Darmbakterien: ihr Einfluss auf Typ-1-Diabetes

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© francis bonami - Fotolia
Darmbakterien: ihr Einfluss auf Typ-1-Diabetes

Viele nützliche Mikroorganismen besiedeln unseren Darm ab der Geburt. In den ersten Lebensmonaten verändert sich die Gesamtpopulation der Darmbakterien, das „Mikrobiom“ im Darm. Nach Zufuhr bestimmter Nahrungsbestandteile wachsen manche Bakterienstämme besser, andere schlechter. Unter dem Einfluss der Ernährung bildet sich bei Babys ebenso das Immunsystem heraus, und das Mikrobiom mischt hierbei kräftig mit. Daher ist nicht nur am Institut für Diabetesforschung am Helmholtz Zentrum München das Mikrobiom ins Blickfeld von Forschungsarbeiten zum autoimmunen Diabetes gerückt, sagen unsere Autorinnen und Autoren.

Verlaufsbeobachtungs-Studien wie ­BABYDIAB, BABYDIET und TEDDY, die Daten von Kindern mit einem erhöhten Erkrankungsrisiko von Geburt an sammeln, liefern uns wertvolle Hinweise zum Entstehen des Typ-1-Diabetes. Seit fast 20 Jahren werten wir zusammen mit internationalen Wissenschaftlern Daten zum Stoffwechsel von Kleinkindern mit einem erhöhten Erkrankungsrisiko für Typ-1-Diabetes aus.

Unterschiedliche Studien beschäftigen sich mit dem Entstehen des Typ-1-Diabetes – eine Übersicht:

Studie Information Einschlussalter
Freder1k Screening auf ein erhöhtes genetisches Risiko für Typ-1-Diabetes (Bayern, Niedersachsen, Sachsen; für Kleinkinder mit einem erstgradig Verwandten mit Typ-1-Diabetes deutschlandweit) (www.gppad.org) bis zum Alter von 4 ­Monaten
POInT Studie zur Prävention von Typ-1-Diabetes mit Insulinpulver (www.gppad.org) zwischen 4 und 7 Monaten
PINIT Studie zur Untersuchung des Nutzens einer Behandlung mit Insulin-Nasenspray (www.typ1diabetes-verhindern.de) zwischen 1 und 7 Jahren
Fr1da plus Screening auf ein Frühstadium des Typ-1-Diabetes durch Messen von Insel­autoantikörpern in Bayern (www.fr1da-studie.de) zwischen 2 und 5 Jahren sowie zwischen 9 und 10 Jahren
Fr1dolin Screening auf ein Frühstadium des Typ-1-Diabetes durch Messen von Insel­autoantikörpern in Niedersachsen (www.fr1dolin.de) zwischen 2 und 6 Jahren
Früherkennungstest für Verwandte Deutschlandweites Screening auf ein Frühstadium von Typ-1-Diabetes bei nahen Verwandten von bereits erkrankten Menschen durch Messen von Insel­autoantikörpern (www.typ1diabetes-frueherkennung.de/verwandte) zwischen 1 und 21 Jahren
Fr1da-Insulin-Intervention Interventionsstudie mit Insulinpulver für Kinder mit einem Frühstadium des Typ-1-Diabetes, d. h. mindestens 2 Inselautoantikörper sind vorhanden
(www.typ1diabetes-verhindern.de)
zwischen 2 und 12 Jahren

Dazu zählt die Untersuchung von Stuhlproben: Sie geben uns Aufschluss über die Zusammensetzung der im Darm vorhandenen Bakterien (Darmflora) und das funktionale Zusammenspiel der Darmbakterien – bei Kindern, die im weiteren Leben einen Typ-1-Dia­betes entwickeln, und solchen, die keinen Typ-1-Diabetes entwickeln.

Drei wesentliche Befunde ergeben sich aus den Forschungsergebnissen der genannten Studien:

  1. Das Mikrobiom wächst und gedeiht mit den kleinen Kindern und verändert sich besonders in den ersten Lebensmonaten und -jahren.
  2. Das Mikrobiom ist bei Menschen, die an einem Typ-1-Diabetes erkranken, nicht grundlegend anders als bei Gesunden. Lediglich geringfügige Veränderungen wurden gefunden: Die Interaktion der Darmbakterien unterscheidet sich bei Kindern, die später eine Autoimmunität und einen Typ-1-Diabetes entwickeln, von denen, die nicht erkranken. Außerdem scheint die Zahl einiger Bakterienarten bei ihnen gegenüber gesunden Kontrollpersonen erhöht, die Zahl anderer dagegen reduziert zu sein. Dies trifft zum Beispiel auf Bakterien zu, die kurzkettige Fettsäuren produzieren und entzündungshemmend wirken.
  3. Die Ernährung und einige andere Umwelteinflüsse haben einen entscheidenden Einfluss darauf, wie sich das Mikrobiom zusammensetzt.

Drei Phasen der Entwicklung beim Mikrobiom

In der TEDDY-Studie wurden 12 500 Stuhlproben von 903 Kindern im Alter zwischen 3 und 46 Monaten untersucht. Sie ist somit das umfassendste je durchgeführte Mikrobiom-Projekt bei Kleinkindern. Die Untersuchungen haben ergeben, dass das Mikrobiom sich beim Baby in drei klar ausgeprägten Phasen entwickelt:

  • Die Entwicklungsphase im Alter von 3 bis 14 Monaten, wenn sich im Darm erstmalig Bakterien ansiedeln,
  • eine Übergangsphase im Alter von 15 bis 30 Monaten, die durch Beikost und das Beenden der Milchnahrung gekennzeichnet ist,
  • und eine stabile Phase (Alter 31 bis 46 Monate), die bereits dem Mikrobiom Erwachsener zu ähneln scheint.

Stillen hat auf die Entwicklung der Darmflora einen besonders großen Einfluss. Man könnte sagen, dass Stillen den Takt angibt, denn frühzeitiges Abstillen oder Nichtstillen beschleunigt die Veränderung des Mikrobioms, während das Stillen diese eher verlangsamt. Bei Stillkindern finden sich mehr Bifidobakterien. Bei diesen Bakterien handelt es sich um die wichtigste Gruppe der nützlichen Darmbakterien.

Sie erfüllen neben dem Bekämpfen von Krankheitskeimen und Schadstoffen grundlegende Aufgaben für das Immunsystem: Sie versorgen unter anderem die Immunzellen im Darm mit wichtigen Informationen zum Bekämpfen von Erregern. Gleichzeitig stärken sie die Barrierefunktion der Darmschleimhaut. Sie sind ebenfalls in der Vagina gesunder Frauen zu finden. Bei einer natürlichen Geburt werden die Bifidobakterien vom Säugling im Geburtskanal aufgenommen.

Nach dem Abstillen und mit dem Einführen von Milchnahrung und Beikost kommt es mit der zunehmenden Reifung des Darms zur Ansiedlung von Firmicutes-Bakterien, zu denen die Akkermansia gehören. Insgesamt nehmen Vielfalt und Masse der Kulturen zu, insbesondere auch die der Bacteroides-Bakterien.

Unterschiede zwischen Kindern mit und ohne Typ-1-Diabetes

Die BABYDIET-Studie war eine der ersten Studien, die das Mikrobiom von Babys und Kleinkindern mit Typ-1-Diabetes untersucht hat. Insgesamt wurden 298 Stuhlproben von 44 Kindern in den ersten 3 Lebensjahren analysiert, darunter 22 Kinder, die später Inselautoimmunität und Typ-1-Diabetes entwickelten.

Bereits bei dieser – im Vergleich zu ­TEDDY – kleinen Fallgruppe wurde klar, dass die Darmflora insbesondere in den ersten Lebensmonaten enorme Veränderungen erfährt und vor allem durch Stillen, das Einführen von Beikost und die Art der Geburt (normale Geburt oder Kaiserschnitt) geprägt wird. Zwischen Kindern mit Diabetes-Autoantikörpern und Typ-1-Diabetes ergaben sich keine Unterschiede hinsichtlich der Bakterienvielfalt, der Zusammensetzung der Darmflora oder der Häufigkeit einzelner Bakterienarten.

Stillen hat auf die Entwicklung der Darmflora einen besonders großen Einfluss: Bei Stillkindern finden sich mehr Spezies der Bifidobakterien, die wichtigste Gruppe der nützlichen Darmbakterien.

Unterschiedlich waren jedoch die Interaktion zwischen den Bakterien und das gemeinsame Auftreten verschiedener Arten, das Mikrobiom-Netzwerk. Bereits im Alter von 6 Monaten und auch später im Alter von 2 Jahren wurden hier Abweichungen bei Kindern mit späterem Typ-1-Diabetes gefunden. Ähnliche Befunde wurden in der TEDDY-Studie beobachtet.

In einer Untergruppe der Kinder aus der BABYDIET-Studie, die bereits früh mit fester Beikost, insbesondere Fleisch, gefüttert wurden, fand sich ein erhöhter Anteil von Bacteroides, und diese Kinder haben besonders häufig später Insel­auto­antikörper und Typ-1-Diabetes entwickelt. Bei den Kindern der TEDDY-­Studie hingegen fand sich ein gewisser Zusammenhang zwischen dem Fehlen von Bakterien, die kurzkettige Fettsäuren produzieren, und dem Auftreten von Autoantikörpern und Typ-1-Diabetes.

Beide Befunde, also die der gehäuften Bacteroides bei BABYDIET und die der fehlenden Fettsäurebildner bei TEDDY, waren jedoch grenzwertig und wurden bisher durch keine weiteren Studien bestätigt.

Einflussfaktoren auf das frühkindliche Mikrobiom

Es ist nicht verwunderlich, dass Umweltfaktoren einen Einfluss auf die Entwicklung unserer Darmflora haben. Wir haben bereits erwähnt, dass die frühkindliche Ernährung entscheidend die Entwicklung der Darmbakterien bestimmt. Neben der Ernährung ist eine Reihe externer Faktoren wie die Hygiene, die Art der Geburt, der Wohnort oder auch die Existenz von Haustieren daran beteiligt.

Im Jahr 2011 haben wir anhand von Daten aus der BABYDIAB-­Studie festgestellt, dass Kinder, die per Kaiserschnitt zur Welt kamen, ein mehr als doppelt so hohes Risiko für einen Typ-1-Diabetes haben wie Kinder, die auf natürlichem Weg entbunden wurden.

Eine mögliche Erklärung sahen wir darin, dass sich die sterile Geburt per Kaiserschnitt auf die Beschaffenheit der kindlichen Darmflora und damit auf das Immunsystem auswirkt. Nach einem Kaiserschnitt lassen sich zum Beispiel weniger Bifido­bakterien nachweisen als nach natürlicher Geburt. Auch die Immunantwort der Kinder ist beeinträchtigt: So finden sich nach Kaiserschnittentbindung weniger Entzündungsbotenstoffe im Blut und die Immunreaktion auf Impfungen kann abgeschwächt ausfallen.

Kinder, die per Kaiserschnitt zur Welt kamen, haben ein mehr als doppelt so hohes Risiko für einen Typ-1-Diabetes wie Kinder, die auf natürlichem Weg entbunden wurden.

Insgesamt bestätigen die aktuellen Auswertungen, dass die Zusammensetzung und Zahl der Darmbakterien sich bei Kindern, die später einen Typ-1-Diabetes entwickeln, nicht grundlegend von denen gesunder Kinder unterscheidet. Allerdings scheint das Zusammenspiel der verschiedenen Bakterienarten untereinander und die Fähigkeit der Bakterienarten zum Netzwerken bei Kindern mit Diabetes-Autoimmunität gestört zu sein, und zwar schon, bevor sie die für Diabetes typischen Autoantikörper entwickeln.

Ob die Kommunikationsfähigkeit und Vernetzung der Darmbakterien durch Medikamente und Nahrungsergänzungsmittel verändert und dadurch das Immunsystem und die Anfälligkeit für einen Typ-1-Diabetes beeinflusst werden kann, ist bislang offen.


Autoren:
Prof. Dr. med. Anette-Gabriele Ziegler (Direktorin)
PD Dr. med. Peter Achenbach (Stellv. Direktor)
Claudia Pecher (Pressereferentin)
Mona Walter (Referentin Kommunikation GPPAD)

Institut für Diabetesforschung, Helmholtz Zentrum München und
Forschergruppe Diabetes, Klinikum rechts der Isar, TU München,
Ingolstädter Landstraße 1, 85764 Neuherberg

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2019; 68 (9) Seite 38-40

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