thesenpapier zur Pandemie durch SARS-CoV-2/Covid-19“, das von sechs Experten verfasst wurde, etwa Prof. Matthias Schrappe von der Universität Köln, sowie Franz Knieps, Vorstand für den BKK-Dachverband. Da heißt es auf Seite 19: „Es bleibt jedoch die wichtige Beobachtung stehen, dass sich weder im Verlauf der Infektionszahlen noch in der Letalität zwischen den Ländern ein großer Unterschied zeigt, der auf die unterschiedlichen Ausprägungen der Ausgangsbeschränkungen zurückzuführen wäre. So lässt sich insbesondere nicht ablesen, dass es mit der stärkeren Einschränkung bis hin zum shutdown zu einer deutlich verzögerten Ausbreitung käme, als wenn man nur niedriggradigere Empfehlungen gäbe, zum Beispiel zum social distancing“.

Was, wenn das sich als wahr erweisen würde? Dann hätte das reiche Schweden mit wenigen Einschränkungen seinen Wohlstand wohl bewahrt. Und das eh schon gebeutelte Italien hätte sich mit seinen drastischen Einschränkungen noch tiefer in den Abgrund geritten – ohne, dass es möglicherweise notwendig gewesen wäre.

„Was aber die Zukunft bringt, weiß niemand“, orakelt mein Lieblingsdichter Friedrich Hölderlin. Was Corona bringt, werden wir in absehbarer Zukunft wissen. Was aber die Welt braucht, wissen wir schon heute – und Wolfgang Schäuble sagt es uns: „Noch immer ist nicht nur die Pandemie das größte Problem, sondern der Klimawandel, der Verlust an Artenvielfalt, all die Schäden, die wir Menschen und vor allem wir Europäer durch Übermaß der Natur antun. Hoffentlich werden uns nicht wieder nur Abwrackprämien einfallen, die es der Industrie ermöglichen, weiter zu machen wie bisher“.

Danke, badischer Landsmann!


von Hans Lauber
E-Mail: aktiv@lauber-methode.de

Internet: www.lauber-methode.de

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