Der kleine Melli und ich: Ein schnelles Auf und Ab

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Der kleine Melli und ich: Ein schnelles Auf und Ab

Gehen wir Situationen, die uns beeinträchtigen können und die uns manchmal beängstigen, künftig besser aus dem Weg? Das hieße aber, der Angst in seinem Leben mehr Raum zu geben.

Autorin Lena Schuster ist Psychologin. Seit 2014 hat sie Typ-1-Diabetes. Ihr Bruder hat seit der Kindheit ebenfalls Typ-1-Diabetes, deshalb ist ihr auch der Einfluss der Stoffwechselerkrankung auf die Familie gut bekannt.

Im Diabetes-Journal bringt sie ihre persönlichen Erfahrungen und Eindrücke in der Kurzgeschichtenreihe „Der kleine Melli und ich“ ein.

Kontakt über nuber@kirchheim-verlag.de

Die letzten Tage hat es, passend zur Jahreszeit, nur geregnet. Heute allerdings kommt ab und zu die Sonne hinter den Wolken hervor. Am Frühstücks­tisch sitzend, blicke ich auf und frage: „Melli, was hältst du davon, wenn wir heute einen Ausflug in den Europapark machen?“ Melli strahlt mich an und springt direkt auf, um die Sachen zu packen. Keine halbe Stunde später sind wir im Auto und begeben uns auf den Weg.

Meine Nervosität steigt von Sekunde zu Sekunde

Es ist noch früh am Morgen, als wir ankommen, sodass wir zu den ersten Besuchern im Park gehören. Das bedeutet, dass wir freie Wahl haben, welche Achterbahn oder Attraktion wir fahren oder ausprobieren wollen, ohne in einer Schlange stehen zu müssen. „Melli, was möchtest du als Erstes sehen?“ Schnell hat sich Melli entschieden, strahlt mich an und antwortet: „Den Silver Star!“ Ich hatte gehofft, nicht direkt eine der größten Achterbahnen zu fahren – da er mich aber freudestrahlend anblickt, willige ich ein.

Die Diabetes-Kurzgeschichtenreihe „Der kleine Melli und ich“ – der Hintergrund


Melli ist ein kleiner Junge, der mit Nina, einer erwachsenen Frau, zusammenlebt. Die beiden Protagonisten der Diabetes-Kurzgeschichtenreihe geraten im Alltag immer wieder in Konflikt: beim Essen, beim Sport etc.

Autorin Lena Schuster: „Für mich ist der Diabetes vergleichbar mit dem kleinen Melli, den man oft zu gerne ignorieren möchte, doch das geht leider nicht. Denn ignoriert man den Diabetes, ist er wie ein schreiendes Kind, das einen nicht zur Ruhe kommen lässt. Kümmert man sich jedoch um den Diabetes, so macht einen das stark – und man erkennt, dass man bereit ist, auch andere Probleme des Lebens zu bewältigen.“

Während wir zum Silver Star laufen, redet Melli ununterbrochen, wie toll er die Achterbahn findet und dass er diese am liebsten hat. Meine Nervosität steigt von Sekunde zu Sekunde, ich kann ihm kaum zuhören. Angekommen, können wir direkt mit der nächsten Bahn mitfahren. Es geht alles viel zu schnell. Kaum sitzen wir, werden auch schon die Bügel heruntergelassen, ein Countdown zählt die letzten Sekunden.

Melli neben mir ruft begeistert: „Es geht los! Es geht endlich los!“ Schon beschleunigt die Achterbahn. Rasend schnell geht es auf und ab. Meine Nervosität lässt mit jeder Kurve nach, und ich kann die Fahrt richtig genießen.

Panik steigt in mir auf: eine Unterzuckerung?

Von einer Sekunde auf die andere wird mir jedoch schlecht. Übelkeit kommt hoch, meine Hände zittern. Panik steigt in mir auf: eine Unterzuckerung? Was mache ich jetzt? Die Achterbahn schießt um die nächste Ecke, kein Ende in Sicht. Wie lange geht das noch? Ich halte es nicht mehr aus: Ich sollte sofort Traubenzucker essen, Blutzucker messen! Geht aber nicht. Ich versuche, mich Melli mitzuteilen, doch durch den Fahrtwind hört er nicht.

Ich bekomme richtig Angst. Gefangen in der Achterbahn kann ich nichts tun. Dann kommt die Rettung: Die Bahn kommt hinter der nächsten Kurve zum Stehen. Sofort esse ich zwei Traubenzuckerplättchen und messe dann meinen Blutzucker – ich hatte recht: Unterzuckerung. Mein Gefühl täuscht mich einfach nicht! In dem Moment merkt Melli, dass etwas nicht stimmt: „Geht es dir nicht gut, Nina?“ Ich: „Mir wurde plötzlich schlecht, meine Hände zittern. Ich will jetzt einfach hier raus.“

Als wir wieder im Freien sind, drehe ich mich zu Melli und sage: „Ich möchte so schnell keine Achterbahn mehr fahren. Das macht mir Angst. Was mache ich, wenn ich wieder unterzuckere beim nächsten Mal? Dann habe ich vielleicht nicht so viel Glück wie diesmal.“

Melli versucht, mich zu beruhigen: „Nina, ich weiß, dass die Situation gerade beängstigend war für dich, das kann ich gut nachvollziehen. Aber du darfst der Angst keinen Raum geben, sonst wird sie noch größer.“ Als ich nicht antworte, fügt Melli hinzu: „Du hast schon so viele Situationen gemeistert mit dem Diabetes. Ich bin sicher, dass du das auch schaffen wirst!“


Kommentar der Autorin:

Der Diabetes bringt uns oft in schwierige Situationen, die auch sehr furchteinflößend sein können. Nina ist hierfür ein Beispiel. Während der Achterbahnfahrt unterzuckert sie, und es besteht zunächst keine Möglichkeit zu reagieren. Diabetes kann auf diesem Weg Ängste verursachen. Es ist von Bedeutung, wie ich mit diesem Gefühl umgehe.

Vermeide ich in Zukunft die Situation und gebe der Angst einen Platz in meinem Leben? Oder stelle ich mich diesen Gefühlen und überwinde meine Angstzustände dadurch, dass ich mich damit konfrontiere? Wichtig ist, dass ich mich beobachte und mein Handeln, meine Gedanken und meine Gefühle hinterfrage. Schließlich soll der Dia­betes nicht lebenseinschränkend sein.


von Lena Schuster
Redaktion Diabetes-Journal, Kirchheim-Verlag,
Wilhelm-Theodor-Römheld-Straße 14, 55130 Mainz,
Tel.: (0 61 31) 9 60 70 0, Fax: (0 61 31) 9 60 70 90,
E-Mail: redaktion@diabetes-journal.de

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2019; 68 (10) Seite 42-43

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