AID: Diabetes-Technik sinnvoll verbinden

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AID: Diabetes-Technik sinnvoll verbinden

Bei AID-Systemen gehen die Insulinpumpe und das CGM-System eine Verbindung ein und interagieren miteinander. Dr. Torben Biester beschreibt die Vorteile dieser Verbindung, erklärt, worauf geachtet werden sollte, und erläutert, wie der Bolusrechner eingesetzt werden kann.

Alle Familien in Deutschland, die in kinderdiabetologischen Zentren betreut werden, erhalten die Betreuung auf einem hohen medizinischen Wissensstand und mit Therapiezielen, die den neuesten Erkenntnissen der Wissenschaft entsprechen. Dieses Wissen wird von Experten in Leitlinien zusammengefasst, die für uns als behandelndes Team eine Richtschnur sind. Sie geben gute Hinweise, wie eine moderne Behandlung funktioniert. Aber natürlich ist nicht jedes Kind mit Diabetes gleich, so dass es durchaus Abweichungen geben kann.

Diese Leitlinien werden regelmäßig angepasst. So hat z. B. die internationale Kinderdiabetesgesellschaft ISPAD bereits vor drei Jahren für Länder wie Deutschland einen Ziel-HbA1c-Wert von unter 7 % empfohlen, da bei uns Glukosesensoren eingesetzt werden. Die deutschen Leitlinien werden demnächst überarbeitet, aber viele Diabetes-Teams richten sich bereits jetzt nach diesem Ziel.

Um diese Ziele für ihre Kinder zu erreichen, versuchen Eltern gemeinsam mit dem betreuendem Team die Therapie möglichst auf das Leben des Kindes und der Familie „zuzuschneiden“. Wir sehen jedoch immer wieder, dass der Alltag eine große Herausforderung ist.

Ein AID-System für jeden Menschen mit Typ-1-Diabetes

Die technischen Unterstützungsmöglichkeiten, die ein Sensor und eine Pumpe heute bieten, können den Alltag verbessern. Die neuen internationalen Leitlinien für Erwachsene sagen schon jetzt, dass nach Möglichkeit jeder Mensch mit Typ-1-Diabetes ein System mit automatischer Insulindosierung (AID genannt) bekommen sollte. In den nächsten Kinderleitlinien wird eine ähnliche Formulierung aufgenommen werden.

Diese Systeme, über die die Autorinnen und Autoren im Diabetes-Eltern-Journal oft berichten, sind aus Sicht von uns Teams DER Durchbruch für die Kinder: Extreme Glukoseschwankungen in den Nächten sind „kein Problem“ mehr, und auch die Tage gelingen einfach besser – vorausgesetzt, dass einige Grundregeln eingehalten werden.

Dazu gehört, dass der Bolusrechner als Teil des AID-Systems auf jeden Fall sehr sorgfältig eingestellt werden muss. Hier wird der Dosierungsplan mit allen Mahlzeitenfaktoren (je nach System auch Korrekturregeln) in die Pumpe einprogrammiert. Nach Eingabe der Kohlenhydrate berechnet die Pumpe die notwendige Insulinmenge für die Mahlzeiten, ggf. auch, je nach Glukosewert, eine Korrektur.

Bolusrechner auch ohne AID

Um den Vorteil eines Bolusrechners nutzen zu können, ist ein AID-System nicht unbedingt erforderlich. Fast alle Insulinpumpen haben einen solchen Rechner, der bei Benutzung eine deutlich feinere Insulindosierung ermöglicht. Eine Präzision von 0,1 Einheit als Nachkommastelle bei „krummen“ Werten und die Rücksicht auf vielleicht noch wirkendes Insulin wird kaum jemand im Kopf rechnen können. Aber nicht nur in der Pumpe steht ein Bolusrechner zur Verfügung: Auch in Messgeräten oder als App sind diese vorhanden und können so auch für die Therapie mit Pens verwendet werden.

Ganz einfach wird es, wenn die App oder der Bolusrechner der Pumpe direkt mit einem Sensor zusammenarbeiten. In so einem Fall muss gar nicht mehr der Blutzucker gemessen werden, sondern es wird automatisch immer eine Korrektur mitberechnet, da der Wert gleich da ist.

Wichtig: automatische Übernahme

Wir haben in der Vergangenheit bemerkt, dass die automatische Wertübernahme ein ganz entscheidender Faktor sein kann. Bei Kindern mit einer Pumpe wurde der Blutzuckerwert früher automatisch an die Pumpe gesendet und konnte somit sofort mit Hilfe des Bolusrechners mit einer Korrektur versehen werden.

Als der FreeStyle Libre aufkam, haben sich alle darüber gefreut, wie einfach jetzt gemessen werden konnte. Der ermittelte Libre-Wert musste jedoch per Hand in den Bolusrechner eingegeben werden, was oft nicht passiert ist. Also gab es keine Korrektur. Das sehen wir heute immer noch oft, wenn Sensor und Pumpe oder Bolusrechner nicht zusammenarbeiten. Bei nur „wenig“ erhöhten Werten von z. B. 140 mg/dl (6,1 mmol/l) sieht ein Jugendlicher nicht die Notwendigkeit, eine Korrektur abzugeben – der Wert ist ja kaum erhöht. Wenn der aktuelle Korrekturfaktor aber 30 mg/dl (2,9 mmol/l) beträgt, hätte ein Bolusrechner schon 1,3 Einheiten Insulin vorgeschlagen!

Meine Kollegin Dr. Simone von Sengbusch aus Lübeck hat es so ausgedrückt: Pumpe und Sensor sollten eine Verbindung miteinander eingehen, sie sollten „heiraten“. Und damit nicht genug, sie sollten auch miteinander „tanzen“, also interagieren. Damit ist die Integration von Sensorwerten direkt für die weitere Nutzung im Bolusrechner und die automatische Insulindosierung gemeint.

Der Sensor macht den Unterschied

Aber eine Insulinpumpe ist keine Voraussetzung für einen Sensor; die meisten Kinder in Deutschland haben bereits einen Sensor, der auch bei einer Pentherapie das Leben deutlich erleichtern kann. Und viele wissenschaftliche Studien haben inzwischen gezeigt, dass der Sensor den Unterschied macht: Er kann helfen, Unterzuckerungen zu vermeiden; zudem klappt die gesamte Einstellung damit besser. Alle, die einen Sensor nutzen, sind zufriedener – die Eltern sowieso.

Wenn bei Ihrem Kind ein Gerät einen Defekt hat und kein automatischer Ersatz kommt, weil die Garantiezeit vorbei ist, sollte eine neue Beratung stattfinden, um herauszufinden, welches das persönlich geeignete System ist. Bei der Wahl von Pumpe und Sensor sollte dann darauf geachtet werden, dass beide Geräte zusammenarbeiten können, um direkt vom ersten Tag die Vorteile zu nutzen.

Eine Insulinpumpe hat in der Regel einen Verordnungszeitraum von 4 Jahren, so dass in dieser Zeit ein Wechsel auf ein neueres System kaum möglich ist. Grundsätzlich aber besteht bei Medizinprodukten auch ein Wahlrecht, d. h. Sie können für Ihr Kind als Leistungsempfänger entscheiden, ob die Versorgung mit einem Glukosesensor weitergehen soll oder ob Sie vielleicht wechseln, damit Pumpe und Sensor zumindest miteinander „sprechen“ können. Denn auch ohne die Übertragung der Sensorwerte in einen Rechner kann z B. eine vorausschauende Insulinabschaltung durch eine Pumpe-Sensor-Kombination ein wertvoller Zugewinn sein.

Allgemeine Empfehlungen
  • Hilfreich ist eine Bolusberechnung mit Hilfe eines Bolusrechners.
  • Die Nutzung eines kontinuierlichen Glukosesensors ist sinnvoll.
  • Empfohlen wird die Nutzung eines AID-Systems.

Sicherlich wird es in der Zukunft noch viele neue System und Kombinationsmöglichkeiten geben, aber für die Therapie Ihres Kindes heute sollten Sie das System mit der größtmöglichen Unterstützung für den Stoffwechsel wählen.


Autor:

Dr. med. Torben Biester
Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin
Kinder- und Jugendkrankenhaus „Auf der Bult“
Janusz-Korczak-Allee 12, 30173 Hannover

Erschienen in: Diabetes-Eltern-Journal, 2021; 12 (4) Seite 12-13

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