CGM richtig nutzen und gelassen bleiben

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CGM richtig nutzen und gelassen bleiben

Die Technik der kontinuierlichen Glukosemessung (CGM) ist heute so ausgereift, dass sie in kurzer Zeit sicher zu erlernen ist. Trotzdem können, z. B. durch falsche Erwartungen, Probleme entstehen. Professor Karin Lange betrachtet psychologische Aspekte, die für eine erfolgreiche CGM-Nutzung verantwortlich sind.

Im Juli dieses Jahres hat das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) eine überraschend positive Stellungnahme zur kontinuierlichen Glukosemessung publiziert. In der Presserklärung zu dem Vorbericht stand: “… mit der Kombination von Blutglukoseselbstmessung (BGSM) und Real-Time-CGM (lässt sich) der HbA1c-Wert besser einstellen als mit einer reinen BGSM, ohne dass schwere und schwerwiegende Hypoglykämien nachweislich häufiger auftreten”.
Die Erfahrungen mit der CGM von Erwachsenen mit Diabetes und Eltern betroffener Kinder reichen von “Ich möchte diese Technik nie mehr im Leben missen” bis “Ich ertrage die ständigen Schwankungen, Alarme und Frustrationen nicht mehr”.

Zahl der CGM-Nutzer steigt

Derzeit ist es erst einer Minderheit von Patienten mit Typ-1-Diabetes gelungen, eine Kostenübernahme für die CGM bei ihrer Krankenkasse zu erreichen. Die Zahl der Nutzer, vor allem jüngere Kinder mit Diabetes und ihre Eltern, steigt jedoch stetig an. Aber auch Jugendliche und Erwachsene mit Typ-1-Diabetes verbinden große Erwartungen mit dieser Technologie, über die kürzlich sogar in der Bild-Zeitung berichtet wurde.

Über die Wege der Beantragung und die heute verfügbaren Technologien haben wir im Diabetes-Eltern-Journal bereits mehrfach berichtet. In diesem Beitrag sollen psychologische Aspekte näher betrachtet werden, die für eine mehr oder weniger erfolgreiche Nutzung der CGM – der Mensch-Maschine-Interaktion – verantwortlich sind.

Selbst wenn klar ist, dass die kontinuierliche Glukosemessung kein Closed-Loop-System mit automatischer Insulingabe ist, erwarten viele Nutzer eine schnelle Senkung ihres HbA1c-Wertes, ohne dass sie sich noch ausführlicher als bisher um die Steuerung ihres Stoffwechsels kümmern müssen. Sie werden rasch enttäuscht und gehören zu denen, die viel zu schnell frustriert aufgeben.

Realistische Erwartungen und Zeit

Der HbA1c-Wert sinkt erst dann, wenn man gelernt hat, den Glukoseverlauf kontinuierlich im Auge zu behalten und aus den Erfahrungen für die Insulindosierung zu lernen. Dafür sind systematische Beobachtungen und genaue Protokolle hilfreich. So kann man z. B. live am Glukoseverlauf beobachten, dass der Glukoseanstieg durch Gummibärchen selbst durch das schnellste Insulin nicht gut aufzufangen ist.

Es ist schon eindrucksvoll zu sehen, wie gut oder auch schlecht bestimmte Nahrungsmittel mit Insulin abzudecken sind, beispielsweise die bei Jugendlichen beliebten Cocktails. Und der gute alte Spritz-Ess-Abstand kommt auch wieder zu Ehren, wenn man feststellt, dass der Glukosespiegel nach den Frühstück kaum ansteigt, wenn man Insulin bereits vor dem Duschen und nicht erst kurz vor dem Frühstück gibt.

Die direkte und dauerhafte Rückmeldung über den Glukosespiegel kann anspornen und disziplinieren, wenn Betroffene dazu aus eigenem Antrieb bereit sind. Eine Jugendliche stellte fest, dass “sie sich ihre Linie (auf dem Display) nicht durch Schokokekse zwischendurch kaputt machen will”. Es war ihre Entscheidung, und die Linie hat sie motiviert.

Gegenüber den Blutglukosemessungen in größeren Zeitabständen zeigt die CGM auch die Glukosespitzen nach den Mahlzeiten oder deutliche Anstiege bei Stress oder kurzfristiger körperlicher Anstrengung, die sonst nicht bemerkt worden wären. Zusätzlich liefern die Trendpfeile wichtige Informationen über die nächsten Minuten.

Manche Patienten scheuen die CGM, weil sie fürchten, durch die sichtbaren Schwankungen nur frustriert und verängstigt zu werden. Sie sind durch tiefsitzende Ängste vor Folgeerkrankungen geprägt, die sie sofort in Panik versetzen, wenn ihr Glukosewert nach einer Mahlzeit über 200 mg/dl oder 300 mg/dl (11,1 mmol/l oder 16,7 mmol/l) ansteigt. Hier hilft es zunächst, sich klarzumachen, dass diese Werte auch dann da sind, wenn sie bei punktuellen Messungen nicht auftauchen. Und der HbA1c-Wert war ja auch trotz dieser Werte nicht viel zu hoch.

Aus Erfahrung lernen

Der erste Schritt ist, diese Werte gelassen zu ertragen, der zweite, mögliche Gründe zu suchen, um sich dann im dritten Schritt neue Strategien der Insulintherapie zu überlegen und alte Gewohnheiten abzulegen, z. B. Zusatz-KE vor jedem Sport.

Gelassen agieren oder hektisch reagieren?

Es ist nur allzu menschlich, wenn man sofort auf eine unerwünschte Situation, z. B. ein Glukoseanstieg über 200 mg/dl (11,1 mmol/l), reagiert. Selbst wenn bewusst ist, dass noch wirksames Insulin im Körper ist und es einen zeitliche Unterschied zwischen dem Gewebeglukose- und dem Blutzuckerwert gibt, kann es schwerfallen, geduldig auf die Insulinwirkung zu warten und nichts zu tun. Ein wichtiges Erfolgsrezept im Umgang mit der CGM ist der Verzicht auf hektische Korrekturen ohne genauen Plan.

Das Gleiche gilt bei Hypoglykämien, die durch die CGM verlässlich angezeigt werden. Es gehört wieder Gelassenheit dazu, nicht zu viel Traubenzucker zu essen, nur weil das Gerät bedingt durch die zeitliche Verzögerung der Gewebeglukosemessung über einige Minuten zu niedrige Werte anzeigt und weiter laut vor einer Hypo warnt.

Struktur oder Flexibilität bis zum Chaos

Die Liste der Faktoren, die den Blutglukosespiegel beeinflussen ist lang: Nahrung, Bewegung, Stress, Krankheit, Injektionsareale, hormonelle Veränderungen, Schlafqualität und vieles mehr. Selbst die beste Auswertungssoftware oder erfahrene Diabetesteams können aus den vielen Messwerten der CGM keine Empfehlungen ableiten, wenn unkontrolliert gegessen und getrunken oder Sport getrieben wird. Es mag sehr einschränkend klingen, aber zu Beginn einer CGM-Nutzung ist es hilfreich, relativ regelmäßig zu leben, um die Reaktionen des eigenen Körpers oder des Körpers eines Kindes gut kennenzulernen. Mit zunehmender Erfahrung ist immer mehr Flexibilität möglich, ohne dass es dadurch zu unerwünschten Glukoseschwankungen kommt.

Vor dem Start einer CGM sollten sich Interessierte überlegen, ob sie wirklich bereit sind, für eine bestimmte Zeit etwas regelmäßiger zu leben und sich mit dem Diabetes auseinanderzusetzen. Sie sollten sich ein halbes Jahr Zeit geben, bis die neuen Routinen zu sichtbaren und oft eindrucksvollen Erfolgen führen.

Vertrauen und Vertraulichkeit

Wenn ein Glukosesensor kontinuierlich getragen wird, lässt sich an den Daten wirklich jede Aktivität ablesen. Das muss insbesondere Jugendlichen bewusst sein, die gegenüber ihren Eltern oder dem Diabetesteam nicht über ihr ganzes Leben Rechenschaft ablegen wollen. Es sollte für alle Beteiligten selbstverständlich sein, dass Jugendliche selbst über ihre Daten bestimmen, dass diese vertraulich behandelt werden und dass nicht jede einzelne Sequenz besprochen oder gar bewertet werden muss. Der Sensor darf auf keinen Fall als elektronische Fußfessel erlebt werden.

Erst das Kind, dann das Display des Sensors

Die Sorge um die Stoffwechsellage verlockt vor allem Eltern sehr junger Kinder, ständig auf das Display der CGM zu schauen. Es besteht für sie die Gefahr, viel zu schnell und übertrieben auf die in diesem Alter unvermeidlichen Schwankungen des Glukosespiegels zu regieren und dabei das Kind und seine Bedürfnisse aus den Augen zu verlieren. Eine stabile positive Eltern-Kind-Beziehung ist eine zentrale Voraussetzung für eine gute seelische Entwicklung jedes Kindes. Bei Diabetes trägt sie auf Dauer zu einer guten Krankheitsbewältigung mit langfristig besseren Stoffwechselwerten bei. Eltern sollten versuchen, sich immer zunächst ihrem Kind zuzuwenden, bevor sie den Glukosespiegel kontrollieren. Durch die Auswahl passender – nicht zu eng gesetzter – Alarme können sie außerdem verhindern, dass der Diabetes ständig Aufmerksamkeit fordert und das Familienleben beherrscht.

Andererseits besteht ein unbestreitbarer Vorteil der CGM darin, dass Eltern nachts vor einer drohenden Hypoglykämie ihres Kindes gewarnt werden und handeln können, wenn es nicht schon zu einer automatischen Abschaltung der Basalrate gekommen ist. Ein ruhiger Nachtschlaf ohne regelmäßige Blutzuckerkontrollen trägt erheblich zur Lebensqualität und seelischen Gesundheit von Eltern und Kind bei.

Selbst erfahrenen Patienten mit Typ-1-Diabetes geben manche Glukoseverläufe fast unlösbare Rätsel auf. Warum gerade bei der einen Bergtour der Wert angestiegen ist und bei der nächsten abgefallen, das lässt sich nicht immer erklären. In den meisten Fällen, sind die Schwankungen jedoch gut erklärbar, wenn ausreichend Wissen über Nahrungsmittel, die Insulinwirkung, die Wirkung von Stress und körperlicher Aktivität gegeben ist.

Fehlende Kenntnisse führen zu Frustrationen

Das Wissen gibt Sicherheit und die Insulindosis passt immer besser. Fehlen diese Kenntnisse dagegen, sind erhebliche Schwankungen und Frustrationen vorprogrammiert. Sie sind sicherlich auch ein Grund dafür, dass insbesondere Jugendliche resignieren und kaum noch auf das Display ihres CGM-Gerätes schauen, wenn sie es überhaupt tragen.

Erfolgreiche CGM-Nutzung durch Schulung

Die Technik der CGM ist heute so ausgereift, dass sie in kurzer Zeit sicher zu erlernen und zu beherrschen ist. Um Eltern von Kindern mit Typ-1-Diabetes und Jugendliche darauf gut vorzubereiten, wurde von einer Autorengruppe unter der Federführung von Dr. Martin Holder (Stuttgart) pädiatrische Schulungsmodule für das CGM-Programm SPECTRUM entwickelt. Dieses Programm soll im neuen Jahr evaluiert und interessierten Familien angeboten werden.

Fazit

Die Zahl der CGM-Nutzer steigt stetig an. Viele haben jedoch falsche Erwartungen und geben schnell frustriert auf. Wichtig für eine erfolgreiche Nutzung sind – aus psychologischer Sicht – realistische Erwartungen, Zeit, Gelassenheit, mit den Schwankungen des Glukosespiegels umzugehen, und eine Schulung. Denn ein Erfolgsrezept im Umgang mit der CGM ist es, auf hektische Korrekturen ohne genauen Plan zu verzichten. Das gilt auch bei Hypos, die zuverlässig angezeigt werden.


von Prof. Dr. Karin Lange
Diplom-Psychologin, Leiterin Medizinische Psychologie, Medizinische Hochschule Hannover

Kontakt:
E-Mail: Lange.Karin@MH-Hannover.de

Erschienen in: Diabetes-Eltern-Journal, 2014; 7 (4) Seite 12-14

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