Der kleine Melli und ich: Fragwürdige Überraschung

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© AdobeStock – Alena Kozlova
Der kleine Melli und ich: Fragwürdige Überraschung

Überraschungen können sehr viel Freude bereiten – etwa wenn der Freundeskreis eine Geburtstagsparty schmeißt. Doch auch der Diabetes bietet immer wieder Überraschungen – auch unangenehme.

Autorin Lena Schuster ist Psychologin. Seit 2014 hat sie Typ-1-Diabetes. Ihr Bruder hat seit der Kindheit ebenfalls Typ-1-Diabetes, deshalb ist ihr auch der Einfluss der Stoffwechselerkrankung auf die Familie gut bekannt.

Im Diabetes-Journal bringt sie ihre persönlichen Erfahrungen und Eindrücke in der Kurzgeschichtenreihe „Der kleine Melli und ich“ ein.

Kontakt über nuber@kirchheim-verlag.de

Ich drücke die Klingel und fange direkt an zu grinsen. Die Tür geht auf, David steht vor mir: „Nina, schön, dass du da bist. Jetzt sind wir vollzählig!“ Ich betrete die Wohnung und begrüße meine Freunde herzlich. Wochenlang haben wir alle zusammen diesen Abend vorbereitet.

„Ihr Lieben, gleich geht’s los!“

Heute ist der Geburtstag von Nora, eine meiner besten Freundinnen. Sie meinte dieses Jahr, dass sie durch den Umzugsstress keine Zeit hat, eine Feier zu organisieren. Da dachten wir uns – wir nehmen das in die Hand und bereiten eine Überraschungsfeier für sie vor! „Nina, du kannst noch den Kuchen aus der Küche holen und vorschneiden.“ Heitere Stimmung, alle freuen sich und sind gespannt, wie Nora reagieren wird.

Es war schwer genug, das alles geheim zu halten. Da bemerkt David: „Heute morgen kam sie auf die Idee, dass wir zusammen was essen gehen könnten, ganz gemütlich nur wir zwei. Es war echt schwierig, das Richtige zu sagen, ohne zu viel zu verraten.“ Nadine fügt hinzu: „Na, dann hoffen wir mal, dass sie nichts hiervon ahnt.“ Dann klingelt Davids Handy. Freudestrahlend springt er auf: „Ihr Lieben, gleich geht’s los! Nora ist auf dem Heimweg, sie müsste jeden Moment hier sein!“

Die Diabetes-Kurzgeschichtenreihe „Der kleine Melli und ich“ – der Hintergrund


Melli ist ein kleiner Junge, der mit Nina, einer erwachsenen Frau, zusammenlebt. Die beiden Protagonisten der Diabetes-Kurzgeschichtenreihe geraten im Alltag immer wieder in Konflikt: beim Essen, beim Sport etc.

Autorin Lena Schuster: „Für mich ist der Diabetes vergleichbar mit dem kleinen Melli, den man oft zu gerne ignorieren möchte, doch das geht leider nicht. Denn ignoriert man den Diabetes, ist er wie ein schreiendes Kind, das einen nicht zur Ruhe kommen lässt. Kümmert man sich jedoch um den Diabetes, so macht einen das stark – und man erkennt, dass man bereit ist, auch andere Probleme des Lebens zu bewältigen.“

Alle rennen wild durch die Gegend und verstecken sich hinter den Vorhängen oder dem Sofa. Dann ist alles still. Kurz danach hört man einen Schlüssel im Schloss. „David, ich bin zu Hause. Wo steckst du?“, ruft Nora durch den Flur. Da schlendert sie um die Ecke ins Wohnzimmer. In dem Moment kommen wir alle aus den Verstecken, stolpern auf sie zu, fallen ihr in die Arme. „Was macht ihr denn hier?“, stammelt Nora überrascht. Ich drücke sie fest und sage: „Du musst doch deinen Geburtstag feiern!“ Sina fügt hinzu: „Deinen Geburtstag nicht zu feiern, kam gar nicht in Frage!“

„So, jetzt lasst uns feiern!“, ruft David und dreht die Musik auf. Da fällt Noras Blick auf das Büffet. „Ich habe deine Lieblingszimtschnecken gebacken“, sage ich und zwinkere Nora zu. Ehrlich gesagt habe ich mich auch schon den ganzen Tag auf die Zimtschnecken gefreut. Und es gibt noch Nudelsalat, Frikadellen, Rotweinkuchen – und nicht zu vergessen das berühmt-berüchtigte Tiramisu von Dirk. Das darf wirklich auf keiner Feier fehlen!

„Lass mich in Ruhe! Du nervst!“

Gerade als ich mir Nudelsalat auf den Teller schöpfen will, zerrt mich Melli am Arm. Für ihn habe ich jetzt keine Nerven. Ich möchte doch einfach nur den Abend genießen. So versuche ich, ihn zu ignorieren, aber er zieht immer stärker an meinem Arm. „Nina, du kannst jetzt nichts essen. Du hast einen hohen Wert.“ Da drehe ich mich zu Melli und sage wütend: „Mach mir jetzt nicht den Abend kaputt. Ich will einfach mal die Zeit mit meinen Freunden genießen.“

So leicht lässt sich Melli nicht besänftigen. „Ich weiß, dass du dich schon die ganze Woche auf die Feier gefreut hast. Aber das hilft nichts, du darfst nichts essen.“ Da fange ich an, wild mit den Armen zu fuchteln. Meine Stimme wird immer lauter: „Lass mich in Ruhe! Du nervst!“

Doch da sind ja noch die Freunde

Inzwischen haben auch die anderen die Diskussion mitbekommen. David schaltet sich ein: „Nina, was ist denn los, kann man dir irgendwie helfen?“ Mit den Nerven am Ende antworte ich: „Melli verbietet mir zu essen.“ Fast kommen mir die Tränen. „Ich habe mich so sehr auf den Abend gefreut. Einfach mal keinen Stress. Einfach mal leben.“

Verständnisvoll antwortet David: „Ich weiß, Nina. Was hältst du davon, wenn du mit den Frikadellen anfängst? Die haben doch keine Kohlenhydrate. Und wir versprechen dir, dass wir dir von allem etwas übrig lassen.“


Kommentar der Autorin:

Überzuckerungen begegnen uns ständig und durchkreuzen plötzlich unsere Pläne. Sie überraschen uns in Situationen, in denen wir nicht damit rechnen. Es bedeutet, dass in dem Moment unser Körper nicht so funktioniert, wie wir es gern hätten. Leider treten Überzuckerungen auch häufig in schönen Situationen auf, in denen wir einfach sorgenfrei den Moment genießen möchten.

Nina hat sich schon lange auf die Zeit mit ihren Freunden gefreut und möchte einen Abend mal einfach leben. Die Pläne werden von Melli durchkreuzt. Wichtig ist, wie wir mit den Grenzen unseres Körpers umgehen. Kämpfen wir dagegen an? Oder bemühen wir uns um einen achtsamen Umgang mit unserem Körper?

Es ist schwer, dem Bedürfnis, sorglos leben zu wollen, nicht nachzugehen. Doch eines muss uns bewusst sein: Ohne unseren Körper können wir nicht leben, deshalb müssen wir auf ihn Acht geben!


von Lena Schuster
Redaktion Diabetes-Journal, Kirchheim-Verlag,
Wilhelm-Theodor-Römheld-Straße 14, 55130 Mainz,
Tel.: (0 61 31) 9 60 70 0, Fax: (0 61 31) 9 60 70 90,
E-Mail: redaktion@diabetes-journal.de

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2020; 69 (2) Seite 38-39

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