Christa Hagmeister: „Weitere Fortschritte werden folgen!“

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Christa Hagmeister: „Weitere Fortschritte werden folgen!“

Immer wieder rufen wir im Diabetes-Journal dazu auf, dass sich Menschen mit Diabetes bei uns melden und uns ihre Geschichte erzählen. Christa Hagmeister aus Berlin hat dies getan und ihre wirklich mutmachende Diabetes- Geschichte für Sie aufgeschrieben: Fast ein Zweidritteljahrhundert leben mit Diabetes – und das ohne Folgeerkrankungen.

Mein Name ist Christa Hagmeister, bin im November 1951 geboren.Ich habe seit meinem 4. Lebensjahr (1955) Diabetes. Mein Vater, selbst seit seinem 17. Lebensjahr (1935) an Diabetes erkrankt, achtete bei meinen Geschwistern und mir sehr auf erste Anzeichen des Diabetes (Durst, Harndrang, Erschöpfung). Die regelmäßigen Urinzuckertests wurden mit Spiritusbrenner und Reagenzglas von ihm durchgeführt. Dadurch wurde mein Dia­betes früh erkannt.

Ich kam damals sofort ins Kinderkrankenhaus Bethel-Bielefeld. Ich war, wie gesagt, 4 Jahre alt – und dann von meinen Eltern getrennt. Die Besuche waren zu der Zeit nur Mittwoch und Sonntag an den Nachmittagen für je zwei Stunden erlaubt. Jeder kann sich vorstellen, wie schrecklich das für mich war. Ab dem ersten Tag wurde ich morgens gespritzt – mit einer großen Glasspritze mit langer dicker Kanüle. Es tat sehr weh und ich habe jedes Mal fürchterlich geschrien.

Sechs Wochen war ich in der Klinik und durfte dann endlich nach Hause. Mein Vater kümmerte sich dann sehr um mich. Er spritzte mich auch – oft musste mich meine Mutter festhalten, denn ich wehrte mich gegen das Spritzen und auch gegen die strenge ­Diät. Es war keine schöne Zeit. Probleme bereitete mir der Verzicht auf Süßigkeiten: Andere durften sie essen, ich aber nicht. Wenn es bei Familienfeiern reichlich Torten und Kuchen gab, musste ich schweren Herzens ein Butterbrot essen. Heute aber ziehe ich ein Butterbrot dem Kuchen vor.

Manchmal kaufte ich heimlich beim Konsum gegenüber für 20 Pfennig ein Eis und schloss mich dann auf dem Klo ein, um es zu genießen. Da meine täglichen Urinzuckertests immer sehr schwankende Werte zeigten, fielen die heimlich gegessenen Kohlenhydrate nicht weiter auf.

„Die kann das sowieso nicht, die ist ja sooo krank“

Nach einiger Zeit, noch vor der Einschulung, hatte ich mich an das „Morgens-und abends-gespritzt-Werden“ gewöhnt, sodass ich den Ehrgeiz entwickelte, mich selbst zu spritzen. Mein Vater unterstützte mich dabei sehr. Ich lernte es schnell, und ich war sehr stolz.

Meine Schulzeit war nicht so einfach, da ich ständig gehänselt wurde: „Die kann das sowieso nicht, die ist ja ­sooo krank.“ Oft mussten mich meine Eltern zu Hause lassen, weil ich mich weigerte, zur Schule zu gehen. Nicht nur Lehrer und Schüler, sondern auch Ärzte gingen recht unsensibel mit der Diabetes­erkrankung um. Bei einem Schulimpftermin gegen Pocken prognostizierte mir der Amtsarzt eine Lebenserwartung von allerhöchstens 60 Jahren.
Klassenreisen waren für mich ausgeschlossen, da kein Lehrer die Verantwortung für mich übernehmen wollte.

Ein Lehrer aber, ich war 14 Jahre alt, hatte sich dann sehr dafür eingesetzt, dass ich mit auf die Klassenreise nach Wange­rooge fahren konnte. Diese Reise verlief ohne Probleme, ich hatte viel Spaß mit meinen Klassenkameraden, an die ich mich gern erinnere. Trotz vieler Fehlzeiten und nicht allzu guter Zeugnisse schaffte ich letztlich den Real­schulabschluss und die anschließende Erzieher­ausbildung. Ich habe dann fast 30 Jahre im Beruf gearbeitet.

Oft war ich wochenlang zur Neueinstellung in der Diabetesklinik Bad Oeynhausen, da ich immer sehr schwankende Blutzuckerwerte hatte und die Einstellung sich immer schwierig gestaltete. Die Vorträge von Prof. Dr. Heinrich Sauer, erster Direktor der Diabetesklinik von 1966 bis 1985, waren zweimal wöchentlich eine willkommene Abwechslung, dabei sehr hilfreich und voller neuster Erkenntnisse aus der Forschung.

Auch meine erste Schwangerschaft wurde von den Ärzten in Bad Oeynhausen stationär und ambulant bis zur Geburt begleitet. Da mein Sohn stark unterzuckert zur Welt kam, wurde er sofort in die 15 km entfernte Kinderklinik nach Herford gebracht. Ich durfte ihn erst nach acht Tagen besuchen und ihn in den Arm nehmen.

Während ich bis dahin mit Komb-Insulin, morgens und abends gespritzt, eingestellt war, begann ich zu Beginn meiner zweiten Schwangerschaft 1986 mit der Basis-Bolus-Therapie, eingestellt durch die Uni-Klinik der Freien Universität Berlin, und erhielt dazu den ersten Pen (von Novo). Außerdem bekam ich in dieser Zeit mein erstes Blutzuckermessgerät (der Marke Accu-­Chek) – ein großer Fortschritt. Ich konnte jetzt die Mahlzeiten zeitlich flexibler einnehmen und das Insulin der Kohlenhydratmenge anpassen. Die Schwangerschaft verlief erfreulicherweise recht unproblematisch, und mein zweiter Sohn kam etwas zu früh, aber gesund auf die Welt.

65 Jahre mit Diabetes – und keine Folgeerkrankungen

Durch die Weiterentwicklung der Insuline wurde ich im Diabeteszentrum Havelhöhe in Berlin geschult und umgestellt und bekam dort 2017 eine Insulinpumpe (OmniPod) und eine kurze Zeit später einen Glukosemesssensor (FreeStyle Libre).

Inzwischen bin ich 69 Jahre alt, ich lebe 65 Jahre mit meinem Diabetes und habe keine Folgeerkrankungen. Ich habe viele Fortschritte und Erleichterungen in der Diabetestherapie erlebt, weitere werden folgen und uns wieder Erleichterungen bringen.


von Christa Hagmeister
Kontakt via: redaktion@diabetes-journal.de

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2021; 70 (8) Seite 38-39

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